Es ist weit länger her, als ich wollte, seit ich das letzte Mal ein «Writers Update» oder einen «Seelensnack» geliefert habe. Mehrmals habe ich mir gesagt, dass es nun an der Zeit wäre – und tat es dann doch nicht.

Das liegt nicht daran, dass es keine lesenswerten Neuigkeiten gegeben hätte. Ich habe das zweite Draft meines zweiten Romans geschrieben, ein spannendes neues Projekt ist in Arbeit. Aber es kam mir falsch vor, solange ich mir nicht etwas anderes von der Seele geschrieben hätte. Heute will ich das tun, auch wenn es immer noch zu früh, zu schwer und zu traurig scheint.

Heute vor einem halben Jahr ist mein Vater gestorben. Unerwartet schnell, und dennoch nach verzweifeltem Bangen und Hoffen, das zehn Tage im Mai zu den längsten und schlimmsten meines Lebens machte.

Wir werden nie erfahren, woran er genau gestorben ist. Was wir wissen ist, dass unser Pa sich letzten Dezember ein Melanom entfernen liess und die Ärzte bei einer darauffolgenden Untersuchung eine Mikrometastase in der Leistengegend entdeckten, die eine Tabletten-Chemo erforderte. Im Februar begann er mit der Therapie, die er mit der ihm eigenen Entschlossenheit und Zuversicht in Angriff nahm und auch gut meisterte.

Anfang März fing er sich, wahrscheinlich auf einer seiner täglichen Velotouren, eine leichte Bronchitis ein, die er nie mehr ganz loswurde. Doch das, was mit seinem Tod endete, begann Anfang Mai, als ich ihn während eines Anrufs fragte, ob er gerade eine Treppe hinaufgerannt sei. Er gestand mir, dass er seit einigen Tagen Atembeschwerden hatte, und ging schliesslich am 11. Mai zum Covid-Test. Er wurde negativ getestet und mit einem Termin für weitere Abklärungen nach Hause geschickt. Am Tag seiner Untersuchung rief er mich nachmittags an und teilte mir mit, dass sie ihn im Spital behalten würden, weil seine Sauerstoffwerte so schlecht seien. Ich erschrak, war aber froh, dass er nun zumindest am rechten Ort war, falls sich die Lage verschlimmern sollte.

Am Samstag rief er mich schon früh an, und meine Sorge  nahm zu – er hatte kaum geschlafen und hörte sich mutlos an. Kurz vor Mittag meldete er sich erneut, damit ich ihm ein paar Sachen fürs Spital zusammenstellen konnte. Er klang schon wieder munterer, und ich flitzte etwas erleichtert gemäss seinen Anweisungen durch seine Wohnung und packte ihm einen Koffer, versprach , ihn am Sonntag abzugeben – Besuche waren wegen Corona ja nicht erlaubt – und ihm zusätzlich zu seinen Leib- und Magenblättern auch den Sonntags-Blick zu bringen, den er sonst immer im Café «Stadthus» las.

Durch seinen guten Mut getröstet, wandte ich mich anderen Dingen zu, als eine Stunde später wieder ein Anruf kam. Dieses Mal klang Pa gestresst und besorgt. Im Hintergrund hörte ich einen Arzt zu ihm sagen, dass er ins künstliche Koma versetzt werde, und erschrak tief. Wir konnten nur noch kurz austauschen; Pa sagte mir, dass man mich jeweils über seinen Zustand informieren würde. Ich glaube, das letzte, was er sagte, war, dass andere «ja auch wieder aufgestanden» seien.

Es folgten zehn herzzerreissende Tage, ein Auf und Ab, das ich nie vergessen werde. Erst Angst und Bangen, weil sich sein Zustand nicht bessern wollte; dann leise Hoffnung, als der Arzt nach drei Tagen «zufrieden» war. Der Schock, als ich ihn besuchen durfte und hilflos daliegen sah, mit offenen Augen, aber nicht ansprechbar. Erneutes Bangen, als keine weiteren Fortschritte eintrafen. Beklemmung und Furcht, als die Ärztin eine Woche nach seinem Eintritt sagte, wir müssten mit dem Schlimmsten rechnen; als am Tag darauf Herzrhythmusstörungen dazukamen; der Sonntag, an dem meine Schwester und ich beide bei ihm sassen.

In all diesen Tagen hatte ich jeden Tag einmal angerufen und mit – oder besser zu – meinem Pa gesprochen. Hatte gehofft und gebetet, im Wissen und in der Zuversicht, dass Gott alles möglich ist, auch wenn die Medizin am Ende ihrer Weisheit angelangt. Meine Schwester und ich schickten Lieder ins Spital, die ihm die Pflegerinnen abspielten; als wir gemeinsam bei ihm waren, sangen wir ihm vor. Wir gaben die Hoffnung nicht auf.

Doch schliesslich kam er doch, der schwarze Montag, der sich in jedem Detail für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hat:

Das Müsli, das ich gerade ass, als morgens um neun der Anruf kam, wir müssten sofort kommen, und das anderntags noch halbgegessen und eingetrocknet auf meinem Schreibtisch stand.

Die hektische Fahrt ins Spital, während der Pas älteste Schwester anrief, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, und ich mich in meiner Angst verfuhr und fürchtete, nicht mehr rechtzeitig anzukommen.

Das Besprechungszimmer, in dem ich mit meiner Schwester und ihrem Mann sass, als uns die Ärztin mitteilte, dass sie nichts mehr tun konnten; dass die Organe versagt hätten und Pa nur noch durch Medikamente und Maschinen am Leben erhalten werde, und dass wir eine Entscheidung treffen müssten.

Die langen Stunden, die wir danach noch bei ihm sassen und für ihn beteten – wissend, dass er kein langes Vegetieren an Maschinen gewollt hätte; bereit, ihn gehen zu lassen, aber immer noch voller Hoffnung auf unseren Gott.

Die rote Digitalanzeige an der Wand, die den 25. Mai anzeigte, und bei der ich mich fragte, ob dies jetzt der Tag sein würde, an dem mein Vater sterben wird.

Die so schnell und gleichzeitig ewig dauernden Minuten, nachdem die Ärzte die Maschinen abgestellt hatten und wir buchstäblich an Pas Lippen hingen, auf ein Wunder hofften und zusahen, wie seine Atemzüge weniger und schwächer wurden und er schliesslich friedlich starb. Und unsere Welt stehenblieb.

Der Telefonanruf, den ich mit meiner Tante führen musste – seiner Schwägerin, die er sehr geschätzt hatte – und die mich mit gebrochener Stimme fragte, ob er habe sterben dürfen.

Die einsame Heimfahrt, auf der ich zu Gott und zu meinem Pa schrie und weinte, der Moment, als ich daheim ankam und mein Mann mich in die Arme nahm.

Die Welt hat sich seitdem weitergedreht, und heute, ein halbes Jahr später, ist die turbulenteste und dunkelste Zeit vorbei. Ein Leben ist hier auf Erden zu Ende; in meinem Herzen und – so glaube ich fest – an dem Ort, wo wir uns wiedersehen, geht es weiter. Die Trauer kommt und geht in Wellen. Denn die Lücke, die Pa in meinem Leben und in dem anderer hinterlässt, ist riesig.

Als unsere Mutter 2004 starb, übernahm er, der in unserer Kindheit aufgrund seiner vielen Engagements wenig präsent war, ihre Rolle in unserer kleinen Familie. Er machte uns zu seiner Priorität,  reiste an die Konzerte und Aufführungen seiner Enkel und nahm grossen Anteil an allem, was seine beiden Töchter machten. Er freute sich sichtlich, als ich mit meinem Mann 2010 zurück nach Grenchen zog, und war von da an fast täglich Teil meines Lebens.

Er war der stolze Cheerleader seiner Töchter und mein treuester Fan, und er fehlt mir so sehr. Und sein Fehlen macht mir bewusst, wie zerbrechlich mein Selbstwertgefühl manchmal noch ist. Ich dachte, ich sei verwurzelt in Gottes Liebe, und daran könne niemand rütteln. Der Verlust meines Pa erinnert mich schmerzlich daran, dass Gott uns nicht als Solonummern geschaffen hat. Wir brauchen die Gemeinschaft, brauchen die Liebe und Wertschätzung eins menschlichen Gegenübers.

Pas Tod hat mich und mein Leben unwiederbringlich verändert. Meine Verbindung zur Familie ist stärker geworden; ich habe meine Schwester mehr gesehen und mit ihr öfter gesprochen als sonst in zwei Jahren. Pas noch lebende Geschwister und die meisten unserer Cousins und Cousinen wohnen in Grenchen, und in diesen schweren Monaten sind wir einander auch nähergekommen. Die Familienbande der Meiers sind stark und liebevoll, und was für ein Geschenk das ist, wurde mir in diesen dunklen Tagen neu bewusst.

Die Trauer wird nicht vergehen. Sie wird anders werden, wird abebben und wiederkehren, sich wandeln. Und ich werde wieder vorwärtsschauen – wie es auch mein Pa einst getan hat. Als meine Ma starb, war er untröstlich, und es dauerte lange, bis er richtig ins Leben zurückkehrte. Aber irgendwann schien ein Ruck durch ihn zu gehen, und er wurde wieder der fröhliche und lebensfreudige Mensch, den wir kannten. Als ich nach seinem Tod seine Agenda durchblätterte, stiess ich auf ein rosa Post-it, auf dem er in seiner charakteristischen Handschrift einen Spruch notiert hatte. Er stammt von einer der vielen Trauerkarten, die Pa nach Mas Tod erhalten hatte, und er hatte ihn seit diesem Tag zu seinem Lebensmotto gemacht. Dass er ihn immer noch auf einem Post-it in der Agenda herumtrug, zeigt mir, dass er sich öfters an das erinnern musste, was darauf stand:

«Auch wenn du von uns gegangen bist,
sind wir verpflichtet, gut zu leben.
Verpflichtet uns und vor allem dir –
denn du würdest es hassen und uns schimpfen,
wäre unser Leben dunkel und nicht mehr lebenswert.»

Jetzt trage ich den Zettel mit mir herum, um mich daran zu erinnern, dass Pa es genau so sehen würde. Und ich bin entschlossen, seinen Wunsch zu erfüllen. Mein nächster Post wird sich hoffnungsvoll der Zukunft zuwenden, wird sich freuen auf das, was kommt, und es mit Euch teilen. Ich werde mir an ihm ein Beispiel nehmen, das Leben geniessen und die richtigen Prioritäten setzen – furchtlos und kühn.

Heute aber gehören meine Gedanken noch ihm, und ich schliesse dieses Post mit meiner Trauer und meiner grossen Dankbarkeit. Für das, was Pas zu früher Tod in mir und anderen hervorgebracht hat: tiefere Beziehungen, die Erfahrung, dass wir solche Zeiten überstehen können, das immer noch felsenfeste Vertrauen in Gott, der mich unzweifelhaft durch diese Zeit getragen hat. Und für das, was wir an ihm hatten. Denn nur, wer etwas so Gutes hatte, kann es so schmerzlich vermissen.  

Auf dich, Pa. Danke für alles. Wir sehen uns.

Die Karwoche ist eine besondere Zeit und hat mich schon oft zu Postings inspiriert. In den vergangenen Tagen habe ich oft daran gedacht, den einen oder anderen Beitrag zu reaktivieren, weil er thematisch gut passt: Den, in dem ich mich an das Hungertuch, das Fastenopfer und an Jesus im Garten Gethsemane erinnere oder den, als ich mir ein kitschiges Ostervideo ansah und mich die Wunden des Auferstandenen so berührt haben. Aber ich konnte es nicht.

Nichts schien wirklich angemessen. „Das übertriffet alles“, wie es im Film „Addams Family heisst: So eine Karwoche hat noch niemand von uns jemals erlebt. Gestern hat die Grenchner Islamwissenschaftlerin und Publizisitin Amira Hafner Al Jabaji in ihrer Kolumne der „Solothurner Zeitung“ an die Bilder des einsamen Papstes auf dem Petersplatz, der leeren Klagemauer in Jerusalem und der verlassenen Kaaba in Mekka erinnert, und diese Bilder haben mir noch einmal richtig bewusst gemacht, wie unvergleichbar diese Zeit ist – auch und gerade in glaubenstechnischer Hinsicht.

Die Christen feiern bald Karfreitag und Ostern, die Juden Pessach, die Muslime die Nacht der Vergebung in einer zumindest in der Moderne noch kaum dagewesenen Art. Gläubige, für die Gemeinschaft essentiell ist, können sich nicht versammeln. Für uns Christen: Kein Händeschütteln am Sonntag zu den freudigen Worten „Er ist auferstanden!“, kein gemeinsames Abendmahl, kein Osterbrunch, wie meine Kirche ihn normalerweise an diesem Festtag begeht.

Alles ist anders. Aber kann „anders“ auch „gut“ sein?

Nichts wird uns das tatsächliche Zusammensein ersetzen können; soviel ist klar. Aber, und das ist für mich das Wunderbare an unserem Glauben: Das Wichtigste bleibt. Denn Kirche sind wir. Das Wort für Kirche, „Ekklesia“, heisst „die Herausgerufene“. Und auch wenn wir dem Ruf in dieser Zeit nicht körperlich folgen können, können wir es doch geistig. Wir haben uns rufen lassen in eine Beziehung mit Gott durch seinen Sohn, der sich für uns hingegeben hat, und diese Beziehung scheitert nicht an physischer Trennung. Wie sollte sie? Jesus lebt in uns und durch uns. Er hat in uns Wohnung genommen, und der Heilige Geist ist es, der in uns verkündigt, dass Jesus unser Herr ist.

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Wir versammeln uns, wenn wir am Donnerstagabend um 20:00 eine Kerze anzünden und beten, jeder bei sich zu Hause. Wir versammeln uns, wenn wir im Wohnzimmer im Pischi den Livestream unserer Kirche einschalten und vom Sofa aus mitsingen. Wir versammeln uns, wenn wir uns über die neue Kirche-Whatsapp-Gruppe austauschen.

Ich bin ein ausgesprochen introvertierter Mensch, der das Alleinsein weit mehr geniesst, als es sich für den anständigen Christen geziemt, aber sogar ich vermisse all die Menschen, die ich sonst regelmässig sehe. Und ich freue mich jetzt schon auf den ersten Gottesdienst in unserer Kirche, an dem wir uns wieder „in real live“ sehen und umarmen dürfen. Da werden Tränen fliessen, soviel ist sicher.

Aber ich bin auch unendlich dankbar für unseren Gott, der dafür gesorgt hat, dass nichts uns von der Gemeinschaft mit ihm trennen kann. Der keine komplizierten Rituale fordert, sondern zu uns gekommen ist und uns zu sich gerufen hat.

In diesem Sinne Euch allen eine gesegnete Karwoche in der Gewissheit, dass Gott „Immanuel ist“ – Gott mit uns, dass er denen nahe ist, die ihn rufen, und sich von ihnen finden lässt.

„Same procedure as every year“: Auch dieses Jahr habe ich mich wieder auf die Suche nach einem Jahresmotto gemacht. Nachdem ich mich 2018 für «Balance» entschieden und dieses Ziel etwas verfehlt habe, wollte ich für 2019 etwas Ähnliches finden, vielleicht in der Hoffnung, es beim zweiten Anlauf besser zu machen. Dann stiess ich in einem Post von Pfarrer Jörg Bachmann auf die neue Jahreslosung.

«Suche Frieden und jage ihm nach!» Psalm 34,15

Das hebräische Wort für Frieden, «Shalom», bedeutet auch Unversehrtheit und Heil; es beinhaltet Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit und Ruhe, und «Shalom» im Herzen, mit anderen und mit Gott, ist für mein Wohlbefinden unverzichtbar. Ich schreibe mir deshalb für 2019 diesen Frieden ins Herz, als Befehl und Auftrag, als Mission und Vision. Aber wie erreiche ich das? Ein bisschen Hirnarbeit und ein paar Inspirationen von anderen Bloggern haben mich auf folgende Ideen gebracht:

Für den Frieden in mir:
Planung und Priorisierung für ein Leben mit allen Sinnen

Ich will ein ausgeglicheneres Leben führen, das den Bedürfnissen von Körper, Seele und Geist gerecht wird. Im Rückblick auf das Versäumte heisst das vor allem weniger Bildschirmzeit und mehr Bewegung an der frischen Luft. Wenn ich mit allen Sinnen die Umwelt in mich aufnehme, ebbt meine Gedankenflut ab, bis ich tatsächlich im Hier und Jetzt bin, meinen Schritten lausche und den Geräuschen um mich herum, die Tannen und den Weg vor mir betrachte, die Kälte oder Wärme auf der Haut spüre. Und ganz oft, obwohl das gar nicht der Zweck war, fallen mir Ideen für mein Buch oder zu etwas anderem zu, das mich vorher beschäftigt hat.

Damit ich das schaffe, muss das „Leben mit allen Sinnen“ priorisiert werden. Das bedingt, gut zu planen und kritisch zu prüfen, was ich sonst alles mache. In meinen Facebook-Memories ist kürzlich dieser Satz aufgetaucht (hier auf 2019 getrimmt):

Vorsätze für 2019
Einige Dinge tun.
Viele Dinge nicht tun. Wird auch sonst etwas eng.

Nach diesem Prinzip will ich meine Prioritäten prüfen und mir die folgenden Fragen stellen, die ich in ebenfalls auf Facebook entdeckt habe:

«Warum ich?»
Könnte das jemand anderes genauso gut oder besser?

«Warum jetzt?»
Ist es so dringend? Ist es der richtige Zeitpunkt?

«Warum auf diese Art?»
Kann man es anders, besser, einfacher machen?

«Warum überhaupt?»
Muss oder sollte es überhaupt gemacht werden?

Natürlich sind solche Fragen nur ein Hilfsmittel, und es gibt immer Aufgaben, die nun mal unsere sind und bleiben, aber die Frage zu stellen, kann schon einiges auslösen.

Für den Frieden mit anderen:
Meine Schlachten weise wählen, ohne Angst vor Konflikt

Ein „Bild des Friedens“ auf einem der umgesetzten Spaziergänge 🙂

Meine Schlachten auszuwählen – zu entscheiden, ob es sich lohnt, sich aufzuregen und in den Ring zu steigen − fällt mir nicht so schwer, da ich mit einer eher hohen Reizschwelle ausgestattet bin. Dennoch ist es ein wichtiger Punkt. Schlachten zu wählen heisst, andere auszulassen, und wenn ich mich entscheide, nicht gegen etwas zu kämpfen, das mich stört, denke ich vielleicht, ich hätte verloren. Je nach Veranlagung kann dieser Gedanke an mir nagen und den Frieden, den ich anstrebe, behindern.  Daher will ich die Bedeutung von „Sieg“ überdenken. Sieg kann auch heissen, dass ich mich entschliesse, einer vergifteten oder für mich nicht mehr stimmigen Situation den Rücken zuwenden, wenn ich realisiere, dass Wandel nicht möglich ist oder mich zu viel Zeit und Nerven kostet.

Mir fällt es schwerer, mich für den Kampf zu entscheiden. Ich streite mich ungern, und es belastet mich, wenn andere (vor allem die, die mir am Herzen liegen) mir böse sind oder meinen Weg missbilligen. Aber wenn etwas im Argen liegt, ist es wichtig, es zeitnah anzugehen. Je länger ich warte und das, was mir Sorgen macht, mich stört oder verletzt, stehen lasse, desto mehr ärgere ich mich, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ich das Thema ruhig vorbringen kann, und desto unwahrscheinlicher ist es wiederum, dass mein Gegenüber für meinen Ipnut empfänglich ist und etwas Gutes herauskommen kann.

Sich manchmal zufrieden geben

Das habe ich kürzlich bei Christof Lenzen gelesen: Für unser Wohlbefinden und damit auch für den Frieden in uns ist zentral, dass wir von uns selbst nicht in allen Belangen Höchstleistungen erwarten, sondern uns auch mal mit Mittelmass zufrieden geben. Wenn wir versuchen, in allem Exzellenz, Fehlerlosigkeit oder Perfektion zu erreichen, brennen wir im Nullkommanichts aus. Manchmal müssen wir bei «gut genug» aufhören und uns der Sache zuwenden, bei der die Perfektion für uns wichtiger ist.

Auf ihn schauen – den Friedefürst

Ein Beitrag auf einer katholischen Website hat mich wieder an diese zentrale Wahrheit erinnert. Er stammt von Inka Hammond, deren Buch «Tochter Gottes, erhebe Dich» heute bei SCM Hänssler herausgekommen ist und deren Blog «Alltagsliebe» ich sehr schätze. In ihrem Beitrag schreibt sie, wie die Stille zu den Füssen Jesu sie immer wieder erdet und ihr Ruhe schenkt. Diesen Platz will ich mir auch immer wieder suchen – nicht umsonst ist einer der Namen unseres Gottes «Friedefürst», und auch in seinem Wort verheisst er uns diesen besonderen Frieden.

Frieden anzustreben ist keine Strategie für Feiglinge oder Harmoniebedürftige, sondern harte Arbeit. Der Frieden muss gesucht und gejagt werden, und die Jagd, das schreibt Pfarrer Bachmann, lebt nicht nur von schnellem Handeln, sondern auch von Geduld. Ich hoffe, dass ich in diesem Jahr die Weisheit habe, zu erkennen, wann was dran ist.  

Was ist mit Euch? Habt Ihr auch „Worte des Jahres“, Vorsätze oder Ähnliches, oder geht Ihr einfach gelassen los und schaut, wo es Euch hinführt? Oder noch besser: Beides?

Vor 104 Jahren, kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges, geschah an der Front Unglaubliches: es wurde Weihnachten.

Die Geschichte erscheint in diesen Tagen regelmässig in den Medien, aber sie berührt mich immer wieder neu. Die schriftlichen Zeugnisse darüber, so lese ich in einem Bericht meiner Zeitung, sind spärlich, aber einige blieben erhalten – unter anderen einer von Walter Imlah, Obergefreiter der britischen Armee, der mit seinem Kameraden vom ersten Bataillon der schottischen Gordon Highlanders im Graben lag. Und das ist damals geschehen:

Am Weihnachtstag erhoben sich urplötzlich deutsche Soldaten aus ihren Schützengräben und traten unbewaffnet hinaus ins Niemandsland zwischen den beiden Lagern; eine Aktion, die normalerweise den sofortigen Tod bedeutet hätte. Auf der gegnerischen Seite brach Unruhe aus, doch schliesslich machten sich schottische Offiziere auf den Weg zu den Gräben, um herauszufinden, was die Deutschen wollten. Diese erklärten, sie wollten einen Waffenstillstand, um ihre Toten aus dem Niemandsland zu bergen und zu begraben. Die Schotten gingen auf das Angebot ein, und in der Folge brachten sie die toten deutschen Soldaten zu den deutschen Gräbern; die Deutschen erwiderten den Dienst auf ihrer Seite. Glück oder Vorsehung wollte es, dass am selben Tag ein britischer Pfarrer an die Front versetzt worden war. Nachdem die Gräber zugeschüttet waren, wurde eine gemeinsame Messe organisiert, und die Männer, einen Tag zuvor noch erbitterte Feinde, hörten gemeinsam den 23. Psalm der Bibel. Nach der Messe verbrüderten sich die Soldaten, tauschten Adressen, Tabak und andere Kleinigkeiten aus.

Der Krieg ging danach weiter − nicht ein paar Wochen, wie die Soldaten wahrscheinlich hofften, sondern vielen blutige Jahre. Dennoch bleibt dieser winzige Augenblick im Weltenlauf, in dem die Soldaten innehielten und sich fragten, warum sie eigentlich gegeneinander kämpften, und erkannten, dass ihr Gegner ein Mensch war wie sie selbst – kein Kriegsmonster, sondern ein Mensch, der lieber bei seiner Familie gewesen wäre, ein Individuum mit Träumen, Hoffnungen und Gefühlen. Der Obergefreite Imlah schrieb später an seinen Vater, dass der Wunsch der Deutschen, die Toten zu begraben, seiner Meinung nach nur ein Vorwand war. Viel wahrscheinlicher schien ihm, dass der Grund dafür der Weihnachtstag war, Tag des Friedens und der Liebe zwischen den Menschen.

Weihnachten ist eine schmerzvolle Zeit, wenn wir mit denen, die wir lieben, in Konflikt stehen. Das Fest der Liebe löst eine unerträgliche Spannung aus. Der Wunsch nach Versöhnung reibt sich mit unseren Verletzungen, unserer Wut und Trauer, und dies um so intensiver, je näher uns Menschen stehen. Niemand kann uns tiefer verletzen als die, die wir lieben.

Ich wünsche allen, die in einem schmerzvollen Konflikt stehen, dass Weihnachten ein göttliches Licht auf Eure Situation wirft; ein Licht, das Euch die Menschen, mit denen Ihr im Streit steht, als das erscheinen lässt, was sie sind: Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften; Menschen, die Fehler gemacht haben, aber dennoch die Menschen, die Ihr liebt. Möge Weihnachten die Front aufweichen und Euch Hoffnung auf einen Durch- und Aufbruch schenken.

Letzten Freitag hat unsere Kirche ein Konzert mit einem befreundeten Musiker organisiert, und als ich mich in der Pause zwischen den Sets im Publikum umsah, fiel mein Blick auf ein Gesicht, das mir bekannt vorkam. Konnte das wirklich meine Kindergärtnerin sein? Ich ging zu ihr und fragte sie ganz frech, und es stellte sich heraus, das sie es war.

Ich habe die Kindergartenzeit und meine Kindergärtnerin in guter Erinnerung : Sie war eine fröhliche und liebevolle Frau, die auf uns eingegangen ist und bei unseren Streichen mitgespielt hat. Meine Spezialität bestand darin, ihr kleine Zettel zu schreiben, dass wir sie töten, braten und essen würden (fragt mich nicht, wie ich daruf kam; das ist mir heute selbst etwas unheimlich). Und sie hatte eine grosse Anzahl Kinderbücher, die ich meiner besten Freundin dann vorgelesen habe, was mich auf das bringt, was mich in frühester Jugend so stark geprägt hat: Bücher.

Ich habe schon früh mit dem Lesen angefangen – erst waren es die Buchstaben auf der Schreibmaschine meiner Mutter, die meine Neugier weckten und die sie mir geduldig erklärt hat. „Das ist ein Mami-M“, das ist ein Papi-P.“ Der Durchbruch kam im Kafitreff meiner Ma mit ihren Schwägerinnen im „Monbijou“, unserer Quartierbeiz, als ich (so die Legende) auf einen Plastiksack einer bekannten Senfmarke zeigte und triumphierend „Thomy!“ in die Welt posaunte.

Nach diesem Einstieg war kein Halten mehr; ich verschlang SJW-Hefte (Schweizer Jugendschriftenwerke), irgendwann mein erstes Buch (ich glaube, es war „Dominik Dachs“) und noch unzählige weitere. Zu den aufregendsten Momenten meiner Kindheit gehörte der Tag vor den Sommerferien, wenn wir in unserer Stadtbibliothek bei der Bibliothekarin nicht nur die üblichen zwei Bücher mitnehmen durften, sondern so viele, wie wir tragen konnten. Was gibt es Schöneres?

In der letzten Zeit ist  mir aufgefallen, dass unter diesen hunderten von Kinderbüchern ein paar wenige herausstechen, die einen so tiefen Eindruck hinterlassen haben, dass ich mich noch heute an sie erinnere. Natürlich habe ich viele über alles geliebt: Die Reihen um die Drei Fragezeichen, die Fünf Freunde, die Schwarze Sieben, Hanni und Nanni, Dolly und eine Weile alle möglichen Pferdestories. Aber mir fallen gerade drei ein, die mich besonders geprägt haben, und kürzlich habe ich mich im Internet auf die Suche nach ihnen gemacht. Es war nicht bei allen einfach, aber am Ende wurde ich fündig. And so I proudly present: Die Bücher, die mich in meiner Jugend beeindruckt haben:

Der Spuk im alten Schrank (Barbara Sleigh, Originaltitel: Jessamy)
Das Buch handelt von einem kleinen Waisenmädchen, das 1964 in den Ferien bei einer Tante in einen Schrank steigt und plötzlich 50 Jahre in der Vergangenheit herauskommt, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Ich kann mich nicht mehr an die Details erinnern, aber ich glaube, es war auch ein Geheimnis im Spiel und ein Brief in einem alten Baum; jedenfalls habe ich es mit Feuereifer gelesen.

Das Haus der Treppen (William Sleaton, Orignaltitel: House of Stairs)
Dieses beklemmende dystopische Buch hat mich damals tief beeindruckt. Es handelt von fünf Teenagern, alle Waisen, die sich, ohne zu wissen wie, plötzlich an einem seltsamen Ort befinden: im Innern eines Hauses, das nur aus Treppen und Podesten besteht. Keine Decke, kein Boden. Es gibt einen Nahrungsautomaten, der Fleischbällchen ausspuckt, aber nur, wenn die Kinder das Richtige tun, und was das ist, ändert sich ständig. Die Sache wird gefährlich, als sie erkennen, dass die Maschine es mag, wenn sie sich streiten oder gewalttätig werden. Das Ende sei nicht verraten., aber als ich zu diesem Buch die Rezensionen bei Amazon las, hat es mich fasziniert, wie unterschiedlich Menschen ein Buch wahrnehmen: Es gab viele begeisterte, aber auch viele total „abgetörnte“ Leser, die das Buch mit  Worte wie „soo langweilig, alles spielt am gleichen Ort“ oder „das ist doch total unrealistisch, so ein Haus kann es ja nicht geben“ kommentierten. Mich hat damals nichts davon gestört, aber daran sieht man, wie unterschiedlich Geschmäcker sind.

„Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende
Endlich ein deutsches Buch! Der dicke Wälzer über die Erlebnisse von Bastian Bux in der geheimnisvollen Parallelwelt Phantasien hat mich damals begeistert. Ich habe mich gefragt, ob Kenny Morrison als Atrjeu mein erster Filmschwarm gewesen ist, aber das war er definitiv nicht: das war Patrick Bach als „Silas“ und als „Jack Holborn“. Aber ich schweife ab: Ich habe die unendliche Geschichte viele Male gelesen und bin in die Welt von Bastian, Atreju, Fuchur und der Kindlichen Kaiserin verschwunden, und ich mag das Buch noch heute.

„Mio, mein Mio“ von Astrid Lindgren (Originatitel: Mio, min Mio)
Sind das nicht vier? Tatsächlich. Aber plötzlich ist mir noch „Mio, mein Mio“ von Astrid Lindgren eingefallen. Von ihr habe ich auch dutzende Bücher gelesen wie die „Bullerbü“-Reihe oder „Karlsson vom Dach“, aber dieses hier hat mich verzaubert. Es handelt vom Waisenknaben Mio, der sich plötzlich in einem anderen Land findet, wo sein Vater der König ist. Mit seinem Freund Jum-Jum schafft es Mio, das Land vom bösen Ritter Kato zu befreien. An viel mehr kann ich mich nicht erinnern, aber an die mythische Atmosphäre das Landes, das etwas vom „Gelobten Land“ hatte.

Was ist das Gemeinsame an diesen Büchern? Was hat mich so gepackt? Da sind zum einen die stillen, einsamen Anti-Helden. Ich habe auch „Die rote Zora“ und „Pippi Langstrumpf“ gelesen, aber mit den beiden konnte ich mich weit weniger identifizieren. Dann ist in allen Büchern eine „andere Welt“ enthalten: einmal ist es die Vergangenheit, einmal die Zukunft, zweimal eine ganz andere, fantastische Welt. Dann natürlich ein Spannungselement: ein Geheimnis, eine Mission, etwas, das es zu erreichen gibt. Und in allen Büchern erkenne ich eine Art „Gute Botschaft“, die mich begeistert hat: im Haus der Treppen zum Beispiel der Aufruf, sich nicht allem anzupassen und Mut zu haben, sich gegen ein „System“ zu stellen, und in allen auch der gute Ausgang für die kleinen Helden  aus einer nicht einfachen Situation.

Ich habe selbst keine Kinder und weiss nicht, was heute auf dem Jugendliteraturmarkt so angeboten wird. Ich hoffe aber, dass es auch solche Geschichten sind: die mitreissen, die die Fantasie anregen und die gleichzeitig, ohne moralisierend zu sein, eine ermutigende Botschaft vermitteln; einen Blick in ein (wenn man unsere Welt betrachtet) alternatives, aber zumindest für mich wahrhaftiges Universum, wo unveräusserliche Werte gelten und jeder Mensch diesen unveräusserlichen Wert hat.

Ich glaube, solche Bücher braucht es heute mehr denn je, nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Und darum schreibe ich.

Was habt Ihr in Eurer Jugend gelesen? Was hat Euch gepackt und mitgerissen? Vielleicht finde ich noch ein unentdecktes Juwel, also nur her mit Euren Büchern!

Das halbe Jahr ist um! Das bringt mich zur Frage, wie ich es bisher mit der Balance gehalten habe. Balance zwischen Gesundheit und Genuss, Arbeit und Ausspannen, Balance zwischen Anspruch und Zuspruch im Christenleben – und zwischen klarer Doktrin und Einheit der Christen. Wann sollten wir uns abgrenzen, wann mit anderen zusammenarbeiten, auch wenn wir nicht in allen Punkten übereinstimmen?

Heute jährt sich zum 130. Mal der Todestag eines Mannes, den ich für seinen Umgang mit solchen Konflikten bewundere und dessen Scharfsinn, Humor und Gottesfürchtigkeit mich beeindrucken. Philipp Anton von Segesser, geboren 1817 als ältester Sohn einer Luzerner Patrizierfamilie, durchlief die klassische Laufbahn eines Mannes seiner Klasse und Konfession –  Gymnasium, dann Studien des Rechts und der Geschichte an deutschen Universitäten, weil die Schweiz noch keine katholische Lehranstalt hatte. Er kehrte zurück, heiratete, wurde Ratsschreiber. Doch dann wurde seine Welt auf den Kopf gestellt: Die liberalen Kräfte im Land siegten, und nach dem Sonderbundskrieg stand Luzern auf der Verliererseite und wurde von eidgenössischen Truppen besetzt.

Trotz grosser Verbitterung über die Kriegsniederlage und trotz des teilweise harten Umgangs der neuen Eidgenossenschaft mit den Verlierern setzte sich Segesser im neu geschaffenen Nationalrat als einer der wenigen katholisch-konservativen Politiker für die Interessen seines Kantons ein. 1863 bis 1867 war er Regierungsrat, aber seine grosse Stunde schlug 1871, als die Konservativen in Luzern die Macht zurückerlangten und man ihn erneut in dieses Amt wählte. Er war nicht sonderlich erpicht auf diesen Posten, aber er nahm an und durfte sich gleich einer grösseren Krise widmen – den Geburtswehen des Kulturkampfs.

Nachdem die Kurie im Sommer 1870 das Unfehlbarkeitsdogma verkündigt hatte, formierte sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz Opposition. Viele Katholiken im Land forderten eine Nationalkirche. In der Schweiz vermischten sich die Konflikte mit dem Kampf um die Verfassungsrevision, die eine starke Zentralisierung vorsah und den Einfluss der Kirche im Staat nicht nur minimieren, sondern die Vorzeichen umkehren sollte. Segesser, obwohl frommer Katholik, stand dem Dogma kritisch gegenüber, war aber überzeugt, dass die theologischen Konflikte innerkirchlich und nicht durch Abspaltung gelöst werden sollten. Damit stand er in Opposition zu einflussreichen Kreisen in seinem Kanton und im Bistum Basel, in dem sich intensive Kämpfe abspielten. Die liberale Solothurner Regierung setzte ihren Bischof Eugène Lachat ab, weil er einen Pfarrer exkommuniziert hatte, der öffentlich gegen das Dogma Stellung bezogen hatte. Lachat wurde mit Polizeigewalt aus seinem Bischofssitz vertrieben und begab sich unter Segessers Fittiche nach Luzern.

Segesser war bewusst, dass Luzern in dieser explosiven Situation besonnen vorgehen musste, um von den tonangebenden liberalen Kantonen nicht des katholischen Fanatismus bezichtigt zu werden. Seine Überlegungen können wir seiner umfangreiche Korrespondenz entnehmen, in der sein kluger Sinn für Mässigung und sein starker Glaube zum Ausdruck kommen. Doch was ich an am meisten bewundere, ist Segessers Blick über die konfessionellen Mauern. Zu seinen engsten Freunden zählten die Protestanten Eduard von Wattenwyl und Johannes Schnell, und in ihrem Briefwechsel wird deutlich, dass sie sich bewusst sind, auf den gleichen Gott zu vertrauen, und dass sie sich von den Scharmützeln zwischen den Konfessionen in ihrer Freundschaft nicht beirren lassen. Wie es Segesser nach dem Tod Wattenwyls in einem Brief an Schnell ausdrückte:

«Wir haben so viel Gemeinsames im Glauben und in der Liebe,
dass wir uns von dem, was wir nicht gemeinsam haben,
nicht stören lassen dürfen.»

Überhaupt fühle ich eine Nähe zu diesem Mann, der seine Freundschaften offenbar ganz ähnlich lebte wie ich. Freund Schnell schrieb ihm nach dem Tod Wattenwyls:

«Sonst kann ich zu meiner Gemeinschaft [mit Segesser] nichts hinzufügen,
sie enger nicht schliessen, als es innerlich schon ist.
Zeichen davon sehen Sie wenig.
Ich lege es auch nicht darauf an, sowenig als Sie.
Wir sind Einer des Andern sicher.»

Natürlich hatte auch Segesser seine Schattenseiten. Er konnte giftig und herablassend sein und war schnell mit Begriffen wie «flottanter Pöbel» zur Hand. Den Patrizier streifte er nie ab, aber er interpretierte in diese Stellung auch eine grosse Verantwortung für «sein Volk». Die Industrialisierung mit ihren Eisenbahnen und mit dem Tourismus, der in Luzern zu florieren begann, beargwöhnte er; ihm war die alte Zeit lieber. Als der Schweizer Bundespräsident und der Vizepräsident eine Sondermission der Japaner mit fünf Botschaftern in der Schweiz begrüssten – vor allem, um den gegenseitigen Handel zu fördern – und auf der Rigi die Eröffnung der Bahnstrecke Staffelhöhe-Rigikulm feierten, war Segesser nicht dabei. In einem Brief schrieb er:

«Die Ovationen für die Japaner kommen mir ohnehin lächerlich und ekelhaft vor.
Wofür sollen wir Leute feiern, die nicht einmal die Proskription des Christentums aufheben! Sie müssen uns als bettelhafte Krämer ohne Charakter betrachten.»

Segessers Welt gibt es nicht mehr, aber wenn ich seine Korrespondenz lese, berührt es mich, wie sich die Konflikte zwischen den Menschen über die Jahrhunderte in den gleichen Bahnen bewegen. Streitereien wegen Glaubensfragen, politische Scharmützel, aber auch ganz persönliche Nöte, wenn Segesser über die schwankende geistige Gesundheit seiner Frau schreibt oder über die jungen Hunde, die seine Tochter wollte und die sich im ganzen Haus breitmachen, ihm überallhin nachlaufen und sogar sein «Refugium» bedrohen.

Und in Segessers Haltung in Glaubensfragen finde ich die «Balance», die ich praktizieren möchte: in der Glaubensgemeinschaft, der ich angehöre, für gesunde Doktrin einstehen, in der Zusammenarbeit mit anderen nach Menschen suchen, die den gemeinsamen Nenner teilen. Und Freundschaften? Die gehen ohnehin über alle Glaubensgrenzen hinweg. Das hat Segesser vorgemacht, und wie er «Mann zwischen den Fronten» war, sind es wir Christen in einer säkularen Welt. Auch wir stehen immer wieder vor der Frage, wann und wie wir für unsere Werte Stellung beziehen und dennoch mit Liebe sprechen.

Eine «Balance», die uns mehr abverlangt als bequemes Schweigen oder selbstgerechtes Moralisieren – die sich aber lohnt.

Die letzten beide Tage habe ich mit dem Kleintheatervorstand Grenchen in Thun verbracht und an der Kleinkunstbörse Künstler für unsere neue Saison ausgesucht. Wie immer haben wir spannende, lustige und zum Nachdenken anregende Beiträge gesehen und dabei bei angenehmen Temperaturen die wunderschöne Szenerie mit schneebedeckten Alpen und Thunersee genossen.

Unsere Stadt, die wir dabei immer im Hinterkopf haben (passen diese Künstler zu Grenchen? Gefällt dieses Programm unserem Publikum?) hat sich dieses Jahr allerdings noch in anderer Form bemerkbar gemacht. Die Wellen der Empörung über den Dok-Film «Die schweigende Mehrheit», der am Donnerstag auf SRF 1 ausgestrahlt wurde, hat auch uns erreicht und beschäftigt.

Ist ein «Kern Wahrheit» darin?
Und ist so ein Film journalistisch vertretbar?

Ja und – mit Verlaub – nein.
Was in diesem Film gezeigt wird, ist nicht «mein» Grenchen.

Ja, die Stadt Grenchen hat ihre Probleme, und die darf man auf den Tisch bringen. Aber ich schliesse mich Beitrag und Kommentar des «Grenchner Tagblatts» an: Nach einem Jahr Recherche einen Film zu zeigen, der Grenchen praktisch ausschliesslich negativ darstellt, ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Da wurde offenbar am Reissbrett beschlossen, was der Film aussagen soll, und auf dieser Grundlage wurden Aufnahmen gemacht, Leute befragt und Sequenzen zusammengeschnitten, bis man genau dieses Bild produziert hatte.

Die Empörung ist gross, der Schaden, so der Tenor, angerichtet. Trotz allem sehe ich das Ganze nicht nur negativ. Die Grenchner haben die Angewohnheit, gern und oft über ihre Stadt zu lästern, aber von aussen angegriffen, vereinigen sie sich. Vielleicht befeuert uns dieses als ungerecht empfundene Porträt, uns noch stärker dafür einzusetzen, die «Problemzonen» anzugehen. Anstatt sich in der heute so verbreiteten Konsumhaltung nur zu beklagen, könnte jeder seinen Frust in positive Energie verwandeln und dazu beitragen, dass Grenchen zu SEINEM Grenchen wird.

Eine Gemeinschaft hat sich immer dadurch weiterentwickelt, dass Menschen Mankos erkennen, die Initiative ergreifen und dazu beitragen, dass es besser wird. So hat in Grenchen die Uhrenindustrie überhaupt erst Fuss gefasst, so sind Kinderspielplätze, Ferienpass, Jugendhaus, «Granges Melanges», «Rock am Märetplatz» und vieles mehr entstanden.

Grenchen ist und bleibt MEINE Stadt,
und ich sehe vieles, was mich freut und mit Stolz erfüllt:

Menschen, die sich in Vereinen für eine lebendige Kultur einsetzen – im Kleintheater, in der neu erweckten Literarischen Gesellschaft, in Musikvereinen und Chören wie dem Leberberger Konzertchor, der bald wieder mit seinen Proben beginnt.

Menschen, die in Vereinigungen und Kirchen unentgeltlich Deutschkurse anbieten, damit Zugewanderte sich hier schneller zuhause fühlen und Anschluss finden.

Menschen, die trotz Politikverdrossenheit Zeit und Herzblut für ein politisches Amt investieren.

Nicht jeder muss alles machen. Ein politisches Amt ist nicht jedermanns Sache, nicht jeder singt gern, nicht jeder macht gern Sport, nicht jeder geht gern in die Kirche. Aber jeder kann in seinem Umfeld dazu beitragen, dass Grenchen sich verändert und zu dem Ort wird, den er sich wünscht.

Was Aussenstehende über Grenchen sagen, ist mir ziemlich egal – wie ich früher schon geschrieben habe, hat es einen gewissen Reiz, eine Stadt zu verteidigen, in der andere nur das Schlechte sehen. Mein Grenchen ist ein Ort, an dem es sich zu leben lohnt; ein Ort, an dem viele Menschen nicht einfach ihren Steuerbeitrag als Berechtigung ansehen, über alles zu lästern, sondern in Ämtern und Vereinen, in Nachbarschaft und Kirche Zeit investieren, weil sie begriffen haben, dass eine Gemeinschaft nur wächst, wenn jeder sich einbringt.

Mein Grenchen ist eine Stadt mit Licht und Schatten, vor allem aber eine Stadt mit viel Potential. In diesem Sinne: «Vo Gränche by Gott, wo suure Wy wachst» – aus dem wir erst recht einen guten Tropfen zaubern!

Eben komme ich vom Osterbrunch unserer Gemeinde zurück; noch erfüllt von den Liedern, die wir gesungen haben, von der Dankbarkeit für das, was wir heute feiern, und von der Freude an der Gemeinschaft. Wir haben den auferstandenen Herrn gefeiert; das Wunder und Geheimnis, das sich vor so langer Zeit ereignet hat – oder wie es der Spruch einer Osteraktion ausdrückt:

„Ostern – der grösste Plot Twist der Menschheitsgeschichte“.

In der Predigt und den Liedern wurden wir erinnert, erinnerten uns selbst an die Revolution, die Gott am Kreuz und in unseren Herzen vollbracht hat. Wir sind frei.

Als ich heute in den Gottesdienst fuhr, war ich tief von dieser Osterfreude, dieser Freiheit durch Christus erfüllt, und das zusammen Feiern hat diese Freude noch verstärkt. In der Gemeinschaft erinnern wir uns gegenseitig an das, was wir glauben; wir werden gestärkt und ausgerichtet – eines der Hauptziele der Gemeinschaft der Gläubigen. Aber wenn das alles ist, dann – provokant ausgedrückt – ist es nichts.

Die Osterfreude muss weitergegeben werden; was wir empfangen haben, fordert eine Antwort. Wie jeder Teil der Schöpfung seinen Namen ruft, so auch wir.

Wir beten Gott an und preisen seinen Namen als natürliche Antwort auf sein Geschenk. Und wer die Osterfreude empfangen hat, in dem weckt sie den tiefen Wunsch, dass auch andere diese Freude erfahren.

Wenn wir Gott bitten, hier sein Reich zu bauen, bitten wir ihn auch, uns dafür zu gebrauchen. Wir bitten ihn, seine Kirche zu entzünden, und seine Kirche sind wir – alle, die seinen Ruf gehört haben und ihm nachfolgen; egal wie und wo.

Ich wünsche mir zu Ostern, dass uns aus dem tiefen Verständnis für das, was wir empfangen haben, eine unbändige Osterfreude packt und hinaustreibt,  dass sie uns mutig macht und wir die Freiheit, die wir haben, auch leben – im schamlosen und freudvollen Bekenntnis zu Jesus.

Ich wünsche mir aber auch, dass wir die Christenheit nicht ständig auseinanderdividieren, sondern uns auf das konzentrieren, was uns eint. „Ecclesia“, die Herausgerufenen, sind Menschen, und jede Gemeinschaft von Menschen – egal, ob sie sich Kirche nennt oder nicht –  hat ihre Schwächen. Manchmal wird aus einer Schwäche ein Irrweg, wird dem Evangelium etwas aufgepfropft, was nicht dazugehört. Wir sind aufgefordert, genau hinzusehen und alles zu prüfen, aber die Schwächen, die jede Gemeinschaft von Menschen in sich birgt, soll uns nicht daran hindern, einander zu erkennen und auf dem Boden des Evangeliums an einem Strick zu ziehen.

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen.“
Matthäus 18,20

Kürzlich jährte sich wieder mal mein Wiegenfest, und die Neugier trieb mich dazu, mich unter meinen Geburtstagsgenossen umzusehen. Neben einigen, die ich kenne, wie Blogkollege Roman Scamoni in Innsbruck oder meine treue Blogleserin Siwi bin ich auch auf ein paar berühmte und/oder berüchtigte Namen gestossen – Bruno Kreisky, ehemaliger österreichischer Bundeskanzler, Gotthold Ephraim Lessing, der Erschaffer des „Nathan der Weise“ oder – da wären wir dann bei den Berüchtigten – der Wanderprediger und Geistheiler Rasputin.

Von diesen Herren hat mich keiner zu einer Hommage animiert, aber die ganze Geburtstagsgeschichte hat mich auf die Idee gebracht, in diesem Jahr ein paar Persönlichkeiten zu beleuchten, die mich inspiriert haben und es noch tun. Ich fange an mit Eva Cassidy, die – würde sie noch leben –  an diesem Tag ihren 55. Geburtstag feiern würde.

Die amerikanische Sängerin hat eine ungewöhnliche Karriere gemacht. Von frühester Kindheit an hat sie gesungen und Gitarre gespielt und dabei viele Songs so einzigartig interpretiert, dass sie zu ihren eigenen wurden. Stings „Fields of Gold“ hat nach seinen eigenen Worten sogar Sting besser gefallen als das Original; „Somewhere over the Rainbow“ hat sie eine neue Melodie verliehen, und aus „Had I a golden Thread“ schuf sie einen kraftvollen, gospeligen Song, in dem sie ihren gewaltigen Stimmrange zur Geltung brachte.

Was war das Besondere an dieser Frau? Zum einen war sie scheu und introvertiert; sie liebte das Singen, war aber das Gegenteil einer „Rampensau“. Leise und unaufdringlich sagte sie sich selbst an, erzählte dem Publikum etwas über den nächsten Song und legte alle Kraft in die Lieder, die sie präsentierte. Zum anderen war sie kompromisslos, was ihre Kunst betraf: Sie war nicht bereit, sich auf ein Genre festzulegen, sondern wollte „Ihre“ Songs machen, die eine breite Spannweite von Jazz, Blues, Rock, Folk, Pop, Soul und Gospel umfassten. Das war einer der Gründe dafür, dass sie lange keinen Plattenvertrag bekam und mit ihrer Band schliesslich selbst eine Live-CD veröffentlichte.

Anfang Dreissig erkrankte sie an Krebs und starb 1996 kurz nach der Veröffentlichung dieses Albums im Alter von nur 33 Jahren. In jenem Herbst schickte eine befreundete Sängerin das Album an ihren Produzenten, der so begeistert war, dass er das Wagnis einging, eine CD mit Studioaufnahmen zu veröffentlichen, obwohl Eva bereits verstorben war. Die CD erschien 1998,  nahm aber nur langsam Fahrt auf, bis im Jahr 2000 ein britischer Produzent auf sie aufmerksam wurde und einen befreundeten Radiomann dazu brachte, zwei Stücke in seiner Morgensendung zu bringen. Die Reaktion der Zuhörer war überwältigend und Eva Cassidys Erfolg nicht mehr zu stoppen.

Wenn ich an ihr kurzes Leben denke, macht es mich traurig, dass sie die verdiente Anerkennung für ihr Talent nicht mehr hat erleben dürfen – ich hätte es ihr gegönnt. Aber ich freue mich auch darüber, dass ihr Talent sich gegen alle Widerstände durchgesetzt hat und heute noch Menschen erfreut und berührt. Und irgendwie glaube ich, dass sie sich aus öffentlichem Ruhm ohnehin nicht viel gemacht hat. Sie hat für sich gesungen und für die Menschen, und angesichts der Songs, die sie gecovert hat, kann ich mir gut vorstellen, dass auch der Glaube für sie eine Rolle gespielt hat. Es ist für mich nicht entscheidend; Eva ist so oder so eine Inspiration. Aber wenn ich mir die alte Hymne „How can I keep from singing“ aus ihrem Mund anhöre, scheint es unmöglich, dass sie diese Worte nicht geglaubt hat.

Rest in peace, Eva. Du bist mir ein Vorbild darin, genau das zu tun, was „Deins“ ist. Ich fühle mich Dir verbunden in der introvertierten Art, in dem gewissen Unwohlsein, das Du in der Öffentlichkeit an Dir hattest. Dennoch hast Du Dich hingestellt und den Menschen Deine Lieder geschenkt, und die Intensität und Echtheit, die in Deinen Liedern strahlt, kommt noch mehr zu Geltung, weil kein Gramm Show darin steckt – nur Herz, Talent und die Essenz Deiner Persönlichkeit. Mögen Deine Lieder ewig währen!

Habt Ihr selbst einen „Geburtstagsgenossen“, der Euch inspiriert? Oder ist Euch gerade jemand anderes eingefallen, dem Ihr ein Kränzlein winden möchtet? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

Gestern haben mein Mann und ich einen seiner Göttibuben besucht und ein paar gemütliche Stunden verbracht, und wie meistens haben sich unsere Diskussionen irgendwann auch um Gott gedreht. Thema waren dieses Mal unter anderem „Freikirchenchristen“, die kein Gespräch führen können, ohne die Zuhörer erschöpfend über den „richtigen Glauben“ aufzuklären. Die Reaktion unserer Freunde auf solche Sermone kann ich gut nachvollziehen: „Vielen Dank, das habe ich jetzt oft genug gehört. Jetzt will ich es sehen.“

Ich rede gern über Gott. Mein Herz ist oft voll von dem, was er in meinem Leben getan hat, in welchen Situationen ich schon erleben durfte, dass er mir beisteht, mich stützt und herausfordert. Aber wenn das alles ist, was andere mitbekommen, wird der Effekt meiner Worte rasch verblassen. Ich bin die einzige Bibel, die manche Leute jemals lesen werden. Wie ich mit mir selbst, mit anderen und mit der Schöpfung umgehe, gibt mehr Zeugnis von Gott als alle schönen Worte.

Gott fordert uns auf, den alten Menschen hinter uns zu lassen, uns zu prüfen und auf seine leise Stimme zu hören, die uns sagt, wenn wir unser Verhalten ändern müssen, und den Beweis treten wir im Alltag an. Im Job, im Umgang mit Vorgesetzten und Untergebenen. In der Familie. In der Art, wie wir mit dem umgehen, was uns anvertraut ist: Finanzen und Besitz, Beziehungen. Wie freigiebig bin ich mit meiner Zeit? Mit meinen Geld? Wie achtsam gehe ich mit meinem Besitz um? Wie geduldig bin ich mit anderen?

Wir werden alle an unterschiedlichen Punkten herausgefordert, und wenn wir schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, kennen wir in der Regel unsere Schwachstellen und können uns einfache Dinge vornehmen. Ich habe ein Problem mit allem, was man unter „Instandhaltung“ zusammenfassen könnte – Ordnung halten, Haushalt und andere Routineaufgaben. Deshalb habe ich mir unter anderem vorgenommen, achtsamer mit meiner Kleidung umzugehen und mich auf Verpflichtungen, egal wie simpel sie sind, gewissenhaft vorzubereiten.

Solche Bemühungen sind wichtig, aber wir können leicht in die falsche Richtung abdriften. Wenn wir uns als Spiegel sehen, durch den Menschen (unter anderem natürlich) Gott erfahren, können wir den Zwang verspüren, perfekt zu sein. Da wir sehr wohl wissen, dass wir dies nicht sind, kommen wir in Versuchung, eine fromme Fassade zu präsentieren – sei es als Einzelpersonen oder als christliche Gemeinde.

Unsere Gemeinde macht gerade eine herausfordernde Zeit durch. Personen in wichtigen Funktionen sind an ihre Grenzen gekommen; es gab zwischenmenschliche Konflikte, und für manche ist das im Hinblick auf diese „Vorbildfunktion“ eine grosse Herausforderung. Was denken andere über uns, wenn so etwas auch bei uns vorkommt? Ist das nicht ein Beweis dafür Reverse Phone Lookup , dass wir „auch nicht besser“ sind?

Vielleicht ist es das, aber vielleicht ist das ganz gut. Denn wir sind tatsächlich nicht besser. Wir kämpfen mit den gleichen Problemen, mit denen jeder kämpft. Wir haben Beziehungsprobleme, verausgaben uns zu sehr im Job, geraten mit anderen in Streit. Was uns ausmacht, ist nicht, dass uns so etwas nicht passiert; es ist, wie wir damit umgehen. Stehen wir dazu? Sind wir bereit, einander zu vergeben, wenn wir in Konflikt geraten sind?

Ich habe kein Problem damit, anderen von unseren Herausforderungen zu erzählen, und ich zweifle deswegen weder an Gott noch an unserer Gemeinde. Ich sehe es als Chance zu mehr Echtheit, zu einer Vertiefung der Beziehungen, dazu, einzugestehen, dass wir auch Schwächen haben und uns nicht scheuen, sie zu zeigen. Und ich bin überzeugt davon, dass wir andere Menschen mit diesem Auftreten weit mehr anziehen, als wenn wir versuchen, ihnen die perfekte Gemeinschaft zu verkaufen.

Heute hatten wir unseren ersten Gottesdienst des Jahres, und er hat mich tief berührt. Trotz der Schwierigkeiten waren viele Menschen da, um gemeinsam das neue Jahr zu beginnen. Niemand, der da war, bildet sich ein, in einer perfekten Gemeinde zu sein; niemand hält es für nötig auszublenden, dass es gerade schwierig ist. Aber alle, die da waren, glauben an unsere Gemeinschaft.

Das hat mir Hoffnung gemacht und mir gezeigt, was uns von weltlichen Vereinen und Gruppierungen unterscheidet: Es sind nicht wir, es ist Gott. Gott kann sich auch in zerbrochenen, beschädigten Spiegeln reflektieren. Er zeigt uns, was er mit uns vorhat, und er ermutigt uns zu einem authentischeren Christsein, dazu, uns selbst und anderen zuzumuten, mit dem zerbrochenen Gefäss, das wir als einzelne und als Gemeinschaft sind, zu leben und uns von ihm heilen zu lassen.

Ich möchte sein Spiegel sein. Ich möchte mich jeden Tag herausfordern lassen, Jesus ähnlicher zu werden. Aber ich will es im Bewusstsein tun, dass Gott mich rückhaltlos annimmt, wie ich bin. Denn nur dann habe ich den Mut, andere auch meine Schwächen sehen zu lassen. Und nur dann bin ich nahbar und glaubwürdig.