Popcorn-PerlenNachdem ich lange versprochen habe, mal wieder etwas Leichtfüßigeres zu bringen, stehe ich heute zu meinem Wort und präsentiere Euch eine amüsante Popcornperle. Sie verbindet die in der Luft liegenden Fragen der religiösen Verständigung mit riesigem Filmvergnügen. I proudly present einen meiner liebsten Filme überhaupt – „Die Abenteuer des Rabbi Jakob“.

An Hauptdarsteller Louis de Funès scheiden sich bekanntlich die Geister. Die einen lieben den kleinen, quirlig-nervösen Glatzkopf, die anderen hassen ihn. Wer ihn liebt, wird sicher weiterlesen; die andere Seite gebe sich einen kleinen Ruck und sehe sich zum Eingewöhnen den deutschen Filmtrailer an.

Quelle: Youtube

Im Mittelpunkt des Films steht der reiche Geschäftsmann Victor Buntspecht. Auf dem Weg zur Hochzeit seiner Tochter erfährt der mit einigen Vorurteilen behaftete Unternehmer zu seinem Entsetzen, dass sein Chauffeur Salomon – wer hätte das bei diesem Namen gedacht – nicht „katholisch wie alle Welt“, sondern Jude ist. Schlimmer noch: sein Onkel ist ein berühmter New Yorker Rabbiner. Buntspecht sieht erst gnädig darüber hinweg, aber damit ist es bald vorbei: nach einer Autopanne weigert sich Salomon wegen des beginnenden Sabbats, nach dem Eindunkeln weiterzuarbeiten. Buntspecht entlässt ihn erbost und macht sich auf die Suche nach Hilfe, aber das kommt nicht gut heraus: er landet in einer alten Kaugummifabrik, wo der Geheimdienst eines arabischen Landes gerade den Revolutionär Mohamed Larbi Slimane umbringen will, der im Fall eines Umsturzes Premierminister werden würde. Ungewollt verhilft Buntspecht ihm zur Flucht, aber nun ist ihnen der Geheimdienst auf den Fersen. Weil es in der Fabrik zudem ein paar Tote gegeben hat, verfolgt auch die Polizei das ungleiche Paar.

Am Flughafen von Paris kommt es fast zum Showdown, aber Buntspecht und Slimane können sich retten: sie überfallen auf der Flughafentoilette zwei Rabbiner, nehmen ihnen die Kleider, Bärte und Haarlocken ab und verkleiden sich. Allerdings werden sie von den wartenden Verwandten für die echten Rabbiner gehalten und mit ins jüdische Viertel genommen. Es stellt sich heraus, dass man Buntspecht für Rabbi Jacob hält – den berühmten New Yorker Onkel seines Chauffeurs Salomon. Notgedrungen muss er die für den Rabbi geplanten Empfangsfeierlichkeiten über sich ergehen lassen und aufpassen, dass er in kein religionstechnisches Fettnäpfchen tritt. Er schlägt sich ganz gut, obwohl er die jubelnde Menge erst mit dem Kreuzzeichen segnet. Als er von einer jüdischen alten Dame aufgefordert wird, einen Tanz mitzumachen, schickt er sich mit dem Mut der Verzweiflung hinein und entpuppt sich als gar nicht so unbegabt:

http://youtu.be/U5QAU63oVHE (kann nur direkt bei Youtube angeschaut werden)

Die Lage spitzt sich zu, als Buntspechts Frau ihn einer Affäre verdächtigt und dabei dem arabischen Geheimdienst in die Hände fällt. Dort landen schließlich auch Buntspecht und Slimane, aber im letzten Moment nimmt das Drama eine gute Wendung: Die Araber erfahren, dass die Revolution geglückt und Slimane jetzt der rechtmäßige Präsident der Republik ist, worauf sie ihn demütigst um Verzeihung bitten. Buntspechts Tochter verliebt sich in Slimane und heiratet ihn, und der echte Rabbi Jacob verzeiht Buntspecht die Maskerade und lädt ihn zu einem jüdischen Fest ein.

Der Film lebt natürlich vom typischen Spiel von Louis de Funès. Neben aller Situationskomik spielt der Film aber auch sehr gekonnt mit unseren Vorurteilen gegen Ausländer, andere Rassen oder Religionen, die in der Person von Buntspecht so gut verkörpert werden und heute so aktuell sind wie vor 40 Jahren. Die geniale Szene, in der Buntspecht die Anschuldigung seines Chauffeurs, er sei etwas rassistisch, zurückweist, ist ein tolles Beispiel dafür. Leider gibt es sie im Netz nur auf Französisch, aber Funès‘ Mienenspiel ist die halbe Miete zum Verständnis:

http://youtu.be/m1vL8iTNJmg (ebenfalls nur direkt bei Youtube möglich)

Gerade diese feine Art, ein solches Thema unterzubringen, macht den Film trotz Komik und Klamauk zu einem Mutmacher. Victor Buntspecht verliert während seiner Abenteuer die Berührungsängste gegenüber anderen Religionen und Rassen, freundet sich mit einem Rabbi an und lässt einen Araber in die Familie einheiraten (wobei er Gewicht darauf legt, dass seine Tochter „einen Präsidenten der Republik“ heiratet!).

Natürlich ist dieses Happy End simpel, und wenn ich mir allein die Konflikte in unserem Land ansehe, die sich um „das Fremde“ drehen, weiß ich sehr wohl, dass es mit „habt Euch doch alle etwas lieb“ nicht getan ist. Zum Teil gilt es, eklatante Missstände zu beheben, die die Aggressionen der Menschen gegenüber Flüchtlingen zu Recht aufflackern lassen. Dennoch: Wenn ich mir „Rabbi Jacob“ ansehe, kann ich nicht anders, als optimistischer zu werden. Wenn Menschen einander wirklich begegnen, verliert das Etikett „Ausländer“, „Jude/Muslim/Christ“, oder „Flüchtling“ schnell an Bedeutung. Darum bin ich gerade heute dankbar für diejenigen, die sich für solche echten Begegnungen einsetzen.

Wie stehst DU zu Louis de Funès – Top oder Flop? Macht er Dich rasend, oder findest Du ihn lustig? Und wenn ja, welches ist Dein Lieblingsfilm mit Funès? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

HundAls ich zehn Jahre alt war, wurde unsere Familie im Abstand von wenigen Wochen um einen kleinen Hund und eine kleine Katze erweitert. Der Zuwachs war ein Gewinn; vor allem meine Schwester und ich freuten uns sehr über die neuen Spielkameraden.

 

Quelle: Pixabay

Natürlich mussten die beiden auch ab und zu den Gang zum Tierarzt antreten. Ich weiß nicht mehr genau, was alles auf der Verletzungsliste stand, aber ich erinnere mich gut, was die beiden am meisten hassten: den ominösen Halskragen. Unser Hund musste mehrmals so ein Ding tragen, und sein Blick sprach jeweils Bände: „Wie könnt Ihr mir das antun? Habt Ihr kein Herz?“ Dabei war es nur zu seinem Besten: er hatte eine offene Wunde, die heilen musste, und der Halskragen war das einzige Werkzeug, das ihn erfolgreich daran hinderte, ständig daran herumzubeißen.

Wir Menschen sind ja eigentlich in der Lage und gescheit genug, solche Wunden in Ruhe lassen. Trotzdem üben sie oft eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf uns aus. Ich kenne das aus leidvollen Erfahrungen mit neuen Schuhen: erst entsteht eine Blase an der Ferse, die saumäßig wehtut. Dann heilt sie langsam ab, es bildet sich Schorf – und unwillkürlich fühle ich mich getrieben, daran herumzuzupfen und zu reißen, bis das „Rüfli“ ab, die Wunde wieder offen ist und der Spaß von vorne losgeht.

Warum ich dieser Versuchung immer wieder erliege, weiß ich nicht so genau. Was ich aber weiß, ist, dass sich dieser Drang nicht nur auf körperliche Wunden beschränkt. Oft reiße ich auch am Schorf meiner seelischen Blessuren, anstatt das Ding einfach mal in Ruhe zu lassen – mit dem Resultat, dass der Schmerz immer wieder neu aufflackert und die Wunde nicht heilen kann. Und ich nehme an, damit bin ich nicht allein.

Die Technologie unserer Zeit gibt uns leider unendliche Möglichkeiten, dieser Wundobsession zu frönen. Wer früher eine Beziehung beendete, konnte sich höchstens alte Liebesbriefe und Fotos wieder und wieder ansehen. Heute können wir unsere Verflossenen googlen und auf Facebook stalken. Wenn wir genug masochistisch veranlagt sind, sehen wir uns vielleicht auch noch ihre Schnappschüsse mit der „neuen Flamme“ an. Und auch bei anderen Beziehungsverletzungen kommt das Prinzip zum Tragen. Selbst wenn wir den Mechanismus durchschauen und genau wissen, dass es uns nicht gut tut, kehren wir doch immer wieder an den Ort des Schmerzes zurück.

Ich habe gemerkt, dass mein guter Wille oft nicht reicht und ich immer wieder aufs Neue loslassen muss. Aber das Beispiel mit unserem Hund hat mich auf eine neue Idee gebracht. Von heute an bete ich einfach, dass Gott mir einen geistlichen Kragen verpasst, der mich jedes Mal, wenn ich wieder am Schorf herumreißen will, von dieser zerstörerischen Handlung abhält.

Denn wenn ich es schaffe, die Wunde eine Weile in Ruhe zu lassen, kann sie ein Stück heilen. Selbst wenn ich später wieder „rückfällig“ werde, bleibt dieses Stück Heilung erhalten, und jedes Mal, wenn ich mich wieder entschließe, loszulassen, geht es etwas besser, nimmt der Schmerz ein wenig ab.

Diese Erfahrung ermutigt und tröstet mich, wen ich wieder in einem solchen Prozess stecke, der immer auch ein Abschiednehmen ist. Aber wenn wir nicht loslassen können, kann keine Heilung stattfinden und kann auch nichts Neues entstehen. In diesem Sinne: „Herr, ein Hundekragen!“

KindergrabenLetztens hat mich eine Freundin über meine Facebooktimeline gebeten, eine von ihr gestellte Frage in ein Post umzuwandeln. Das Thema ist ein harter Brocken, aber ich habe die Herausforderung angenommen, weil es mich auch betrifft und ich es spannend finde. Es betrifft einen Graben zwischen Menschen, der manchmal fast unüberwindbar scheint − den zwischen Eltern und Kinderlosen.

Mein Göttibub und ich vor langer Zeit – er wird bald 16!

 

Die Kommentare unter dem Post meiner Freundin haben aufgezeigt, wie unterschiedlich Wahrnehmung und Bedürfnisse sein können. Ein Vater fand es provokativ, wenn Nicht-Eltern ihm von ihrem Stress erzählten, während er sie im Alltag beobachtete und sah, wie oft sie sich ein paar freie Minuten nehmen oder spontan in einen Kurzurlaub fahren konnten. Ungewollt Kinderlose wiederum litten darunter, dass Eltern ihnen den mühsam erarbeiteten Seelenfrieden nicht abnehmen, weil sie nicht glauben können, das man ohne Schaden aus dem Albtraum ungewollter Kinderlosigkeit herauskommen kann.

Ich gehöre weder zur einen noch zur anderen Kategorie. Mein Mann und ich haben spät geheiratet und haben keine Kinder bekommen, aber wir hatten beide nie ein unstillbares Bedürfnis, eine Familie zu gründen. So gehören wir zu den Menschen, die unter der Kinderlosigkeit nicht leiden. Trotzdem haben wir unsere eigenen Probleme mit dem Thema.

Das Dilemma erinnert mich an mein Post „Fremde Welten“, und ich glaube, dass der Schlüssel zu einem besseren Miteinander auch hier in offener Kommunikation und im Willen beider Seiten liegt, in die „Haut des anderen“ zu schlüpfen.

Beide Lebensformen vereinigen schöne und schwierige Aspekte. Wer Kinder hat, trägt Verantwortung für das Leben anderer, muss viele Wünsche und Bedürfnisse unter einen Hut bringen und persönliche Bedürfnisse oft zurückstellen. Er kann seine Zeit nicht frei einteilen und muss einen großen Teil dieser Zeit für organisatorische Belange aufwenden. Damit einher geht oft eine finanziell angespannte Situation. Andererseits ist die Erfahrung, ein Kind zu bekommen, einzigartig und kostbar. Die Geburt eines Kindes verändert einen Menschen für immer. Ohne es selbst erfahren zu haben, glaube ich, dass Kinder dem eigenen Leben eine neue Dimension hinzufügen − als ob man aus einer zwei- in eine dreidimensionale Welt eintauchen würde. Das Leben wird chaotischer, anstrengender, aber auch tiefer und emotionaler. Und so hart und grenzwertig manche Erfahrungen auch sein mögen – ich habe noch nie Eltern getroffen, die ihre Kinder hergegeben hätten.

Das Leben ohne Kinder bietet auf den ersten Blick auch viel, gerade, wenn man nicht unter der Kinderlosigkeit leidet. Kinderlose können ihre Zeit neben der Arbeit selbst einteilen, können spontan in Urlaub fahren und nach einem stressigen Arbeitstag einfach die Füße hochlegen. Sie können auch mal vor dem Fernseher essen und jederzeit Filme schauen, die ihnen gefallen. Sie haben mehr Geld zur Verfügung. Dafür sind sie – besonders in einem bestimmten Alter – in gewissem Sinn Außenseiter in einer von Familien geprägten Welt. Sie werden als Egoisten oder Sonderlinge betrachtet. Sie müssen sich auf ein einsameres Alter einstellen und ihren Lebensstil rechtfertigen. Wenn sie gern Kinder gehabt hätten, müssen sie die Trauer überwinden.

Dreh- und Angelpunkt des Verständnisses und der guten Beziehungen scheint mir, dass man das „Leben der anderen“ weder durch die rosa noch durch die graue Brille betrachtet. Wenn wir nur die rosa Seite der „anderen“ anschauen, resultieren daraus Neid und negative Gefühle. Wenn wir nur die Schattenseiten betrachten, reagieren wir mit Unverständnis oder Mitleid auf die andere Seite, was auch belastend sein kann.

Für diejenigen, die sich bewusst für oder gegen Kinder entschieden haben, gehört zu einem umfassenden Blick meiner Meinung auch, sich selbst ab und zu an diese Entscheidung zu erinnern. Aus der persönlichen Sicht von jemandem ohne Kinder an die Adresse der „anderen“ meine ich damit: wer sich für Kinder entscheidet, kann sich vielleicht nicht vorstellen, wie grundlegend diese Entscheidung sein Leben auf den Kopf stellen wird. Aber er wird wissen, dass sich vieles ändern wird und er von bestimmten Freiheiten Abschied nehmen muss. Dass man diesen Freiheiten nachtrauert, ist menschlich; dass man sie anderen missgönnt und negative Gefühle schürt, ist unfair und fruchtlos und wird ein Miteinander erschweren.

Hier als erster Schritt der offenen Kommunikation die wichtigsten Bedürfnisse, die ich von Seiten der Kinderlosen herausgespürt habe oder selber kenne:

  • Ungewollt Kinderlose wollen nicht ständig bemitleidet werden. Sie haben meist einen Weg hinter sich, auf dem sie sich irgendwann mit ihrer Situation arrangiert haben. Wenn sie mit Euren Kindern etwas unternehmen wollen, ist das daher kein Zeichen, dass sie gerade eine Krise schieben. Fragt also nicht, „Oje, geht es Dir nicht gut?“ Glaubt ihnen, dass sie ihr Leben auch so genießen, und freut Euch an ihrem Interesse an Euren Kindern.
  • Betrachtet die freie Zeit der Kinderlosen nicht als Manipulationsmasse. Ob gewollt oder ungewollt kinderlos: wir haben uns arrangiert und nutzen diese Zeit. Wir sind gern mal flexibel und schätzen es selbst, dass wir das im Notfall sein können. Wenn Ihr uns aber kurzfristig um Unterstützung bittet, obwohl Ihr schon lange wisst, dass Ihr an dem Tag Unterstützung braucht, vermittelt Ihr uns das Gefühl, dass unsere Lebenszeit weniger wichtig ist als Eure.
  • Sagt uns, was Ihr von uns möchtet – wir können es nicht erahnen, weil wir das „Leben vor dem Kind“ führen und die Umwälzung nie erlebt haben. Auch sprechen manche von uns nicht so gut „kind“-isch und sind unsicher, was man machen kann und soll und was nicht. Dahinter steckt weder Desinteresse noch Unwille. Wenn Ihr merkt, dass wir zu der Sorte gehören – macht uns keine Vorwürfe, sondern helft uns und gebt uns Hinweise.

Bevor das Post noch viel länger wird, werde ich hier einen Punkt setzen. Ich weiß nicht, ob ich von der Warte der Kinderlosen alles abgedeckt habe, und freue mich auf weitere Hinweise und Kommentare.

Vor allem aber öffne ich die Kommunikation und hoffe auf Euch Eltern: teilt uns Eure Bedürfnisse mit! Wo tut unser Verhalten Euch weh? Was wünscht Ihr Euch von uns? Teilt mit uns, wie Ihr Euer Leben erlebt und wo wir Euch besser verstehen und unterstützen können!

NazarenerzeichenIch scheine momentan in einer Laune für inhaltsschwere Posts zu sein – ich verspreche allen Besserung, die schon lange auf etwas Leichtfüßigeres hoffen. Die letzten Wochen haben uns ja leider in dieser Hinsicht wenig geboten, dafür umso mehr Absurditäten aus dem Inland, Abscheulichkeiten aus dem Nahen Osten und anderes, worüber ich stolpere und das mich beschäftigt.

 

Der Irak ist momentan neben dem Nahen Osten der Hot Spot für schockierende Nachrichten, und die Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley war eine dieser „Hot News“. Sie macht es mir schwer, den Islam nicht an dieser grausamen Frucht seiner radikalsten Anhänger zu messen. Wenn ich meinen Fokus dann auf die radikale Christenheit lenke, stoße ich in letzter Zeit leider ebenfalls auf Grenzwertiges und Grenzüberschreitendes. Als ein Beispiel mögen die Anhänger der Westboro Babtist Church genügen: sie verbreiten konstant Hass gegenüber allen, die inner- oder außerhalb der Kirche nicht nach ihrer Interpretation der Bibel leben. Ihre Wortführer morden nicht, aber aus ihren Tiraden geht klar hervor, dass sie bestimmte Gruppen von Menschen am liebsten tot sehen würden. Nach dem Selbstmord von Robin Williams haben sie einen Hasstweet abgesetzt, dass er „ewig in der Hölle verrotten“ solle.

Abscheulichkeiten wie die der IS und Hasspredigten wie die der Baptisten von Westboro gießen zur Zeit eine Menge Wasser auf die Mühlen derer, die mit Religion nichts am Hut haben: wenn man sich auf diese Übel konzentriert, könnte man tatsächlich folgern, dass jeder radikale Glaube nur das Böse im Menschen hervorbringt.

Aber nur fast.

Ich distanziere mich mit jeder Faser meines Seins von Menschen und Kirchen, die Hass gegenüber Andersgläubigen und anders Lebenden säen. Aber ich weigere mich, meinen Glauben zu relativieren, und ich wehre mich gegen die obige Schlussfolgerung.

Dass radikaler Glaube auch hässliche Blüten treibt, kann niemand bestreiten – ob Christ, Muslim oder Jude (um mal bei den drei großen monotheistischen Religionen zu bleiben). Doch in jeder dieser Religionen finden sich auch Menschen, die ihre Aufgabe darin sehen, Brücken zu bauen. Ich denke an die in der Schweiz beheimatete internationale christliche Organisation „Gemeinschaft der Versöhnung“, die sich für die Förderung des Friedens und die Versöhnung befeindeter Volksgruppen einsetzt, oder an den Dirigenten Daniel Barenboim. Er hat sowohl einen israelischen als auch einen palästinensischen Pass und führt das West-Eastern Divan Orchester, das aus israelischen und arabischen Jugendlichen besteht. Ich denke aber auch an die vielen Menschen in der Schweiz, die sich für den interreligiösen Dialog einsetzen, oder an die Organisation „Granges Mélanges“, die in meiner Heimatstadt Wertvolles für die Integration von Menschen aus allen Kulturen leistet.

Ich weiß nicht, was diese Menschen glauben. Aber ich will und werde mich niemals dafür schämen, eine radikale Christin zu sein. Denn obwohl ich für andere Religionen nicht sprechen kann, bin ich überzeugt, dass das obige christliche Beispiel das Resultat eines falsch verstandenen, auf Abwege geratenen Glaubens ist. Jesus hätte an den Hasstiraden der Westboro-Babtisten keine Freude gehabt. Er hat Klartext gesprochen, wann immer es nötig war, und die Dinge beim Namen genannt, aber er hat es in Liebe getan – immer mit dem Ziel der Wiederherstellung. Er hat nie einen Menschen aufgegeben oder abgeurteilt.

Als Christin stehen für mich drei Ziele im Zentrum: das gemäß Jesu Aussage wichtigste Gebot zu halten und Gott mit allem zu lieben, was ich bin, und meinen Nächsten wie mich selbst; Jesu Auftrag an seine Jünger zu erfüllen und meinen Glauben weiterzugeben, und Gottes Liebe für andere Menschen erfahrbar zu machen, indem ich mich danach ausstrecke, Jesus jeden Tag ähnlicher zu werden.

Alle drei sind nicht einfach, und das letzte wird erst wirklich vorbracht sein, wenn ich ihm Auge in Auge gegenüberstehe. Wenn ich meinen Glauben radikal, unverdünnt und unverblümt teile und offenlege, muss ich damit leben, dass meine Handlungen als Früchte dieses Glaubens angesehen werden – die Guten, die Mittelmäßigen und die mit Wurm. Trotzdem will ich zu meinen Schwächen stehen und mein Leben nicht beschönigen.

Denn im Grunde gibt es kein kraftvolleres Zeugnis für den christlichen Glauben als Menschen, die sich in all ihrer sichtbaren Unvollkommenheit und Zerbrochenheit geliebt, erlöst und sicher fühlen – so sicher, dass sie sich nicht scheuen, anderen die Pickel und Narben auf ihrer Seele zu zeigen und dennoch auszustrahlen, dass sie im Frieden mit sich sind. Als Gebäude „under construction“, willig, sich zu verändern, aber im Wissen darum, dass nichts sie von der Liebe ihres Gottes trennen kann.

Introvert 6Letzten Sonntag habe ich mich mit einem Mitglied unserer Gemeinde über die Ferien unterhalten. Meine fangen bald an, und ich werde sie daheim verbringen. Auf die Frage, ob das nicht etwas hektisch sei, weil viel Besuch hereinschneien könnte, antwortete ich, dass unsere Freunde genau wüssten, dass wir überfallartige Besuche nicht so schätzten.

 

Daraufhin meinte sie überrascht, sie hätte mich als aufgeschlossen und kontaktfreudig eingeschätzt. In den Worten von Bill Murray in „Und täglich grüsst das Murmeltier“: Bin ich. Bin ich. Aber ich bin auch ein introvertierter Mensch.

Amerika, das Land der exzessiven Extrovertiertheit, fängt gerade an, diese Eigenschaft nicht mehr als zu korrigierende Persönlichkeitsstörung anzusehen, und nach der Lektüre zahlreicher Beiträge zu diesem Thema ist mir noch klarer geworden, was den introvertierten Menschen ausmacht. Im Sinne des besseren Verständnisses lasse ich Euch heute an einigen Hauptmerkmalen unserer Spezies teilhaben. Es sind nämlich nicht immer die, an die man denken würde.

Umgepolter Energiefluss

Unter Menschen zu sein, uns zu unterhalten und Beziehung zu pflegen kostet uns Energie. Das heißt nicht, dass es uns keine Freude macht, aber es leert unsere Speicher. Früher oder später müssen wir uns zurückziehen können, um dort aufzutanken, wo es uns möglich ist: im stillen Kämmerlein. Ich liebe Abende allein zuhause, und wenn mein Mann einmal im Jahr mit seinen besten Freunden in ein Männerwochenende fährt, kenne ich nichts Schöneres, als drei Tage für mich zu haben. Ich stehe auf, schreibe, singe lese, gehe spazieren, sehe fern und esse was, wann immer mir danach ist.  Manchmal geht das Wochenende vorbei, ohne dass ich mit einer Menschenseele gesprochen habe, und das füllt meine Batterien wie nichts anderes.

Introvertiert heißt nicht scheu

Ich habe keine Probleme, vor anderen zu sprechen – in der Gemeinde leite ich Lobpreis und mache ab und zu die Moderation im Gottesdienst. An der Launchparty meines CD-Buchs habe ich gesungen, gelesen und moderiert, ohne dass es mich verrückt gemacht hätte. Ich bin nicht scheu, wenn ich auch in neuer Gesellschaft erst zurückhaltend bin. Natürlich gibt es scheue Introvertierte, aber die Schüchternheit ist kein zwingendes Attribut. Und die Gleichsetzung der Begriffe hat zur Folge, dass Menschen wie ich falsch eingeschätzt werden.

Feine Antennen und eine gute Beobachtungsgabe

Introvertierte sind gute Beobachter; viele Schriftsteller gehören zu unserer Sorte. Sie nehmen Details wahr, die anderen entgehen, und können gut in anderen Menschen lesen. Darüber hinaus haben sie oft ein feines Gespür für Stimmungen, Spannungen und Dinge, die unter der Oberfläche geschehen.

Wohl und Wehe des (christlichen) Introvertierten

Die falschen Vorstellungen über das Wesen der Introvertieren führen dazu, dass man uns Dinge vorwirft, für die wir nichts können. Wenn wir uns in Gesellschaft kurz zurückziehen, gelten wir als Partybremsen oder Unsoziale. Wenn wir keine weiteren Termine wollen, gelten wir als Egoisten. Gerade als Christ fühle ich mich mit meiner „Veranlagung“ manchmal fehl am Platz, weil die unbegrenzte Gastfreundschaft so auf den Schild gehoben wird. Es gehört sich, ein „offenes Haus“ zu haben, während Christsein und „My home is my castle“ irgendwie nicht zusammen zu gehen scheint. Hier möchte ich für ein erweitertes Bild der Gastfreundschaft werben, denn auch wir Introvertierte können gastfreundlich sein. Wenn ich Leute einlade, habe ich Freude daran, sie zu bewirten, auf sie einzugehen und mit ihnen einen schönen Abend zu verbringen. Aber ich widme mich ihnen gern im kleineren Kreis und so, dass ich es planen und mich darauf einstellen kann.

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Seid ihr nun völlig überwältigt von diesen komplizierten Typen, die sich Introvertierte nennen? Nur die Ruhe – so schwierig ist das Zusammenleben mit uns nicht. Die folgenden heißen Tipps werden Euch helfen, die Intros in Eurer Umgebung artgerecht zu behandeln:

Dosiert Überraschungen im terminlichen Bereich

Auch wir Introvertierten (jedenfalls die halben Chaoten, wie ich einer bin) können damit umgehen, wenn sich Pläne ändern,  und können uns auf etwas Neues einstellen. Aber wir ziehen es vor,  soziale Kontakte zu planen. Wenn ich mit jemandem ein Treffen vereinbare, stelle ich mich darauf ein, bin dann voll präsent und genieße es. Anrufe um fünf für einen Feierabenddrink um sechs sind dagegen nicht so mein Fall, und spontane Besuche überfordern mich. Wer in der Gegend ist und kurz vorbeikommen will, möge zumindest vorher kurz anrufen (oder noch lieber eine SMS schicken, damit ich mir in Ruhe überlegen kann, wie es mir geht und ob ich Besuch will).

Nehmt unsere Art nicht persönlich

Die vielen Eindrücke, die wir in Gesellschaft aufnehmen, schwächen unsere Schutzschilde. Wenn wir zu lange zu viele Menschen um uns haben und uns nicht zurückziehen können, fühlen wir uns wie das Raumschiff Enterprise mit 10 Prozent Energie auf den Schilden. Irgendwann bricht der Schild, und wir fühlen uns nackt und verwundbar – Stimmungen, Eindrücke und Emotionen der Umgebung prasseln ungehindert auf uns herein. Dann versuchen wir abzuschalten und die Menschen innerlich auf Distanz zu halten. Wir reden und beteiligen uns äußerlich, aber es kostet uns immer mehr Anstrengung. Dadurch wirken wir manchmal unfreundlich, abweisend oder sogar arrogant. Wenn ihr so einen Eindruck von uns habt – fragt uns einfach, ob wir einen Overflow haben. Wir werden für das Verständnis dankbar sein!

Urteilt uns nicht als Egoisten ab

Wir wollen nicht einfach unser egoistisches kleines Leben führen – wir können schlicht nicht funktionieren, wenn wir nicht genug Zeit für uns selbst haben, und mit leeren Batterien bringen wir auch anderen nichts. Unser Bedürfnis nach dem Alleinsein ist existenziell, und wenn uns jemand gar kein Verständnis entgegenbringt und durchblicken lässt, dass er uns für eigennützig hält, verletzt uns das.

Fordert uns heraus – aber liebevoll

Ich gebe es zu: wenn man den Introvertierten einfach in Ruhe lässt, besteht die Gefahr, dass er nur für unabdingbare Verpflichtungen aus seiner Höhle herauskriecht. Wir wissen das und sind dankbar, wenn andere ab und zu an die Höhlentür klopfen. Aber tut es sachte und vorsichtig. Überrumpelt und manipuliert uns nicht: das nehmen wir sehr übel, und es wird Eure Chancen, beim nächsten Mal unser Wohlwollen auf Eurer Seite zu haben, empfindlich verkleinern.

Der letzte Appell

Glaubt uns, dass wir nicht anders können und dass dies kein Charakterfehler, sondern eine Charaktereigenschaft ist. Akzeptiert unsere Andersartigkeit. Erzählt uns nicht ständig, wie toll ihr Leute findet, die ein offenes Haus haben und so wunderbar spontan sind. Das nehmen WIR nämlich persönlich. Versucht, unsere Introvertiertheit als etwas Positives zu sehen: wir haben in Gesellschaft die Gabe, uns voll und ganz auf den anderen einlassen. Wir müssen nicht im Mittelpunkt stehen und hören gern zu. Aber dafür müssen wir genug Ressourcen haben. Lasst uns diesen Raum, ohne uns anzuklagen oder als unsozial abzuschreiben. Es lohnt sich auch für Euch.

Und wie geht es Euch anderen?! Aufruf zur Völkerverständigung!

Dieses Post hat mir gezeigt, wie fremd wir einander sein können und wie wenig wir manchmal verstehen, was im anderen vorgeht. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn das Alleinsein einen auslaugt und  man im Zusammensein mit anderen Energie tankt. Nachdem ich also meine Befindlichkeit so ausführlich ausgebreitet habe, lade ich Euch herzlich ein, dasselbe zu tun:

Wie ist das Leben als Extrovertierter? Worunter leidet Ihr?
Was müssen wir Intros wissen, um besser auf Euch einzugehen?
Was macht Ihr, wenn Ihr auftanken wollt und niemanden habt, der etwas mit Euch unternimmt?
Tanken Extrovertierte bei allen Menschen auf, oder kommt es darauf an, wer es ist – und ist das Motto „Je mehr, desto besser?“
Und Ihr Intros da draußen: habe ich es getroffen? Oder erlebt Ihr das Introvertiertsein ganz anders? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

ecard009Momentan lesen wir in unserer Kleingruppe ein Buch, an dem wir uns die Zähne ausbeißen. Der Autor Lawrence Crabb hat unter anderem „Christsein ohne K(r)ampf“ geschrieben; ein Buch, das ich sehr schätze. Unsere aktuelle Lektüre „66 Liebesbriefe“ hat den Anspruch, uns näher an Gottes Liebe heranzuführen. Allerdings scheint dieses Ziel gerade meilenweit entfernt.

Bildquelle: www.life-is-more.at

Die bisherigen Kapitel hatten alle den Tenor: „Du wirst meine Liebe erst spüren, wenn Du am tiefsten Punkt angelangt bist“ und werfen uns in ein Wechselbad der Gefühle und offenen Fragen. Müssen wir erst am Boden liegen, um Gott wirklich zu erfahren? Nimmt Gott uns gezielt alles weg, damit wir ihn erkennen? Muss alle Musik in unserem Leben ersterben, damit wir sein Liebeslied hören können?

Diese Fragen katapultieren mich zurück in eine Wüsten-Phase meines Lebens. Ich hatte damals fast alles – Gesundheit, Freunde, einen gut bezahlten Job und ein schönes Zuhause. Aber meine Beziehung war zerbrochen, und mir wurde schmerzlich bewusst, wie sehr ich mich trotz meines Glaubens an Gott noch immer auf meinen Partner als Zentrum und Sinn meines Lebens ausgerichtet hatte. Die Trennung stoppte die Musik und schien nur Leere zurückzulassen.

Doch obwohl es eine einsame und herausfordernde Zeit war, ist mir bewusst geworden, dass ich mich gern daran erinnere. Die Nähe, die ich in dieser Zeit zu Gott hatte, ist immer noch einer der kostbarsten Schätze meins Lebens: Ich habe jeden Tag zu ihm gebetet und gesungen, mich nach ihm ausgestreckt. Er war der Grund, warum ich morgens aufstand und arbeiten ging. Er war da, wenn ich mich einsam fühlte.

Heute bin ich an einen völlig anderen Ort. Ich bin „sesshaft“ geworden, habe geheiratet, habe meine Berufung und eine tolle Gemeinde an meinem Wohnort gefunden. Ich will das nicht missen. Aber wenn ich an die Nähe zu Gott denke, wird mir klar, dass diese dunkle, wüstenartige Zeit etwas Besonderes war. In der Leere war ich endlich fähig, Gott zu hören und zu erleben.

Kommt Gott also nur nahe zu uns, wenn es uns richtig mies geht? Können wir seine Liebe in guten Zeiten niemals richtig erfahren? Ich glaube das nicht. Wir sind es, die sich in den guten Zeiten anders ausrichten, und ich glaube, darauf weist uns Gott immer wieder hin: sobald wir etwas anderes haben, das uns Freude bereitet, trägt und stärkt, beziehen wir unsere Kraft und Identität von dort, anstatt an die Quelle zu gehen – weil wir zutiefst stolz sind und uns nur auf eigene Errungenschaften verlassen wollen.

Ich bin sicher, dass Gott uns das Schöne und den Segen in unserem Leben nicht vermiesen will. Wir sollen uns daran freuen und es genießen. Aber er will, dass wir unsere Lebensenergie nicht von etwas anderem, sondern von ihm beziehen. Wenn Jesus allein der Eckstein unseres Lebens ist, können wir in der Beziehung zu ihm auch das volle Maß seiner Liebe erfahren – auch in den guten Zeiten. Es ist ein Kampf zwischen unserem stolzen Herzen, das sich auf niemand anderen stützen will, und dem Geist Gottes, der in uns lebt, und wir müssen ihn jeden Tag aufs Neue angehen. Aber es lohnt sich.

Ich bin für die erlebten Tiefen in meinem Leben dankbar, weil sie meine Beziehung zu Gott stärker gemacht haben. Die Erinnerung daran erhöht meine Sehnsucht nach dieser Nähe und hilft mir, mich immer wieder auf ihn auszurichten. In Dankbarkeit für all das Schöne, was er schenkt, und doch im Wissen, dass mein Leben nicht davon abhängt.

Wir singen in der Gemeinde ein Lied, in dem das Jesus-Eckstein Thema kraftvoll und berührend auf den Punkt gebracht wird. Heute höre ich mir dieses Lied an und spüre aufs Neue, dass Jesus mein realer Herr und Freund ist. Und ich weiß, dass er sich darüber freut.

Quelle: Youtube

Wie erlebst Du die „guten und schlechten Zeiten“ und Gottes Nähe darin? Fällt es Dir leicht, die Freuden des Lebens zu genießen? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

 

 

Benis Perle 3„Die Fähigkeit, das Leid um des Guten, um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen anzunehmen, ist unverzichtbar und bestimmt das Maß der Menschlichkeit. Wenn mein Wohlbefinden, mein Unverletztbleiben wichtiger ist als Wahrheit und Gerechtigkeit, dann gilt die Herrschaft des Stärkeren; dann dominiert die Gewalt und die Lüge. Die Wahrheit, die Gerechtigkeit muss über meiner Bequemlichkeit und meiner physischen Unversehrtheit stehen, sonst wird mein Leben selber zur Lüge.“

Kürzlich bin ich beim Lesen eines Posts über dieses Zitat gestolpert. Im Original ist es noch etwas umständlicher formuliert; es stammt von einem sehr belesenen und intellektuell brillanten, aber eher trockenen Gelehrten. Die Zeilen sind ein Ausschnitt aus §38 der Enzyklika „Spe salvi“ von Benedikt XVI., und sie haben mich zum Nachdenken gebracht.

Im ersten Augenblick habe ich nicht gesehen, was das alles mit mir tun hat. Wann muss ich in unseren verwöhnten Breitengraden schon um meine physische Unversehrtheit fürchten, wenn ich für Gerechtigkeit einstehe? Wann muss ich Leiden in Kauf nehmen? Beim näheren Betrachten ist mir aber aufgegangen, dass sich auch abstrakte Begriffe wie Unversehrtheit, Wohlbefinden, Wahrheit und Gerechtigkeit auf mein Alltagsleben herunterbrechen lassen.

Ich habe auch schon Situationen erlebt, in denen ich mich entscheiden musste, ob ich mein eigenes Wohl oder einen ethischen Wert höher gewichten will, und leider handle ich nicht immer so couragiert, wie ich es mir wünschen würde. Wenn ich realisiere, dass eine konsequente Handlung mich in eine unbequeme Lage bringen könnte, finde ich manchmal rasch einen Grund dafür, gerade jetzt nichts zu tun. Ich bringe Ausreden wie „Es würde ja doch nichts ändern“ oder verschiebe es auf später à la „Vielleicht kann man das mal in einem ruhigen Augenblick ansprechen“ – und mache nichts.

Das liegt zum einen an meiner leider noch nicht ganz überwundenen Gefallsucht und Konfliktangst – ein Teil von mir möchte immer noch, dass alle mit mir zufrieden sind und krümmt sich innerlich beim Gedanken, dass jemand meine Aktionen oder Worte missbilligt. Zum anderen ist mir klar, dass es in den wenigsten Fällen eine absolute Wahrheit gibt und dass mein Eindruck falsch sein kann. Was mich stört, ist für andere völlig in Ordnung. Und was ich normal finde, kann jemand anderen in den Wahnsinn treiben.

Ob ich es doch wage, hängt oft davon ab, was für Reaktionen ich erwarten kann. Wenn ich spüre, dass mein Feedback willkommen ist, werde ich es eher wagen, meine Meinung zu sagen. Wenn ich hingegen auf einen vorsichtigen Versuch hin eine abwehrende Reaktion erhalte, gebe ich erst einmal Ruhe, und je länger die unbefriedigende Situation anhält, desto eher laufe ich Gefahr, zu resignieren und mich zurückzuziehen. Auch wenn es nutzlos ist, bedauere ich heute Situationen, in denen ich zu lange gezögert habe, weil ich Angst hatte, jemanden zu verletzen, mich unbeliebt zu machen oder eine Beziehung aufs Spiel zu setzen. Genützt hat mein Zögern nämlich auch in dieser Hinsicht nichts.

Was nicht ist, kann noch werden, und auch wenn die Menschheit aus der Geschichte wenig bis nichts lernt, will ich mich damit persönlich nicht zufrieden geben. Ich will mein Wohlbefinden, in diesem Fall das Bad in konfliktfreien Gewässern und ohne Gegenwind, nicht höher werten als das Einstehen für das, was ich richtig und gerecht finde, auch wenn ich weiß, dass ich selbst nicht immer den absoluten Durchblick habe. Am Ende bleibt uns nichts anderes, als nach Abwägung verschiedener Sichtweisen zu entscheiden, wie wir eine Sache beurteilen, und danach zu handeln.

Wenn wir das tun, riskieren wir etwas. Vielleicht entstehen erst einmal negative Gefühle, vielleicht werden wir ausgelacht, angeklagt oder abseits gestellt. Aber wir stählen unsere Muskeln der Zivilcourage, denn unsere kleinen Entscheidungen im Alltag formen uns für größere Herausforderungen und bestimmen mit, wie wir uns verhalten werden, wenn einmal eine schwierigere Aufgabe vor uns liegt.

Wie wollen wir in unserem friedlichen Land sonst lernen, für etwas einzustehen? Wo wollen wir üben, aus unserer Komfortzone herauszukommen und böse Blicke und Verurteilungen auszuhalten, wenn nicht in bescheidenen Alltagssituationen, wo es vermeintlich „nicht so wichtig ist“?

Bei allem Wissen darum, dass Wahrheit, Gerechtigkeit und das Gute Begriffe sind, die von allen Seiten in Anspruch genommen werden und sich in einer Konfliktsituation nicht immer klar zuweisen lassen, will ich mich nicht hinter dieser Relativierung verstecken. Ich will darauf vertrauen, dass mich mein Urteilsvermögen nicht täuscht, und neben den Fakten weiterhin meinem im Rückblick recht treffsicheren Bauchgefühl vertrauen, das mir sagt, wenn etwas faul ist.

Inmitten dieser Grübeleien ist mir das Sprichwort in den Sinn gekommen, das unter anderem den Chinesen, dem Talmud  und Ghandi zugeschrieben wird (soviel zu verschiedenen Sichtweisen):

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden zu Worten.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden zu Handlungen.
Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden zu Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.

Ich will die Gedanken, die ich hier in Worten ausgedrückt habe, in Handlungen umsetzen. Dann können sie zu Gewohnheiten werden und meinen Charakter formen, der mein Schicksal mitbestimmt.

Was bedeutet für Dich „Zivilcourage“? Fällt es Dir leicht, für etwas einzustehen? Wo findest Du es am schwierigsten: in der Öffentlichkeit, Zuhause oder unter Freunden? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

 

Scheener Tag 4Gestern habe ich wie so oft über einem grüblerischen, ernsten Post zu einem inspirierenden und herausfordernden Zitat gesessen. Ich wollte es heute noch etwas weniger besserwisserisch gestalten und Euch servieren, aber dann bin ich in die Stadt gelaufen, um auf dem Markt einzukaufen – und habe mich anders entschieden. Ich sage einfach danke.

 

Für einen schönen Tag.

Scheener Tag 6Für meine Schwiegereltern, die mit mir den Garten in Form gebracht haben. Immer nehmen sie sich Zeit und arbeiten unermüdlich, nehmen Anteil an unserem Leben und lassen uns an ihrem und dem der Familie teilhaben. Es tut gut, zusammen Zeit zu verbringen.

 

 

Für geniales Wetter und eine Blütenpracht, die das Auge und das Herz freut, manchmal aufleben und manchmal ruhig werden lässt.

Scheener Tag 1

scheener Tag 2 links

Scheener Tag 5

 

 

 

 

 

Für alles Phone Number Trace , was mir immer wieder geschenkt wird – Gesundheit, Freundschaft, Liebe. Und vieles mehr.

Das nächste grüblerisch-ansatzweise-besserwisserische Post kommt sicher auch bald. Aber heute will ich mit „Spider Murphy Gang“ sagen: „So a scheener Tog!“.

Ein schöner, ein wunderbarer Tag. Und mit einem kleinen Extra wäre es der Tag der Superlative.

20140620_205454Hopp Schwitz – you can do this!

Schaut Ihr auch etwas Fussi – oder wendet Ihr Euch gerade mit Grausen ab? Und freut Euch lieber am schönen Garten? In jedem Fall: geniesst das Wochenende, und auch Euch ein danke – schön, dass Ihr immer wieder mit mir auf Reisen geht!

 

 

Sommer 3Nach diesem Pfingstwochenende mit Höchsttemperaturen schwelge ich immer noch im Sommerhoch. Auch heute Morgen sind die Temperaturen schon wunderbar – wunderbar, wenn man so was mag. Hiermit oute ich mich als Fan von 25+ und liefere sechs Topgründe für meine Zugehörigkeit zu „Some like it hot!“:

 

Endlich sockenlos!
Ich gehöre zu den besonders kälteanfälligen Leuten, die erst ab 25 Grad Strümpfe und Socken zuhause lassen. Und während ich die Strumpfhosen, die ich ab September trage, dezent unter den Hosen verstecken kann, kommen bei Socken und Söckchen um 20 Grad manche Leute schon auf die Idee, ich sei  nicht ganz zurechnungsfähig. Wenn das Thermometer 25 Grad überschreitet, wirke ich endlich wieder wie ein normaler Mensch.

Melodischer Weckruf!
Die Vögel kommen schon im Frühling zurück, aber da ist es mir oft zu kalt, um das Schlafzimmerfenster offen zu lassen (siehe oben). Darum ist der Sommer auch die Zeit, in der ich um sechs Uhr die Vögel zwitschern (manchmal auch die Krähen streiten) höre, und es gibt keinen schöneren Klang, um den Tag zu beginnen.

Sommer 1Dolce far niente!
Wenn es dann so richtig heiß wird, kann man endlich mal ohne schlechtes Gewissen nichts tun. Bei Temperaturen ab 30 Grad ist Gartenarbeit ein medizinisches Risiko, und so legt man sich am besten in einen Liegestuhl, liest und döst vor sich hin und wähnt sich in den Ferien in südlichen Gefilden. Einfach schön!

Gesünder essen!
Im Winter fröstelt es mich beim Anblick eines Salatkopfs, aber jetzt esse ich gern welchen. Während ich sonst kein großer Fruchtesser bin, liebe ich alle heimischen Beeren und kann jetzt aus dem vollen schöpfen. Ich trinke mehr Wasser und fühle mich einfach wohler.

Die Menschheit lebt!
Bei diesen Temperaturen bersten die Freibäder, an den Flüssen versammeln sich Familien zum Bräteln, und die Außenplätze von Restaurants sind rappelvoll. Menschen lachen und schwatzen, trinken was Kühles und spielen Volleyball. Plötzlich wird das Bild vom Menschen, der nur sein eigenes Wohl sucht und sich abkapselt, aufgeweicht. Ich sehe, dass Menschen eben doch andere Menschen suchen und finden und brauchen – und dass sie sich in der Natur heimisch fühlen.

Dem Paradies so nah…!
Und wie fast alles Schöne hat auch dieses Wetter für mich eine „geistliche“ Komponente. Mir kommt es vor, als ab wir Menschen bei diesen Temperaturen näher an uns selbst und an der Schöpfung wären. Wenn ich die Leute auf ihren Rädern lachend der Aare langfahren oder unter einem Baum liegend das Nichtstun genießen sehe, erinnert mich das an den Garten Eden. Das wünscht sich Gott für sein Volk – dass sie bei ihm zuhause sind, sich wohl fühlen und in seiner Gegenwart wie in der Sonne baden – mit der Ausnahme, dass unsere Seele für das Genießen seiner Gegenwart keinen Schutzfaktor braucht. Mehr geht immer!

Und weil es zu diesem Sommerfeeling auch einen Sommersong braucht: hier mein ultimativer und ewiger liebster Sommer-Song von Spider Murphy Gang!

Was sind Eure Sommer-Highlights? Oder sind Euch diese Temperaturen eher ein Graus? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

??????????Mein Post über „Needful Things“ beschäftigt mich immer noch. Das liegt unter anderem daran, dass ich das Buch erst gerade ausgelesen habe und es eine Menge neuer Gedankenfunken ausgelöst hat. Vor allem hat es mich daran erinnert, was mich am Fach Geschichte fasziniert: nicht das Auswendiglernen von Daten, sondern das Verständnis dafür, dass aktuelle Situationen auf früheren Ereignissen und Entwicklungen beruhen.

Anfang August ist es 100 Jahre her, dass sich der lokale Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zu einem Kontinentalkrieg und später zum Ersten Weltkrieg ausdehnte, und heute feiern wir 70 Jahre „D-Day“ – den Tag, an dem die Alliierten in der Normandie landeten und der die Wende im Zweiten Weltkrieg markiert. Diese Großereignisse lassen sich kaum anhand einer einzigen Ursache erklären, aber die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hilft uns, besser zu verstehen, was auf anderen Kontinenten, fernen Ländern oder in unserem eigenen Land und Leben vor sich geht.

Quelle: Staatsarchiv LuzernHeute kann sich zum Beispiel niemand mehr vorstellen, dass auf unserem Boden vor weniger als 200 Jahren ein innerschweizerischer bewaffneter Konflikt entbrannte. Die katholisch dominierten, föderalistisch geprägten Kantone schlossen sich gegen die protestantisch und zentralistisch eingestellte Mehrheit zusammen, was schließlich zum Bürgerkrieg führte.

                                                                                           Quelle: Staatsarchiv Luzern

Dank der klugen Kriegsführung von General Dufour starben im kurzen Sonderbundskrieg weniger als 200 Menschen – ein Punkt, der im Ausland sicher ein amüsiertes Lächeln auslöst: ach, und DAS nennt Ihr Krieg? Dennoch war unser Land davor und danach tief gespalten. Die Katholiken waren über 40 Jahre von der Regierung ausgeschlossen. Die Jesuiten wurden aus der Schweiz ausgewiesen, und der Jesuitenartikel, der den Orden in der Schweiz verbot, war bis 1973 Bestandteil unserer Verfassung. Noch in der Generation meiner Eltern wurde eine Heirat zwischen Katholiken und Protestanten nicht gern gesehen.

Wir können uns das heute nur noch schwer vorstellen – dabei sind wir selbst ein Produkt unserer Vergangenheit, und mit ein bisschen Nachdenken und „In-uns-gehen“ können wir oft herausfinden, wo die Ursachen unseres Verhaltens, unserer Vorlieben, unserer Fähigkeiten und Gewohnheiten verwurzelt sind. Ich gehe zum Beispiel gern spazieren und kann in der Natur, in der Weite, der Stille und der frischen Luft gut auftanken. Und ich erinnere mich an meine Kindheit mit Wochenendbräteln am Waldrand und Wanderferien im Berner Oberland. Als Teenager fanden wir diese Art Ferien nicht mehr so prickelnd, aber sie haben den Grundstein dafür gelegt, dass wir heute die Natur und die Bewegung im Freien so schätzen.

Natürlich trägt jeder Mensch auch an Erinnerungen und Erlebnissen, die Narben und oft eine innere Wachsamkeit hinterlassen haben. Wie eine Katze, die sich das Fell angesengt hat, oder ein Hund, der getreten worden ist, machen wir um bestimmte Situationen oder Charaktere einen weiten Bogen – manchmal ohne zu wissen, warum.

Ich habe noch immer Verhaltensweisen an mir, die ich mir nicht ganz erklären kann, erlebe Momente, „wo’s mer eifach tuet“, wo ich meine Reaktionen nicht kontrollieren kann. Und ich möchte erfahren, was dem zugrunde liegt. Das unkomplizierte Verhältnis, das heute zwischen Schweizer Katholiken und Protestanten herrscht, beweist mir, dass sich auch tiefe Gräben auffüllen und Verletzungen heilen lassen – sowohl im Gedächtnis eines Staates als auch im Hirn und Herz eines einzelnen.

Wir sind keine Sklaven unserer Vergangenheit. Wir können uns gegen unsere eigenen Verformungen stemmen, und wenn wir mit Gott in Beziehung stehen, können wir Verletzungen und Schmerz immer wieder bei ihm abgeben. Und wir schaden uns selbst, wenn wir unsere Vergangenheit als Schutzschild und Ausrede verwenden, um in unseren Verkrümmungen zu verharren und allen anderen die Schuld zu geben. Wir sind es uns selbst und anderen schuldig, uns nach innerer Freiheit auszustrecken.

Manchmal brauchen wir für so einen Prozess externe Hilfe. Aber egal, wie schwer unsere Last ist: Gott ist grösser als unsere Verletzungen. Er ist in der Lage, die härtesten Verkrustungen aufzubrechen, dass wundeste Herz zu heilen – wenn wir es wollen, wenn wir Geduld haben und wenn wir uns ihm immer wieder hinhalten.

Der D-Day symbolisiert die Wende im Zweiten Weltkrieg. Wenn ich mir bewusst werde, dass ich noch Befreiung brauche, und mich innerlich aufmache, um diese Befreiung zu erleben, kann auch ich den D-Day feiern.