Ich bin eine kleine Träumerin und ein grosser Schussel, und ich habe damit schon früh angefangen. Legendär ist die Geschichte, wie ich mit unserem Hund Gassi ging und nur die Leine mitnahm. Im Gymnasium war ich dafür bekannt, meine Schulmappe in der Pause an eine Ecke zu werfen und dann zu vergessen, wo das gewesen ist. Diese ersten Anzeichen einer knospenden Schriftstellerkarriere wurden von meinem Klassenkameraden vor der Matura als Prognose formuliert, die sich inzwischen in bescheidenem Rahmen bestätigt hat.
Getreu dem Klischee lebe ich oft in meinem Kopf und kann die Realität locker ausblenden. Wenn ich lese, tauche ich ab in eine andere Welt, höre so gut wie nichts um mich herum und kehre irgendwann widerwillig in die Realität zurück. Mein Gedankenkosmos beschert mir intensivste Erfahrungen – Bücher wie „Es“, „Wer die Nachtigall stört“ oder „Im Westen nichts Neues“ haben mir neue Welten eröffnet. Manche Sätze haben sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt, wo sie mich immer wieder aufs Neue inspirieren. Und schliesslich hat mich neben der Musik auch ein Buch zu Gott geführt.
Als Ideenmensch habe ich das Übersinnliche lange als Gegenpol zur irdischen Welt gesehen, in der es so oft nur um Macht, Ruhm und Geld geht; um das, was ich mir kaufen, was ich anfassen und konsumieren kann. Es schien mir logisch, mich von diesem sinnlosen Streben abzuwenden und Gott in der geistigen Welt zu suchen. Seit ich so viel schreibe, haben sich meine Sinne geschärft und mir neue Erfahrungen beschert, und immer mehr begreife und erlebe ich, dass diese Welt genauso auf Gott weist, wie es unsere Gedanken tun. Tatsächlich sind unsere Sinne ein Fenster zum Allmächtigen.
Wissenschaftlich betrachtet nimmt unser Auge mit seinen Zäpfchen und Stäbchen elektromagnetische Wellen auf, die unser Hirn in ein Bild umsetzt. Dieses Bild ist nur das, was unser Sehsinn erfassen kann – wir wissen nicht, wie das alles „wirklich“ aussieht. Und doch kann der Anblick eines mächtigen Baumes oder einer wunderschönen Blume uns in staunende Anbetung versetzen. Unser Ohr fängt Schallwellen auf, die unser Hirn in eine wahrnehmbare Form bringt. Wir wissen nicht, inwiefern das, was wir da hören, „real“ ist. Und doch kann Musik so überirdisch sein, dass sie uns lachen, weinen und tanzen lässt und uns manchmal direkt vor den Thron Gottes katapultiert.
Und so ist es auch mit unseren anderen Sinnen: der Duft der Lindenblüte, wissenschaftlich betrachtet ein chemischer Stoff, das auf unser Riechorgan trifft, kann unser Herz beruhigen. Wenn uns jemand berührt, den wir lieben, erfahren wir unglaubliche Wonnen. Und wenn wir uns ein Stück Schweizer Schokolade auf der Zunge zergehen lassen – öffnet sich da nicht der Himmel über uns?
Ich denke inzwischen nicht mehr im Entweder-Oder-Schema. Es fasziniert und tröstet mich immer noch, dass diese Welt nicht alles ist, was wir haben, weil noch etwas anderes, Ewiges wartet. Aber es begeistert mich genauso sehr, dass Gott uns Sinne geschenkt hat, die uns ebenfalls direkt zu ihm führen. So hat er uns geschaffen, und deshalb sollten wir das Irdische in all seinen Facetten nicht geringschätzen.
Ja, die Erde ist oft ein Jammertal. Aber sie ist auch ein Quell des Schönen, Wahren und Guten. Unsere Sinne überschwemmen uns manchmal mit Eindrücken, die uns quälen und überfordern und an der Welt verzweifeln lassen. Aber sie zeigen uns auch viel Bereicherndes und Erhellendes, das uns Gott noch näher erfahren lässt.
Ich will mich gerade als Träumerin darin üben, nicht nur in meinen Ideen, sondern auch in dieser Welt präsent zu sein. Am Morgen die Vögel zwitschern hören. Das warme Wasser der Dusche geniessen. Den Duft von Kaffee, den ersten Sonnenstrahl, der durch das Küchenfenster blitzt. Ein schönes Lied, das mich zu Tränen rührt, und ein heisser Teller Spaghetti. Das alles ist Leben, und in allem kann ich den Schöpfer sehen und spüren.
Darin liegt für mich ein weiteres Geheimnis der Menschwerdung Jesu. Gott wollte diese von ihm geschaffene Welt sinnlich erfahren und hat sich auf ewig zu unserem Verbündeten gemacht, der unsere Freuden und Leiden kennt. Auch er hat gegessen und getrunken, gefroren und geschwitzt, gelacht, geliebt und geweint. Dadurch, dass Gott sich in diese Welt hat gebären lassen, hat er ihr und uns seine unendliche Liebe und Wertschätzung offenbart.
Im Buch „Der Talisman“ von Stephen King entdeckt Jack Sawyer, dass es neben unserer Welt noch die „Region“ gibt – eine vorindustrielle Welt, wie unsere es einmal war. Jacks Freund in der „Region“, eine Art Werwolf, ist entsetzt, als er sich plötzlich in unserer Welt wiederfindet, die für seine feine Nase bestialisch stinkt. Doch während seiner Verwandlung bei Vollmond sagt er zu Jack: „Es gibt auch gute Gerüche in dieser Welt.“
Ja, unsere Welt „stinkt“ – nach Gier, Machthunger, Verbrechen, Egoismus, Umweltverschmutzung und Leid. Der Sündenfall hat sie nicht schöner gemacht. Doch unter dieser Patina liegt das Ursprüngliche, Schöne des früheren Paradieses und gleichzeitig das zukünftige – die wiederhergestellte Schöpfung, schöner und reiner, als sie es jemals war. Durch die Geburtswehen der neuen Schöpfung, die Christof Lenzen heute in seinem Post beschreibt, schimmert diese neue Schöpfung durch und erinnert uns an den Gott, der uns geschaffen hat, an die Zukunft die uns erwartet – und daran, dass auch diese zerbrochene Welt ihn wiederspiegelt.
Welcher Sinn ist bei Dir am stärksten ausgeprägt? Bist Du ein Augen- oder ein Ohrenmensch, oder läuft für Dich vieles über Gerüche ab? Wo erfährst Du Gott am intensivsten? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!
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