In meiner Heimatstadt fand früher jedes Jahr eine Weihnachtsausstellung statt. Die örtlichen Gewerbetreibenden und auswärtige Kunsthandwerker boten ihre Waren an, und für uns Kinder waren all die Stände mit ihrem Schmuck aus Tannenzweigen und brennenden Kerzen ein wunderbarer Vorgeschmack auf Weihnachten.
Als ich als an einem unserer Besuche die Auslagen bestaunte, fiel mir plötzlich eine kleine Schale aus rauem Glas auf. Ihre wunderschönen, ineinanderfließenden Farben faszinierten mich, und so kaufte ich sie mir von meinem Taschengeld. Die Schale bekam einen Ehrenplatz in meinem Zimmer, und ich liebte sie heiß und innig – bis sie mir nach einem Besuch bei meiner besten Freundin in der Wohnung über uns im Treppenhaus aus der Hand fiel und in tausend Stücke zerbrach.
Ich war untröstlich. Weihnachten war lange vorbei, und ich hatte keine Chance, mir die Schale neu zu kaufen. Und überhaupt – es wäre nicht das gleiche gewesen.
Heute staune ich darüber, wie leidenschaftlich wir als Kinder an Gegenständen hingen und wie sehnsüchtig wir uns diese Dinge wünschten.Ob Stoffschaf, Barbiepferd oder Rosenquarz: Wir wollten „es“ unbedingt haben, und wenn wir es in Händen hielten, waren wir für einen Moment am Ziel unserer Träume. Wenn wir als Erwachsene etwas kaufen, erstehen wir oft mehr als das Produkt: Wir kaufen einen Traum, wir glauben insgeheim, dass das Produkt einen Mangel füllt und ein Ergebnis produziert, das mit dem Produkt selbst nicht immer etwas zu tun hat.
Im Stephen Kings Roman „Needful Things“ eröffnet ein fremder Geschäftsmann einen neuen Laden in einer Kleinstadt. Der gleichzeitig charmante und irgendwie unheimliche Ladenbesitzer verkauft rasch mit Erfolg die unterschiedlichsten Waren, und oft schließt er Geschäfte der besonderen Art ab: Jeder Kunde, der bei einem solchen Handel ein Produkt kauft, hat das Gefühl, seinen persönlichen „heiligen Gral“ gefunden zu haben. Doch zur gleichen Zeit, wie das Geschäft zu brummen beginnt, häufen sich in der Stadt seltsame Vorfälle. Erst sind es harmlose Geplänkel, doch dann nehmen die Konflikte zwischen Einwohnern eine neue Schärfe an und entladen sich in Gewalt. Der Sheriff der Stadt erkennt schließlich, dass die brummenden Geschäfte und seine aus den Fugen geratene Stadt zusammenhängen: der seltsame Ladenbesitzer hat seinen Kunden die Ware zu einem zweiteiligen Preis verkauft. Neben dem Geldpreis bezahlten sie mit einer Tat, die wie ein harmloser Streich aussah. Doch mit Hilfe dieser „Streiche“ wurden Menschen, deren Konflikte schon länger auf niedrigem Feuer köchelten, gegeneinander aufgehetzt, bis sich diese Streitigkeiten in einem grausigen Feuerwerk der Gewalt entluden und die Stadt beinahe zerstörten.
Der unheimliche Geschäftsmann wusste genau, was die Leute sich wünschen, und er hatte es scheinbar parat. Doch die Produkte erfüllten ihre Versprechen nicht – es waren Illusionen und Lügen, die ihren Einfluss auf die Menschen schleichend vergrößerten. Das Leben der Käufer drehte sich mehr und mehr nur noch um ihren „Schatz“ – sie fürchteten, er könnte gestohlen werden, saßen am liebsten nur damit herum und sorgten sie sich, er könnte kaputt gehen. Habgier, Eifersucht und Misstrauen nehmen einen immer größeren Platz in ihren Herzen ein, bis sie sich an die Gurgel gingen. Der Sheriff stellt schließlich den Geschäftsmann, der sich als eine Art Dämon entpuppt. Der Handlanger des Bösen muss das Weite suchen und die Seelen der Menschen, die er mit seinem Handel an sich binden wollte, zurücklassen.
Obwohl ich gegen Kaufgelüste nicht immun bin, habe ich mit der Jagd nach der nächsten Trophäe meistens kein Problem. Aber als ich mir die Geschichte von „Needful Things“ noch einmal in Erinnerung rief, fiel mir auf, dass auch die Einwohner von Castle Rock sich zuerst gar nicht nach dem Produkt sehnten, sondern nach dem, was sie damit verbanden. Da ist der Alkoholiker Hugh Priest, der mit seinem verkorksten Leben hadert. Der Fuchsschwanz im Schaufenster erinnert ihn an die Zeit, als er noch nicht süchtig war, und Hugh verknüpft mit ihm die Hoffnung auf einen Neuanfang. Cora Rusk will ihrem Leben entfliehen, das sie als langweilig und unbefriedigend empfindet, und die vermeintliche Elvis-Sonnenbrille entführt sie in einer Phantasiewelt, in der sie mit ihrem Idol vereint ist. Sally Ratcliffe wünscht sich eine tiefe religiöse Erfahrung und kauft ein Stück versteinertes Holz, das von der Arche Noah stammen soll und in ihr eine seltsame Ekstase auslöst. Alan Pangborn leidet unter dem Verlust seiner Frau und seines Sohnes, die bei einem nie ganz aufgeklärten Autounfall ums Leben gekommen sind. Er kauft ein Videoband, das dieses Rätsel endlich lösen soll.
Wenn ich mir diese Liste anschaue, finde ich auch bei mir immer wieder Sehnsüchte oder Gedanken, die sich den ersten Platz in meinem Herzen erschleichen wollen. Das können durchaus löbliche Dinge sein – gesund essen, nicht zu viel Geld ausgeben, meine Fähigkeiten entwickeln. Aber wenn ich so etwas ins Zentrum stelle, laufe ich Gefahr, davon besessen zu sein und die Prioritäten falsch zu setzen. Im Moment muss ich meine Gedanken oft gewaltsam von meinen Schreibprojekten losreißen. Ich sehe ständig, was ich alles tun sollte, am liebsten schon vorgestern, und kann mich nicht mehr erholen, weil ich mich in einem gedanklichen Hamsterrad drehe.
Ich habe mir für die paar freien Tage deshalb vorgenommen, nicht zu viel zu wollen und die Zeit zu genießen, abzuschalten und aufzutanken. Mich zu fragen, welche Prioritäten ich im Moment habe, und ob sie so noch gesund und sinnvoll sind. Und mich regelmäßig daran zu erinnern, dass weder materielle noch ideelle Ziele jemals den ersten Platz in meinem Herzen verdienen – sondern allein Gott. Er ist auch der einzige, der meine tiefste Sehnsucht stillen kann.
Kennst Du auch solche „Drehmomente“, wo alles um ein Thema kreist, das Du nicht loslassen kannst? Was für Rezepte hast Du, um Dich davon zu lösen? Ich freue mich auf Dein Feedback!
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