ehrgeiz„Das klingt ein bisschen gequält.“

Diesen Kommentar meines Mannes bekam ich letztens zu hören, nachdem ich als Vorbereitung auf ein Konzert aus vermeintlich voller Brust einen meiner Songs herausgeschmettert hatte. Im Anschluss leitete er mir freundlicherweise die Tipps seines Chorleiters weiter, wie ich meine Resonanzräume öffnen könne.

Ich gebe es ungern zu, aber im ersten Moment war ich eine winzige Kleinigkeit „angebiselt“. Schliessich bin ICH in unserem Haushalt die semi-professionelle Sängerin und habe jahrelangen Gesangsunterricht genossen. Frei nach Trappatoni: „Was erlauben Mann?“

Ich habe dann der beleidigten Leberwurst in mir mit einem giftigen Kommentar à la „Ach, ein halbes Jahr im Chor und schon der grösste Besserwisser“  Tribut gezollt. Nach dieser kleinen Ventil-Aktion fragte ich aber genauer nach, und es entspann sich eine hilfreiche Diskussion. Ich nahm mir vor, wieder mehr an meiner Technik zu arbeiten – schliesslich will ich noch besser werden.

Abgesehen davon, dass  mir diese heitere Episode gezeigt hat, wie empfindlich man  reagieren kann, wenn man kritisiert wird, hat mich das Ganze zu einer anderen Frage geführt:

Ist es gesund, immer besser werden zu wollen?

Ich glaube, der Drang nach Perfektion und Exzellenz ist dem Menschen von Natur aus gegeben, und wenn man in einem Bereich etwas Besonderes erreichen will, ist eine gewisse Besessenheit ganz nützlich. Dennoch ist dieser Drang ein zweischneidiges Schwert – gerade, wenn der Vergleich hinzukommt.

Die Forderung nach Leistung gehört zu unserer Gesellschaft, und da Erfolg oft mit der „besten Leistung“ gleichgesetzt ist, gerät die Frage nach meiner Leistung in Beziehung zu der von anderen in den Vordergrund. Mir fallen in letzter Zeit zwei entgegengesetzte Philosophien ins Auge, wie man ungesund mit diesem Drang nach Leistung und Vergleich umgehen kann.

Die erste, die Ausweichtaktik, nenne ich nach einer Folge von „How I met your mother“ einmal „Pokale für alle“. Erziehungsphilososophisch wird aus dieser dem olympischen Gedanken abgeguckten Idee, dass mitmachen alles ist, die Haltung, dass schon das Auftauchen belohnt zu werden hat und dass nichts, was ein Kind oder Jugendlicher tut, bewertet werden darf. Was immer es tut, ist toll. Dummerweise läuft es so später nicht. Wenn ich eine Ausbildung abschliessen will, muss ich das vorgegebene Niveau erreichen – schliesslich will niemand einen Arzt oder Handwerker, der herumpfuscht (nicht, dass es das nicht geben würde). Wenn wir Kindern mitgeben, dass jede ihrer Aktionen in sich genial und sie über jeden Zweifel erhaben sind, generieren wir zukünftigen Frust auf allen Seiten. Der Moment wird nämlich kommen, wo es eben nicht reicht, dass sie „da waren“, sondern wo zu Recht eine bestimmte Leistung von ihnen erwartet wird.

Die andere Seite der Medaille ist die Aufzucht von gnadenlosen Konkurrenzkämpfern. In den Augen mancher Eltern genügt es nicht, wenn ihr Kind die Bestnote macht – der Hauptkonkurrent um den Spitzenplatz sollte wenigstens einen halben Punkt darunter liegen oder noch besser die Prüfung versemmelt haben. So ein Kind betrachtet irgendwann alle anderen als Rivalen am Futtertrog und wird erst dann mit sich  zufrieden sein, wenn niemand anderes besser ist. Aber was passiert, wenn so ein Highperformer sein Ziel nicht erreicht,  weil es – seien wir realistisch – immer irgendwo jemand Besseren gibt? Wenn er plötzlich von der Spitze verdrängt wird? In diesem Weltbild ist jeder Abstieg vom höchsten Platz eine schändliche Niederlage und ein vernichtender Stoss. Wenn ich alles, was ich bin, davon abhängig mache, dass ich zuoberst stehe, kann ich nur verlieren.

Das Problem und die Grundlage für beide falschen Philosophien liegt für mich in der Verknüpfung von Leistung und Wert des Menschen.

Wer seinen Wert von seiner Leistung abhängig macht, wird entweder aufgeben, sich jeder Kritik und Konkurrenz entziehen oder ohne Rücksicht auf Verluste verbissen für seinen Erfolg schuften und dabei alle anderen als Konkurrenten sehen und gnadenlos plattwalzen. Diese Verknüpfung kann also nur  Aufgeblasenheit oder Minderwertigkeitsgefühle hervorbringen.

Nur wer seinen Wert aus einer anderen Quelle bezieht, kann befreit nach den Sternen greifen, etwas riskieren und sich Kritik aussetzen, weil er weiss, dass er der gleiche, wertvolle Mensch ist und bleibt – egal, wie gut oder schlecht er mit dem, woran er gerade bastelt, abschneidet. Diesen Wert jenseits meiner Leistung und auch jenseits der Liebe und Anerkennung von anderen Menschen, von der wir uns auch nicht bestimmen lassen sollten, gibt es nur bei Gott. Und wenn ich ihn dort habe, kann mich nicht mehr so viel erschüttern.

Nicht einmal die berechtigte Kritik meines Göttergatten. Deshalb singe ich auch heute wieder befreit vor mich hin – und versuche, meine Resonanzräume mehr zu öffnen.

 

 

 

 

 

gold-bear-318359_1920 kleinIn letzter Zeit grassieren auf Facebook ominöse Tests, die alle etwas gemeinsam haben. Egal, ob es um Geografie, Sichtstärke, analytisches Denken oder Intelligenz per se geht –  die Test fangen alle  mit dem gleichen Satz an:

„Nur 4 (oder 1, 2, 3) Prozent der Bevölkerung kann diese Fragen richtig beantworten.“

Seltsamerweise gehören alle meine Facebookfreunde zu dieser Gruppe, und – Überraschung – ich selbst auch. Denn ich gebe es zu: Ich konnte auch nicht widerstehen. Ich habe den Sichttest gemacht und erfahren, dass ich Pilotin werden könnte, was mich einen winzigen Moment stolz gemacht hat (ich kann ab und zu etwas beschränkt sein). Doch je mehr sich diese Tests häufen, desto klarer wird jedem, dass es nur darum geht, möglichst viele Leute auf die Seite zu locken und sie dazu zu bringen, das Zeug weiter zu verteilen.

Und an welche Eigenschaft des Menschen appelliert man da am besten?
Eitelkeit, Stolz und das Verlangen, etwas Besonderes zu sein.
Besser als die anderen. Zu einer Elite zu gehören.

Und es funktioniert bestens: Die Ansage „nur x Prozent…“ macht uns neugierig. Gehöre ich dazu? Wir füllen das Ding aus, und oh Wunder: Wir sind dabei! Ist es nicht genial? Und sofort teilen wir das phänomenale Resultat (vielleicht noch mit einem verspielt-bescheidenen „hätte ja nicht gedacht, dass ich…“), damit die Welt weiss, dass wir zur Spitzengruppe gehören.

Der Mensch ist ein seltsames Wesen: Er will dazu gehören, Teil der Meute sein, will aber auch herausragen, und er versucht mit allen Mitteln, das irgendwie zu schaffen. Geld, Kleidung, Erfolg, Partner, Erleuchtung – die Möglichkeiten sind grenzenlos. Nur: Nichts davon wird mir letztlich die Gewissheit geben, wirklich „besonders“ zu sein, und alle diese Errungenschaften stehen auf wackligen Füssen.

Dabei brauchen wir diese Tests alle nicht, um zu wissen, dass wir besonders sind. Wir sind alle besonders, und das ist vielleicht der Grund, warum das vielen von uns nicht schmeckt.

Wenn Gott bei Buzzfeed einen Test anbieten würde, würde da stehen:
100% der Bevölkerung, die den Test machen, haben sich als einzigartig, wunderbar und etwas Besonderes erwiesen.“

Das hört sich lahm an. Was soll besonders daran sein, wenn alle es haben können? Wenn wir den Inhalt und die Wahrheit dieser Aussage erfassen wollen, müssen wir unseren Stolz ablegen – diese Eitelkeit, die nicht nur „besonders“ sein will, sondern „besonderer als alle andern“.

Wenn wir erkennen und bis ins Innerste unserer Persönlichkeit begreifen, wie besonders, wie geliebt, wie einzigartig wir wirklich für Gott sind, erkennen wir schlagartig, wie nichtig all die anderen Contests, Tests, „Wer hat und ist mehr“-Wettbewerbchen wirklich sind.

Und wir werden frei, einfach zu sein. Unser Leben zu leben, anderen zu begegnen, ohne ständige Vergleiche anzustellen, einander einfach für das zu schätzen, was wir sind. Menschen mit einer einmaligen Mischung aus Stärken und Schwächen, mit einer einzigartigen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Geliebt von Gott.