Das ganze Paket – warum Neid zerstörerisch ist

Vor kurzem hatten wir im Kleintheater Grenchen einen Künstler zu Gast, auf den ich mich schon lange gefreut hatte. Ich wurde nicht enttäuscht: Stefan Waghubinger präsentierte fast zwei Stunden superber Unterhaltung. Trocken und lakonisch, tiefgründig, gleichzeitig alltagsnah und transzendental plauderte er über das Leben, den Glauben, die Steuererklärung und vieles mehr. Viele seiner Texte klingen nach, aber einer ist mir besonders geblieben, weil er etwas ansprach, das mich oft beschäftigt.

Waghubinger hat über sein Leben philosophiert und darüber, was dieses Leben ausmacht. Er hat sich die Frage gestellt, ob er etwas anders haben möchte und ob andere es besser haben. Dann sagte er lakonisch, so ganz tauschen möchte  er dann doch mit keinem.

So simpel er klingt, sagt dieser Satz enorm viel aus. Mir zeigt er, welchen Irrweg wir betreten, wenn wir andere um etwas beneiden.

Wenn wir Neid empfinden oder etwas begehren, was ein anderer hat, sagen oder denken wir schnell mal, dass wir gern „wären wie xy“ oder dessen Leben hätten. Etwas Bestimmtes erregt unsere Aufmerksamkeit oder unseren Neid – ein hoher Lebensstandard, Berühmtheit, ein knackiger Po, eine tolle Stimme, das super Selbstvertrauen, die Traumfamilie, eine verantwortungsvolle, prestigeträchtige Position – und wir möchten „das“ auch. Wir fragen uns, warum er/sie und nicht wir „das“ hat. Aber obwohl wir vielleicht kurz denken, dass wir mit ihm oder ihr tauschen möchten, wollen wir das im Grunde gar nicht.

Wir hängen an unserem Leben, so unzulänglich  und nicht perfekt es auch sein mag. Wir wollen unser Paket nicht tauschen.

Würden wir unsere Kinder hergeben, um den tollen Job zu bekommen? Unseren Beruf, um dafür den Knackpo zu kriegen? Nicht wirklich. Kommt dazu, dass bestimmte Pluspunkte auch bestimmte Minuspunkte nach sich ziehen. Die verantwortungsvolle Position geht mit Sicherheit mit einer gehörigen Portion Stress einher, mit wenig Zeit für Hobbies und anderes. Wollen wir das auch? Natürlich nicht. Wenn wir jemanden beneiden, dann sehen und wollen wir nur die Sahneseite und dazu alles, was wir sonst haben – also etwas, das es gar nicht gibt.

Dummerweise fällt uns das Beneiden leicht, und diese Neigung in uns wird von der Welt, in der wir leben, noch angeheizt. Die Werbung gaukelt uns vor, was wir alles haben könnten undzeigt uns das Neueste, das natürlich viel besser ist als das, was wir haben. Und falls wir es dann noch nicht wollen, sehen wir es an unseren Bekannten oder Freunden, und spätestens jetzt müssen wir es auch haben. Denn die Werbung vermittelt ja nicht nur, wie toll etwas ist und jeder, der es hat, sondern auch, dass jeder, der es nicht hat, keine Ahnung hat und nicht zum auserwählten Kreis gehört.

Abgesehen davon, dass dieser Drang des Neidens und Vergleichens unseren Geldbeutel belasten kann, hat er noch ernstere Folgen. Oft neiden wir anderen auch Gaben und Talente. Wenn wir glauben, dass andere mehr Talente haben und wir zu kurz gekommen sind, wird unser Blick für die Gaben getrübt, die uns geschenkt wurden. Und was wir nicht sehen, setzen wir nicht ein. Dabei ist das,  was wir sind und haben – all unsere Erfahrungen, unser Gaben, unsere Gegenwart mit all ihren Freuden und Leiden – der Stoff, mit dem wir die Welt prägen können.

Ich beneide selten jemanden, bin aber nicht immun. Aktuell bin ich am anfälligsten, wenn mir andere auf ihrem Weg zum Autor ein paar Schritte voraus sind oder Wege einschlagen, die für sie funktionieren, von denen ich aber weiss, dass sie nichts für mich sind. Wenn ich lese, dass eine Autorin innert sechs Monaten schon wieder ein Buch veröffentlicht hat und das nächste auch gerade fertig wird, kriege ich ab und zu ein flaues Gefühl im Magen und frage mich, warum ich nicht schneller arbeiten kann. Gleichzeitig weiss ich, dass mein Buch die Zeit braucht; nicht weil es besser, sondern weil es anders ist und ich anders bin.

Meistens jedoch kann ich Neid auf der Seite lassen, und vier Punkte oder Gedanken unterstützen mich dabei. Der erste ist Glückssache, zum zweiten habe ich beigetragen, der dritte ist eine Erkenntnis, die jedem offensteht. Der vierte ist transzendental und die Wurzel.

Zum einen habe ich tatsächlich viel von dem, was mir persönlich wichtig ist: viel Freiraum, eine Arbeit, die mir gefällt, daneben Zeit für meine Schreib- und Musikprojekte. Eine gute Gemeinschaft. Freunde, die mich nehmen, wie ich bin; eine tolle Familie, einen Mann, der mich in allem unterstützt und der dieses seltsame Wesen, das ich bin, versteht (oder zumindest nicht schreien davor flüchtet).

Zum zweiten habe ich mich mit bestimmten Mängeln oder Eigenarten meinerseits versöhnt. Ich würde die dickeren, gewellteren Haare immer noch nehmen, aber ich habe die Gegebenheiten der Natur akzeptiert. Ich wünsche mir nicht mehr, extrovertierter zu sein, sondern kann damit leben, dass Menschen mich im ersten Moment für etwas reserviert halten, und vertraue darauf, dass die Menschen, auf die es ankommt, tiefer sehen.

Zum dritten ist mir bewusst geworden, wie trennend und zerstörend Neid sein kann. Egal, ob es um die Erfolge anderer Autorinnen geht oder um bessere Gesangskünste, um ein tolleres Aussehen oder mehr Selbstvertrauen: Wenn ich andere beneide, treibe ich einen Keil zwischen mich und diese Menschen, und das ist lebenshindernd.

Zum vierten und letzte gibt es zumindest für mich nur eine Wurzel, die wirklich vom Neid befreit. Es ist die Gewissheit, dass weder das Mass an Gaben und Talenten, das ich habe, noch die existierende oder fehlende Anerkennung etwas über meinen Wert als Mensch aussagen. Wenn ich begriffen habe, dass dieser Wert unveräusserlich und unveränderlich ist, weil er mir von Gott gegeben wurde, kann ich anderen befreit gönnen, was Gott ihnen schenkt.

Damit werde ich frei, zu sehen und zu schätzen, was er mir gegeben hat, und das Beste aus mir herauszuholen – zu meiner Freude und zum Wohl aller anderen.

Wo seid Ihr anfällig für Neid? Im Kilobereich oder im Postenbereich, bei der Nasenform oder beim Gehaltscheck? Bei der Kinderzahl oder beim Handymodell? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

10 Comments

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  1. Ich beneide selten jemanden, bin aber nicht immun.!! Hihi liebe Claudia, da kommt unsere Ähnlichkeit wieder zum Vorschein. Dieser Satz kann ich dick unterstreichen. Vor ein paar Jahren kam dieses Neidchen immer dann, wenn die liebe Claudia so wunderschöne Schuhe an den Füssen hatte und ich mit meine blöden Einlagen schon fast Gesundheitsschuhe tragen musste. ;-). Heute muss ich darüber lachen – aber sie haben mir schon immer gefallen deine hübschen Schuhe.
    Ansonsten bin ich mit allem total zufrieden. Mit dem Neid ist es das gleiche wie mit der Eifersucht (ist das eigentlich nicht fast dasselbe? :-)). Man sagt ja „Eifersucht ist eine Macht, die mit Eifer Leiden schafft“. Ich kann mich gut akzeptieren und ich kann mich auch gut leiden. Ziel erreicht! ;-). Freue mich dich und deine Schuhe wieder einmal zu sehen! Äs liebs Grüessli,siwi

    • Danke Dir für den Kommentar, liebe Siwi – ich kaufe zwar nicht mehr so exzessiv, aber die Freude an den schönen Schuhen habe ich mir bewahrt :-)! Die Nuance von Eiferucht und Neid ist glaube ich klein; in der Partnerschaft redet man eher von Eifersucht, während der Neid alles mögliche betreffen kann. Ich finde es spannend, dass es gegen den Neid sogar ein Gebot gibt und das Thema auch im NT immer mal wieder kommt. Es scheint Gott wichtig zu sein 😀 Schön, dass auch Du so zufrieden bist mit allem! Unser Alter macht uns da doch auch gelassener denke ich. Liebe Grüsse, und bis bald einmal!

  2. Liebe Claudia – auch uns, meinen Mann und mich, hat Stefan Waghubinger beeindruckt. Besonders gefreut hat uns, deinen Mann kennen zu lernen und mich, dich wieder einmal zu sehen und ein paar Gedanken aus zu tauschen.
    Gute Wünsche und herzliche Grüsse
    Rosmarie

    • Liebe Rosmarie, als Teammitglied im Kleintheater freut es mich zusätzlich, dass es Dir und Deinem Mann gefallen hat! Aber vor allem hat es auch Beat und mich gefreut, Euch beide zu treffen und Deinen Mann kennenzulernen 🙂 Auch Euch beiden alles Gute und herzliche Grüsse!

  3. Hat dies auf Da das Leben kein Kochbuch ist rebloggt und kommentierte:
    Da ich mich ja gestern sehr lange mit dem Thema Neid beschäftigt, meine 7 Geständnisse niedergeschrieben & den Schwachsinn (meiner Meinung nach!) aufgedeckt, habe. Hier nochmal eine tolle Impression von Claudia Dahinden auf ihrem Blog Seelen-Snack, warum Neid zerstörerisch ist! 🙂

  4. Ein super Text,-ich habe ihn direkt rebloggt.
    Dein Schluss, mit den vier Gedanken zum Neid und der Wertschätzung unser Selbst (die oftmals durch Neid vor allem bezogen auf Werbung und andere Umwelteinflüsse, verloren geht) finde ich super. Auch ich habe mich gestern sehr mit dem Gedanken Neid auseinandergesetzt, da ich neidisch auf meine Freundinnen wurde. Hierzu habe ich dann direkt ein Text mit meinen 7 Neid-Geständnissen verfasst und der Korrektur hierzu, warum ich lieber darüber lachen sollte oder ein Kompliment geben könnte. Schau ihn dir doch mal an, https://annbluntlyblog.wordpress.com/2017/07/20/neid-kleinigkeiten/ über dein Feedback würde ich mich sehr freuen 🙂
    Generell finde ich, kann man Neid in Kleinigkeiten verwandeln, die vielleicht zum lachen bringen oder einfach Ehrlichkeit beweisen. Umso mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, wird klar das Neid ein ungeschriebenes Gesetz ist, was wir uns selbst auferlegt haben aber viel öfter als Appell nutzen sollten, denn jeder Mensch ist ein Wunder!-In diesem Sinn, Liebe Grüße und ein schönes Wochenende.

    • Danke für Dein nettes Feedback; sehe ich genau so! Ehrlichkeit ist ein toller Weg, sich mit dem eigenen Neid auseinanderzusetzen und eben auch wieder die Grenze zum Nächsten zu überwinden. Und ohne Neid sehen wir wieder besser, was wir selbst alles sind und haben 🙂 Dir auch ein tolles WE!

  5. Hallo Claudia! Heute stöbere ich zum ersten Mal in deinem Blog – und treffe gleich zufällig auf einen Artikel, der mein heutiges Thema gleich trifft. Danke für deine Gedanken. Herzliche Grüsse aus Zürich! Sonja

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