Das halbe Jahr ist um! Das bringt mich zur Frage, wie ich es bisher mit der Balance gehalten habe. Balance zwischen Gesundheit und Genuss, Arbeit und Ausspannen, Balance zwischen Anspruch und Zuspruch im Christenleben – und zwischen klarer Doktrin und Einheit der Christen. Wann sollten wir uns abgrenzen, wann mit anderen zusammenarbeiten, auch wenn wir nicht in allen Punkten übereinstimmen?

Heute jährt sich zum 130. Mal der Todestag eines Mannes, den ich für seinen Umgang mit solchen Konflikten bewundere und dessen Scharfsinn, Humor und Gottesfürchtigkeit mich beeindrucken. Philipp Anton von Segesser, geboren 1817 als ältester Sohn einer Luzerner Patrizierfamilie, durchlief die klassische Laufbahn eines Mannes seiner Klasse und Konfession –  Gymnasium, dann Studien des Rechts und der Geschichte an deutschen Universitäten, weil die Schweiz noch keine katholische Lehranstalt hatte. Er kehrte zurück, heiratete, wurde Ratsschreiber. Doch dann wurde seine Welt auf den Kopf gestellt: Die liberalen Kräfte im Land siegten, und nach dem Sonderbundskrieg stand Luzern auf der Verliererseite und wurde von eidgenössischen Truppen besetzt.

Trotz grosser Verbitterung über die Kriegsniederlage und trotz des teilweise harten Umgangs der neuen Eidgenossenschaft mit den Verlierern setzte sich Segesser im neu geschaffenen Nationalrat als einer der wenigen katholisch-konservativen Politiker für die Interessen seines Kantons ein. 1863 bis 1867 war er Regierungsrat, aber seine grosse Stunde schlug 1871, als die Konservativen in Luzern die Macht zurückerlangten und man ihn erneut in dieses Amt wählte. Er war nicht sonderlich erpicht auf diesen Posten, aber er nahm an und durfte sich gleich einer grösseren Krise widmen – den Geburtswehen des Kulturkampfs.

Nachdem die Kurie im Sommer 1870 das Unfehlbarkeitsdogma verkündigt hatte, formierte sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz Opposition. Viele Katholiken im Land forderten eine Nationalkirche. In der Schweiz vermischten sich die Konflikte mit dem Kampf um die Verfassungsrevision, die eine starke Zentralisierung vorsah und den Einfluss der Kirche im Staat nicht nur minimieren, sondern die Vorzeichen umkehren sollte. Segesser, obwohl frommer Katholik, stand dem Dogma kritisch gegenüber, war aber überzeugt, dass die theologischen Konflikte innerkirchlich und nicht durch Abspaltung gelöst werden sollten. Damit stand er in Opposition zu einflussreichen Kreisen in seinem Kanton und im Bistum Basel, in dem sich intensive Kämpfe abspielten. Die liberale Solothurner Regierung setzte ihren Bischof Eugène Lachat ab, weil er einen Pfarrer exkommuniziert hatte, der öffentlich gegen das Dogma Stellung bezogen hatte. Lachat wurde mit Polizeigewalt aus seinem Bischofssitz vertrieben und begab sich unter Segessers Fittiche nach Luzern.

Segesser war bewusst, dass Luzern in dieser explosiven Situation besonnen vorgehen musste, um von den tonangebenden liberalen Kantonen nicht des katholischen Fanatismus bezichtigt zu werden. Seine Überlegungen können wir seiner umfangreiche Korrespondenz entnehmen, in der sein kluger Sinn für Mässigung und sein starker Glaube zum Ausdruck kommen. Doch was ich an am meisten bewundere, ist Segessers Blick über die konfessionellen Mauern. Zu seinen engsten Freunden zählten die Protestanten Eduard von Wattenwyl und Johannes Schnell, und in ihrem Briefwechsel wird deutlich, dass sie sich bewusst sind, auf den gleichen Gott zu vertrauen, und dass sie sich von den Scharmützeln zwischen den Konfessionen in ihrer Freundschaft nicht beirren lassen. Wie es Segesser nach dem Tod Wattenwyls in einem Brief an Schnell ausdrückte:

«Wir haben so viel Gemeinsames im Glauben und in der Liebe,
dass wir uns von dem, was wir nicht gemeinsam haben,
nicht stören lassen dürfen.»

Überhaupt fühle ich eine Nähe zu diesem Mann, der seine Freundschaften offenbar ganz ähnlich lebte wie ich. Freund Schnell schrieb ihm nach dem Tod Wattenwyls:

«Sonst kann ich zu meiner Gemeinschaft [mit Segesser] nichts hinzufügen,
sie enger nicht schliessen, als es innerlich schon ist.
Zeichen davon sehen Sie wenig.
Ich lege es auch nicht darauf an, sowenig als Sie.
Wir sind Einer des Andern sicher.»

Natürlich hatte auch Segesser seine Schattenseiten. Er konnte giftig und herablassend sein und war schnell mit Begriffen wie «flottanter Pöbel» zur Hand. Den Patrizier streifte er nie ab, aber er interpretierte in diese Stellung auch eine grosse Verantwortung für «sein Volk». Die Industrialisierung mit ihren Eisenbahnen und mit dem Tourismus, der in Luzern zu florieren begann, beargwöhnte er; ihm war die alte Zeit lieber. Als der Schweizer Bundespräsident und der Vizepräsident eine Sondermission der Japaner mit fünf Botschaftern in der Schweiz begrüssten – vor allem, um den gegenseitigen Handel zu fördern – und auf der Rigi die Eröffnung der Bahnstrecke Staffelhöhe-Rigikulm feierten, war Segesser nicht dabei. In einem Brief schrieb er:

«Die Ovationen für die Japaner kommen mir ohnehin lächerlich und ekelhaft vor.
Wofür sollen wir Leute feiern, die nicht einmal die Proskription des Christentums aufheben! Sie müssen uns als bettelhafte Krämer ohne Charakter betrachten.»

Segessers Welt gibt es nicht mehr, aber wenn ich seine Korrespondenz lese, berührt es mich, wie sich die Konflikte zwischen den Menschen über die Jahrhunderte in den gleichen Bahnen bewegen. Streitereien wegen Glaubensfragen, politische Scharmützel, aber auch ganz persönliche Nöte, wenn Segesser über die schwankende geistige Gesundheit seiner Frau schreibt oder über die jungen Hunde, die seine Tochter wollte und die sich im ganzen Haus breitmachen, ihm überallhin nachlaufen und sogar sein «Refugium» bedrohen.

Und in Segessers Haltung in Glaubensfragen finde ich die «Balance», die ich praktizieren möchte: in der Glaubensgemeinschaft, der ich angehöre, für gesunde Doktrin einstehen, in der Zusammenarbeit mit anderen nach Menschen suchen, die den gemeinsamen Nenner teilen. Und Freundschaften? Die gehen ohnehin über alle Glaubensgrenzen hinweg. Das hat Segesser vorgemacht, und wie er «Mann zwischen den Fronten» war, sind es wir Christen in einer säkularen Welt. Auch wir stehen immer wieder vor der Frage, wann und wie wir für unsere Werte Stellung beziehen und dennoch mit Liebe sprechen.

Eine «Balance», die uns mehr abverlangt als bequemes Schweigen oder selbstgerechtes Moralisieren – die sich aber lohnt.

Vor kurzem hatten wir im Kleintheater Grenchen einen Künstler zu Gast, auf den ich mich schon lange gefreut hatte. Ich wurde nicht enttäuscht: Stefan Waghubinger präsentierte fast zwei Stunden superber Unterhaltung. Trocken und lakonisch, tiefgründig, gleichzeitig alltagsnah und transzendental plauderte er über das Leben, den Glauben, die Steuererklärung und vieles mehr. Viele seiner Texte klingen nach, aber einer ist mir besonders geblieben, weil er etwas ansprach, das mich oft beschäftigt.

Waghubinger hat über sein Leben philosophiert und darüber, was dieses Leben ausmacht. Er hat sich die Frage gestellt, ob er etwas anders haben möchte und ob andere es besser haben. Dann sagte er lakonisch, so ganz tauschen möchte  er dann doch mit keinem.

So simpel er klingt, sagt dieser Satz enorm viel aus. Mir zeigt er, welchen Irrweg wir betreten, wenn wir andere um etwas beneiden.

Wenn wir Neid empfinden oder etwas begehren, was ein anderer hat, sagen oder denken wir schnell mal, dass wir gern „wären wie xy“ oder dessen Leben hätten. Etwas Bestimmtes erregt unsere Aufmerksamkeit oder unseren Neid – ein hoher Lebensstandard, Berühmtheit, ein knackiger Po, eine tolle Stimme, das super Selbstvertrauen, die Traumfamilie, eine verantwortungsvolle, prestigeträchtige Position – und wir möchten „das“ auch. Wir fragen uns, warum er/sie und nicht wir „das“ hat. Aber obwohl wir vielleicht kurz denken, dass wir mit ihm oder ihr tauschen möchten, wollen wir das im Grunde gar nicht.

Wir hängen an unserem Leben, so unzulänglich  und nicht perfekt es auch sein mag. Wir wollen unser Paket nicht tauschen.

Würden wir unsere Kinder hergeben, um den tollen Job zu bekommen? Unseren Beruf, um dafür den Knackpo zu kriegen? Nicht wirklich. Kommt dazu, dass bestimmte Pluspunkte auch bestimmte Minuspunkte nach sich ziehen. Die verantwortungsvolle Position geht mit Sicherheit mit einer gehörigen Portion Stress einher, mit wenig Zeit für Hobbies und anderes. Wollen wir das auch? Natürlich nicht. Wenn wir jemanden beneiden, dann sehen und wollen wir nur die Sahneseite und dazu alles, was wir sonst haben – also etwas, das es gar nicht gibt.

Dummerweise fällt uns das Beneiden leicht, und diese Neigung in uns wird von der Welt, in der wir leben, noch angeheizt. Die Werbung gaukelt uns vor, was wir alles haben könnten undzeigt uns das Neueste, das natürlich viel besser ist als das, was wir haben. Und falls wir es dann noch nicht wollen, sehen wir es an unseren Bekannten oder Freunden, und spätestens jetzt müssen wir es auch haben. Denn die Werbung vermittelt ja nicht nur, wie toll etwas ist und jeder, der es hat, sondern auch, dass jeder, der es nicht hat, keine Ahnung hat und nicht zum auserwählten Kreis gehört.

Abgesehen davon, dass dieser Drang des Neidens und Vergleichens unseren Geldbeutel belasten kann, hat er noch ernstere Folgen. Oft neiden wir anderen auch Gaben und Talente. Wenn wir glauben, dass andere mehr Talente haben und wir zu kurz gekommen sind, wird unser Blick für die Gaben getrübt, die uns geschenkt wurden. Und was wir nicht sehen, setzen wir nicht ein. Dabei ist das,  was wir sind und haben – all unsere Erfahrungen, unser Gaben, unsere Gegenwart mit all ihren Freuden und Leiden – der Stoff, mit dem wir die Welt prägen können.

Ich beneide selten jemanden, bin aber nicht immun. Aktuell bin ich am anfälligsten, wenn mir andere auf ihrem Weg zum Autor ein paar Schritte voraus sind oder Wege einschlagen, die für sie funktionieren, von denen ich aber weiss, dass sie nichts für mich sind. Wenn ich lese, dass eine Autorin innert sechs Monaten schon wieder ein Buch veröffentlicht hat und das nächste auch gerade fertig wird, kriege ich ab und zu ein flaues Gefühl im Magen und frage mich, warum ich nicht schneller arbeiten kann. Gleichzeitig weiss ich, dass mein Buch die Zeit braucht; nicht weil es besser, sondern weil es anders ist und ich anders bin.

Meistens jedoch kann ich Neid auf der Seite lassen, und vier Punkte oder Gedanken unterstützen mich dabei. Der erste ist Glückssache, zum zweiten habe ich beigetragen, der dritte ist eine Erkenntnis, die jedem offensteht. Der vierte ist transzendental und die Wurzel.

Zum einen habe ich tatsächlich viel von dem, was mir persönlich wichtig ist: viel Freiraum, eine Arbeit, die mir gefällt, daneben Zeit für meine Schreib- und Musikprojekte. Eine gute Gemeinschaft. Freunde, die mich nehmen, wie ich bin; eine tolle Familie, einen Mann, der mich in allem unterstützt und der dieses seltsame Wesen, das ich bin, versteht (oder zumindest nicht schreien davor flüchtet).

Zum zweiten habe ich mich mit bestimmten Mängeln oder Eigenarten meinerseits versöhnt. Ich würde die dickeren, gewellteren Haare immer noch nehmen, aber ich habe die Gegebenheiten der Natur akzeptiert. Ich wünsche mir nicht mehr, extrovertierter zu sein, sondern kann damit leben, dass Menschen mich im ersten Moment für etwas reserviert halten, und vertraue darauf, dass die Menschen, auf die es ankommt, tiefer sehen.

Zum dritten ist mir bewusst geworden, wie trennend und zerstörend Neid sein kann. Egal, ob es um die Erfolge anderer Autorinnen geht oder um bessere Gesangskünste, um ein tolleres Aussehen oder mehr Selbstvertrauen: Wenn ich andere beneide, treibe ich einen Keil zwischen mich und diese Menschen, und das ist lebenshindernd.

Zum vierten und letzte gibt es zumindest für mich nur eine Wurzel, die wirklich vom Neid befreit. Es ist die Gewissheit, dass weder das Mass an Gaben und Talenten, das ich habe, noch die existierende oder fehlende Anerkennung etwas über meinen Wert als Mensch aussagen. Wenn ich begriffen habe, dass dieser Wert unveräusserlich und unveränderlich ist, weil er mir von Gott gegeben wurde, kann ich anderen befreit gönnen, was Gott ihnen schenkt.

Damit werde ich frei, zu sehen und zu schätzen, was er mir gegeben hat, und das Beste aus mir herauszuholen – zu meiner Freude und zum Wohl aller anderen.

Wo seid Ihr anfällig für Neid? Im Kilobereich oder im Postenbereich, bei der Nasenform oder beim Gehaltscheck? Bei der Kinderzahl oder beim Handymodell? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

Meine diesjährige Suche nach dem „Wort des Jahres“ begann früh und verheissungsvoll: Ich hatte mehrere Ideen, und bald schon glaubte ich zu wissen, welche es werden sollte. Dann aber kam ich ins Grübeln, weil mir diese Favoriten so einseitig schienen.

Ich wollte konsequent meine Entscheidungen umsetzen und meine Ziele verfolgen, aber keinen Tunnelblick bekommen, der mich nur meine eigenen Interessen sehen lässt. Ich wollte achtsam und liebevoll sein, aber auch die Kraft haben, das durchzusetzen, was ich für richtig halte.

Zwei Wochen nach Jahresstart habe ich es schliesslich gefunden – das Wort, das mich dieses Jahr leiten und motivieren, inspirieren und ermutigen soll. Es heisst Commitment.

Dass es ein englisches Wort ist, war keine Absicht; es hat einfach am besten ausgedrückt, was mir wichtig ist. Und das Schöne ist, dass seine zahlreichen deutschen Entsprechungen all die Facetten dessen ausdrücken, was ich dieses Jahr ins Zentrum stellen will.

Zusage und Verbindlichkeit.

Verpflichtung und Engagement.

Bekenntnis und Bindung.

Selbstverpflichtung und Hingabe.

Ich habe dieses Jahr viel vor, und mit diesem Wissen und den Erfahrungen aus dem letzten Jahr habe ich meine Aufgaben etwas reduziert. Ich bin mir bewusst geworden, was ich nicht mehr machen will, und habe entsprechende Entscheidungen getroffen. Im Gegenzug will ich bei dem, was ich tue, mit ganzem Herzen dabei sein, und all diese Worte drücken das aus.

  • Dort, wo ich mich engagiere, gebe ich meine Zusage von Herzen und mache meine Sache verbindlich.
  • Meinen entsprechenden Aufgaben verpflichte ich mich und setze mich voll und ganz ein.
  • Zu meinen Beziehungen bekenne ich mich und pflege sie, damit Bindungen gestärkt und vertieft werden.
  • Meinen eigenen Projekten widme ich mich mit Selbstverpflichtung und Hingabe.

Wir entscheiden jahrein, jahraus, wofür wir uns einsetzen wollen, welche Beziehungen wir leben, wo wir unsere Tatkraft investieren wollen. Ab und zu müssen wir einen Blick auf das Ganze werfen und nötige Anpassungen vornehmen. Wenn wir unser „Palette“ dann ansehen und zufrieden sind, können wir loslegen und alles geben.

Und darauf freue ich mich. Ich freue mich auf ein spannendes Jahr voller Ziele, die ich erreichen, aber auch voller Momente, die ich einfach geniessen will. Und ich wünsche mir, dass ich Ende Jahr zurückblicken und sagen kann: Ich habe den Zielen, den Aufgaben und den Beziehungen, die zu meinem Leben gehören, dieses Jahr mein ganzes Herz geschenkt. Wo ich war, war ich echt und wahr, mit Haut und Haaren. Wenn ich etwas anpackte, dann mit allem, was mir zur Verfügung stand.

Während ich über diesen Wunsch nachdenke, steigt ein anderes Wort oder besser Sprichwort aus den Tiefen empor; eins, das ich in einem meiner geliebten Dick-Francis-Krimis gelesen habe. Es ist in Latein, einer Sprache, die ich sehr mag; und so stelle ich neben das Wort „Commitment“ diesen Schlachtruf, den ich nicht nur über diesem Jahr ausrufen, sondern irgendwann auch auf  meinen Grabstein setzen will.

QUANTUM IN ME FUIT – Ich habe mein Bestes gegeben.

Mich motiviert der Satz, ohne mich unter Druck zu setzen. Er setzt kein Ziel, das von anderen abhängt, keinen Massstab, den irgendwer setzt und den ich einhalten muss. Er setzt bei mir an, bei dem, was *ich* leisten kann. Das, und nur das kann und will ich geben. Es unterscheidet sich von dem, was andere geben können; –mal ist es mehr, mal ist es weniger.

Aber das macht nichts – solange ich mein Bestes gebe.

Was hast Du Dir vorgenommen, falls Du das mit den Vorsätzen überhaupt noch machst? Ich wünsche Dir in jedem Fall, dass Du Dich mit niemand anderem vergleichst und keine falschen Massstäbe an Dich legst und gerade dadurch dazu befreit bist, Dich voll und ganz einzusetzen für das, was Dir wichtig ist, darin Dein Bestes zu geben und Erfüllung zu finden.

 

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Das Osterwochenende hat begonnen, und ich gestehe: Ich habe meine Vorsätze für die Fastenzeit nicht ganz eingehalten. Ich wollte meine Erfahrungen mit der Lukas- und Johannes-Evangeliums-Lektüre mit Euch teilen, und nun ist der Ostertag schon da, ohne dass ich darüber gepostet habe.

In den Tagen vor diesem Osterwochenende haben sich die „wann hab‘ ich mal wieder ein bissel frei“-Gefühle genauso gehäuft wie die Kleider, die ich vor dem Duschen einfach im Gang vor dem Badezimmer auf den Boden werfe – ein sicheres Indiz dafür, dass es mir gerade schwerfällt, meine kleinen und grösseren Alltagspflichten wahrzunehmen.

Dennoch bin ich in den letzten Wochen auf eine „Osterbotschaft“ gestossen – sie stammt weder aus Lukas noch aus Johannes, sondern aus Markus, und ich habe sie im Post eines anderen Bloggers gefunden. Es handelte von einem einzelnen Wort, das Jesus gesagt hat, aber am Ende beantwortet es die Frage, was Ostern eigentlich ist.

Diese Frage beantwortet heute jeder etwas anders. Für Menschen, die nicht an Gott glauben, heisst Ostern ein paar freie Tage aufgrund eines alten Irrglaubens; für Menschen, die nach eigener Aussage „schon irgendwie an etwas Höheres glauben“, ist die Ostergeschichte oft ein Ärgernis offener Fragen, die man sich lieber nicht so genau stellt.

Für Christen meiner Frömmigkeitsstufe ist der Fall eigentlich klar: Christus starb am Kreuz für unsere Sünden und wurde am dritten Tag von Gott auferweckt.

Aber warum musste er sterben?

Die offizielle Lesart lautet oft: Gott, der Heilige und Gerechte, will mit uns zusammen sein (schöner Gedanke). Weil wir, um in seiner Gegenwart überleben zu können, erst wieder heilig gemacht werden müssen, fordert Gott ein Blutopfer (nicht so schöner Gedanke) und hat dafür seinen eigenen Sohn kreuzigen lassen (gruseliger Gedanke).

Gott hat demnach dieses Blutopfer gefordert. Ist das wirklich wahr?  Ich habe es lange so gesehen, bis ich Benjamin Coreys Post über das besagte eine Wort im Markus-Evangelium gelesen habe. Corey hat sich auf der Suche nach Antworten wie ich die Frage gestellt, was Jesus genau zum Thema gesagt hat. Dabei ist er auf diese Stelle gestossen:

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. (Mk 10,45)

Nicht als Opfer – als Lösegeld.

Dieses eine Wort scheint nicht so wichtig zu sein, aber ob wir von Lösegeld oder von Opfer sprechen, macht eine Menge aus.

Wer bezahlt normalerweise das Lösegeld?
Die Eltern oder nächsten Angehörigen dessen, für den das Lösegeld verlangt wird.

Und wer verlangt das Lösegeld?
Der Verbrecher, der die Person in seiner Gewalt hat.

Was heisst das, wenn wir es auf das Evangelium, auf uns übertragen?

Wer ist die Geisel?
Wir sind es – gefangen durch die Sünde, die wir in unserem Stolz, ohne Gott leben zu wollen, selbst über uns gebracht haben.

Wer ist der Geiselnehmer, der das Lösegeld verlangt?
Satan. Wir haben ihm durch unser Handeln ein Recht über uns gegeben. Er hält uns in Gewahrsam und fordert das Opfer.

Und wer zahlt das Lösegeld?
Gott, unser Vater – durch Jesus.

Jesus hat sich für uns in die Gewalt des Feindes begeben, und Gott hat das Opfer bezahlt. Er hat es nicht gefordert; er hat eine Forderung des Feindes erfüllt. Diese Tat widerlegt die Vorstellung des blut- und rachedürstenden Gottes.

Ich hatte immer meine Mühe mit dieser Vorstellung, und ich habe diese Mühe im Blick auf das Alte Testament noch immer. Umso froher macht es mich, dass mir das Neue Testament einen anderen Blick auf Gott und auf das erlaubt, was vor so vielen Jahren in Jerusalem geschah. Das, was am Karfreitag geschah – und noch viel mehr das, was wir am Sonntag feiern.

Der Tod von Jesus am Kreuz hat dem Bösen einen Moment des Triumphes verliehen – aber es war ein kurzer Moment. Drei Tage darauf hat Gott Jesus wieder zum Leben erweckt und ihn in Fleisch und Blut auferstehen lassen.

Wenn ich am Ostersonntag sage: „Jesus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden“, dann ist das eine Bekräftigung dessen, was ich im Innersten meines Herzens glaube: Dass Jesus, der sowohl ganz Mensch als auch ganz Gott war, heute lebt. Er regiert zur Rechten des Vaters, und er lebt im Herzen eines jeden, der ihm sein Leben geschenkt hat.

Ich werde dieses Wochenende mit meiner Familie verbringen – meinem Vater, meinem Mann, meiner Schwester und ihrer Familie. Wir werden nicht in die Kirche gehen, aber wir werden uns zusammen etwas Zeit nehmen, um an das Wunder zu denken, das vor rund 2000 Jahren auf dieser Erde geschehen ist.

Jesus ist…

…alive and kicking!

In diesem Sinne: allen frohe Ostern!

Schlüsselherz kleinIch hatte schon früh eine innige Beziehung zum geschriebenen Wort. Als kleiner Knopf sah ich meiner Mutter dabei zu, wie sie diese faszinierenden Zeichen in die Schreibmaschine tippte. Ich wollte genau wissen, was es damit auf sich hatte, und sie hat geduldig meine Fragen beantwortet und mir das „Mami-M“, den „Papi-P“ und all die anderen erklärt, bis ich schließlich mein erstes selbst gelesenes Wort aussprach. Es war „Thomy“ von Thomy-Senf, und ich las es mit vier Jahren von einer Plastiktüte.

Es folgten Jahrzehnte, in denen ich jedes greifbare Wort verschlang, angefangen mit „Dominik Dachs“ über „Fünf Freunde“, „Die Schwarze Sieben“, „Geheimnis um…“ „Die drei ???“, tonnenweise Pferdebücher, „Hanni und Nanni“, „Dolly“, „Die Kinder von Bullerbü“, „Karlsson vom Dach“, „Die unendliche Geschichte“, „Mio mein Mio“ und fast alles von Federica de Cesco. Nach einer hormonell bedingten „Sweet Dreams“-Kitsch-Phase kamen die damals verfügbaren Stephen Kings, daneben die humorigen Geschichten von Erma Bombeck und Mary Scott und natürlich Krimis, angefangen bei Agatha Christie über Martha Grimes zu Elisabeth George und Dick Francis.

Geschrieben habe ich damals auch, aber ausschließlich Tagebücher, die ich mit den Lamenti eines schüchternen, introvertierten Teenagers füllte. Dann ging ich Geschichte studieren, danach zog es mich zuerst hobbymäßig, dann halbprofessionell zum Gesang. Vor vier Jahren landete ich unverhofft über ein paar Lieblingssongs wieder beim Schreiben, und heute geht es mir damit wie Tim Ekaterin in Dick Francis‘ Banker-Krimi nach seinen ersten drei Monaten bei der Bank: Man müsste mich mit der Brechstange loseisen. Im Januar und Februar habe ich den Plot für mein erstes Prosabuch erarbeitet, nächsten Mittwoch fange ich mit dem Rohentwurf an, und ich freue mich darauf wie ein kleines Kind, das vor der Wohnzimmertür steht und durch die Glastür die flackernden Kerzen am Weihnachtsbaum sieht. Dass das Schreiben meine Berufung ist, steht für mich außer Zweifel.

Aber wie erkennt man, was Berufung ist? Wie findet man als Mensch mit vielen Interessen und verschiedenen Talenten heraus, wo man sich investieren soll?

Ich habe im Prozess, der mich zum Schreiben geführt hat, verschiedene Kennzeichen ausgemacht, die auf der Suche nach Berufung vielleicht weiterhelfen.

Sie macht Freude
Simpel, aber wahr! Das Schreiben macht mir praktisch immer Spaß. Zwar verfolge ich mit meinem Schreiben auch einen Zweck, und dieser Zweck gehört zur Berufung, aber das Schreiben begeistert mich auch an und für sich. Ich kann mich dabei total vergessen und tauche in eine andere Welt ein, bin eins mit mir selbst. Wenn wir das tun, was uns in die Wiege gelegt ist, sind wir in einem ganz besonderen „Flow“, einem Fluss, der uns trägt und uns Energie schenkt.

Sie lässt Dich nicht los
Ich denke ständig über das Schreiben nach, lese Blogposts und Bücher darüber, lebe darin. Ich freue mich an dem, was ich schon zustande bringe, aber das reicht mir noch lange nicht. Ohne mich mit ihnen zu vergleichen, lasse ich mich von Vorbildern inspirieren, um mich weiterzuentwickeln und so gut zu werden, wie ich kann. Unsere wichtigsten Gaben packen uns mit einer Kraft, der wir uns nur schwer entziehen können – und das ist gut so.

Sie dient anderen
Die Feedbacks, die ich über die Jahre schon erhalten habe, zeigen mir, dass sich beim Schreiben neben der Freude an der Sache mein Herzenswunsch erfüllt: Ich erreiche andere Menschen und gebe ihnen etwas weiter. Die Ausübung unserer Gaben soll uns Freude machen, aber sie ist auch so konzipiert, dass sie anderen dient.

Sie braucht keinen Anstoß von außen – und kein Publikum
Als ich die Idee für „Hier will ich bleiben“ hatte, war mir erst einmal völlig egal, ob ich für das Buch einen Verlag finden und ob es ein Beststeller werden würde – ich wusste nur, dass ich das schreiben und veröffentlichen will, und alles andere zählte nicht. Natürlich brauchen Bücher Leser, um ihren Sinn zu erfüllen, aber im ersten Moment war diese Frage nicht wichtig. Vielleicht machst Du etwas, das der Öffentlichkeit verborgen bleibt und dennoch Deine Berufung ist. Wenn Du in einem kleinen Kreis das tust, was „Deins“ ist, bereicherst und beschenkst Du viele Menschen, ohne dass das über Dein Dorf, Deine Kirche oder Deinen Verein hinausgehen muss.

Sie blüht zur rechten Zeit
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte das professionelle Schreiben früher entdeckt, aber im Grunde weiß ich, dass es so genau richtig ist. Ich wäre früher nicht so zielgerichtet gewesen, und ich hätte nicht das zu sagen gehabt, was ich heute sagen will. Wenn Du also dreißig bist und Dich fragst, warum Du „das“ noch nicht gefunden hast, dann entspann Dich – vielleicht musst Du einfach noch ein paar Erfahrungen machen, die Dir den Weg ebnen werden. Es ist nie zu spät.

Sie hat ein Was, ein Wozu und ein Wo
Berufung setzt sich aus drei Zweigen zusammen. Ich schreibe (Was), weil ich damit Menschen ermutigen, berühren, herausfordern und ihnen Gott näherbringen will (Wozu). Und das will ich in der säkularen Literaturszene tun (Wo). Ich könnte meine Schreibe für das Verfassen von Werbetexten einsetzen oder Bücher über das christliche Leben für Christen schreiben, aber beides würde mich nur begrenzt erfüllen. Ich will Menschen mit meinen Geschichten berühren, begeistern und ihnen erfahrbar machen, dass hinter dem seelenbetäubenden Lärm von Karriere, Konsum und Konkurrenz eine tiefere Wahrheit liegt – befreiende Werte, die jedes Leben bejahen und nicht nur dasjenige, das am meisten zum Bruttosozialprodukt beiträgt und dem gerade gängigen, so flüchtigen gesellschaftlichen Ideal entspricht. Wenn Du Dich also fragst, worin Deine Berufung liegt: Vergiss nicht, dass die Gabe an sich nur ein Teil davon ist. Wenn Du Dein Talent einsetzt und Dich das nicht erfüllt, liegt es vielleicht daran, dass Du Deine Gabe nicht für ein Ziel einsetzt, dass Dich wirklich begeistert.

Hast Du Deine Berufung schon gefunden? Falls nicht, bringen Dich meine Gedanken vielleicht dem Ziel etwas näher. Falls ja: Warte nicht auf eine Einladung oder darauf, dass Du „entdeckt“ wirst. Wenn es das ist, was Dich wirklich erfüllt, brauchst Du weder einen Vertrag noch einen Job noch Ruhm noch Geld, um es zu tun. Vielleicht hast du noch viel Zeit, vielleicht nicht. Egal, was zutrifft: Stell Dir einen Moment lang vor, du hättest nur noch ein paar Jahre zu leben. Was würde Dir auf dem Herzen brennen? Ein Buch, eine CD? Ein Missionstrip? Ein Gassenrestaurant?

Egal, was es ist: Go for it –
für Dich und für die Menschen, die Du damit beschenken wirst.

Blog AwardMir geht alles Mögliche im Kopf herum, an dem ich Euch teilhaben lassen möchte, aber heute freue ich mich, Euch den „Liebster Blog Award“ ans Herz zu legen – vor allem, weil ich wieder einmal nominiert wurde (Freude herrscht!) Der LBA ist eine Initiative, die kleineren Blogs helfen soll, ein bisschen Aufmerksamkeit zu erlangen, und dieses Jahr hat mich Sandra von „Mein Sommerzimmer“ nominiert. Wie immer ist mit dieser Ehre die Beantwortung von ein paar Fragen verbunden. Sandra hat sich für einen spannenden Mix von glaubensorientierten und anderen Fragen entschieden, und hier sind meine Antworten dazu:

Wann hast Du Dich für ein Leben mit Jesus entschieden?
Am 20. Januar 2004 um ca. 22:30.

Was wünscht du Dir für Deinen Blog in der Zukunft?
Dass ich ehrlich und authentisch bleibe und meine Texte Menschen berühren, inspirieren und aufbauen – und dass mir die Ideen nicht ausgehen.

Welche Hobbys hast Du?
Lesen, Filme gucken, spazieren, Musik hören und machen.

Wie bringst du Jesus anderen Menschen nahe?
Auf verschiedene Art: Mit meinen Texten und beim Singen, oft im Gespräch oder beim schriftlichen Austausch. Das Wichtigste ist für mich, dass es aus einem gewachsenen Vertrauen geschieht. Ich möchte niemandem mit meinem Glauben vor der Nase herumwedeln, weil ich Manipulation selbst hasse wie die Pest. Ich freue mich, wenn Menschen mich nach etwas fragen, weil sie meinen Umgang mit dem Thema schätzen gelernt haben.

Kaffee oder Tee?
Beides: Kaffee am Morgen und nach dem Essen, Tee zwischendurch und gern auch am Abend.

Hast Du Familie/Kinder?
Einen Mann, keine Kinder, dafür drei Neffen (einer mein 17jähriger Patensohn) und eine Nichte.

Hast Du die eine beste Freundin/den einen besten Freund – den „Seelenverwandten“?
Meinen Mann. Es gibt (abgesehen von Gott) niemanden, der mich besser kennt, und er ist der einzige, mit dem ich undendlich viel Zeit verbringen kann.

Was bedeutet Dir der Gottesdienst?
Gemeinsam mit anderen vor Gott stehen, Beziehung pflegen, Leben teilen.

Hast du ein Haustier?
Ich liebe Katzen, habe aber nach dem Verlust von zwei Büsis gerade nicht den Nerv, es wieder zu versuchen. Irgendwann gibt es aber vielleicht wieder welche – ich liebe diese Tiere einfach 🙂 Apropos Katzen:

Hättest Du in der Vergangenheit etwas  anders gemacht, und was?
Ich finde es schade, dass ich mein Studium nicht abgeschlossen habe, aber wirklich schlimm ist es nicht. In dem Sinn gibt es nichts, was ich grundsätzlich „anders“ wollen würde, ausgenommen die Fehler, mit denen ich andere Menschen verletzt habe.

Wie entspannst Du?
Siehe oben: Lesen, Filme gucken, spazieren, Musik hören und machen 🙂

Nachdem dieser Teil erfüllt ist, ist es nun an mir, ein paar kleine, feine Blogs zu nominieren. Und hier sind sie:

OMG – Online mit Gott
Katharina Wozniak
Modepraline
Himmelsbogen

Die Nominierten sind eine bunte Mischung – OMG und Himmelsbogen bloggen über den Glauben im Alltag und die Herausforderungen, die einem darin begegnen, Katharina über das Schreiben und das, was sie bewegt und beschäftigt, und die Modepraline über die Freuden und Härten des Lebens und alles, was ihr in den Sinn kommt – und das ist eine Menge! Allen gemeinsam ist das, was mir so am Herzen liegt: Authentizität, Humor und Tiefgang. Check them out!

Und natürlich habe ich auch ein paar Fragen an Euch, liebe Bloggerkollegen und -innen. Keine Angst – die Jesusfrage kommt nicht. Aber ich finde vielleicht eine Frage, die für die einen wie die anderen eine Herausforderung darstellt…!

  1. Wann hast Du mit Bloggen angefangen?
  2. Was war Deine Motivation?
  3. Was liebst Du besonders am Bloggen?
  4. Schreibst Du neben dem Bloggen auch Bücher oder Sonstiges?
  5. Was für Hobbies hast Du sonst?
  6. Schaust Du gern Filme und/oder Serien, und wenn ja: welche?
  7. Hast Du den Film „Life of Brian“ gesehen?
  8. Welche/n amerikanischen Präsidentschaftskandidaten/in findest Du am katastrophalsten? (Schwierig, ich weiss – die Auswahl ist riesig!)
  9. Worauf vertraust Du in schweren Stunden?
  10. Was magst Du am liebsten an Dir?
  11. Was möchtest Du in diesem Leben unbedingt noch machen?

Ach ja: Man darf auch scherzhaft antworten, wenn etwas zu persönlich ist 🙂

Ich danke Sandra nochmals für die Nomination und ihr sowie den anderen hier erwähnten Bloggern für ihr Herzblut beim Schreiben. Bloggen macht Freude, aber es fordert einen auch immer wieder heraus, und Ihr tragt mit Euren Texten alle dazu bei, dass das Leben anderer farbiger, spannender, lustiger und tiefer wird. Be all blessed!

Und Ihr, die Ihr hier lest: Ohne Euch geht es nicht. Vielleicht würden wir so oder so schreiben, aber die Freude darüber, dass unsere Buchstabenkompositionen auch ab und zu ein Herz treffen und Euch bewegen, erfreuen und berühren – sie ist es, die uns auch abends um zehn noch ans Keyboard treibt. Ist es nicht so? In diesem Sinne DANKE auch an Euch!

Eure Seelensnack-Lieferantin

Claudia

 

 

Bibel BildManchmal habe ich vom Christentum die Nase voll.

Nicht von Jesus, nicht vom Glauben und nicht von den Christen in meiner Gemeinde, aber sehr wohl von „der Christenheit“ – von ihren bis aufs Blut verteidigten Dogmen, ihren theologischen Haarspaltereien und sich unablässig wiederholenden Debatten. Was ist einzig richtig? Wer hat recht, und wann geben endlich alle anderen zu, dass wir es sind?

Ganz übel wird es, wenn die Politik hineinspielt und jeder weiß, wie sich „ein Christ“ entscheiden muss. Für manche amerikanischen Christen ist Trump der Retter, der Amerika wieder groß macht, für die anderen soll Amerika endlich begreifen, dass Gott anderes als Amerikas Größe im Sinn hat. Für die einen ist Ted Cruz der einzig wahre christliche Kandidat, für andere ist er der Antichrist in frommer Maske, gekommen, um die Nation zu verführen.

Bei uns ist es nicht besser. Die große Mehrheit der Christen (darunter yours truly) ist der Meinung, dass sich die Durchsetzungsinitiative schlecht mit den Grundsätzen gelebten christlichen Glaubens vereinbaren lässt, aber auch hier gibt es abweichende Meinungen. Und beide Seiten sind zutiefst überzeugt, recht zu haben und scheuen sich nicht, dem Andersdenkenden das Christsein mit Sätzen wie diesen abzusprechen: „Natürlich kann ein Christ diese Meinung vertreten. Er muss einfach vorher seine Bibel verbrennen.“

Diskussionen um unseren Glauben, um die Bedeutung der Schrift und was sie meint, sind wichtig, und sie haben ihren Platz. Aber so, wie heute damit umgegangen wird, wäre mir mein Glaube schon lange verleidet, wenn Gott nicht wäre. Wollte Jesus wirklich, dass wir den Großteil unserer Energie dafür einsetzen, uns über die Richtigkeit der Erwachsenentaufe und die biblische Daseinsberechtigung der Zungenrede den Kopf zu zerbrechen?

Ich glaube nicht, und genau deshalb habe ich den Entschluss gefasst, in den kommenden Wochen Doktrin zu fasten. Für einmal meide ich alle Blogposts über Abstimmungsfragen im Hinblick auf das Christsein, Homosexualität, Frauen auf der Kanzel und was es sonst noch alles gibt. Und tue etwas anderes.

Ich nähere mich Jesus. Und zwar auf historische Weise und Tag um Tag.

Ich habe mir dafür das Lukas-Evangelium und das Johannes-Evangelium ausgesucht; das erste, weil es am meisten Details liefert, das zweite, weil es sich von den anderen durch seinen Ansatz unterscheidet. Ab Montag werde ich nach Plan beide bis Ostern durchlesen und mir nur diese zwei Fragen stellen:

Was hat Jesus GESAGT?
Was hat er GETAN?

Ich stehe an einem Punkt in meinem Glaubensleben, wo ich willens bin, Tradiertes zu hinterfragen – nicht um des Hinterfragens willen, sondern um dem Kern dessen näher zu kommen, was das Christentum zu einer so revolutionären und neuen Bewegung gemacht hat. Ich bin hungrig nach mehr von dem, was Gott wirklich wichtig ist.

Dabei bin ich mir völlig darüber im Klaren, dass zwei Bücher des Neuen Testaments nur ein Ausschnitt sind, aus dem sich keine allgemeingültigen Weisheiten ableiten lassen. Genauso wenig gehe ich davon aus, dass sich alle Spannungen in der Schrift auflösen werden – das sollen sie vielleicht nicht einmal. Ich freue mich einfach darauf, Jesus neu und ohne religiösen Überbau zu entdecken, indem ich mir ansehe und auf mich wirken lasse, was er in der kurzen Zeit, die er auf Erden hatte, gesagt und getan hat. Ich werde mir aufschreiben, was mir wichtig wird, und ab und zu ein entsprechendes Post verfassen. Falls jemand sich anschließen will, nur zu – hier mein 42-Tage-Plan:

Plan Bibel

Ich freue mich auf neue Entdeckungen bis Ostern und wünsche Euch allen eine Fastenzeit nach Euren Wünschen – erhellend, besinnlich, ruhig oder erkenntnisreich. Be blessed!

Was sind Eure Gedanken zum Thema Doktrin? Geht es Euch wie mir, oder findet Ihr es gefährlich oder überheblich, sich einfach „selbst ein Bild machen zu wollen? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

Manche hassen sie, andere lieben sie, aber darum herum kommt niemand: Es ist Fasnacht! Da ist auch in Grenchen am Jurasüdfuß alles ein bisschen anders, denn mein Geburts- und Wohnort hat eine stolze Fasnachtstradition. Zwischen Basel, das vor allem mit „Schnitzelbängg“ brilliert, und Luzern, bei dem die „Guggenmusig“ die Hauptrolle spielt, haben wir im Mittelland eine einmalige Mixtur aus beidem.

Ich wurde trotz eines fasnachtsbegeisterten Vaters nie mit dem Virus infiziert, aber ich erinnere mich an das, was mir als Kind gefallen hat: An der „Chesslete“ morgens um fünf die Nachbarschaft wecken, ein Cowboykostüm anziehen und mit einem Revolver herumballern, Magenbrot und Zuckerwatte verschlingen und die wahnwitzigen Bahnen auf dem Rummelplatz zu befahren, die bei uns zur Fasnacht gehören.

Neben diesen harmlosen Späßen und den kreativen Beiträgen à la Guggenmusig und Schnitzelbank macht die Fasnacht heutzutage vor allem von sich reden, wenn es um den Verlust aller Hemmschwellen geht. Im „Alles ist erlaubt“-Modus und bei großzügiger alkoholischer Begießung fühlen sich viele frei, den zivilisierten Menschen für ein paar Tage abzustreifen und den innere Schweinehund von der Leine zu lassen, bis der am Aschermittwoch müde und verkatert zurück nach Hause kriecht und bereit für die Fastenzeit ist.

Der Link zur Fastenzeit sagt es schon: Die Verbindung von Fasnacht und Christentum lässt sich nicht ganz leugnen. In früheren Zeiten, als die soziale Kontrolle noch stark und die Meinung darüber, was moralisch ist, enger gefasst war, war der Drang noch stärker, das Korsett aus all diesen Zwängen ein paar Tage abwerfen. Warum aber sehnt sich der Mensch heute, wo doch alles möglich ist, nach so einem Freipass? Warum scheint uns das immer noch so verführerisch?

Ich glaube, wir alle empfinden die Regeln, nach denen wir leben, ab und zu als einengend – ob wir uns nun als gläubige Menschen verstehen oder nicht. Oft will unsere Natur das, was wir moralisch ablehnen. Wir neiden dem Nachbarn das teure Auto; wir wollen uns wieder einmal „richtig geliebt fühlen“ und sehnen uns nach dem verbotenen Prickeln; wir wollen nicht daran denken, was gesund ist, und einfach mal so richtig reinhauen. Aus dieser Warte scheint alles, was „Spaß macht“, verboten zu sein.

Aber jeder, der solchen Versuchungen nachgegeben hat, weiß, wie bitter das Aufwachen ist und dass daraus immer Leid für uns und für andere entsteht, selbst wenn es nur eine Magenverstimmung ist. Auch eine einwöchige Regel-Auszeit kann nichts Gutes hervorbringen. Das Urübel liegt nämlich ganz woanders: Darin, dass wir uns mit einer lebensfeindlichen Einstellung die Luft abschnüren.

Wenn ich jeden Tag penibelst Kalorien zähle und mich nur von Hüttenkäse und Gurken ernähre, werde ich irgendwann das Kühlfach plündern und mir eine Familienpackung Eis einverleiben. Wenn ich eine lust- und körperfeindliche Einstellung habe, drängen die Bedürfnisse auf andere Weise an die Oberfläche. Je mehr ich aus einer „Darf dat dat?“-Warte durchs Leben krauche und mich bei allem frage, ob ich schon vom Weg abgekommen bin, desto mehr brodelt es in mir. „Und das soll Leben sein? Wo bleibt denn da der Spaß?“ Dazu braucht man im Übrigen kein Fundi-Christ zu sein: Rigorose Ess-, Trink- und andere Regeln finden sich heute an allen Ecken und Enden.

Wie löse ich das Dilemma? Ich glaube, das Geheimnis liegt in einem lebensbejahenden Umgang mit den Regeln, nach denen ich lebe. Mir hilft das Wissen und Vertrauen, dass Gott für uns und für das Leben ist. Er ist weder gegen Sex, noch gegen gutes Essen, noch gegen Wein, auch nicht gegen Bücher oder Filme oder Tanzen oder Besitz. Wir dürfen und sollen uns an allem freuen, und wenn er uns für bestimmte Genüsse einen Rahmen gibt, dann tut er es aus gutem Grund. Dank Gnade und Vergebung darf ich zudem entspannt durchs Leben gehen: Ich kenne meine Schwächen und bin in bestimmten Bereichen vorsichtig, weiß aber auch, dass ich immer wieder neu anfangen kann.

Wir sind Wesen aus Fleisch und Blut, sind Körper, Seele und Geist – und das ist kein Zufall. Wir sind geschaffen, um uns an allem zu freuen: zu essen und und zu trinken, zu  tanzen und zu spielen, zu lachen, ein Buch zu verschlingen, ein Lied zu singen, Gedankenschlösser zu bauen.

Und darum gehe ich vielleicht auch noch an die Fasnacht, fahre „Butschi-Bahn“, esse einen Hamburger und „Magebrot“, setze mich in eine Beiz und höre mir Schnitzelbänke an. Wer kommt mit?

Wie geht es Dir mit dem Thema Fasnacht? Verkriechst Du Dich eine Woche in eine Höhle, oder hast Du seit zwei Monaten an Deinem Kostüm genäht? Was magst Du, was hasst Du daran? Und wie hast Du es mit dem Thema „Lebensregeln“? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

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Foto: Bigstock, ID:87672899

Wenn mich jemand nach meiner Lieblingsbibelstelle fragt, habe ich die Qual der Wahl – es gibt einige, die mir in den letzten zwölf Jahren wichtig geworden sind. Bisher war aber definitiv keine aus dem Buch Hiob dabei.

Das hat seine Gründe, und jeder, der die über 40 Kapitel schon mal gelesen hat, wird mir in einem recht geben: Es gibt kaum ein herausfordernderes Buch in der Bibel. Und doch habe ich entdeckt, dass man aus Hiobs Schicksal eine Menge über Gott und über die Einstellung zum Leben lernen kann – gerade in Zeiten wie diesen.

Es ist eine grausame Geschichte: Da lebt ein rechtschaffener, aufrichtiger Mann, der Gott liebt und ehrt und über jeden Zweifel erhaben scheint. Aufgrund eines Wettstreits zwischen Gott und Satan wird ihm alles genommen, was er hatte. Erst verliert er seinen Besitz, dann sterben alle seine Kinder. Doch immer noch preist er Gott mit den Worten „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gepriesen sei der Herr!“

Dann aber schlägt Satan ihn mit Aussatz und mit Schmerzen, die ihn fast um den Verstand bringen, und das macht das Maß voll: Hiob verflucht den Tag, an dem er geboren wurde, und klagt Gott an, zutiefst überzeugt von seiner eigenen Rechtschaffenheit. Seine Freunde versuchen, ihm beizubringen, dass kein Mensch vor Gott gerecht ist, aber er bleibt hartnäckig dabei, dass er „das nicht verdient“ hat. Gott stellt ihm schließlich einige harte Fragen. „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ „Kannst du die Bande des Siebengestirns zusammenbinden oder den Gürtel des Orion auflösen?“ „Wer gibt die Weisheit in das Verborgene? Wer gibt verständige Gedanken?“ Als Hiob seinen Stand vor Gott begreift und sich demütigt, erhört ihn Gott und lässt ihm mehr zukommen, als er je hatte.

In Hiobs hartnäckiger Selbstgerechtigkeit erkenne ich mich wieder, und ich nehme an, ich bin damit nicht allein: Oft wollen wir nicht Gott, das Mysterium, sondern ein berechenbares Glaubenssystem, das uns beim gleichen Input zuverlässig das Gleiche liefert. Wir tun unser „Gutes“ zwar aus dankbarem Herzen, aber auch in der stillen Erwartung, dass Gott dann „seinen Part“ erfüllt. Aber diese Vorstellung ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich – gerade für das menschliche Miteinander in Krisen, wie wir uns jetzt in einer befinden.

Unsere Suche nach einer globalen Ordnung und einem Glaubenssystem ist auch eine Suche nach der Erklärung für die Ungerechtigkeit in der Welt. Doch so verständlich diese Suche sein mag: Wenn wir uns an ein falsches System klammern, verhärtet sich unser Herz.

Der „do ut des“-Glaube von Hiob (ich tue x, damit du y tust) kann nur in Selbstgerechtigkeit oder Verzweiflung enden. Wenn ich „alles richtig mache“ und es mir gut geht, blicke ich selbstzufrieden in die Welt und tadelnd auf jeden, dem es schlechter geht: Wenn Gott ihn nicht segnet, lebt er eben falsch oder hat noch eine verborgene Sünde. Werde ich aber krank, zerbricht meine Ehe oder verliere meinen Job, folgere ich daraus, dass ich nicht genug getan, noch eine Leiche im Keller oder zu wenig Glauben habe. Ich versuche krampfhaft, es besser zu machen, und wenn es nicht funktioniert, verliere ich im schlimmsten Fall den Glauben an mich und an Gott.

Ähnlich falsch liege ich, wenn ich mich bei der Esoterik bediene und mich beispielsweise an die beliebte Reinkarnationstheorie halte. Wenn ich an Karma glaube, wird mein natürliches Mitgefühl für Menschen in Not erstickt, da ich davon ausgehen muss, dass sich diese Menschen ihr Leiden durch ihr Verhalten in einem früheren Leben selbst eingebrockt haben. Und je schlechter es ihnen geht, desto abscheulicher waren ihre Verbrechen. Die einzige Motivation, solchen Menschen zu helfen, läge im meinerseitigen Sammeln von Karmapunkten, was die Ichbezogenheit dieser Lehre deutlich demonstriert.

Hiob lehrt mich etwas anderes: Die Demut, dass ich mein Leben nicht in allen Aspekten kontrollieren und beeinflussen kann. Niemand kann sich aussuchen, ob er oder sie in der Schweiz, in Syrien oder in Uganda geboren wird, in einer liebevollen oder einer dysfunktionalen Familie aufwächst, krankheitsanfällig oder robust ist.

Wenn ich das verstanden habe, löst mein Wohlergehen in mir nicht mehr ungerechtfertigten Stolz, sondern Dankbarkeit aus. Ich lerne, das, was ich habe, als Geschenk zu betrachten und verantwortlich damit umzugehen und Menschen, denen es schlechter geht, mit Mitgefühl und einem offenen Herzen zu begegnen. Nicht, um Karmapunkte zu sammeln. Nicht, um von Gott für mein Handeln entschädigt zu werden. Sondern weil die Liebe und die Versorgung Gottes, die ich erfahre, durch mich fließen und andere Menschen erreichen sollen.

Wir leben in einer herausfordernden Zeit, und mich schmerzt, dass auch unsere Herzen eng und enger werden. Wir fürchten um unseren Wohlstand und hacken auf den Ärmsten herum, während – wie war das noch? – die 62 reichsten Menschen der Welt die Hälfte des Globus besitzen. Ich bin mir bewusst, dass kein Land – und schon gar kein so kleines wie unseres – unbegrenzt Menschen aufnehmen kann. Aber dass ich in diesem Land geboren wurde, ist nicht mein Verdienst, und wenn ich darauf stolz sein muss, habe ich in meinem Leben nicht viel geleiset, auf das ich stolz sein könnte. Ich meine damit nicht Karriere und Geld scheffeln und „es zu etwas gebracht haben“, sondern das, was jeder Mensch kann: Anderen mit Sympathie und Hilfsbereitschaft begegnen, die Welt ein kleines bisschen besser machen.

Die Ungerechtigkeit der Welt, bei Hiob wie hier und heute, soll uns nicht unberührt lassen. Sie soll uns bewegen. Nicht dazu, uns eine spirituelle Rechtfertigung aus den Fingern zu saugen, die es uns erlaubt, uns auf unserem vermeintlich verdienten Wohlergehen auszuruhen, sondern zum Mitgefühl und zu beherztem Handeln, zur Widerrede, zur Aufklärung.

Wenn ich auf etwas stolz sein soll, dann will ich stolz darauf sein, dass ich mein Herz nicht von Besitzstandsängsten verhärten lasse. Stolz darauf, dass ich mich nicht von einseitigen Schuldzuweisungen verführen lasse, sondern akzeptiere, dass die Welt weit komplexer ist und dass mein Wohlstand und das Elend mancher Erdteile in direktem Zusammenhang stehen. Und das Wissen, dass ich die Welt nicht wirklich erlösen kann, soll mich nicht hindern oder entmutigen, an dem kleinen Ort, wo ich bin, etwas zur Linderung der Not beizutragen – worin auch immer ich meine Mission sehe.

Im Verlauf meiner Hioblektüre habe ich durchaus Stellen gefunden, die sich zu Lieblingsstellen mausern könnten. Vor allem habe ich eine entdeckt, die mich sowohl herausfordert als auch ermutigt. Sie fordert mich heraus, weil das Bewusstsein für ihre Wahrheit mir manchmal abhandenkommt, und sie ermutigt mich, weil ihre Wahrheit die Hoffnung ist, die mich trägt und antreibt, weil es einen gibt, der stärker ist als alles, was diese Welt und die Menschen bedrängt. Es ist ein Ausspruch Hiobs, gesprochen in seiner dunkelsten Stunde.

„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“

Hast Du Hiob auch schon gelesen, und wie hast Du es erlebt? Womit kämpfst Du, was ermutigt Dich? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

AlanRickmanDec2009
„AlanRickmanDec2009“ by Justin Hoch. Licensed under CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

Vor einigen Tagen ist der Schauspieler Alan Rickman gestorben, und wie viele andere hat mich sein Tod getroffen. Ich habe nicht nur den Darsteller, sondern viele Filme, in denen er spielte, und die Personen, die er verkörperte, sehr geliebt: Ich schätzte die reservierte und doch tief empfindende, loyale Persönlichkeit Colonel Brandons in Sense and Sensibility, und ich empfand erst Abneigung und dann Hochachtung und Mitgefühl für den Potions Master Severus Snape auf der Reise durch die Harry-Potter-Filme.

Die heutige Popcorn-Perle, die ich zu Ehren von Rickman präsentiere, handelt von einem weiteren Film, den nicht so viele Leute kennen, der aber auch zu meinen „All Favorites“ gehört und die Kraft von Geschichten beleuchtet: Tim Allens schräge Sci-Fi-Parodie Galaxy Quest.

Der Film erzählt die Story eines in die Jahre gekommenen Schauspielerteams, dessen Sci-Fi-Serie Galaxy Quest vor fast 20 Jahren ein Renner war und das heute nur noch auf Fan-Conventions auftritt. Der arrogante Captain Jason Nemith, gespielt von Tim Allen, ist ein Egomane, der sich ständig in den Vordergrund drängt, weshalb der Rest der Crew die Nase voll von ihm hat. Ganz besonders trifft dies auf Alexander Dane zu (gespielt von Rickman). Er, der einst – und das erwähnt er in seiner traditionellen Krise vor jedem Fan-Auftritt – „einmal ein Schauspieler war“ und „als Henry III. fünf Vorhänge bekam“, wird als Dr. Lazarus von seinen Fans nur für einen Satz geliebt, den er bei jeder Gelegenheit zitieren soll.

„Bei Grabthars Hammer, bei den Söhnen von Warvan, du wirst gerächt werden!“

Er hasst den Satz wie die Pest, aber er wird seine Meinung im Verlauf der Geschichte noch ändern – denn etwas gänzlich Unerwartetes kommt auf die Truppe zu. An einer Convention trifft der „Captain“ auf ein paar seltsame Männer, die behaupten, sogenannte Thermianer zu sein, die ihn in einer „Angelegenheit von größter Wichtigkeit“ sprechen müssen. Er hält das Ganze für ein Amateurprojekt und sagt scherzhaft zu, worauf sie ihn am nächsten Morgen abholen. Als er auf dem Rücksitz einer Limousine verkatert ein Nickerchen macht, beamen sie sich mitsamt Auto auf ihr Raumschiff. Nesmith wacht auf und hält erst alles für Staffage. Auch als sie ihn über einen Bildschirm mit ihrem Kriegsgegner, einem humanoiden Reptilienwesen namens General Sarris, in Verbindung setzen, damit er für sie verhandelt, hält er das für ein Spiel. Er lässt ein paar Torpedos abfeuern und will dann nach Hause. Daraufhin wird er in einer Art durchsichtigem, geleeartigen Kokon auf die Erde gebeamt und stellt entsetzt fest, dass alles real war.

Kurz darauf kommen die Thermianer zurück und brauchen erneut seine Hilfe. Nesmiths Crew wird in die Sache hineingezogen: Es stellt sich heraus, dass die Thermianer, eine friedliche und naive Spezies, in ihrer Ecke des Universums die Live-Ausstrahlungen von Galaxy Quest empfangen konnten, und weil sie keine Vorstellung von Fiktion haben, hielten sie die Sendungen für historische Aufzeichnungen. Sie begannen, ihre Gesellschaft nach dem Vorbild der Serie aufzubauen und die vermeintlichen technischen Errungenschaften nachzubauen. Als sie in Not gerieten, wandten sie sich an die vermeintlichen Helden und waren sicher, dass die Crew ihnen rettend beistehen würde.

Der Echtkampf im All in der eigenen Rolle fordert allen Crewmitgliedern eine Menge ab, aber sie lernen auch etwas dazu und entwickeln sich weiter. Der Captain muss einsehen, dass er auf die anderen angewiesen ist und sich ihr Vertrauen erst verdienen muss. Alexander Dane versöhnt sich mit seiner Rolle als Dr. Lazarus. Und obwohl Mathesar, der Anführer der Thermianer, irgendwann erfährt, dass die Geschichten um Galaxy Quest erfunden waren, finden auch die Thermianer die Kraft, weiterzukämpfen, und besiegen am Ende den Bösewicht.

Abgesehen davon, dass der Film das ganze Star Trek Universum herrlich veralbert und ein köstlicher Spaß ist, fasziniert mich der darin enthaltene Gedanke, dass Geschichten eine gewaltige Kraft entwickeln können.

Wenn wir uns auf ein Buch oder einen Film einlassen, leben wir für eine bestimmte Zeit in einer anderen Welt. Auch wenn unser Verstand weiß, dass diese Welt fiktiv ist, läuft in unserem Gehirn und in unserem Körper ein Prozess ab, der das Gelesene und Gesehene als Realität erlebt. Wird es spannend, erhöht sich unser Puls, stirbt eine geliebte Figur, empfinden wir Trauer. Verlieben sich zwei Menschen, empfinden wir ihr Glück mit.

Eine Episode von „Star Trek. The Next Generation“ treibt diese Vorstellung noch weiter. In ihr entdeckt die Crew eine Sonde, die um einen zerstörten Planeten kreist. Die Sonde stammte von den Bewohnern des Planeten und wurde dort platziert, damit sie jemand findet und der Planet und die Geschichte seiner Bewohner nicht in Vergessenheit geraten. Captain Picard fällt in eine Art Schlafzustand und erlebt in seinem Geist auf dem Planeten ein ganzes Leben. Er lernt Flöte spielen, hat eine Familie, lebt in dieser friedlichen Gesellschaft und stirbt irgendwann im Kreise seiner Lieben, und als er wieder aufwacht, weiß er erst gar nicht, wer er ist, weil für ihn tatsächlich 70 Jahre vergangen sind.

So ähnlich geht es uns, wenn wir aus einem langen Buch oder einem intensiven Film auftauchen: Wir haben das Leben eines anderen gelebt, haben gesehen und gefühlt, was er oder sie erlebt hat und was wir sonst vielleicht noch nie empfunden haben. Wir haben unvergessliche Einblicke erhalten und wurden mit Erkenntnissen beschenkt, die uns sonst verborgen geblieben wären.

So wie ich immer wieder zu den Filmen und Büchern zurückkehre, die mir etwas Einmaliges mitgegeben haben, möchte ich auch schreiben. Manchmal verzweifle ich an diesem Anspruch, vor allem, wenn ich an meine noch kaum existente Erfahrung im Prosaschreiben denke. Ginge es nicht etwas einfacher? Aber ich will schreiben, was ich selber lesen würde, was mich fasziniert, zu Tränen und Freudenausbrüchen bewegt und mir eine Erfahrung schenkt, die mein Leben verändert und bereichert. Und darunter gebe ich mich nicht zufrieden. Wenn es dauert, dauert es eben.

Wir wissen bis heute nicht genau, was die Geschöpfe auf diesem Planeten alles mit uns gemeinsam haben. Mit Sicherheit ist es eine Menge: Viele Tiere haben eine enorme Lernfähigkeit, sie sorgen füreinander und haben Gesellschaften, die unseren ähnlich sind, und es steht – zumindest für mich – außer Frage, dass sie Trauer, Freude, Wut und anderes empfinden. Ich glaube aber, dass das Erkennen einer Fiktion uns von den anderen Geschöpfen absondert und uns Menschen noch enger miteinander verbindet. Die Liebe zu Geschichten umspannt den Erdball und alle Menschen aller Epochen und aller Gesellschaften. Das beweist die Tatsache, dass die ganz großen Geschichten überall gelesen und geschätzt werden. Und dank Schauspielern wie dem gewesenen Alan Rickman erwachen sie manchmal optisch zum Leben und lassen uns auf ganz neue Weise an ihnen teilhaben.

Der folgende kleine Ausschnitt aus Galaxy Quest zeigt die Wandlung, die die Figur von Dr. Lazarus im Film gemacht hat. Er ist eine letzte Hommage an den großen Künstler und mein Sonntagsgruß an Euch. Und falls ihr wie ich auch manchmal daran zweifelt, ob ihr der Vision, die in Euch brennt, gerecht werden könnt: Schaut Euch noch die 40 Sekunden im unteren Ausschnitt an und lasst Euch vom Motto inspirieren, das der Captain in Galaxy Quest so gern zitiert: „Never give up, never surrender!“ (Niemals aufgeben, niemals kapitulieren!)

Welches war die erste Geschichte in Buch oder Film, die Euch gepackt hat? Gibt es Bücher und Filme, zu denen Ihr immer wieder zurückkehrt? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare!