Heute vor genau dreissig Jahren sass unsere Familie in der Küche beim Sonntagsfrühstück, als wir ein fernes Knattern hörten. Durchs Küchenfenster sahen wir einen Helikopter, der Richtung Grenchenberg flog. Das löste am Tisch einige Spekulationen aus, war aber bald darauf wieder vergessen – bis mein Vater etwa zwei Stunden später einen Anruf erhielt und man ihn um einen Kommentar zum Tod von Bundesrat Willi Ritschard bat.

Ritschard 2

Willi Ritschard war für unsere Familie nicht nur einer von sieben Bundesräten. Mein Vater sass damals seit zwei Jahren als Solothurner „Genosse“ im Kantonsrat uns schätzte den bodenständigen Ritschard sehr. Noch heute erinnert er sich an eine persönliche Begegnung, die für den einmaligen Schalk des Solothurners typisch war: Auf einem Fraktionsausflug der SP war mein Vater dem hohen Bundesrat vorgestellt worden. Der hatte einen Blick auf meines Vaters Glatze geworfen, seine Hand darauf gelegt und gemeint: „Mir zwöi chöi au nume no d Finanze frisiere!“ (Wir zwei können auch nur noch die Finanzen frisieren!)

Bei einer kleinen Recherche für dieses Post habe ich viel Liebenswertes und Berührendes über Ritschard entdeckt. Aus allen Quellen spricht die geerdete Persönlichkeit, aber auch die emotionale, tiefgründige Ader dieses Mannes. Ohne unsere heutigen Bundesräte abwerten zu wollen, frage ich mich, ob Persönlichkeiten seiner Art heute in der Politik überhaupt noch Platz hätten. Ich gedenke mit Achtung unseres fünften Solothurners im Bundesrat – seine Einfachheit, sein Humor und seine Nahbarkeit öffneten ihm in kürzester Zeit die Herzen aller Schweizer, und an diesem Tag vor 30 Jahren hat das ganze Land um ihn getrauert.

Vor neun Jahren wurde der 16. Oktober für meine Familie zum Sinnbild für einen viel grösseren Verlust. Am 16. Oktober 2004 musste mir mein Vater telefonisch mitteilen, dass meine Mutter – sie war 55 Jahre alt – in der Nacht an einer Hirnblutung gestorben war.

Ma und igIch hatte mir vorher schon oft die Frage gestellt, wie ich mit einem solchen Schicksalsschlag umgehen würde. Heute weiss ich, dass man es überlebt, aber auch, dass die Trauer Teil des Lebens bleibt – und dass sie sich im Lauf der Jahre verändert. Der Schmerz des Verlusts ist geblieben, aber er wurde angereichert mit einem kostbaren Korb voller Erinnerungen an die Frau, die mir das Leben geschenkt und mich geprägt hat.

Meine Mutter war keine Frau der Öffentlichkeit. Sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und bei Veranstaltungen sass sie am liebsten in der letzten Reihe am Rand. Sie arbeitete gern im Hintergrund und hatte grossen Anteil am politischen und kulturellen Engagement meines Vaters, indem sie ihm Zuhause während der Woche den Rücken frei hielt und seine Arbeit mit ihren herausragenden organisatorischen und administrativen Fähigkeiten unterstützte. Ein Erbe dieser gemeinsamen Arbeit ist der „Ferienpass Grenchen“, den sie zusammen aufgebaut und während vieler Jahre ehrenamtlich geführt haben. Noch heute erinnere ich mich an tolle Anlässe wie die Besichtigung des „Nidlelochs“, Schachkurse, Waldnachmittage und vieles mehr, was uns als Kinder begeistert hat.

Ma war auch eine wunderbare Köchin und Gastgeberin. Seit ich selber einen Haushalt habe und manchmal Gäste einlade, weiss ich, dass zum guten Gastgeber viel mehr gehört als ein feines Essen und genug Wein. Ma brachte es fertig, dass sich alle wohl fühlten, sich entspannten und die Zeit genossen. Das kann man nicht „machen“ – es fliesst aus einer Persönlichkeit, die sich wirklich um das Wohl jedes einzelnen sorgt und kümmert und darin aufgeht.

Bei einer oberflächlichen Lese dieser Zeilen könnte man meine Ma für eine sehr traditionelle Frau halten – nichts gegen Traditionen, aber dieses Etikett würde ihr nicht gerecht. Ich habe selbst erst im Nachhinein erkannt, wie sie wirklich war– eine stille Rebellin mit einer starken kreativen Ader, einem schrägen Sinn für Humor und unabhängigen Ansichten. Sie gab nichts auf Status und Konvention, mochte skurrile Geschichten und Menschen, die etwas anders waren. Am Apéro nach der Trauerfeier kam eine ihrer Arbeitskolleginnen auf mich zu und meinte mit einem strahlenden Lächeln: „Gerade haben wir uns daran erinnert, wie oft Monika mit ihrem schallenden, ungekünstelten Lachen eine ganze Tischgemeinschaft angesteckt hat – bis allen die Tränen herunterliefen und keiner mehr gerade auf dem Stuhl sitzen konnte.“ Ihre Augen waren auch nicht tränenlos, aber sie spiegelten die Ausgelassenheit und Freude, die Ma mit ihrer Art verbreiten konnte.

Daneben hatte meine Ma eine erbarmungslose Seite. Sie hasste Arroganz, Geltungsdrang, Unaufrichtigkeit und Verstellung, und sie hatte einen guten Sensor dafür. Wenn jemand auf ihrem Radar aufgetaucht und für „schuldig“ befunden worden war, blieb sie in der Regel bei ihrem Urteil – und scherte sich dabei nicht um Namen oder Position.

Ich komme in vielerlei Hinsicht und vor allem äusserlich eher nach meinem Vater, aber heute erkenne ich in vielen meiner Eigenheiten auch das Erbe meiner Ma. Ich freue mich daran und will dieses Erbe weitertragen. Und es schmerzt mich, dass ich mit ihr nicht mehr darüber sprechen kann, wie ähnlich wir uns sind und wie stolz ich auf das bin, was sie aus ihrem Leben gemacht hat.

Ma hat kein hohes Amt gehabt oder Karriere gemacht. Sie musste ihre Eltern überreden, damit sie eine kaufmännische Lehre absolvieren durfte. Im Gedächtnis der breiten Öffentlichkeit hat sie keine Abdrücke hinterlassen – wohl aber in den Herzen der Menschen, die sie kannten und liebten. Denn sie hat in ihrem Leben mit das Wichtigste getan: sie hat anderen Wertschätzung geschenkt. Und sie war die erste, die mir vermittelt hat, dass ich einzigartig und geliebt bin – genauso, wie ich bin. Damit hat sie ein Fundament gelegt, das auch Bestand hatte, als ich selbst das Liebenswerte in mir nicht sehen konnte.

In der Geschichte von Harry Potter gibt seine Mutter ihr Leben, um Harry zu beschützen. Dadurch erhält er eine Art Siegel, so dass das Böse ihm keinen Schaden zufügen kann. Ich glaube, dass diese einzigartige Liebe einer Mutter immer so ein Siegel hinterlässt – einen unsichtbaren Abdruck in unseren Herzen, ein Echo der bedingungslosen Liebe, mit der Gott uns zuerst geliebt hat.

Ich respektiere und ehre, was Mütter vollbringen, indem sie ihre Kinder erziehen, ihnen Werte mitgeben und ihnen diese Liebe schenken. Und ich will nicht vergessen, dass auch hinter einem grossen Mann wie Willi Ritschard eine Mutter stand, die ihn mit ihrer Fürsorge, Zuwendung und Liebe für seinen Weg ausgerüstet hat. Um es mit den etwas altertümlichen, aber immer noch wahren und schönen Worten von Jeremias Gotthelf zu sagen:

 „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“

Hibiskus klein nach links

In achtender und liebender Erinnerung für

 Willi Ritschard (28.9.1918-16.10.1983)
 Monika Meier (-Vogt) (17.6.1949-16.10.2004)

Bild Claudia Zeitung V3

„Zeigen Sie mir einen einzelnen Mann oder eine Frau, und Sie werden einen Heiligen oder eine Heilige sehen. Zeigen Sie mir zwei Menschen, und sie werden sich ineinander verlieben.

Geben Sie mir drei, und sie werden das bezaubernde Ding erfinden, das wir „Gesellschaft“ nennen. Geben Sie mir vier, und sie werden eine Pyramide bauen. Geben Sie mir fünf, und sie werden einen zum Paria stempeln. Geben Sie mir sechs, und sie werden das Vorurteil neu erfinden. Geben Sie mir sieben, und in sieben Jahren erfinden sie den Krieg neu.“ – Glen Bateman in „Das letzte Gefecht“

Während unserer Zeit auf Schloss Röhrsdorf letzte Woche war harte Arbeit angesagt: Harmoniegesang üben, aufnehmen, noch einmal aufnehmen, anhören; eine neue Idee haben, üben, neu aufnehmen…and so on. Es war intensiv, hat aber auch grossen Spass gemacht – und gleichzeitig kamen interessante Gespräche mit den „Schlossherren“ zustande.

Schloss Röhrsdorf ist eine christliche Künstlerkommunität. Die Gemeinschaft führt ein Bandhotel, organisiert Konzerte und Veranstaltungen, leitet das Tonstudio „Sacred Sounds“ und tut nebenbei alles, um das ehrwürdige Schloss wieder in alter Pracht erstrahlen zu lassen (falls ich etwas vergessen habe – schaut einfach hier). Singles, Paare und Familien leben hier unter einem Dach, und das zwingt alle dazu, die Masken fallen zu lassen und sich den eigenen Schattenseiten zu stellen.

Ich lebe  nur in einer Zweierschaft, und mein Mann und ich sind beide „easygoing“.  Trotzdem kann ich der Herausforderung „Gemeinschaft“ nicht entfliehen, und eine Herausforderung ist es für jeden von uns: friedlich mit anderen zu leben, zu arbeiten und Beziehungen zu pflegen. Und so sehr wir für Gemeinschaft bestimmt sind und sie brauchen, so sehr bringt sie uns immer wieder an unsere Grenzen.

„Christus hätte sagen sollen: ‚Ja wahrlich, wo zwei oder drei von euch beisammen sind, wird irgendein anderer Typ fürchterlich eins auf die Rübe kriegen.“ – Glen Bateman in „Das letzte Gefecht“

Besonders intensiv wird Gemeinschaft, wenn wir in einen Team zusammenarbeiten und gemeinsam ein Ziel erreichen wollen. Jeder hat seine Ecken, Kanten, Verletzlichkeiten und Eigenheiten, und dieses hochexplosive Gemisch kann einem schon mal ins Gesicht explodieren. Das kann frustrierend sein, und manchmal möchte ich einfach allen anderen die Schuld geben – ICH bin schliesslich unheimlich friedfertig.  Im Grunde weiss ich aber, dass ich mit meinen Macken genauso viel zum aktuellen Klima beitrage. Deshalb will ich mich immer wieder fragen, was ich an meinem Verhalten ändern kann, um eine stärkere, authentischere Gemeinschaft möglich zu machen.

Neben der Selbstverständlichkeit, dass wir respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen sollten, sind mir zwei Grundsätze wichtig geworden, die ich in bestehende und neue Teams und ganz allgemein in Beziehungen und das Leben in der Gemeinschaft hineinnehmen möchte.

  •  „Wehret den Anfängen“ – Konflikte sofort angehen

Ein Lieblingszitat meines Vaters und wie die meisten seiner Lieblingssprüche wahr: Konfliktherde sollten so früh wie möglich in Liebe und Wahrheit auf den Tisch kommen. Natürlich nicht in dem Moment, wo die Emotionen lodern, aber sobald sich die Gemüter beruhigt haben.

Das ist einfacher geschrieben als getan, und je nach Persönlichkeit haben wir unsere Schwierigkeiten mit diesem Grundsatz: Die Direkten unter uns haben Mühe mit der Liebe, in welcher die Botschaft vermittelt werden sollte, oder damit, den richtigen Moment dafür abzuwarten, während Harmoniemenschen wie ich sich aus Angst vor den Reaktionen scheuen, dass Thema anzusprechen, und sich gern einreden, es werde ja vielleicht von selbst besser.

Das wird es in der Regel nicht – und so entsteht aus Kleinigkeiten, die wir nicht aus dem Weg räumen, unbemerkt ein grotesker Haufen, um den wir irgendwann herumsitzen und uns fragen, wo das jetzt alles herkommt. Wenn wir das, was uns stört oder verletzt, gleich beim ersten Mal beim Namen nennen, sparen wir Zeit und Energie, die wir für unser gemeinsames Ziel einsetzen können.

  •  „Ein Raum, ein Chef, ein Auftrag“- klare Leiterschaft

Diesen knackigen Ausdruck hat die Schweizer Armee vor vielen Jahren geprägt – ich verwende ihn hier als kleine Hommage an meine zehn Jahre im VBS (für Nicht-Schweizer: Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport), aber auch, weil er für mich stimmt – und gut klingt.

Was passiert, wenn niemand die Verantwortung trägt? Entweder setzt sich ein Alphatier durch, reisst das Ganze an sich und gibt dem Team eine Richtung, die nicht zwingend die beste sein muss. Sucht niemand die Führung, werden meiner Erfahrung nach die problematischen Themen nicht angesprochen. Ausserdem werden Entscheidungsprozesse langfädig und prägnante Entwicklungen verhindert.

Natürlich ist es gut, Ziele und Strategien gemeinsam zu erarbeiten, und idealerweise findet das Team die beste Lösung. Aber Menschen sind verschieden und haben unterschiedliche Ansichten, und totale Demokratie in kleinen Teams verlangsamt und verwässert den Prozess. Es ist eine Illusion zu glauben, wenn  man lange genug über etwas redet, werden irgendwann alle zufrieden sein. Was bei solchen „Lösungen“ oft herauskommt, ist eine undefinierbare Pampe, die niemandem richtig schmeckt.

Wir sollten bereit sein, uns einem Leiter unterzuordnen und ihm das Vertrauen zu schenken, auch wenn er nicht alles weiss und alles am besten kann. In Teams im kirchlichen Umfeld sollten wir zusätzlich darauf vertrauen, dass unser Leiter Führung von oben erhält. Ich rede dabei nicht von Autoritätsgläubigkeit und schon gar nicht von einer Diktatur: Wir haben Massstäbe, an denen wir unsere Leiter messen können und sollen, und wir müssen reagieren, wenn sie sich falsch verhalten. Aber ich bin überzeugt, dass das Bekenntnis zur Leiterschaft eine Gruppe voranbringt, die Richtung eines Projekts klärt und die Vision für das Team schärft.

Ich möchte diese beiden Grundsätze künftig ernster nehmen und in allen Teams dazu beitragen, dass wir unsere Energie in die Verwirklichung unserer Projekte und die Erfüllung unserer Aufgaben stecken können und nicht auf Nebenschauplätzen unsere Kräfte verschleissen.

Und ich glaube weiterhin an die menschliche Gemeinschaft. Im Eingangszitat, das aus „Das letzte Gefecht“ von Stephen King stammt, habe ich den letzten Satz bewusst weg gelassen. Er lautet wie folgt:

„Der Mensch mag nach Gottes Ebenbild erschaffen worden sein, die menschliche Gesellschaft aber ganz sicherlich nach dem Ebenbild seines Gegenspielers, und sie will immer wieder nach Hause.“

Manchmal kommt mir das Zitat ziemlich realistisch vor – aber eigentlich weiss ich, dass das nicht wahr ist. Menschliche Gemeinschaft ist genauso von Gott gestiftet und geschaffen wie der Mensch selbst. Aus diesem Wissen nehme ich den Auftrag, anderen mit Ehrlichkeit, Liebe und Wertschätzung zu begegnen. Und als Christin füge ich dem Johannes Kap. 17 Vers 20ff. bei – den Auftrag, untereinander „eins zu werden“, damit die Welt erkennt, wer Jesus ist.

Was für Erfahrungen hast Du mit Gemeinschaft und in der Teamarbeit gemacht? Kennst Du diese „Aus-der-Haut-fahren-und-den-Bettel-hinschmeissen-wollen“-Momente?

Welche Grundsätze sind Dir wichtig geworden, und teilst Du meine Schlüsse – oder siehst Du es völlig anders? Ich freue mich auf Dein Feedback!

MaskeHinter mir liegen zehn intensive Tage mit vielen Highlights – Gospelkonzerte in Bern und Münsingen, Studioaufnahmen und ein Konzert in den Räumen der Künstlerkommunität Schloss Röhrsdorf bei Dresden und als Start in diese Zeit ein Vortrag bei Aglow Frick zum Thema „Maske ab – echt sein“.

Dieses Thema hat mich auch auf dem Weg nach Dresden und in der intensiven Zeit bis zu unserer Heimreise beschäftigt. Das Post ist auf der Hinfahrt entstanden und musste noch etwas nachreifen, weil ich erst meine nach intensiver Kommunikations- und Interaktionszeit termingerecht eingetroffene Schottendicht-Phase hinter mich bringen musste. Richtig überwunden ist sie zwar noch nicht, aber ich will endlich wieder was von mir hören lassen – und da wir uns ja nicht in Echtzeit sehen, kann ich kommunikativ tätig sein und dabei zerknittert auf dem Sofa sitzen, ohne gestört zu werden.

Das war der heutige Beitrag zur ungeschminkten Echtheit, den ich hoffentlich nicht bereuen muss. Aber da einige unter Euch schon mit meiner Art zu schreiben vertraut sind, bin ich zuversichtlich, dass keine gehäuften negativen Reaktionen auf mich herunterprasseln.

Das ist heute leider nicht selbstverständlich. Wenn wir echt sind, bläst uns oft ein scharfer Wind entgegen. Wer sich unkonventionell verhält oder eine Meinung ausserhalb des Mainstreams vertritt, wird oft schief angesehen oder für seine Naivität belächelt. Und es scheint oft einfacher und profitabler, anderen etwas vorzumachen.

Wer sich aufplustert und so tut, als könne er alles, kommt im Job schneller voran. Wer anderen nach dem Mund redet, ist gern gesehener Gast auf dem gesellschaftlichen Parkett. Beruflich wie privat spüren wir den unterschwelligen Druck, auf der gerade angesagten Welle mitschwimmen und unsere Ecken, Kanten und Befindlichkeiten für uns zu behalten. Warum sagen, dass es mir nicht gut geht, wenn alle in Partylaune sind? Warum dazu stehen, dass ich die moderne Aufführung im Stadttheater völlig sinnlos finde, wenn alle beindruckte Gesichter machen und von einer „visionären Umsetzung“ sprechen?

Mani Matters Lied „Chlini Hüsli“ ist aktueller denn je: Unsere Gesellschaft bringt zielgerichtet Klone hervor, die alle gleich aussehen, das Gleiche tun und natürlich vor allem das Gleiche kaufen. Und doch braucht die Welt nichts so sehr wie Originale – Menschen, die den Mut haben, echt zu sein.

Ich wusste lange Zeit nicht so recht, wer ich eigentlich bin, hasste es aber immer schon, mich zu verstellen – und wollte gleichzeitig unbedingt „dazu gehören“. Weil das offenbar nicht zusammen ging und ich mich so, wie ich war, eher am Rand herumdrückte, fühlte ich mich selten wohl in meiner Haut. Ich schwankte zwischen Versuchen, das Richtige zu tun und zu sagen, und resignierter Verachtung für die Welt, die mich nicht zu schätzen weiss.

Vor etwa zehn Jahren habe ich begriffen, dass ich mich nicht verstellen muss, um einen Platz zu haben, dass ich aber auch keinen Gruppe und keine Person brauche, die mir meinen Wert bestätigt. Der Eine, der mich unverwechselbar und einzigartig erschaffen hat, weiss, warum ich genauso bin, wie ich eben bin. Er hatte seine Gründe für dieses Design. Und was die Jahre und Erfahrungen verbogen und zerbrochen haben, darf ich Ihm zu Reparaturzwecken jederzeit anvertrauen.

Es ist mir auch heute nicht egal, was andere von mir halten, und ich ziehe es wie die meisten Menschen vor, gemocht zu werden. Aber die Meinung anderer hindert mich nicht mehr daran, genau das zu tun, was ich für richtig halte, und genau der Mensch zu sein, als der ich geschaffen wurde – inklusive der in einem früheren Post erwähnten Schrägheiten und skurrilen Eigenschaften. Und es ist mir heute bedeutend lieber, aus den richtigen Gründen abgelehnt als aus den falschen gemocht zu werden.

Wie sieht es bei Dir aus?

Wusstest Du schon immer, wer Du bist, und hattest auch nie Probleme, echt zu sein? Wenn ja – schätze Dich glücklich. Du verfügst über ein Talent, das nicht jeder hat. Bleib dabei, Dich selbst zu sein – und ermutige andere, es Dir gleich zu tun.

Oder bist Du noch auf dem Weg dahin und ertappst Dich öfters dabei, dass Du Dein Ich hinter einer Maske versteckst? Dann ermutige ich Dich, ein bisschen Echtsein zu riskieren. Es zahlt sich aus und vereinfacht das Leben ungemein – es setzt enorme Energie frei und schenkt Dir wertvolle Begegnungen. Wenn Du echt bist und dazu stehst, dass Du nicht alles kannst und Deine Schwächen hast, ermutigst Du Dein Gegenüber, selbst echter zu sein und das Scharnier heraufzuklappen.

Fang einfach an und trau Dich.
Denn was die Welt wirklich braucht, ist mehr von DIR.

Vor etwas mehr als zwei Wochen habe ich zusammen mit meinem Mann und meinem Vater an einem Samstag meine drei Neffen und meine Nichte beaufsichtigt – Einzelheiten können im „Ritigampfi-Post“ nachgelesen werden. An diesem Abend drückte mir meine Schwester kurz vor der Rückfahrt ein hübsches hellblaues Buch in die Hand und meinte: „Falls Du überhaupt noch von Hand schreibst und nicht nur virtuell…!“

Bild ErmutigungIch nahm das Geschenk erfreut entgegen und verstaute es in meinem Rucksack, und wir machten uns auf den Heimweg. Am nächsten Tag holte ich das Buch hervor, um es mir etwas genauer anzusehen – und stellte fest, dass es weit mehr war als ein Tagebuch. In Händen hielt ich ein wundervoll gestaltetes Hilfsmittel fürs Songwriting.

Auf der ersten Seite waren ein Quintenzirkel und ein Transkriptionsschlüssel abgebildet, un auf jeder Doppelseite ein Psalm, dazu abwechselnd eines von fünf hebräischen Worten für Lobpreis (für Worshipper und Interessierte: Tehillah, Barak, Zamar, Yadah, Hallal – aber davon vielleicht ein anderes Mal).

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Dieses Geschenk hat mich unglaublich berührt. Ohne Worte hat mich meine Schwester spüren lassen, dass sie an mich glaubt, an meinen Plänen und Träumen Anteil nimmt und mich unterstützt.

Ich habe das Buch aufgeschlagen und gleich einen ersten Eintrag gemacht: den Entschluss, diesem Geschenk ein Post zu widmen, um mich daran zu erinnern, wie unverzichtbar und wertvoll Ermutigung und Wertschätzung sind.

Ein aufbauendes Feedback motiviert mich und gibt mir einen Extraschub Energie, um an meinen Plänen dranzubleiben – und nichts berührt und ermutigt mich so sehr wie eine positive Reaktion aus meinem engsten Umfeld. Das heisst nicht, dass ich die Verwirklichung meiner Träume von der Meinung anderer abhängig mache. Aber mir wird mehr und mehr bewusst, wie viel eine ermutigende Geste im richtigen Moment ausmacht.

Dieses Erlebnis hat mich auch inspiriert, über meine eigene Rolle im Leben anderer nachzudenken. Bin ich mir dieser Rolle bewusst, und setze ich meinen Einfluss mit Bedacht ein? Gerade in unseren engsten Beziehungen haben Feedbacks grosse Macht: Sie können uns aufbauen, können uns aber auch am meisten verletzen, wenn sie negativ sind oder ganz ausbleiben. Ermutige ich meine Familie und meine nächsten Freunde – oder vergesse ich es, ohne zu merken, wie abwertend das wirken kann?

Bin ich mir auch darüber im klaren, was für einen Einfluss ich auf Menschen in meinem Bekanntenkreis und meiner Umgebung habe? Oder behalte ich meine Meinung für mich, weil ich nicht glaube, dass sie jemanden interessiert und weil ich mich auf keinem Gebiet als „Autorität“ sehe? Damit schätze ich meine Talente gering und verpasse die Gelegenheit, jemanden auf seinem Weg zu ermutigen.

Ich werde mir auch neu bewusst, wie aufbauend solche Feedbacks im Alltag wirken. Jeder Mensch möchte in dem, was er tut, wahrgenommen werden. Mit einem kleinen Funken der Wertschätzung kann ich genau heute dem Tag vieler Menschen einen kleinen Glanz verleihen.

Ich will meinen Einfluss auf andere nicht mehr unterschätzen und diese Verantwortung wahrnehmen. Ich will mehr ermutigen und gezielt nach Gelegenheiten suchen, wie ich anderen Wertschätzung entgegen bringen kann. Und ich will nicht vergessen, dass sich auch Menschen, die es in meinen Augen nicht mehr nötig haben, über positive Feedbacks freuen.

Das Geniale daran ist im Übrigen, dass diese Wertschätzung zurückkommt. Ich nenne das den „Kreislauf der Wertschätzung“ – im Gegensatz zum „Kreislauf des Anschreiens“ aus „How I Met Your Mother“, der leider auch funktioniert. Wenn ich andere aufbaue, färbt etwas von dieser Anerkennung auf mich ab – und sei es nur das Bewusstsein, jemandem eine Freude gemacht zu haben.

Es gibt zu diesem Phänomen einen alten, unglaublich kitschigen Spruch, der nach meinen Recherchen Goethe zugeschrieben wird. Meine Patentante hat ihn mir vor 21 Jahren ins Poesiealbum geschrieben – und heute passt er einfach. In diesem Sinne:

Willst Du glücklich sein im Leben
Trage bei zu andrer Glück
Denn die Freude, die wir geben
Kehrt ins eigne Herz zurück

Hast Du den Eindruck, dass es niemanden interessiert, was Du denkst? Glaubst Du, Dein Feedback kannst Du Dir sparen, oder weisst Du gar nicht, wen, wie und wo Du ermutigen könnest?

Unterschätze weder Deinen Einfluss noch Deine Möglichkeiten – der Alltag bietet dutzende von Gelegenheiten, andere aufzubauen. Sei es im Supermarkt, im Restaurant, in der Arbeit – sogar zu Hause am Computer (ja, genau jetzt!) kannst Du jemandem mit einem Kommentar, einem „like“ oder einer Mail eine Freude machen (zum Beispiel mir – also nichts wie ran :-)!).

Leg los, und tritt ein in den Kreislauf der Wertschätzung – Erfahrungsberichte erwünscht!