Friedrich T. Wahlen – den Kopf im Himmel, die Füße auf der Erde, das Herz bei den Menschen

SechselaeutenAm vergangenen Montag fand in Zürich das traditionelle „Sechseläuten“ mit seinem Zug der Zünfte und der „Böögg“-Verbrennung statt. Dabei wissen die wenigsten, die den Anlass besuchen und die prächtigen Bilder in sich aufnehmen, dass auf diesem Platz vor 70 Jahren Kartoffeln geerntet wurden. Verantwortlich dafür war ein Mann aus Bern, dem ich dieses heutige Post über Persönlichkeiten des Zweiten Weltkriegs widmen möchte.

Die Schweiz hatte vor dem Krieg rund die Hälfte ihrer Nahrungsmittel importiert, und im Fall eines Embargos der Achsenmächte hätte ihr eine Lebensmittelknappheit gedroht. Deshalb brachte Friedrich Traugott Wahlen, Chef der Abteilung für landwirtschaftliche Produktion und Hauswirtschaft im Eidgenössischen Kriegsernährungsamt, am 15. November 1940 in einem Vortrag ohne Wissen seiner Vorgesetzten seinen seit 1935 vorbereiteten Anbauplan vor eine breitere Öffentlichkeit.

Anbauschlacht 1Sein Plan wurde in weiten Kreisen der Bevölkerung positiv aufgenommen und überzeugte schließlich auch die erst widerstrebenden Führungskräfte in Staat und Wirtschaft. In den kommenden Jahren wurden auf großen Höhen Nahrungsmittel angepflanzt; ungenutzte Flächen wie öffentliche Parks, Sportplätze, aber auch der Sechseläuten- und der Bundesplatz wurden in Ackerland umgewandelt. So gelang es, die Anbaufläche von 183’000 bis 1945 auf 352’000 Hektaren auszuweiten und den Selbstversorgungsgrad von 52% auf 59% zu erhöhen.

Doch der Nutzen der Anbauschlacht ging weit darüber hinaus: Die Unterordnung aller unter ein gemeinsames Ziel förderte die gesellschaftliche Integration, und die Anbauschlacht wurde zum Symbol für die Volksgemeinschaft, den Widerstandswillen und die Selbstbehauptung der Schweiz.

Mit seinem Vorpreschen an die Öffentlichkeit hatte Friedrich T. Wahlen einiges riskiert, aber es hatte sich gelohnt. Und es sollte nicht der letzte große Dienst sein, den er seinem Land erweisen konnte: Nach dem Tod von Bundesrat Markus Feldmann 1958 wurde Wahlen dank seiner im Krieg erlangten Popularität in den Bundesrat gewählt, obwohl er seine Karriere größtenteils in Ausland gemacht hatte.

Nach seinem Agronomiestudium in Zürich war Wahlen in Deutschland, England, den Niederlanden sowie 1923-29 in Kanada tätig. Nach einer längeren Tätigkeit in der Schweiz führte ihn seine Aufgabe als Direktor der Abteilung für Landwirtschaft der „Food and Agricultural Organization“ (FAO) ab 1949 zuerst nach Washington und 1951 nach Rom. 1950-52 war er bei der FAO als Chef des technischen Programms tätig und amtierte 1958-59 als Vizedirektor.

Seine Berufung zurück in die Schweiz kam zwar unerwartet, aber doch nicht ganz unverhofft. Bereits 1950 hatte er in einem Brief während eines Flugs von Rom nach New York geschrieben:

„Der Abflug von Zürich war unvergleichlich schön. Ich habe die Schweiz noch nie bei so schönem Wetter nachts überflogen. Was für ein Lichterkranz um den Zürichsee! Und dann hörte es gar nicht auf. Man sieht erst bei Nacht, wie dicht die Schweiz besiedelt ist. Der kleinste Weiler schickt ein paar Lichtlein zum Himmel. Man denkt sich, wie jedes dieser Lichter ein Bauernhaus, eine Scheiterbeige oder einen Hanslibirenbaum beleuchtet. Ich dachte, ich müsse doch noch einmal eine Mission im Schweizerland haben, früher oder später. Aber vielleicht sind das nur Träume.“

Wie er dann in der Rückschau schrieb, wurden seine Träume zur Wirklichkeit –

„und zwar zu einer sehr verantwortungsvollen Wirklichkeit. Aber was könnte mehr Befriedigung bieten als ernst genommene Verantwortung im Dienste einer geliebten Heimat!“

Ich bin auf Wahlen im Rahmen meiner Arbeit als wissenschaftliche Assistentin gestoßen, und je mehr ich über diesen Mann gelesen habe, desto grösser wurde meine Achtung und Bewunderung für ihn. Er war ein geradliniger, humorvoller, tiefsinniger und doch bodenständiger und – was mich natürlich nicht wundert – ein zutiefst gläubiger Mann. Als Sohn eines Lehrer und Predigers der Evangelischen Gemeinschaft schöpfte er aus seinem Glauben an Gott viel Kraft, und seine Schriften und Tagebucheinträge spiegeln eindrücklich, wie nahe und natürlich für ihn die Beschäftigung mit Gott war. So schrieb er in einer Notiz zum Spiel der Wolken, das er aus dem Flugzeug bewunderte:

„Ob wohl der Schöpfer all diese schönen Formen und Farbeffekte voraussah, als er ans Werk ging? Und ob er wohl vorausplante, dass sich die Menschen daran freuen sollten? Ich denke schon; darum hat er ja unser Leben auch lang genug bemessen. In den zehn oder weniger Jahren, die vielen andern Lebewesen beschieden sind, sähe man wenig.“

Sein Glaube floss auch in seine Beziehungen und in seine Arbeit ein. Er war einer der Bundesräte, die sich in ihrer Antrittsrede vor dem Parlament auf Gott beriefen, und einer seiner engsten Freunde, der 2009 verstorbene Schweizer Journalist und Schriftsteller Alfred A. Häsler, lässt in einem seiner Bücher eine Erinnerung aufleben, die den Schalk, die Lebensfreude und die natürliche Frömmigkeit dieses Mannes demonstrieren:

„Wahlens und wir genossen auf der Terrasse in S. Abbondio am 7. Oktober 1975 einzigartige Wolkengebilde, bei einem Boccalino Nostrano. Auf einmal sagte Fritz Wahlen: ‚Wäre das jetzt Blasphemie, wenn wir auf den lieben Gott anstoßen würden, weil er das so schön gemacht hat?‘ Darauf standen wir auf und stießen auf den lieben Gott an. Es war eine beinahe feierliche Stimmung.'“

Friedrich_Traugott_WahlenFriedrich Traugott (sic!) Wahlen ist für mich ein Vorbild dafür, wie ich als Christ in der Welt leben will – tief verwurzelt im Glauben, aber nahbar, voller Ehrfurcht für meinen Schöpfer und Sehnsucht nach seinem Reich, aber voller Dankbarkeit und Freude an dem, was er mir hier auf Erden schenkt.

Den Kopf im Himmel, die Füße auf der Erde
und das Herz bei den Menschen.

Und meine Hoffnung und Zuversicht gründend auf den lebendigen Gott – oder wie Wahlen selbst es am Schluss seiner Rede „Hochkonjunktur und Menschenwürde“ vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft am 23. September 1956 ausgedrückt hat:

„Wenden wir den Blick nur auf die Menschen, dann erscheint die Lage aussichtslos (…) Die einzige Zuversicht, die Bestand haben kann, stammt aus dem Glauben, dass Gott lebt.“

Quellen: Wikipedia, Artikel „Plan Wahlen“, Historisches Lexikon der Schweiz, Artikel „Anbauschlacht“ und „Wahlen, Friedrich T.“, Friedrich T. Wahlen, „Erinnerungen“, „Dem Gewissen verpflichtet“ (hrsg. A. Häsler), Alfred A. Häsler, „Briefwechsel“. Bilder: Wikipedia, Schweizerische Eidgenossenschaft.

Schreibe einen Kommentar

required