Alte Schätze 2Mein Mann und ich sind keine großen Aufräumer vor dem Herrn – das Gästezimmer unseres Hauses war so lange eine Abstellkammer, bis sich ein Übernachtungsgast ankündigte. Dann war kurz etwas Hektik angesagt, weil wir noch ein Schlafsofa brauchten und den Raum entrümpeln mussten. Im Zuge dieser Aktion warf ich einen Blick in die obersten Einbauschränke und entdeckte ein paar ungeahnte Schätze.

Einer war ein uralter frommer Frauenroman namens „Der Gottesstrauch“, der andere ein Buch über Heilkräuter, wieder ein anderer eine alte Stickvorlage. Sie alle stammten von den Vorbesitzern unseres Hauses – Überbleibsel einer anderen Zeit, die offenbar niemand mehr gewollt hatte und die jetzt uns gehörten.

Als „History Nerd“ hat mich die Vergangenheit schon immer fasziniert. Beim Betrachten dieser alten Schätze wurde mir bewusst, dass ich auch in meiner Vergangenheit und im Leben meiner Vorfahren immer wieder auf etwas Neues und Interessantes stoße. Mein Vater erzählt davon, wie er als Junge mit seinen Geschwistern regelmäßig im nahe gelegenen Wald Fallholz sammelte und Hagebutten erntete. Meine Mutter überlieferte mir die Erinnerung an ihre eigene Mutter, die Zuhause in Heimarbeit Uhrenteile fertigte.

Alte Schätze 1 linksPhilipp Anton von Segesser, ein Schweizer Politiker des 19. Jahrhunderts und Spross einer verarmten Adelsfamilie, wusste über seine Vorfahren so ziemlich alles. In seiner Autobiografie schwelgt er in Erinnerungen an die Ferien, die er als Junge auf dem alten Landsitz der Familie verbrachte. Dabei beschreibt er, wie er durch den „großen Saal“ schritt und sich wieder und wieder die Bilder seiner Ahnen ansah, vor denen er große Achtung hatte. „Ich kannte alle, wusste die Geschichte aller und freute mich, dass keiner ein Volksbedrücker gewesen, dass alle ehrenhaft durch das Leben gegangen, dem Vaterland mit Ehre gedient und ihre Namen untadelhaft erhalten hatten.“

Sein Blick auf seine Vorfahren dürfte nicht völlig objektiv gewesen sein – schließlich hat jeder Mensch auch seine Schwächen. Aber aus seinen Worten spricht eine tiefe Verbundenheit und ein Bewusstsein für die eigenen Wurzeln, auch ein Stolz auf die edlen Charakterzüge, die seine Vorfahren über Jahrhunderte unter Beweis gestellt haben.

Beschämenderweise muss ich gestehen, dass ich schon über die Generation meiner Großeltern erschreckend wenig weiß, ganz zu schweigen von allen, die davor gelebt haben. Doch von Segessers Worte haben meine Neugierde geweckt. Aus was für einer Linie von Menschen stamme ich? Gab es darunter Missionare oder Menschenfresser, Wohltäter oder Übeltäter? Und wieviel davon trage ich weiter?

Alte Schätze 6Wenn ich an meine Großmutter väterlicherseits denke, fällt mir ihre unerschrockene kleine Gestalt ein und das legendäre Zitat „Tue recht und scheue niemand“, das mein Vater auch gern zum Besten gibt und das sie oft verwendete. Obwohl „recht tun“ ein schwieriger Begriff ist und ich mir bewusst bin, dass ich jeden Tag Fehler mache, ist diese Lebenshaltung doch von ihr auf meinen Vater und auf mich übergegangen. Denke ich an den Clan meines Vaters, berührt mich der starke Zusammenhalt unter den Geschwistern. Und ich freue mich an den in verschiedenen Formen hervorblitzenden Humor und der interessanten Tatsache, dass mein Vater und seine Brüder allesamt charakterstarke, humorvolle und eigenständige Frauen geheiratet haben, die sich nichts vormachen lassen.

Über die Familie meiner Mutter weiß ich weniger, auch weil sie nicht mehr lebt und mir ihre Erinnerungen nicht mehr weitergeben kann. Dafür denke ich gern an die gemeinsame Leidenschaft meiner Eltern für die Jugend und ihren Einsatz für die sozial Schwächeren. Und ich erinnere mich an Mutters heitere Genügsamkeit, ihre Liebe zu spannenden, humorvollen Geschichten und ihren klaren Blick hinter die Fassade der Menschen.

Wie es bei von Segessers Ahnen den einen oder anderen Tintenfleck im Reinheft gab, hat sicher jede Familie auch ihre dunkleren Seiten. Wir alle kennen Charakterschwächen, alte Wunden und verhärtete Einstellungen, die über unsere Familienbande manchmal Eingang in unsere Herzen finden. Es ist befreiend, wenn ich mir klarmache, dass ich die Wahl habe, was ich weitertragen und weitergeben will und was nicht. Natürlich ist es mit der Wahl, etwas loslassen zu wollen, nicht getan, aber ohne die bewusste Entscheidung, ein bestimmtes Muster loslassen zu wollen, wir ganz bestimmt nichts passieren.

Im Guten wie im weniger Guten empfinde ich das Bewusstsein für die Vergangenheit als etwas Erdendes, das mich im Leben verankert. Es erinnert mich daran, dass alles eine Geschichte hat und dass ich mich selbst und andere nur verstehen kann, wenn ich einen Blick hinter die Kulissen und in die Vergangenheit werfe.

Alte Schätze 4

Alte Schätze 5 linksIm Schrank meines Gästezimmers habe ich auch eine über hundertjährige Bibel entdeckt. Sie enthält einen handschriftlichen Eintrag und ein altes Lesezeichen. Diese Fundstücke sprechen von der Zuversicht, dass Gott meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in seinen Händen hält und mir beisteht, wenn ich ins Trudeln gerate oder nicht weiß, wie es weitergehen soll.

Was weißt Du über Deine „Ahnen“ – gehst Du Dir auf dem Familiensitz die Ölgemälde anschauen, oder beruht Dein Wissen auch eher auf den Überlieferungen Deiner Familie? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Garten 2Seit mein Mann und ich unser renoviertes Haus mit eigenem Umschwung bezogen haben, habe ich die Gartenarbeit neu entdeckt. Es bereitet mir Freude, im eigenen Boden zu buddeln und meine Pflanzen zu pflegen, auch wenn nicht jede Arbeit gleich viel Spaß macht. Bei Licht besehen, fordern viele Gartenaktivitäten ein bisschen Überwindung und Geduld.

 

Mit dem Jäten fängt es an, dieser wahren Sisyphus-Arbeit. Egal, wie oft ich lästiges Unkraut ausgrabe, erscheint es an der gleichen Stelle ein paar Wochen später wieder, als wäre nichts gewesen. Das reziproke Gartenprinzip sorgt zudem dafür, dass sich das am schnellsten verbreitet, was man am wenigsten brauchen kann. Ein Rätsel von mystischem Ausmaß sind die Steine im Blumenbeet: jedes Jahr klaube ich sie mühseligst kübelweise aus der Erde, und trotzdem  liegen sie im nächsten Jahr wieder da. Jedes Umgraben und jeder Regenguss fördern eine neue Ladung zutage – so geheimnisvoll wie die biblische Brotvermehrung, aber bei weitem nicht so amüsant.

Besser gefällt mir das Zuschneiden der Sträucher. In unserem Garten wachsen unter anderem Sommer- und normaler Flieder, Hortensien, Forsythien, ein Goldregen und eine Magnolie, und jede Sorte hat so ihre Tücken. Manche Sträucher müssen radikal zurückgeschnitten werden, weil sie sonst in den Himmel wachsen, bei anderen muss man behutsam ans Werk gehen. Beim Zuschneiden erlebe ich immer wieder, wie sich mein Blick schärft. Erst sehe ich nur ein Gewimmel von Ästen. Ich fange an, schneide einen verdorrten Ast heraus und arbeite mich weiter vor. Je länger ich arbeite, desto schneller sehe ich,  wo ein abgestorbener oder verkümmerter Ast einem gesunden den Platz wegnimmt oder eine schräge Richtung eingeschlagen hat.

Zur Schwerstarbeit gehört das Entfernen von alten Brombeerranken. Wenn mir die Zeit fehlt oder ich keine Lust habe, schneide ich die Ranken nur ab, doch dann ist innert Kürze wieder alles beim Alten – man verheddert sich in Dornen, was gefährlich für die Kleider und manchmal sogar für Hände in Handschuhen ist. Um das Zeug wirklich loszuwerden, muss man tief graben, und die Wurzel herausholen.

Seit ich mehr schreibe, ist die Gartenarbeit als kreativer Ausgleich in den Hintergrund gerückt, aber ich schätze sie immer noch sehr: ich bewege mich an der frischen Luft, die ich als Schreibsler und Stubenhocker gut brauchen kann, und ich sehe nach einem Nachmittag im Garten, was ich geschafft habe. Vor allem aber inspiriert  mich diese Arbeit auf besondere Weise und schenkt mir einen neuen Blick auf meinen Alltag und darüber hinaus.

Wenn ich die ollen Steine aus der Erde pulle und den gefühlt tausendsten Löwenzahn ausgrabe, fallen mir all die Situationen ein, in denen ich einfach treu tue, wonach mir gerade nicht ist. Im Job, im Haushalt und in meinen Beziehungen stehe ich jeden Tag vor wiederkehrenden, manchmal mühseligen Aufgaben. Wenn ich sie tue, ernte ich den wunderbaren Lohn in guten Beziehungen, einem aufgeräumten Haus, in dem man wirklich auftanken kann, und in der Zufriedenheit, wenn ich nach getaner Arbeit nach Hause gehe.

Wenn ich an einer Hortensie herumschnipple, muss ich daran denken, dass auch mein Leben und mein Charakter von Zeit zu Zeit einen Rückschnitt brauchen. Wenn ich mich verzettle, muss ich etwas herausschneiden, damit anderes Platz zum Wachsen hat. Wenn ein Charakterzug nur Negatives hervorbringt, muss ich ihn radikal entfernen. Und mit der Zeit erkenne ich schneller, wo etwas zurechtgeschnitten werden muss.

Wenn ich im Schweiße meines Angesichts versuche, an die elenden Brombeerwurzeln heranzukommen, fallen mir Verletzungen und Fehler aus der Vergangenheit ein. Manchmal muss ich harte Arbeit investieren, um loszulassen oder mir selbst zu vergeben. Doch es ist Arbeit, dies ich lohnt: wenn ich Vergangenes wirklich loslassen kann, lebe ich freier und bewusster.

Wie ich in einem anderen Post geschrieben habe, übersteigen diese inneren Reinigungs- und Aufräumungsprozesse manchmal meine Fähigkeiten: Was muss raus, was soll wachsen? Und wie schaffe ich es, Vergangenes loszulassen, ohne es einfach herunterzudrücken und mit ein bisschen Erde zuzudecken? Ich bin froh, dass ich diesen Prozess mit Gott angehen kann,  und vertraue darauf, dass Er mir zeigt, wo ich ansetzen muss.

Und wenn all diese Arbeiten getan sind, kommt im Garten wie im Leben immer wieder ein Moment, wo ich ernten kann. Wo ich mich auf meine Bank setze und die Blumenpracht genieße, und wo ich in der Rückschau erkennen darf, dass sich ein paar richtige Entscheidungen letztlich gelohnt und Früchte getragen haben.

Wie stehst Du zur Gartenarbeit – top oder Flop? Bei welcher profanen Tätigkeit überfallen Dich tiefe Einsichten? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

??????????Irland begeht heute den legendären St. Patrick’s Day, und das  nicht nur auf der grünen Insel – überall auf der Welt feiern Irischstämmige und Irland-Fans diesen Festtag, trinken grünes Bier und färben auch mal einen Fluss ein (ja, die spinnen, die Iren!). Ich habe es letztes Jahr endlich auf die Insel meiner Träume geschafft, aber meine Liebe zum Land besteht sei über zwanzig Jahren. Und angefangen hat alles – einmal mehr – mit Musik.

In meinem letzten Jahr vor der Matura fragte ein Kollege aus der Parallelklasse während der Kaffeepause herum, ob jemand Lust hätte, mit ihm das Irish Folk Festival in Basel zu besuchen. Aus unerklärlichen Gründen war ich damals spontan genug, zuzusagen, was ich nie bedauert habe. Das Konzert dauerte drei Stunden, und ich kann mich nicht mehr an die verschiedenen Bands erinnern. Aber ich weiss noch genau, dass ich nach fünf Minuten total hingerissen war. Wahrscheinlich hat sich meine Verzückung in ein paar Wippbewegungen erschöpft, aber um meinen Gefühlsregungen nur einigermassen gerecht zu werden, hätte ich ein paar Saltos schlagen und quer durch die Halle tanzen müssen.

Ein paar Monate später feierte ich mitten in den mündlichen Maturaprüfungen meinen 20. Geburtstag, und mein Irish-Folk-Kollege machte mir das schönste Geschenk überhaupt: vier Musikkassetten, auf denen er seine liebsten Alben und Songs für mich aufgenommen hatte. So lernte ich die Musik von De Dannan, The Fureys und anderen legendären irischen Musikern kennen und  lieben. Die lyrischen, feinen Frauenballaden, so zurückhaltend und doch voller Sehnsucht, die melancholischen, einzigartigen Männerstimmen, und natürlich die Reels mit Geige, Akkordeon, Whistle und der treibenden irischen Trommel.

In all diesen Songs schwelt eine ungezügelte, kraftvolle Leidenschaft, etwas Unbändiges und Heftiges, das für mich zum Irischen gehört. Ich glaube, das fasziniert mich, weil ich auch so einen Kern in mir trage. Er liegt ziemlich tief und ist seiner Rohfassung (zum Glück) nur in meinen Teeniejahren zu Tage getreten, was zu einigen legendären Ausrastern führte, die ich heute nicht weiter ausbreiten werde.

??????????Heute würde mir so eine Reaktion fast niemand zutrauen. Aber wenn ich einen Reel höre, wird dieser feurige Kern geweckt. Es fängt in den Füssen an und breitet sich rasch aus, bis ich innert Kürze vom Scheitel bis zur Sohle, äusserlich und innerlich in Bewegung bin.

 

 

Diese Musik tut mir einfach gut. So paradox es klingen mag: sie wirkt ausgleichend, indem sie mich aufrüttelt und durchschüttelt und diesen feurigen Kern anstösst. So lockert sich der Teil von mir, der manchmal etwas zu starr, zurückhaltend und vorsichtig ist.

Hat vielleicht jede Musik, die uns fasziniert, etwas an sich, das uns gut tut? Komplettiert uns oder gibt uns etwas, das wir brauchen, ohne es zu wissen? Wie es auch sein mag: ich werde mir zur Feier des Paddy-Tages einen meiner Lieblingsreels anhören, die Füsse und Arme fliegen lassen und mich der Musik hingeben. Wenn ich morgen früh das hinterlistige Flüstern des Alters vernehme, das in den Hüften knackt, war es das auf alle Fälle Wert!

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Hast Du auch Musik, die Dich zum Tanzen oder Träumen bringt oder Dir einfach gut tut, ohne dass Du genau weisst warum? Oder weisst Du es vielleicht sogar ganz genau? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

WachsenIrgendwann habe ich im Biologieunterricht gelernt, dass sich unser Körper alle paar Jahre komplett erneuert, so dass wir rein zelltechnisch nach Ablauf dieser Zeit völlig neue Menschen sind. Diese Vorstellung ist gleichzeitig faszinierend und beängstigend – und so geht es mir manchmal auch mit dem inneren Wandel.

Wir verändern uns laufend. Mit neuen Erfahrungen kommen neue Eigenschaften zum Zug, während andere in den Hintergrund treten oder verschwinden. Außerdem sieht uns jeder Mensch ein bisschen anders. Unsere Bürokollegen sehen andere Facetten unserer Persönlichkeit als jemand, mit dem wir zusammen das Vereinsleben genießen.

Wenn ich mir überlege, wie ich mich in den letzten zehn Jahren verändert habe oder was andere wohl von mir halten, frage ich mich manchmal, wer ich denn nun wirklich bin. Bin ich der Mensch, als der ich mich sehe, oder kommt eine der Versionen, die andere sehen, der Wahrheit näher? Habe ich am Ende ein falsches Bild von mir?

Mir ist die Frage wichtig, weil ich mich nicht in die falsche Richtung entwickeln möchte. Und da ich mich selbst nicht wirklich objektiv beurteilen kann, bin ich auf die Meinung anderer angewiesen. Doch auch die ist ein zweischneidiges Schwert – ich muss lernen, damit umzugehen, wenn ich nicht im einen oder anderen Extrem landen will.

Wenn ich von vorn herein ausschließe, dass jemand etwas sehen könnte, was ich nicht sehe, werde ich jedes kritische Wort entrüstet, verletzt oder selbstgefällig von mir weisen. Damit verschließe ich mich aber auch Veränderungen, die mir nützen und mich weiterbringen könnten.

Manchmal sehen mich Menschen in meinem Umfeld aber auch gern so, wie sie mich schon immer kannten. Wenn ich dann einen Charakterzug oder eine Angewohnheit ablege, die sie besonders anziehend oder angenehm fanden, reagieren sie vielleicht irritiert auf dieses „neue Ich“. Das kann dazu führen, dass jemand versucht, mich weiterhin in die Schablone zu pressen, in der ich ihm am besten gepasst oder am meisten genützt habe. Wenn ich diesem Druck nachgebe, stehe ich mir selbst im Weg.

Wie erkenne ich, dass eine Kritik ins Schwarze trifft und ernst genommen werden sollte? Woher nehme ich die Gewissheit, dass die Veränderung, die ich in mir spüre, gut ist? Neben dem Hören auf Gott, dem ich vertraue, dass er mir die richtige Richtung anzeigt, bin ich schlicht auf echte und tiefe Beziehungen angewiesen – auf Menschen, die mich wirklich kennen, mein Bestes wollen und mich ermutigen, die es aber auch wagen und auf sich nehmen, ehrlich zu mir zu sein und mir auch das zu sagen, was ich nicht hören will. Auch dann liegt es in meiner Verantwortung, was ich mit dieser Information mache. Aber wenn mir niemand etwas sagt, kann ich den blinden Fleck nicht erkennen.

Veränderung wird immer eine Mutprobe bleiben. Ein Flusskrebs muss seinen Panzer abwerfen, damit er weiter wachsen kann. Wenn er es tut, kommt unter dem kleinen Panzer plötzlich ein größeres Tier zum Vorschein, das vorher in einem zu engen Panzer gelebt hat und sich nun endlich richtig ausstrecken kann. Nach dieser Häutung ist der Krebs verletzlich, weil er noch kein neues, hartes Außenskelett hat. Aber er muss das Risiko eingehen – weil er sonst zugrunde gehen würde.

Wir Menschen haben praktischerweise ein Innenskelett, das uns nicht am Wachsen hindert. Doch für unsere innere Veränderung brauchen wir denselben Mut, immer wieder den alten Panzer abzuwerfen, damit unser verändertes, neues Ich Platz bekommt. Wenn wir es nicht tun, riskieren wir innerlich einzugehen und zu verkümmern.

Ich wünsche Dir und mir Menschen in unserem Umfeld, die den Mut haben, uns auf Dinge hinzuweisen, mit denen wir uns und andere behindern, aber auch Menschen, die sich durch unsere Schritte auf neues Land nicht bedroht fühlen, sondern uns antreiben und unterstützen. Die uns beistehen, wenn wir wieder einen schützenden Panzer abgeworfen haben, und uns helfen, in den neuen hineinzuwachsen – damit wir zu dem Menschen werden können, als der wir gedacht sind.

Fragst Du Dich auch manchmal, wer Du wirklich bist, und ob Du in die richtige Richtung steuerst? Oder findest Du, das ist neurotisches Geschwätz :-)? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Stop 2Rechtzeitig zum Beginn der Fastenzeit habe ich mich an ein Erlebnis erinnert, dass meine Fähigkeit zur Buße und Rückbesinnung in Frage gestellt hat. An
einem meiner Januarmüdigkeitstage fuhr ich ziemlich zerknittert Richtung Bern, um eine Freundin vom Flughalfen in Belp abzuholen. Um mich aufzumuntern und wach zu bleiben, stellte ich die Musik auf Dröhnstufe und sang tapfer vor mich hin.

Als ich gerade gedankenverloren um eine Kurve brauste, sah ich aus dem Augenwinkel, dezent von der Autobahn entfernt, einen Polizeiwagen. Ich nahm den Fuß vom Gas und fuhr weiter, aber ich wusste genau, dass ich deutlich zu schnell gewesen war.

Aargh.

Ich hatte mich sehr auf das Treffen gefreut, aber für den Rest der Fahrt konnte ich nur noch daran denken, was das wohl kosten würde. Ich ertappte mich dabei, wie ich Gott bat, den Kelch an mir vorübergehen zu lassen, und Ihm versprach, von heute an immer straßenverkehrsgesetzkonform unterwegs zu sein. Gleichzeitig ärgerte ich mich –  über mich selbst, weil ich so unvorsichtig gewesen war, und über die Polizei, weil sie nichts Besseres zu tun hat, als die maroden Kantonsfinanzen mit dem Geld unbescholtener Bürger zu sanieren. Man kennt das ja.

Nachdem ich mich damit abgefunden hatte, dass ich auf die Folgen meines Bleifußes keinen Einfluss mehr hatte, ging ich schnurgerade nach „Frommer Christ Art“ dazu über, mich zu fragen, ob Gott mir damit etwas sagen will – dazu sei gesagt, dass ich sehr wohl weiß, dass diese Frage nicht immer Sinn macht. In diesem Fall motivierte sie mich, für einmal mein Verhältnis zu den Autoritäten und Gesetzen meines Landes auf den Prüfstand zu stellen. Denn wenn ich ehrlich bin, stehe ich zwar in den großen Linien zu dem, was gilt – aber in der Umsetzung im Kleinen hapert es oft. Ich nehme es nicht so genau oder ärgere mich über das bürokratische Tamtam.

Schließlich habe mich nach längerem In-mich-Gehen dazu durchgerungen, dass ich kein Recht habe, mich zu beschweren. Ich lebe in einem demokratischen Land. Ich kann mich um ein politisches Amt bemühen und mich für das einsetzen, was ich wichtig finde. Ich kann eine Initiative starten, Petitionen eingeben und was weiß ich was alles. Ich kann meine Meinung an der Urne abgeben. Wird sich alles ändern, wenn ich das mache? Wohl kaum – aber solange ich nur lästere und die „Faust im Sack“ mache, bin ich mit verantwortlich für den Status quo.

Durch diese simple Bußenfrage ist mir auch wieder bewusster geworden, wie die Bibelstellen zur staatlichen Autorität zu verstehen sind. Als Christ werde ich aufgefordert, diese Autorität zu respektieren und die Gesetze zu halten. Nicht, weil es mich teuer zu stehen kommt, wenn ich es nicht tue, sondern aus Achtung vor Gott, der – so verstehe ich diese Verse – auch die Autoritäten meines Landes eingesetzt hat.

Das scheint dem Missbrauch Tür und Tor zu öffnen – aber auch die staatlichen Gesetze und Autoritäten müssen sich dem beugen, was Gott sagt. Und das wiederum nimmt mich in die Pflicht. Sobald die Gesetze von mir etwas verlangen, was Gottes Grundsätzen (z.B. der Würde des Menschen) widerspricht, bin ich in der Pflicht, mich zur Wehr zu setzen und Stellung zu beziehen. Die Beispiele von Gläubigen im Dritten Reich erinnern mich hier daran, dass das Einstehen für meinen Glauben und die Werte, die mit ihm verknüpft sind, radikalen Mut und Opferbereitschaft bedeuten kann. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, bin ich wieder einmal dankbar: dafür, dass ich in einem demokratischen Land lebe, aber auch dafür, dass ich meinen Glauben offen leben und davon erzählen darf. Das ist auch für Christen an vielen Orten der Welt leider bis heute nicht selbstverständlich.

Mit meinem Bleifuß bin ich übrigens nochmal davongekommen. Und in Dankbarkeit und Erleichterung will ich mich künftig nicht mehr beklagen und mich stattdessen brav an die Geschwindigkeitslimiten halten, auch wenn sie manchmal unerklärlich, unvernünftig, idiotisch…aber lassen wir das. Und ich genieße nebenbei das das befreiende Gefühl, dass ich beim nächsten Anblick eines Polizeiautos keine Schweißausbrüche bekommen muss.

Kennst Du das Bleifußproblem, oder fährst Du IMMER anständig?? Und wie leicht fällt es Dir, Dich NICHT über Gesetze und Vorschriften zu ärgern? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!