Bibel BildManchmal habe ich vom Christentum die Nase voll.

Nicht von Jesus, nicht vom Glauben und nicht von den Christen in meiner Gemeinde, aber sehr wohl von „der Christenheit“ – von ihren bis aufs Blut verteidigten Dogmen, ihren theologischen Haarspaltereien und sich unablässig wiederholenden Debatten. Was ist einzig richtig? Wer hat recht, und wann geben endlich alle anderen zu, dass wir es sind?

Ganz übel wird es, wenn die Politik hineinspielt und jeder weiß, wie sich „ein Christ“ entscheiden muss. Für manche amerikanischen Christen ist Trump der Retter, der Amerika wieder groß macht, für die anderen soll Amerika endlich begreifen, dass Gott anderes als Amerikas Größe im Sinn hat. Für die einen ist Ted Cruz der einzig wahre christliche Kandidat, für andere ist er der Antichrist in frommer Maske, gekommen, um die Nation zu verführen.

Bei uns ist es nicht besser. Die große Mehrheit der Christen (darunter yours truly) ist der Meinung, dass sich die Durchsetzungsinitiative schlecht mit den Grundsätzen gelebten christlichen Glaubens vereinbaren lässt, aber auch hier gibt es abweichende Meinungen. Und beide Seiten sind zutiefst überzeugt, recht zu haben und scheuen sich nicht, dem Andersdenkenden das Christsein mit Sätzen wie diesen abzusprechen: „Natürlich kann ein Christ diese Meinung vertreten. Er muss einfach vorher seine Bibel verbrennen.“

Diskussionen um unseren Glauben, um die Bedeutung der Schrift und was sie meint, sind wichtig, und sie haben ihren Platz. Aber so, wie heute damit umgegangen wird, wäre mir mein Glaube schon lange verleidet, wenn Gott nicht wäre. Wollte Jesus wirklich, dass wir den Großteil unserer Energie dafür einsetzen, uns über die Richtigkeit der Erwachsenentaufe und die biblische Daseinsberechtigung der Zungenrede den Kopf zu zerbrechen?

Ich glaube nicht, und genau deshalb habe ich den Entschluss gefasst, in den kommenden Wochen Doktrin zu fasten. Für einmal meide ich alle Blogposts über Abstimmungsfragen im Hinblick auf das Christsein, Homosexualität, Frauen auf der Kanzel und was es sonst noch alles gibt. Und tue etwas anderes.

Ich nähere mich Jesus. Und zwar auf historische Weise und Tag um Tag.

Ich habe mir dafür das Lukas-Evangelium und das Johannes-Evangelium ausgesucht; das erste, weil es am meisten Details liefert, das zweite, weil es sich von den anderen durch seinen Ansatz unterscheidet. Ab Montag werde ich nach Plan beide bis Ostern durchlesen und mir nur diese zwei Fragen stellen:

Was hat Jesus GESAGT?
Was hat er GETAN?

Ich stehe an einem Punkt in meinem Glaubensleben, wo ich willens bin, Tradiertes zu hinterfragen – nicht um des Hinterfragens willen, sondern um dem Kern dessen näher zu kommen, was das Christentum zu einer so revolutionären und neuen Bewegung gemacht hat. Ich bin hungrig nach mehr von dem, was Gott wirklich wichtig ist.

Dabei bin ich mir völlig darüber im Klaren, dass zwei Bücher des Neuen Testaments nur ein Ausschnitt sind, aus dem sich keine allgemeingültigen Weisheiten ableiten lassen. Genauso wenig gehe ich davon aus, dass sich alle Spannungen in der Schrift auflösen werden – das sollen sie vielleicht nicht einmal. Ich freue mich einfach darauf, Jesus neu und ohne religiösen Überbau zu entdecken, indem ich mir ansehe und auf mich wirken lasse, was er in der kurzen Zeit, die er auf Erden hatte, gesagt und getan hat. Ich werde mir aufschreiben, was mir wichtig wird, und ab und zu ein entsprechendes Post verfassen. Falls jemand sich anschließen will, nur zu – hier mein 42-Tage-Plan:

Plan Bibel

Ich freue mich auf neue Entdeckungen bis Ostern und wünsche Euch allen eine Fastenzeit nach Euren Wünschen – erhellend, besinnlich, ruhig oder erkenntnisreich. Be blessed!

Was sind Eure Gedanken zum Thema Doktrin? Geht es Euch wie mir, oder findet Ihr es gefährlich oder überheblich, sich einfach „selbst ein Bild machen zu wollen? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

Manche hassen sie, andere lieben sie, aber darum herum kommt niemand: Es ist Fasnacht! Da ist auch in Grenchen am Jurasüdfuß alles ein bisschen anders, denn mein Geburts- und Wohnort hat eine stolze Fasnachtstradition. Zwischen Basel, das vor allem mit „Schnitzelbängg“ brilliert, und Luzern, bei dem die „Guggenmusig“ die Hauptrolle spielt, haben wir im Mittelland eine einmalige Mixtur aus beidem.

Ich wurde trotz eines fasnachtsbegeisterten Vaters nie mit dem Virus infiziert, aber ich erinnere mich an das, was mir als Kind gefallen hat: An der „Chesslete“ morgens um fünf die Nachbarschaft wecken, ein Cowboykostüm anziehen und mit einem Revolver herumballern, Magenbrot und Zuckerwatte verschlingen und die wahnwitzigen Bahnen auf dem Rummelplatz zu befahren, die bei uns zur Fasnacht gehören.

Neben diesen harmlosen Späßen und den kreativen Beiträgen à la Guggenmusig und Schnitzelbank macht die Fasnacht heutzutage vor allem von sich reden, wenn es um den Verlust aller Hemmschwellen geht. Im „Alles ist erlaubt“-Modus und bei großzügiger alkoholischer Begießung fühlen sich viele frei, den zivilisierten Menschen für ein paar Tage abzustreifen und den innere Schweinehund von der Leine zu lassen, bis der am Aschermittwoch müde und verkatert zurück nach Hause kriecht und bereit für die Fastenzeit ist.

Der Link zur Fastenzeit sagt es schon: Die Verbindung von Fasnacht und Christentum lässt sich nicht ganz leugnen. In früheren Zeiten, als die soziale Kontrolle noch stark und die Meinung darüber, was moralisch ist, enger gefasst war, war der Drang noch stärker, das Korsett aus all diesen Zwängen ein paar Tage abwerfen. Warum aber sehnt sich der Mensch heute, wo doch alles möglich ist, nach so einem Freipass? Warum scheint uns das immer noch so verführerisch?

Ich glaube, wir alle empfinden die Regeln, nach denen wir leben, ab und zu als einengend – ob wir uns nun als gläubige Menschen verstehen oder nicht. Oft will unsere Natur das, was wir moralisch ablehnen. Wir neiden dem Nachbarn das teure Auto; wir wollen uns wieder einmal „richtig geliebt fühlen“ und sehnen uns nach dem verbotenen Prickeln; wir wollen nicht daran denken, was gesund ist, und einfach mal so richtig reinhauen. Aus dieser Warte scheint alles, was „Spaß macht“, verboten zu sein.

Aber jeder, der solchen Versuchungen nachgegeben hat, weiß, wie bitter das Aufwachen ist und dass daraus immer Leid für uns und für andere entsteht, selbst wenn es nur eine Magenverstimmung ist. Auch eine einwöchige Regel-Auszeit kann nichts Gutes hervorbringen. Das Urübel liegt nämlich ganz woanders: Darin, dass wir uns mit einer lebensfeindlichen Einstellung die Luft abschnüren.

Wenn ich jeden Tag penibelst Kalorien zähle und mich nur von Hüttenkäse und Gurken ernähre, werde ich irgendwann das Kühlfach plündern und mir eine Familienpackung Eis einverleiben. Wenn ich eine lust- und körperfeindliche Einstellung habe, drängen die Bedürfnisse auf andere Weise an die Oberfläche. Je mehr ich aus einer „Darf dat dat?“-Warte durchs Leben krauche und mich bei allem frage, ob ich schon vom Weg abgekommen bin, desto mehr brodelt es in mir. „Und das soll Leben sein? Wo bleibt denn da der Spaß?“ Dazu braucht man im Übrigen kein Fundi-Christ zu sein: Rigorose Ess-, Trink- und andere Regeln finden sich heute an allen Ecken und Enden.

Wie löse ich das Dilemma? Ich glaube, das Geheimnis liegt in einem lebensbejahenden Umgang mit den Regeln, nach denen ich lebe. Mir hilft das Wissen und Vertrauen, dass Gott für uns und für das Leben ist. Er ist weder gegen Sex, noch gegen gutes Essen, noch gegen Wein, auch nicht gegen Bücher oder Filme oder Tanzen oder Besitz. Wir dürfen und sollen uns an allem freuen, und wenn er uns für bestimmte Genüsse einen Rahmen gibt, dann tut er es aus gutem Grund. Dank Gnade und Vergebung darf ich zudem entspannt durchs Leben gehen: Ich kenne meine Schwächen und bin in bestimmten Bereichen vorsichtig, weiß aber auch, dass ich immer wieder neu anfangen kann.

Wir sind Wesen aus Fleisch und Blut, sind Körper, Seele und Geist – und das ist kein Zufall. Wir sind geschaffen, um uns an allem zu freuen: zu essen und und zu trinken, zu  tanzen und zu spielen, zu lachen, ein Buch zu verschlingen, ein Lied zu singen, Gedankenschlösser zu bauen.

Und darum gehe ich vielleicht auch noch an die Fasnacht, fahre „Butschi-Bahn“, esse einen Hamburger und „Magebrot“, setze mich in eine Beiz und höre mir Schnitzelbänke an. Wer kommt mit?

Wie geht es Dir mit dem Thema Fasnacht? Verkriechst Du Dich eine Woche in eine Höhle, oder hast Du seit zwei Monaten an Deinem Kostüm genäht? Was magst Du, was hasst Du daran? Und wie hast Du es mit dem Thema „Lebensregeln“? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

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Foto: Bigstock, ID:87672899

Wenn mich jemand nach meiner Lieblingsbibelstelle fragt, habe ich die Qual der Wahl – es gibt einige, die mir in den letzten zwölf Jahren wichtig geworden sind. Bisher war aber definitiv keine aus dem Buch Hiob dabei.

Das hat seine Gründe, und jeder, der die über 40 Kapitel schon mal gelesen hat, wird mir in einem recht geben: Es gibt kaum ein herausfordernderes Buch in der Bibel. Und doch habe ich entdeckt, dass man aus Hiobs Schicksal eine Menge über Gott und über die Einstellung zum Leben lernen kann – gerade in Zeiten wie diesen.

Es ist eine grausame Geschichte: Da lebt ein rechtschaffener, aufrichtiger Mann, der Gott liebt und ehrt und über jeden Zweifel erhaben scheint. Aufgrund eines Wettstreits zwischen Gott und Satan wird ihm alles genommen, was er hatte. Erst verliert er seinen Besitz, dann sterben alle seine Kinder. Doch immer noch preist er Gott mit den Worten „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gepriesen sei der Herr!“

Dann aber schlägt Satan ihn mit Aussatz und mit Schmerzen, die ihn fast um den Verstand bringen, und das macht das Maß voll: Hiob verflucht den Tag, an dem er geboren wurde, und klagt Gott an, zutiefst überzeugt von seiner eigenen Rechtschaffenheit. Seine Freunde versuchen, ihm beizubringen, dass kein Mensch vor Gott gerecht ist, aber er bleibt hartnäckig dabei, dass er „das nicht verdient“ hat. Gott stellt ihm schließlich einige harte Fragen. „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ „Kannst du die Bande des Siebengestirns zusammenbinden oder den Gürtel des Orion auflösen?“ „Wer gibt die Weisheit in das Verborgene? Wer gibt verständige Gedanken?“ Als Hiob seinen Stand vor Gott begreift und sich demütigt, erhört ihn Gott und lässt ihm mehr zukommen, als er je hatte.

In Hiobs hartnäckiger Selbstgerechtigkeit erkenne ich mich wieder, und ich nehme an, ich bin damit nicht allein: Oft wollen wir nicht Gott, das Mysterium, sondern ein berechenbares Glaubenssystem, das uns beim gleichen Input zuverlässig das Gleiche liefert. Wir tun unser „Gutes“ zwar aus dankbarem Herzen, aber auch in der stillen Erwartung, dass Gott dann „seinen Part“ erfüllt. Aber diese Vorstellung ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich – gerade für das menschliche Miteinander in Krisen, wie wir uns jetzt in einer befinden.

Unsere Suche nach einer globalen Ordnung und einem Glaubenssystem ist auch eine Suche nach der Erklärung für die Ungerechtigkeit in der Welt. Doch so verständlich diese Suche sein mag: Wenn wir uns an ein falsches System klammern, verhärtet sich unser Herz.

Der „do ut des“-Glaube von Hiob (ich tue x, damit du y tust) kann nur in Selbstgerechtigkeit oder Verzweiflung enden. Wenn ich „alles richtig mache“ und es mir gut geht, blicke ich selbstzufrieden in die Welt und tadelnd auf jeden, dem es schlechter geht: Wenn Gott ihn nicht segnet, lebt er eben falsch oder hat noch eine verborgene Sünde. Werde ich aber krank, zerbricht meine Ehe oder verliere meinen Job, folgere ich daraus, dass ich nicht genug getan, noch eine Leiche im Keller oder zu wenig Glauben habe. Ich versuche krampfhaft, es besser zu machen, und wenn es nicht funktioniert, verliere ich im schlimmsten Fall den Glauben an mich und an Gott.

Ähnlich falsch liege ich, wenn ich mich bei der Esoterik bediene und mich beispielsweise an die beliebte Reinkarnationstheorie halte. Wenn ich an Karma glaube, wird mein natürliches Mitgefühl für Menschen in Not erstickt, da ich davon ausgehen muss, dass sich diese Menschen ihr Leiden durch ihr Verhalten in einem früheren Leben selbst eingebrockt haben. Und je schlechter es ihnen geht, desto abscheulicher waren ihre Verbrechen. Die einzige Motivation, solchen Menschen zu helfen, läge im meinerseitigen Sammeln von Karmapunkten, was die Ichbezogenheit dieser Lehre deutlich demonstriert.

Hiob lehrt mich etwas anderes: Die Demut, dass ich mein Leben nicht in allen Aspekten kontrollieren und beeinflussen kann. Niemand kann sich aussuchen, ob er oder sie in der Schweiz, in Syrien oder in Uganda geboren wird, in einer liebevollen oder einer dysfunktionalen Familie aufwächst, krankheitsanfällig oder robust ist.

Wenn ich das verstanden habe, löst mein Wohlergehen in mir nicht mehr ungerechtfertigten Stolz, sondern Dankbarkeit aus. Ich lerne, das, was ich habe, als Geschenk zu betrachten und verantwortlich damit umzugehen und Menschen, denen es schlechter geht, mit Mitgefühl und einem offenen Herzen zu begegnen. Nicht, um Karmapunkte zu sammeln. Nicht, um von Gott für mein Handeln entschädigt zu werden. Sondern weil die Liebe und die Versorgung Gottes, die ich erfahre, durch mich fließen und andere Menschen erreichen sollen.

Wir leben in einer herausfordernden Zeit, und mich schmerzt, dass auch unsere Herzen eng und enger werden. Wir fürchten um unseren Wohlstand und hacken auf den Ärmsten herum, während – wie war das noch? – die 62 reichsten Menschen der Welt die Hälfte des Globus besitzen. Ich bin mir bewusst, dass kein Land – und schon gar kein so kleines wie unseres – unbegrenzt Menschen aufnehmen kann. Aber dass ich in diesem Land geboren wurde, ist nicht mein Verdienst, und wenn ich darauf stolz sein muss, habe ich in meinem Leben nicht viel geleiset, auf das ich stolz sein könnte. Ich meine damit nicht Karriere und Geld scheffeln und „es zu etwas gebracht haben“, sondern das, was jeder Mensch kann: Anderen mit Sympathie und Hilfsbereitschaft begegnen, die Welt ein kleines bisschen besser machen.

Die Ungerechtigkeit der Welt, bei Hiob wie hier und heute, soll uns nicht unberührt lassen. Sie soll uns bewegen. Nicht dazu, uns eine spirituelle Rechtfertigung aus den Fingern zu saugen, die es uns erlaubt, uns auf unserem vermeintlich verdienten Wohlergehen auszuruhen, sondern zum Mitgefühl und zu beherztem Handeln, zur Widerrede, zur Aufklärung.

Wenn ich auf etwas stolz sein soll, dann will ich stolz darauf sein, dass ich mein Herz nicht von Besitzstandsängsten verhärten lasse. Stolz darauf, dass ich mich nicht von einseitigen Schuldzuweisungen verführen lasse, sondern akzeptiere, dass die Welt weit komplexer ist und dass mein Wohlstand und das Elend mancher Erdteile in direktem Zusammenhang stehen. Und das Wissen, dass ich die Welt nicht wirklich erlösen kann, soll mich nicht hindern oder entmutigen, an dem kleinen Ort, wo ich bin, etwas zur Linderung der Not beizutragen – worin auch immer ich meine Mission sehe.

Im Verlauf meiner Hioblektüre habe ich durchaus Stellen gefunden, die sich zu Lieblingsstellen mausern könnten. Vor allem habe ich eine entdeckt, die mich sowohl herausfordert als auch ermutigt. Sie fordert mich heraus, weil das Bewusstsein für ihre Wahrheit mir manchmal abhandenkommt, und sie ermutigt mich, weil ihre Wahrheit die Hoffnung ist, die mich trägt und antreibt, weil es einen gibt, der stärker ist als alles, was diese Welt und die Menschen bedrängt. Es ist ein Ausspruch Hiobs, gesprochen in seiner dunkelsten Stunde.

„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“

Hast Du Hiob auch schon gelesen, und wie hast Du es erlebt? Womit kämpfst Du, was ermutigt Dich? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Clod 45 2Es ist wieder einmal soweit – ich darf Geburtstag feiern. Gerade sehe ich mir meine imaginäre Torte an, blase die imaginären Kerzen aus, wünsche mir was Schönes, lehne mich zurück und sinniere, was der Geburtstag mir dieses Jahr bedeutet. Es ist ein halbrunder: Ab heute Abend um 18:30 bin ich der 50 näher als der 40, und ich frage mich, ob mich der Gedanke erschrecken sollte.

Nachdem ich dankbar meiner recht robusten Gesundheit gedacht habe, werfe ich zwecks optischer Bestandsaufnahme einen Blick in den Spiegel. Graue Haare: Bisher kaum – Hosanna an meine Gene. Falten: Um die Augen und den Mund hat sich was Kleines angesammelt, aber abgesehen von einem manchmal sichtbaren vertikalen Graben zwischen den Augenbrauen sind es Lächelfalten. Keine „Schon-wieder-so ein-Scheiß-Wetter“- oder „Warum-habe-ich-nicht-was-die-hat“- oder „Heute-hasse-ich-alle“-Falten (wobei die genannte Stirnfalte Ausdruck davon sein könnte, dass ich die Momente, in denen ich letzteres empfinde, doch nicht ganz vor meinem Gesicht verbergen konnte). Und sonst? Gewicht: Medizinisch im grünen Bereich. Form: Ganz ok. Blick klar, Zähne gut, Geist wach. Ich bin zufrieden.

Aber ist das nicht schräg? Wie kann ich zufrieden sein? Wenn ich den Fernseher anmache oder in eine Zeitschrift schaue, sind definitiv alle Frauen jünger, grösser, schlanker, schöner und faltenfreier als ich. Die Zeitschrift sagt mir dann, wie ich ganz schnell auch so schön, schlank und faltenfrei werde (jünger und grösser ist relativ schwierig). Und der Fernseher preist mir all die Produkte an, die mir auf diesem Weg zum Glück verhelfen. Dass sie mir vor allem auf magisch-wundersame Weise das Konto leerräumen, wird betulichst verschwiegen.

Warum bin ich trotzdem zufrieden? Weil ich trotz fortgeschrittenem Alter einigermaßen ins akzeptable Bild passe? Vielleicht auch, aber die wahren Gründe liegen anderswo.

Einerseits hilft mir paradoxerweise, dass mir in meiner Teeniezeit so ziemlich nichts an mir gefiel. Es fing bei den Haaren an (zu dünn), ging über die Ohren (zu abstehend) zur Nase (zu römerhaft oder soll ich sagen rübennasenhaft), weiter zum Hals (zu kurz), dann zum Rücken (auch zu kurz) und schließlich zum wohl nur in meiner Fantasie existierenden „Bäuchlein“. Mit dem Rest konnte ich leben, aber ich fand mich mit all diesen Attributen einfach nicht attraktiv, was sich natürlich auf meine Ausstrahlung auswirkte. Nach mir haben sich die Jungs selten umgedreht, und sollte es doch einer getan haben, hätte ich es in meiner Unsicherheit wohl gar nicht gemerkt.

Als Resultat dieses Trauerspiels muss ich heute nicht alten, gloriosen Zeiten nachweinen, in denen ich die Ballkönigin war. Und seltsamerweise bin ich heute mit mir zufrieden, obwohl sich rein optisch nicht viel geändert hat: Alles, was mich störte, ist noch genauso wie früher – der einzige Unterschied ist das Bäuchlein, das inzwischen, wenn auch immer noch sehr dezent, in der Realität existiert. Trotzdem mag ich heute mein Aussehen, und mit den vermeintlichen Mängeln kann ich inzwischen umgehen: Ich trage meine dünnen Haare nicht zu lang, wegen der Ohren nicht zu kurz und wegen des Halses auch nicht mehr im Richard-Löwenherz-Pagenkopf (auch bekannt unter dem Namen „Topfdeckel-Frisur“). Ich trage keine Highwaisthosen, weil ich sie unbequem finde und sie an mir grässlich aussehen (kurzer Rücken + Bäuchlein + (vorhin vergessen) keine ausgeprägte Taille).

Positiv formuliert weiß ich, was an mir gut aussieht und worin ich mich gut fühle. Vor allem aber habe ich aufgehört, mich mit anderen zu vergleichen, sei es mit Zwanzig- oder Dreißigjährigen (ich bin ja keine Masochistin), aber auch nicht mit 45jährigen, die wie dreißig aussehen. Warum sollte ich? Und wer genau sagt überhaupt, wie wir auszusehen haben? Wer bestimmt, was schön ist?

Jeder kennt die Aussage: „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“. Heute fassen das manche Menschen so auf, dass dieses Auge die Gesellschaft ist, die anhand ihrer gerade aktuellen Vorstellungen bestimmt, was schön ist. Wer demzufolge in den Augen der Gesellschaft schön sein will, muss sich entweder so gut wie es geht in die Passform des aktuellen Trends quetschen oder damit leben, dass er gerade nicht schön ist, immer hoffend, dass sein Typ mal wieder in Mode kommt. Eine traurige und einengende Vorstellung – dabei liegt im Satz vom Auge des Betrachters so viel Wahrheit:

Ob ich mich schön finde, hängt entscheidend davon ab, welchen „Betrachter“ ich einsetze.

Ich kann es mir schwer machen und jeden, der mich auf der Straße kritisch mustert, als Maßstab nehmen. Ich kann die aktuellen Schönheitsvorstellungen nehmen und mich elend fühlen, weil ich nie „so“ aussehen werde. Oder ich wähle meinen Betrachter klüger aus und erlebe, wie ich unter seinem wohlwollenden Auge von innen heraus schöner werde, bis mich auch mein eigenes Auge  wohlwollend ansieht und ich mich annehmen kann, wie ich bin  – inklusive kurzem Hals, dünnem Haar und Hobbit-Ohren.

Bei mir wurzelt diese Selbstannahme in meinem Glauben, dass ich eine gewollte, geliebte und gelungene Schöpfung bin. Doch egal, ob wir uns darauf stützen oder nicht: Lasst uns heute anfangen, uns schön zu finden und damit aufhören, uns zu fragen, was anderen gefällt und was nicht. Lasst uns beschließen, dass wir unsere Zeit nicht mehr mit unsinnigen Vergleichen und der sklavischen Jagd nach dem Erfüllen irgendeines gerade gültigen Schönheitsideals, das bald wieder vergessen ist, vergeuden.

In diesem Sinne gelobe ich an diesem 22. Januar 2016, meinem 45. Geburtstag,  feierlich:

  • Dass ich niemals Highwaisthosen tragen werde, auch wenn sie sich zum angesagtesten Trend des Universums mausern sollten.
  • Dass ich die Farben trage, die mir gefallen, und nicht danach frage , ob sie gerade in sind.
  • Dass ich die Frisur trage, die zu meinem Kopf und meiner Persönlichkeit passt und nicht die, die in der Brigitte als die „Zehn aktuellen Topfrisuren (oder etwa Topf-Frisuren?) für Frauen über Vierzig“ angepriesen werden.
  • Dass ich Turnschuhe trage, wann immer es mir gefällt.
  • Und was gelobst Du?

Ich bin gespannt, was ich in fünf Jahren schreiben werde. Vielleicht haben die grauen Haare das Regime übernommen, oder die Fünf vorneweg treibt mich in die Krise, die ich bisher umschifft habe. Aber ich sehe dem Ganzen ruhig entgegen, und ich hoffe, das tust du auch. Und falls nicht, hier mein Credo für Dich:

Hallo, liebe/r Leser/in. Für die Akten: Du bist schön. Du bist cool und einzigartig und genau so, wie Du sein sollst. Alles an Dir ist genial, egal, ob gerade blonde, dunkle, lange, gerade oder gekrauste Haare „in“ sind, egal, ob die Apfelform, die Birnenform oder wie in der letzten Zeit üblich die Spargelform angesagt ist. Deine Form ist toll, lass Dir nichts anderes sagen. Zieh an, was Dir gefällt und worin Du Dich wohlfühlst, mach das, wonach Dir ist. Schau ab und zu in den Spiegel und sag Dir: „Ich bin ein sehr, sehr cooler Typ.“ Denn das bist Du!

Und als Geschenk von mir zum Schluss noch zwei Muthappen à la carte zum Mitnehmen. Der erste ist für die Bibelaffinen, der zweite für die mit dem speziellen Humor – und wer wie ich zur Schnittmenge gehört, darf an beiden Freude haben!

Psalm 139, 14-16
Ich danke dir dafür, dass ich so wunderbar erschaffen bin,
es erfüllt mich mit Ehrfurcht.
Ja, das habe ich erkannt: Deine Werke sind wunderbar!

Dir war ich nicht verborgen, als ich Gestalt annahm,
als ich im Dunkeln erschaffen wurde,
kunstvoll gebildet im tiefen Schoß der Erde.

Deine Augen sahen mich schon, als mein Leben im Leib meiner Mutter entstand.
Alle Tage, die noch kommen sollten, waren in deinem Buch bereits aufgeschrieben,
bevor noch einer von ihnen eintraf.

The New Year has already passed its ten days mark, and for a few days now, I’m trying to blog about my “Word(s) of the year“. I’ve started my post early as I was quite certain what my word would be: I have to set priorities to reach all my goals, and the word “focus” came to my mind. As I wasn’t totally happy with it, I let the post rest, hoping that a better word would soon pop up in my mind…

So beginnt mein heutiges Guest Post auf dem Blog von Tim Fall, und wer hier öfters liest, weiss, dass es dabei um  mein „Wort für 2016“ geht. Wenn Ihr wissen wollt, wie sich das alles auf Englisch anhört, dann könnt Ihr hier weiterlesen. Tims Blog ist auch sonst ein toller Tipp, um sein Englisch zu trainieren, spannende Fragen rund um den Glauben zu erörtern und Einblicke in das Leben eines amerikanischen Richters zu erhalten. Meine herzliche Empfehlung!

AlanRickmanDec2009
„AlanRickmanDec2009“ by Justin Hoch. Licensed under CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

Vor einigen Tagen ist der Schauspieler Alan Rickman gestorben, und wie viele andere hat mich sein Tod getroffen. Ich habe nicht nur den Darsteller, sondern viele Filme, in denen er spielte, und die Personen, die er verkörperte, sehr geliebt: Ich schätzte die reservierte und doch tief empfindende, loyale Persönlichkeit Colonel Brandons in Sense and Sensibility, und ich empfand erst Abneigung und dann Hochachtung und Mitgefühl für den Potions Master Severus Snape auf der Reise durch die Harry-Potter-Filme.

Die heutige Popcorn-Perle, die ich zu Ehren von Rickman präsentiere, handelt von einem weiteren Film, den nicht so viele Leute kennen, der aber auch zu meinen „All Favorites“ gehört und die Kraft von Geschichten beleuchtet: Tim Allens schräge Sci-Fi-Parodie Galaxy Quest.

Der Film erzählt die Story eines in die Jahre gekommenen Schauspielerteams, dessen Sci-Fi-Serie Galaxy Quest vor fast 20 Jahren ein Renner war und das heute nur noch auf Fan-Conventions auftritt. Der arrogante Captain Jason Nemith, gespielt von Tim Allen, ist ein Egomane, der sich ständig in den Vordergrund drängt, weshalb der Rest der Crew die Nase voll von ihm hat. Ganz besonders trifft dies auf Alexander Dane zu (gespielt von Rickman). Er, der einst – und das erwähnt er in seiner traditionellen Krise vor jedem Fan-Auftritt – „einmal ein Schauspieler war“ und „als Henry III. fünf Vorhänge bekam“, wird als Dr. Lazarus von seinen Fans nur für einen Satz geliebt, den er bei jeder Gelegenheit zitieren soll.

„Bei Grabthars Hammer, bei den Söhnen von Warvan, du wirst gerächt werden!“

Er hasst den Satz wie die Pest, aber er wird seine Meinung im Verlauf der Geschichte noch ändern – denn etwas gänzlich Unerwartetes kommt auf die Truppe zu. An einer Convention trifft der „Captain“ auf ein paar seltsame Männer, die behaupten, sogenannte Thermianer zu sein, die ihn in einer „Angelegenheit von größter Wichtigkeit“ sprechen müssen. Er hält das Ganze für ein Amateurprojekt und sagt scherzhaft zu, worauf sie ihn am nächsten Morgen abholen. Als er auf dem Rücksitz einer Limousine verkatert ein Nickerchen macht, beamen sie sich mitsamt Auto auf ihr Raumschiff. Nesmith wacht auf und hält erst alles für Staffage. Auch als sie ihn über einen Bildschirm mit ihrem Kriegsgegner, einem humanoiden Reptilienwesen namens General Sarris, in Verbindung setzen, damit er für sie verhandelt, hält er das für ein Spiel. Er lässt ein paar Torpedos abfeuern und will dann nach Hause. Daraufhin wird er in einer Art durchsichtigem, geleeartigen Kokon auf die Erde gebeamt und stellt entsetzt fest, dass alles real war.

Kurz darauf kommen die Thermianer zurück und brauchen erneut seine Hilfe. Nesmiths Crew wird in die Sache hineingezogen: Es stellt sich heraus, dass die Thermianer, eine friedliche und naive Spezies, in ihrer Ecke des Universums die Live-Ausstrahlungen von Galaxy Quest empfangen konnten, und weil sie keine Vorstellung von Fiktion haben, hielten sie die Sendungen für historische Aufzeichnungen. Sie begannen, ihre Gesellschaft nach dem Vorbild der Serie aufzubauen und die vermeintlichen technischen Errungenschaften nachzubauen. Als sie in Not gerieten, wandten sie sich an die vermeintlichen Helden und waren sicher, dass die Crew ihnen rettend beistehen würde.

Der Echtkampf im All in der eigenen Rolle fordert allen Crewmitgliedern eine Menge ab, aber sie lernen auch etwas dazu und entwickeln sich weiter. Der Captain muss einsehen, dass er auf die anderen angewiesen ist und sich ihr Vertrauen erst verdienen muss. Alexander Dane versöhnt sich mit seiner Rolle als Dr. Lazarus. Und obwohl Mathesar, der Anführer der Thermianer, irgendwann erfährt, dass die Geschichten um Galaxy Quest erfunden waren, finden auch die Thermianer die Kraft, weiterzukämpfen, und besiegen am Ende den Bösewicht.

Abgesehen davon, dass der Film das ganze Star Trek Universum herrlich veralbert und ein köstlicher Spaß ist, fasziniert mich der darin enthaltene Gedanke, dass Geschichten eine gewaltige Kraft entwickeln können.

Wenn wir uns auf ein Buch oder einen Film einlassen, leben wir für eine bestimmte Zeit in einer anderen Welt. Auch wenn unser Verstand weiß, dass diese Welt fiktiv ist, läuft in unserem Gehirn und in unserem Körper ein Prozess ab, der das Gelesene und Gesehene als Realität erlebt. Wird es spannend, erhöht sich unser Puls, stirbt eine geliebte Figur, empfinden wir Trauer. Verlieben sich zwei Menschen, empfinden wir ihr Glück mit.

Eine Episode von „Star Trek. The Next Generation“ treibt diese Vorstellung noch weiter. In ihr entdeckt die Crew eine Sonde, die um einen zerstörten Planeten kreist. Die Sonde stammte von den Bewohnern des Planeten und wurde dort platziert, damit sie jemand findet und der Planet und die Geschichte seiner Bewohner nicht in Vergessenheit geraten. Captain Picard fällt in eine Art Schlafzustand und erlebt in seinem Geist auf dem Planeten ein ganzes Leben. Er lernt Flöte spielen, hat eine Familie, lebt in dieser friedlichen Gesellschaft und stirbt irgendwann im Kreise seiner Lieben, und als er wieder aufwacht, weiß er erst gar nicht, wer er ist, weil für ihn tatsächlich 70 Jahre vergangen sind.

So ähnlich geht es uns, wenn wir aus einem langen Buch oder einem intensiven Film auftauchen: Wir haben das Leben eines anderen gelebt, haben gesehen und gefühlt, was er oder sie erlebt hat und was wir sonst vielleicht noch nie empfunden haben. Wir haben unvergessliche Einblicke erhalten und wurden mit Erkenntnissen beschenkt, die uns sonst verborgen geblieben wären.

So wie ich immer wieder zu den Filmen und Büchern zurückkehre, die mir etwas Einmaliges mitgegeben haben, möchte ich auch schreiben. Manchmal verzweifle ich an diesem Anspruch, vor allem, wenn ich an meine noch kaum existente Erfahrung im Prosaschreiben denke. Ginge es nicht etwas einfacher? Aber ich will schreiben, was ich selber lesen würde, was mich fasziniert, zu Tränen und Freudenausbrüchen bewegt und mir eine Erfahrung schenkt, die mein Leben verändert und bereichert. Und darunter gebe ich mich nicht zufrieden. Wenn es dauert, dauert es eben.

Wir wissen bis heute nicht genau, was die Geschöpfe auf diesem Planeten alles mit uns gemeinsam haben. Mit Sicherheit ist es eine Menge: Viele Tiere haben eine enorme Lernfähigkeit, sie sorgen füreinander und haben Gesellschaften, die unseren ähnlich sind, und es steht – zumindest für mich – außer Frage, dass sie Trauer, Freude, Wut und anderes empfinden. Ich glaube aber, dass das Erkennen einer Fiktion uns von den anderen Geschöpfen absondert und uns Menschen noch enger miteinander verbindet. Die Liebe zu Geschichten umspannt den Erdball und alle Menschen aller Epochen und aller Gesellschaften. Das beweist die Tatsache, dass die ganz großen Geschichten überall gelesen und geschätzt werden. Und dank Schauspielern wie dem gewesenen Alan Rickman erwachen sie manchmal optisch zum Leben und lassen uns auf ganz neue Weise an ihnen teilhaben.

Der folgende kleine Ausschnitt aus Galaxy Quest zeigt die Wandlung, die die Figur von Dr. Lazarus im Film gemacht hat. Er ist eine letzte Hommage an den großen Künstler und mein Sonntagsgruß an Euch. Und falls ihr wie ich auch manchmal daran zweifelt, ob ihr der Vision, die in Euch brennt, gerecht werden könnt: Schaut Euch noch die 40 Sekunden im unteren Ausschnitt an und lasst Euch vom Motto inspirieren, das der Captain in Galaxy Quest so gern zitiert: „Never give up, never surrender!“ (Niemals aufgeben, niemals kapitulieren!)

Welches war die erste Geschichte in Buch oder Film, die Euch gepackt hat? Gibt es Bücher und Filme, zu denen Ihr immer wieder zurückkehrt? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare!

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Bildquelle: Pixabay

Das gute 2016 ist schon mehr als eine Woche alt, und eigentlich wollte ich Euch schon längst mein „Wort des Jahres“ präsentieren. Ich hatte das Post frühzeitig begonnen, weil ich schon ziemlich sicher war, was es sein würde: Ich muss dieses Jahr Prioritäten setzen, um meine Ziele zu erreichen, und deshalb kam mir das Wort „Fokus“ in den Sinn. Weil ich noch nicht ganz zufrieden war, habe ich das Post liegen lassen und mir gedacht, dass mir das bessere Wort, das wohl in die gleiche Richtung gehen würde, schon noch einfallen würde.

Dann bin ich am Dienstag als erste Einlösung eines Neujahrsvorsatzes wieder mal auf den Hometrainer gestiegen, habe mich eine halbe Stunde moderat abgestrampelt und erleichtert festgestellt, dass mein mittelalter Body noch leidlich funktioniert. Als ich danach die Stille im Haus und die müde Nachtrainings-Zufriedenheit genoss, wurde mir klar, dass ich meinen Fokus doch anders setzen muss. Im Grunde hat mir Gott so etwas wie das hier mitgeteilt:

„Meine Liebe, das mit dem Fokus ist eine schöne Idee. Aber wenn wir es genauer betrachten, kannst Du das schon gar nicht schlecht, und ich habe keine Angst, dass Du Dich verzetteln wirst. Du läufst eher Gefahr, Dir zu viel Druck aufzusetzen, morgens schon Angst zu haben, dass Du nicht genug erledigst, und durch Deine Tage zu hetzen. Was Dir fehlt, ist das Leben im Jetzt.“

Und er hatte (natürlich) recht.

Ich lebe oft in meinem Kopf und selten in der Gegenwart. Ich beschäftige mich mit der Vergangenheit, analysiere meine Handlungen, frage mich, was richtig und was falsch war und was für Konsequenzen es in meinem Leben hatte, ob dies und das eine direkte Folge davon ist – alles aus dem Wunsch heraus, zu verstehen und „es künftig besser zu machen“. In gleicher Weise bin ich innerlich oft schon in der Zukunft, zähle auf, was ich heute und was ich morgen noch alles tun muss, krame Zettel hervor und mache To-Do-Listen, um „es im Griff zu haben“. Und wenn ich nicht in einer anderen Zeit lebe, lebe ich in einem anderen Universum wie dem meines Buches, in einem Film oder einem Roman, den ich lese oder gelesen habe.

Das ist alles gut und wichtig, aber der winzige Moment des Jetzt ist der einzige Moment, wo mir andere Menschen und Gott begegnen können, wo ich mich selbst spüren und leben kann.
Deshalb soll mein Jahresmotto heißen:

„JETZT ist die Zeit.“

Jetzt. Die warme Dusche am Morgen, ohne in Gedanken schon hinter dem Computer zu sitzen.
Jetzt. Im Auto durch den Regen zur Arbeit, dem Prasseln und der Musik lauschen, ohne in Gedanken schon vom Auto ins Büro zu hetzen.
Jetzt. Mit jemandem ein Gespräch führen, da sein, neugierig sein, ohne schon zu überlegen, was ich danach mache.

Wenn ich das „Jetzt“ genieße, gebe ich anderen und mir selbst mehr Raum. Ich spüre mich besser, erde mich und ich bin mehr „da“. Gerade als Mensch, der kreativ arbeitet, Geschichten mit neuen Welten und Charakteren erschaffen will, bin ich auf die Inspiration durch das wirkliche Leben angewiesen. Egal, ob ich Menschen beobachte, mich unterhalte, durch den Regen laufe, ein Lied singe oder bete: Die Gegenwart mit all ihren Facetten ist ein Füllhorn derIdeen, die ich zu neuen Geschichten verarbeiten kann.

Ich freue mich auf ein Jahr mit mehr „Jetzt“ und weniger „morgen will ich“ und „warum habe ich“. Und es hat schon gut angefangen. Letzten Freitag bedeutete „Jetzt“ einen schönen Vormittag mit einer befreundeten Sängerin und Songwriterin bei Müsli, Brötchen und Kaffee, einen Shoppingnachmittag und ein exzellentes Essen am Abend mit Freunden. Ich konnte an dem Tag nicht viel Produktives erledigen, aber ich habe ihn in vollen Zügen genossen, weil es das war, was „jetzt“ passierte.

Ich könnte auch sagen, ich „pflücke den Tag“, ganz nach dem von Horaz formulierten „Carpe diem“. Aber obwohl wir, wie Horaz es schreibt, nicht wissen können und sollen, wie viele Winter wir noch vor uns haben und ob dieser hier der letzte ist, glaube ich im Gegensatz zu ihm nicht, dass die Zeit mir missgünstig und feindlich gesinnt ist. Wenn ich sie aufmerksam betrachte, zeigt sie mir, wie kostbar das Jetzt ist, denn als Mensch, der an die Einmaligkeit unseres irdischen Lebens glaubt, bin ich mir bewusst, dass jeder Tag zählt. Und auch wenn ich glaube, dass es danach weitergeht – anders, gewaltig, unvorstellbar, nicht fassbar – behält dieses Leben seine Bedeutung. Hier lebe und wirke ich genau jetzt; es ist die Zeit, die mir geschenkt wurde, um sie zu gestalten und zu nutzen, zu genießen, um zu lieben, zu wagen und zu scheitern – Spuren zu hinterlassen.

Ich will die Zeit auskaufen, bis nichts mehr übrig ist! Bist Du dabei?

Hast Du auch ein „Wort“ oder „Worte“, die für Dich das neue Jahr symbolisieren? Wovon träumst Du, was wünschst Du Dir vom neuen und noch frischen 2016? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Facebook erweist sich immer mehr als Hüter der Vergangenheit, indem es einem Bilder, Posts und Statements der letzten Jahre vorführt. Mich mahnt das vor allem daran, dass die Jahre mit zunehmendem Alter immer schneller vergehen. Umso wichtiger wird es mir, zurückzublicken und mit dem Jahr abzuschließen. Wenn ich darüber sinniere, was ich in diesem Jahr erlebt und gelernt habe, fallen mir sieben große G‘s ein.

2015 war ein Jahr, in dem ich mir meiner Grenzen bewusst wurde und meinen Schwächen ins Auge sehen musste. Das war auch darum schmerzhaft, weil die Konsequenzen wie so oft nicht auf mich allein beschränkt blieben. Das muss ich akzeptieren, abgeben und mich damit und mit mir selbst versöhnen. Dabei ist mir klar, dass ich nie ausgelernt habe und wohl auch im nächsten Jahr meine Fehler mache, aber wie immer hoffe ich, dass ich zumindest nicht in die gleich Kerbe hauen werde.

Weiter habe ich dieses Jahr im Positiven wie im Negativen die Kraft der Gedanken erfahren. Sie sind der erste Schritt, auf den Worte und Taten folgen; diese wiederum formen unseren Charakter, der am Ende unser Schicksal mitbestimmt. In der Rückschau mahnt mich das, künftig besser über meine Gedanken zu wachen, ermutigt mich aber auch, wenn ich mir ihre gestalterische Kraft in Erinnerung rufe. Wenn ich mein kreatives Werk innerlich weiterspinne, schenkt mir das die Energie, mich jeden Tag hinzusetzen und befeuert meine Zuversicht, das, was momentan noch ungeordnet in meinem Hirn herumwuselt, auf die Reihe und zu Papier zu bringen.

Das dritte G habe ich in der Gnade und Barmherzigkeit erlebt, die ich gerade im Hinblick auf meine Schwächen dringend nötig hatte. Gott hat mich immer spüren lassen, dass er auch dann treu ist, wenn ich es nicht bin. Dabei ist ihm keineswegs egal, wenn ich mich falsch verhalte. Doch er bleibt an meiner Seite und spricht geduldig zu mir, bis er mein Herz erreicht.

Als viertes G betrachte ich das Glück. Ich habe zwar in einem Post darüber sinniert, dass die Jagd nach dem Glück nicht glücklich macht, aber Glück begegnet uns trotzdem – gerade dann, wenn wir es nicht suchen. Dieses Jahr unter anderem in einer Woche England mit ergreifenden Landschaften und geschichtsträchtigen Bauten, in der Zeit in Italien mit meiner Autorenfreundin Lee Strauss, wo wir viel Neues lernen und spannenden Menschen begegnen durften, in Ausflügen mit Patenkindern und Zeit mit der Familie. Nicht zuletzt an einem spannenden Krimiworkshop, der für mich ein ganz unerwartetes Ergebnis gebracht und mich auf meinem Weg bestärkt hat.

Wen ich einen Kunstgriff verwende und in die englische Sprache wechsle, kann ich ein fünftes G anfügen. Es ist das G, das ich als Schlüssel für die Zufriedenheit und Gelassenheit (auch ein gutes G-Wort) im Leben ansehe, und es heißt Gratitude – Dankbarkeit. Ich glaube, wenn wir es uns zur Übung machen, darüber nachzudenken, wofür wir dankbar sind, nehmen sehr viele kleine und größere Ärgernisse, über die wir uns gerade aufregen wollen, auf magische Weise die ihnen wirklich zustehende Größe an. Und ich kann für vieles dankbar sein: Für meine Gesundheit, für meine Familie und meine Freunde, für eine Vision und eine Berufung, für die ich mich geschaffen sehe und die mich begeistert.

Und für die genannten Höhen, aber genau so sehr für die Tiefen. Denn während ich an das denke, was mich weitergebracht hat, und hinter mir lasse, was unter „nicht so gelungen“ fällt, stelle ich fest, dass diese beiden oft zusammenfallen.

Und natürlich denke ich an das ultimative G, an meinen Gott, an den ich mit jeder Faser meines Herzens glaube. Und dieser Glaube, das letzte G für heute, ist ein Geschenk. Er ist nicht immer gleich stark, nicht immer gleich beschaffen, sondern wandelt sich stetig, während ich mich mit kritischen Stimmen und anderen Ideen auseinandersetze. Ich blende nicht aus, was in der Welt um mich herum geschieht, und das hat zur Folge, dass ich mir Fragen stelle und manchmal Zweifel in mein Herz einziehen. Was, wenn alles nur eine Illusion ist und wir in einer rein physischen Welt leben? Was, wenn all diese Gottesideen am Ende dasselbe sind? Wenn ich dann zu meinem Glauben zurückkehre, geschieht es nicht durch das Ausblenden dieser Fragen, sondern durch eine auf geheimnisvolle Weise neu gewachsene Überzeugung, die meinen Glauben gleichzeitig stärkt und am richtigen Ort umgestaltet.

An diesem Tag vor dem Übergang ins Jahr 2016 bin ich auch für Euch dankbar, die Ihr hier ab und zu oder immer wieder vorbeischaut und an meinen Gedanken teilhabt. Jeder, der schreibt und sein Geschriebenes öffentlich zugänglich macht, will gelesen werden, und da bin ich keine Ausnahme. Eurer Lesen, Eure Klicks, Likes, Shares und Kommentare zeigen mir, dass Euch etwas angesprochen und berührt hat, und dafür schreibe ich.

Ich wünsche Euch einen wunderbaren Übergang ins neue Jahr – einen, wie Ihr ihn Euch wünscht. Ob mit vielen Freunden, laut und fröhlich, ob allein oder zu zweit, in der Stille – landet gut und habt einen tollen Start. Ich freue mich auf weitere Begegnungen und interessante Diskussionen mit Euch.

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Be all blessed!

Herzlich, Claudia

Und wie war Dein 2015? Feurig, lauwarm, Achterbahn oder gemächlicher Spaziergang? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Bildquelle: Pixabay
Bildquelle: Pixabay

Leute, es ist Heiligabend! Und da ich dieses Post auch als 24. Türchen im Blogger Adventskalender schreibe und mich dort als Expertin für die spirituellen Fragen rund um Weihnachten angepriesen habe, gehe ich in diesem Post der simplen Frage nach, was wir heute eigentlich zu feiern haben.

Im Gegensatz zu Ostern oder, Gott bewahre, Pfingsten erinnern sich im Fall von Weihnachten die meisten noch vage an die ursprüngliche Geschichte. Ich möchte der Frage deshalb auf eine konkretere, persönlichere Weise nachgehen, und verrate Euch erst einmal ein offenes Geheimnis, das auch in meinen letzten Posts eine Rolle gespielt hat.

Ich bin ein „Erfüller“.
Immer noch.
*Seufz*

Ich arbeite daran und habe schon viele Schritte gemacht. Mein Buch-Debut enthält ein Kapitel zum Thema „Erwartungen erfüllen wollen und wie man das überwindet“, in dem ich meine Kämpfe und Offenbarungen niedergeschrieben habe. Ich habe zum Thema sogar ein Lied getextet. Dennoch kommt es öfters vor, dass Freunde mir raten, mal wieder Kapitel zwei meines Buches durchzuarbeiten.

Man wird solche Muster nicht so leicht los California region phone , und diese Vorweihnachtszeit war in punkto Erfüllersyndrom hammerhart. Ich fühlte mich all dem, was auf meiner Liste stand, hinten und vorne nicht gewachsen. Zwar habe ich mir in einem Post den Druck vom Herzen geschrieben, aber davon gehen die Anforderungen auch nicht weg. Wer kennt sie nicht? Im Job noch mal Vollgas geben. Ein aufgeräumtes Haus haben. Baum kaufen. Geschenke für Nichten und Neffen besorgen und keine Ahnung haben, was die denn so wollen könnten…nach Belieben zu ergänzen.

In diesen Tagen fühle ich mich manchmal so ungenügend, dass mir meine Zeit in der Militärverwaltung in den Sinn kommt. Das Schweizer Militär hat für den Zustand des Versagens eine eigene Abkürzung. Sie heißt nef, was so viel heißt wie: nicht erfüllt.

„Nef“ bin ich – und genau hier kommt für mich Weihnachten rein. Denn an Weihnachten feiern wir, dass es einen Ort gibt, an dem wir nicht erfüllen müssen.

Viele Religionen haben ihre Regelwerke, mit denen sich der Gläubige seine Erlösung erkaufen beziehungsweise erarbeiten kann: Er erfüllt die Anforderungen seines Gottes und verdient sich damit den Eintritt ins Allerheiligste und ins ewige Leben. Esoterische Ansätze funktionieren oft gleich: Es geht um „Aufstieg“, darum, sich seine Erlösung in ein besseres Ich zu erarbeiten. An Weihnachten feiern wir eine total andere Sicht, die einerseits ansatzweise deprimierend, andererseits unglaublich befreiend und beschenkend ist.

Der deprimierende Teil: Wir können uns Erlösung nicht erarbeiten. Wir werden niemals so „gut“, so „anständig“, so „heilig“ sein, dass es Gott genügt. Vielleicht klingt das dem einen oder anderen zu hart, aber ich zumindest gebe zu, dass ich es nicht kann. Ich bin kein Verbrecher, aber es vergeht kein Tag, an dem ich nicht einen lieblosen Gedanken hege, mich zu ansatzweise bösartigem Geschwätz hinreißen lasse oder sonst irgendwie danebenhaue.

Durch unsere Taten können wir nicht genügen, aber – und damit kommen wir zum befreienden Teil: Das müssen wir auch nicht. Für uns hat jemand anderes erfüllt, und diese unglaubliche Gnade feiern wir heute.

Mir fällt es immer wieder schwer, diese Gnade anzunehmen, wenn ich sehe, wo ich  scheitere. Aber wenn ich mir heute bewusst mache, wie uneingeschränkt und bedingungslos Gott mich annimmt, wenn ich das wirklich sacken lasse, dann wird etwas in mir weich, und in meinem Herzen öffnet sich ein Raum, macht es weit und füllt es auf.

Anstatt zu erfüllen, werde ich erfüllt. Denn ER füllt.

In der letzten Woche habe ich mir viele Male den Werbeclip der Berliner Vekehrsbetriebe mit Kazim Akboga angesehen (etwas für Freunde des speziellen Humors wie mich). Er interpretiert darin sein nihilistisches Lied „Is mir egal“ so um, dass eine Liebeserklärung der Ticketkontrolleure für die skurrilen Berliner herauskommt, mit Zeilen wie „Mann mach Umzug, is mir egal“, „Bart an Ladies – is mir egal“. Am Schluss singen die Kontrolleure: „Wir euch lieben“ – und so  empfinde ich die Gnade Gottes.

Gott liebt uns, egal was. Egal, wie skurril, verrückt und verdreht wir sind. Egal, ob wir in manchen Dingen auf dem falschen Dampfer fahren und noch einen weiten Weg vor uns haben.

Für ihn müssen wir uns an Heiligabend nicht in Seidenbluse und Samtschüpp werfen und unter dem Weihnachtsbaum ein gekünsteltes Lächeln aufsetzen. Sein Weihnachten fand in einem schmutzigen Stall statt, aber was er uns an diesem Tag mit der Geburt seines Sohnes in diese Welt geschenkt hat, ist einmalig, unkäuflich, unbezahlbar und immer wieder unbegreiflich.

Zugang und eine persönliche Beziehung zum Schöpfer des Universums.
Vergebung aller Sünden.
Ewiges Leben.

Wenn ich heute „Weihnachten“ denke, dann denke ich „Gnade“ – überschäumende, überquellende Gnade, die für alle Menschen reicht und geboren ist aus Gottes unermesslicher Sehnsucht und Liebe für seine Menschen – für jeden einzelnen. Für Dich und mich.

Und wenn Du heute feierst, wünsche ich Dir, dass Du nicht nur einen Zipfel dieser Gnade erhaschst, sondern die volle Breitseite abbekommst. Dass sie Dich aus den Schuhen haut und auf den Rücken wirft und Du nur noch breit und idiotisch lächeln kannst. Dass sie Dein Herz füllt und es nie mehr leer werden lässt.

Und egal, wo Du gerade stehst, was für Gefühle Du gegenüber Gott hast und ob Du überhaupt an ihn glaubst; egal, was in Deinen Augen in Deinem Leben schief läuft oder verkorkst ist oder von dem Du denkst, dass Du „so“ niemals zu Gott kommen kannst – ER sieht es anders. Um es im Kazim-Akboga-Slang zu sagen:

„Er Dich lieben – is ihm egal!“

Blogger Adventskalender

Mein Post beendet den Blogger Adventskalender – gestern war Julie dran, und mehr tolle Posts und Ideen rund um Weihnachten findet Ihr, wenn Ihr auf das obige Bild klickt. Frohe Weihnachten Euch allen!

Kürzlich habe ich auf Facebook (schon wieder!) einen Satz gelesen, der mir in dem Moment zu hundertfünfzig Prozent aus dem Herzen gesprochen hat. Er ging so:

„Sei ein Ermutiger! Kritiker hat die Welt schon genug.“

Bilduelle: Pixabay
Bildquelle: Pixabay

In meinem aktuellen Jahresendspurt inklusive dem altbekannten und altverhassten Gefühl, nirgends ganz und sowieso nie allen genügen zu können, hätte ich das gern all jenen an den Kopf geworfen, die ständig nur das Haar in der Suppe sehen und aus Prinzip etwas zu bemängeln haben. Es hat dann aber nicht allzu lange gedauert, bis mir bewusst wurde, dass dieser Satz in seiner Einseitigkeit genauso gefährlich ist wie sein Gegenteil.

Ja, es ist wahr: Menschen, die überall nur die Fehler und Probleme sehen, bringen andere Menschen und Gemeinschaften oft nicht weiter, weil sie die Leute entmutigen und ihnen irgendwann niemand mehr zuhört. Aber auch Menschen, die nur das Gute sehen und Probleme ausblenden, helfen damit weder anderen noch einer Gemeinschaft. Unter solchen Voraussetzungen können Missstände brodeln und irgendwann explodieren.

Leider neigen die meisten von uns zur Einseitigkeit: Entweder haben wir einen so scharfen Blick auf alles, was nicht perfekt läuft, dass wir das Gute nicht sehen können oder wollen, oder wir sind zu wohlwollend oder zu ängstlich und trauen uns nicht zu sagen, dass etwas in die falsche Richtung geht. Beide haben wir Gaben, die anderen nützen, können aber gleichzeitig voneinander lernen. Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, wie wir uns selbst etwas mehr „einmitten“ können, und das ist dabei herausgekommen:

An den Wohlwollenden
Wenn Du auftauchst, entspannen sich die Menschen. Sie spüren, dass sie angenommen sind, und Deine wertschätzenden und ermutigenden Worte geben ihnen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Du erweckst Vertrauen und schenkst den Menschen etwas Unvergleichliches: den Mut, ihre Masken fallen zu lassen.

Du darfst aber ruhig auch mal kritisch sein. Benenne, was Dir Bauchschmerzen macht. Denk daran, dass Du anderen mit Deiner Ehrlichkeit hilfst, und hab keine Angst, dass man Dich dann nicht mehr mag. Vielleicht triffst Du dabei auf Menschen, die sich gegen jede Kritik taub stellen und Dich spüren lassen, dass das nicht gewünscht ist, aber das könnte Deine Chance sein, die Dir zugedachte Rolle abzulegen und Dir eine authentischere Gemeinschaft zu suchen. Denn Menschen, die wissen, dass sie nie ausgelernt haben und die sich weiterentwickeln wollen, sind froh um ehrliches Feedback. Sie werden es Dir danken und Dich noch ernster nehmen, weil damit auch Dein Lob noch viel wertvoller wird.

An den Kritiker
Du hast eine einzigartige Sicht auf die Realität. Dir entgeht nichts, und Du hast einen siebten Sinn für alles, was noch besser laufen könnte. Außerdem scheust Du Dich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Gratulation zu Deinem Mut und Deiner Geradlinigkeit – sie sind so wichtig in dieser Welt!

Schade ist, dass Deine Worte nicht immer ankommen oder oft schon in einer ablehnenden Haltung entgegengenommen werden. Dass passiert, wenn Du vergisst, auch das Gute zu sehen und zu anerkennen. Denk daran, dass sich jeder Mensch nach Wertschätzung sehnt: Wenn Du Deiner Kritik ein positives Feedback vorausstellst und jemandem damit das Gefühl gibst, dass Du ihn als Mensch schätzt und mit seinen Fehlern annimmst, hat Deine Kritik weit bessere Chancen, auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Wir alle brauchen Menschen, die uns auf unserem Weg ermutigen, loben und anfeuern und solche, die uns darauf hinweisen, wenn etwas nicht, noch nicht oder nicht mehr gut ist. Und am wertvollsten sind Menschen, die beides können. Und der Schlüssel für beides ist Liebe und Wertschätzung.

Wenn ich jemanden liebe, ermutige ich ihn, freue mich an seinen Erfolgen und will, dass es ihm gut geht. Weil ich ihn liebe, will ich aber auch nicht, dass er in sein Verderben rennt. Darum nehme ich meinen Mut zusammen und sage ihm, was ich denke, auch wenn er es nicht gern hört.

Wenn ich mich mit einer Gemeinschaft identifiziere und sie liebe, ist mir wichtig, dass sie blüht und gedeiht. Ich freue mich an ihren Erfolgen und ermutige die Verantwortlichen, wenn etwas gut gelaufen ist. Wenn ich die Gemeinschaft liebe, macht es mir Sorgen, wenn sie sich in eine ungute Richtung entwickelt, und dann teile ich diese Sorgen den Verantwortlichen mit. Und wenn ich sie vorher habe spüren lassen, dass ich ihre Arbeit schätze und wahrnehme, werden sie meine Worte eher annehmen.

Lasst uns Menschen sein, die sich das Vertrauen anderer erwerben, indem sie wohlwollend und wertschätzend mit ihnen umgehen und darum auch dann angehört werden, wenn sie etwas Unangenehmes zu sagen haben. So helfen wir anderen Menschen und Gemeinschaften, das Beste aus sich herauszuholen.

Und lasst uns als Menschen ein Leben lang belehrbar und beeinflussbar bleiben und aus einem gesunden Selbstwertgefühl heraus andere auch dann anhören, wenn sie nicht unserer Meinung sind oder etwas zu sagen haben, das uns nicht gefällt. So lassen wir zu, dass andere das Beste aus uns herausholen.

Auf welcher Seite fällst Du vom Pferd? Bist Du der Wattebausch oder der Preisrichter, und hast Du andere Erfahrungen und Tipps zum Thema? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!