baby-428395_1280Das Thema Abtreibung hat schon immer für reichlich rote Köpfe gesorgt, und ich habe mich gern herausgehalten. In den letzten Wochen hat sich die Debatte wegen der amerikanischen Non-Profit-Organisation „Planned Parenthood“ noch verschärft, und der auf meinen Facebook-Feed niederprasselnde Geschützdonner hat mich nun doch hinter dem Busch hervorgeholt.

Für die, die das nicht verfolgt haben: „Planned Parenthood“ bietet in über 700 Kliniken medizinische Dienste vor allem in den Bereichen Sexualmedizin, Gynäkologie und Familienplanung an, und ein Großteil ihrer Arbeit dreht sich um Abtreibungen. Seit einiger Zeit sind Videos im Umlauf, die Abtreibungsgegner heimlich mit einer Mitarbeiterin der Organisation gedreht haben. Sie hatten im Gespräch vorgegeben, am Kauf von Fötus-Organen interessiert zu sein, und im Video hört man die Mitarbeiterin bei einem grünen Salat und einem Glas Wein darüber sprechen, wo man einen Fötus am besten zerdrückt, um die gewünschten Organe unversehrt zu lassen.

Ich habe mir das Video angesehen, und es dreht einem zugegebenermaßen fast den Magen um. Jeder Satz schreit förmlich heraus, wie pervertiert die Sicht unserer Gesellschaft auf das ungeborene Leben ist. Weniges ist bei uns so wert- und schutzlos wie dieses Leben: wie Karen Swallow Prior es in einem exzellenten Post ausgedrückt hat, bezeichnen wir es in grenzenloser Heuchelei als „Babies“, wenn es erwünscht ist, und degradieren es zu einer Sache, wenn es uns gerade nicht in den Kram passt.

Manchmal habe ich den Egoismus, die Gedankenlosigkeit und die Gleichgültigkeit, die aus unserem Umgang mit diesem Leben sprechen, einfach satt. Dann würde ich militanten Befürwortern gern etwas in dieser Währung sagen: „Es ist also DEIN Körper, DEIN Leben. Warum übernimmst Du dann nicht die Verantwortung dafür, BEVOR Du ein Leben erschaffen hast, für das Du dann nicht einstehen willst?“ Und ein paarmal hat mein Finger gezuckt, wenn ein schön plakatives Post in meinem Facebook-Feed aufgetaucht ist. Warum nicht EINMAL der Welt demonstrieren, wie pervers sie doch ist?

Am Ende habe ich keines von beiden getan, und zwar aus gutem Grund: weil ich das Thema nicht nur aus diesem Blickwinkel sehen kann.

Ich halte Abtreibung für falsch und für eine Tragödie. Nach meinem Glaubensverständnis darf weder ich noch sonst jemand entscheiden, ob ein Mensch leben darf oder nicht. Ich darf mir aber als Christ auch nicht den Luxus erlauben, die Welt nur so zu sehen, wie sie sein sollte, während ich geflissentlich Leid, Schmerz und Not ignoriere, die neben Gedankenlosigkeit und Egoismus eben auch hinter solchen Entscheidungen stehen.

Ich würde gern in einer Welt leben, in der es keine Gesetze braucht. In der es weder ein Verbot noch eine Regelung für Abtreibung gibt, weil niemand auf eine solche Idee kommt. Eine Welt, in der Menschen verantwortlich zusammenleben, in der Sex Ausdruck von Liebe in einer verbindlichen Beziehung und die Schwangerschaft ein Geschenk ist, das freudig empfangen wird.

Aber in dieser Welt leben wir nicht. Wir leben in einer gefallenen Welt, in der Gottes Reich zwar immer wieder durchscheint, aber nun einmal noch nicht zum Durchbruch gekommen ist. In dieser Welt gibt es Egoismus, Bösartigkeit, Armut, zerbrochene Beziehungen, und damit gedankenlosen Sex, Vergewaltigungen, finanzielle Not und zerbrochene Familien. Und das alles bringt Situationen hervor, in denen eine Schwangerschaft eine Frau in tiefste Verzweiflung stürzen kann.

Als Christen können wir natürlich für Gesetze kämpfen, die das ungeborene Leben schützen. Meiner Meinung nach sollten wir aber nicht vergessen, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates ist, Gottes Gesetze durchzudrücken, und wir sollten unsere Energie nicht darauf verschwenden, einen Gottesstaat christlicher Prägung zu errichten. Und genauso wenig sollten wir unserem Zorn und unserem Schmerz dadurch Ausdruck verleihen, dass wir uns in selbstgerechten, verurteilenden Posts abreagieren, wie sie in letzter Zeit meinen News-Feed zumüllen.

Ich verstehe Euch ja: Euer Blut kocht, und es tut Euch in der Seele weh, wenn ungeborenes Leben wie Abfall behandelt wird. Aber wir sollten nie vergessen, dass wahrscheinlich nur eine Minderheit leichtfertig abtreibt. Und selbst wenn es mehr sind: versetzen wir uns nur einmal in die Lage einer Frau, die sich in seelischer Not befindet und keinen Ausweg weiß. Die es wegen Familie und Umfeld nicht wagt, das Kind zu behalten oder es auszutragen und zur Adoption freizugeben. Wir sollten uns fragen, ob wir in ihrer Lage, ohne unseren Weg, der uns auch den Wert des ungeborenen Lebens bewusst gemacht hat, vielleicht die gleiche Entscheidung gefällt hätten. Und dann sollten wir unser Post noch einmal anschauen und uns fragen, ob wir damit irgendetwas besser machen. In der Regel nicht, denn hartherzige Egozentriker erreichen wir damit sowieso nicht. Aber wir versetzen einer solchen Frau einen zusätzlichen Stich in eine blutende Wunde un verhindern damit zuverlässig, dass jemals eine Frau in Not auf uns zukommt.

Doch genau hier wäre unser Platz. Anstatt unsere Wut in Posts abzulassen, könnten wir konkret für das ungeborene Leben einstehen. Aber wie?

Akzeptieren wir, dass wir in dieser gefallenen Welt leben.
Ich wiederhole mich, weil es zwar schmerzlich, aber dennoch wahr ist: Menschen haben nicht nur Sex, wenn sie verheiratet sind und Kinder wollen. Menschen sind unvorsichtig, Frauen werden ungewollt schwanger. Frauen werden vergewaltigt, Frauen leben in Armut und haben Angst; Frauen glauben, dass sie es nicht schaffen, weil sie keine verbindlichen Beziehungen haben, auf die sie bauen können. Diese Welt gibt es, und sie verschwindet nicht auf einen Schlag. Leben wir darin, wie es unsere Aufgabe ist. Sehen wir hin, auch wenn es weh tut.

Schaffen wir ein „Pro-Life“-Umfeld, indem wir uns um das GEBORENE Leben kümmern
Als Christen können wir ein Umfeld schaffen, in dem Menschen den Wert des Lebens kennen, schätzen und respektieren, wenn sie durch uns Wertschätzung am eigenen Leib erleben. In meiner Gemeinde wurde eine junge Frau schwanger, ihre Beziehung zerbrach. Ich habe ihren Entscheidungsprozess nicht erlebt, aber ich habe mitbekommen, wie sie unterstützt wurde und wie sehr ihr die eigene Familie beigestanden ist. Sie hat inzwischen erfolgreich ihre Ausbildung abgeschlossen, und ihre Eltern zeigen jeden Tag, wie stolz sie sind und wieviel Freude sie an ihrer Enkeltochter haben.

Stehen wir mutig zu unserer Sicht
Nur, weil der Staat etwas erlaubt und es somit legal ist, muss es nicht in Ordnung sein. Kein Mensch kann sagen, wann die Seele in den Menschen kommt und das Leben anfängt, aber niemand wird bestreiten, dass es vor der Geburt beginnt. Erinnern wir daran, dass eine Abtreibung gewaltsam ein Leben beendet. Wenn wir Abtreibung verharmlosen oder dazu schweigen, entwerten wir nicht nur das ungeborene Leben: wir tun auch den Frauen keinen Gefallen, die vor dieser Entscheidung stehen. Viele Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, leiden später darunter, und ich glaube, das hat mit diesem beendeten Leben zu tun. Einer der Gründe, warum das „Planned Parenthood“-Video so an die Nieren geht, ist, dass die Mitarbeiterin einzelne Organe benennt. Damit widerspricht sie ungewollt dem oft verwendeten Bild vom „Zellhaufen“ und sagt, worum es sich wirklich handelt: um Organe eines lebenden menschlichen Wesens. Wenn sich uns eine Frau in ihrer Not anvertraut, sollten wir ihr einfühlsam beistehen, ihr aber auch diese Sicht zumuten – nicht nur zum Schutz des ungeborenen Lebens, sondern zu ihrem eigenen Schutz im Entscheidungsprozess.

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Abtreibung ist ein schmerzliches, grausames und unerträgliches Brandzeichen unserer gefallenen Welt. Sie muss, nein, sie darf uns nicht gefallen. Tun wir, was in unserer Macht steht, um ungeborenes Leben zu retten.

Schaffen wir ein Umfeld, das Menschen in Not anzieht. Stehen wir denjenigen bei, die in solchen Situationen stehen und keinen Ausweg wissen.

Sehen wir es als Aufgabe, Abtreibung weder schönzureden noch zu versachlichen, sondern klar darzulegen, was es ist, und Menschen dennoch mit Mitgefühl und Barmherzigkeit zu begegnen.

Und vergessen wir in unserem Zorn und unserem Schmerz nicht, dass das Auslöschen eines Lebens bei einer Abtreibung Gott zwar niemals gefallen wird, dass seine Barmherzigkeit aber grösser ist – und unsere es auch sein sollte.