Angst Pixabay kleinVor einer Woche habe ich meine erste Konzertlesung gehalten. Es war eine spannende Erfahrung mit einigen heiteren Momenten, da das „gleichzeitige“ Lesen, Singen und Gitarre spielen ein paar logistische Herausforderungen mit sich bringt.

 

Wie jongliere ich Buch, Notizen, Gitarre, Kapodaster und Plektron, ohne mich zu verheddern oder die Hälfte herunterfallen zu lassen? Wie komme ich an die Trinkwasserflasche, wenn mein Stuhl zu hoch ist, um sie vom Boden aufzuheben? Ich hatte das zwar zuhause geübt, aber nicht beachtet, dass ich einen Teil meiner Ware auf den Barstuhl neben mir gelegt hatte, der dann leider fehlte.

Ungeachtet dieser kleinen Tücken war es ein gelungener Abend. Das kleine, aber feine Publikum ging mit, die Abläufe klappten mit wenigen Ausnahmen, Stimmung und Feedbacks waren sehr gut. Als ich am Folgetag zufrieden mit der Welt und mir etwas fantasierte, wie es wohl wäre, vor vollbesetzten Rängen zu spielen, holte mich ein ungeliebter Gast aus der Vergangenheit ein.

Vor einer bestimmten Art Erfolg habe ich Angst. Nicht vor dem Platz auf einer Bestsellerliste – immer her damit, I dare to dream! Aber ich habe ein seltsames Verhältnis zu „Ruhm“ und offensiver Bewunderung. Ich fühle mich leicht unwohl, sobald sich die Aufmerksamkeit allein auf mich konzentriert und vor allem, wenn ich mit enthusiastischen Kommentaren konfrontiert werde. Anstatt sie zu genießen, verspüre ich den Drang, mir eine dunkle Ecke zu suchen und erst wieder herauszukommen, wenn alle weg sind.

Ich weiß, dass das zum Teil mit meiner Introvertiertheit zusammenhängt – unter vielen Menschen zu sein und mich ihnen zu widmen, kostet mich Kraft, und am liebsten beobachte ich das Geschehen aus einer sicheren Distanz. Aber ich realisiere auch, dass mich diese Angst wie eine ungesunde Schranke daran hindert, befreit mein Bestes zu geben. Und als ich versuchte, dieser Angst auf den Grund zu gehen, landete ich bei Sätzen, die tief in mir abgespeichert sind und sich in solchen Situationen zu Wort melden.

Du darfst nicht „strahlen“, dich „feiern lassen“ und dich daran freuen.
Wage es ja nicht – sonst folgt die Strafe auf dem Fuß.

Ich konnte nicht eruieren, woher diese Sätze kommen, aber mir wurde bewusst, dass sie mich davon abhalten, mich selbst zu sein. Mit meinen Gedanken noch ganz bei diesen Fragen hörte ich am Sonntag im Gottesdienst eine Predigt, die sich um ein ähnliches Thema drehte: das Original, das Gott mit jedem von uns geschaffen hat, und das entstellte Bild, das wir von uns haben und oft auch leben. Nach der Predigt wandte sich die Frau neben mir plötzlich an mich. Wir kannten uns nicht, aber sie erzählte mir, dass sie ein Bild vor sich gesehen habe, das mit diesem Original zu tun habe, und sie glaube, dass es für mich sei.

Menora PixabayEs war das Bild eines Leuchters, einer siebenarmigen „Menora“, wie sie die Israeliten auf Gottes Geheiß in der Wüste für das Stiftszelt angefertigt haben und später in Jerusalem in den Tempel neben die Bundeslade stellten.

Die genaue Bedeutung der Menora lässt sich nicht so einfach erfassen. Doch das Bild des Leuchters hat mich tief berührt und mir Mut gemacht, die diffusen Ängste vor einer Bestrafung für meinen Platz im „Rampenlicht“ und in den Herzen von Menschen endlich hinter mir zu lassen und sein Bild von mir anzunehmen. Dieses Bild fordert von mir, mein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern auf einen Schemel, wo es gesehen wird.

Manchmal will ich mich nicht auf diesen Schemel stellen, weil ich Angst habe, dass man dann auch die weniger schönen Seiten sieht – Schwächen und Unzulänglichkeiten, Narben und Wunden, wie sie jedes Leben mit sich bringt. Dann denke ich an Stephen Kings „Talisman“ und an seinen jungen Helden Jack Sawyer, der von einer Küste Amerikas zur anderen wandert, um den Talisman zu finden und seiner krebskranken Mutter das Leben zu retten. Er taucht dabei in eine andere Welt ein, übersteht Gefahren und beweist Mut und Charakter. All diese Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren in ihm und lassen ihn „innerlich leuchten“, aber Jack kann dieses Leuchten verbergen und tut das meistens auch. Doch in einer Notsituation setzt er es ein – und der Mensch, der ihn so sieht, ist überwältigt. Er sieht einen müden, schmutzigen Jungen, aber er sieht auch eine innere Schönheit, die durch den Schmutz noch stärker zur Geltung kommt.

Das Licht, das ich leuchten lasse, sind erst in zweiter Linie meine Begabungen und Talente. Zuallererst ist es Gottes Gegenwart, die in mir wohnt und sich in der Form dieses Lichts zeigt. Und dass sein Wohnsitz ein paar Mängel hat, lässt das Licht eher mehr als weniger strahlen.

Funkenregen PixabayMeine Erfahrungen und Unzulänglichkeiten sind Glasscherben, in denen sich Gottes Gegenwart spiegelt und vervielfältigt und zum Funkenregen wird, der sein Licht in alle Richtungen aussendet. Auch ich kann dieses Licht verbergen. Aber ich will mich von der gedanklichen Umklammerung entstellender Sätze befreien und das Licht leuchten lassen.

Und wenn es mir schwer fällt, denke ich einfach daran, dass es im Grunde sein Licht ist, das er in seinem neuen Tempel leuchten lässt.

Vielleicht lebst Du auch mit Sätzen, die Dich hindern, Dein „Originaldesign“ zu sehen und zu leben. Dann möchte ich Dir Mut machen: Gott will sein Original wieder sehen und wird nicht aufgeben, bis er es wieder in „alter Schönheit“ vor sich hat.

Mein "Knorrli" mit meinen Favorites von Knorr!Beim Gang durch den Supermarkt und hier auf Facebook begegnet mir letztens öfter ein kleiner Freund. Er hat letztes Jahr das Pensionsalter erreicht und sieht dafür noch extrem gut aus: seine Haut ist glatt, seine Form straff, und allfällige graue Haare versteckt er unter der roten Zipfelmütze. Sei gegrüßt, Knorrli! Wer den Kleinen nicht kennt: er ist das Markenzeichen der Marke „Knorr“, und ich habe beschlossen, ihm dieses Post zu widmen.

Natürlich habe ich in Historikermanier eine kurze Recherche gemacht, um meiner Hommage genug Relevanz und Tiefe zu verleihen. Doch als erstes musste ich entsetzt feststellen, dass Knorr gar keine Schweizer Firma ist – nichts gegen Euch, liebe deutsche Leser, aber welch ein Schock! Immerhin habe ich dann herausgefunden, dass es eine Schweizer Tochtergesellschaft gibt und Knorrli selbst definitiv und ausschließlich Schweizer ist. Hier nun also meine Referenz an den kleinen Kappenmann. Ich liebe Knorr und seinen Knorrli, weil:

…Knorr „Aromat“ und Maggi produziert!

In fast jeder Schweizer Küche stehen eine Dose Aromat und ein Fläschchen Maggi, auch wenn es nicht jeder zugeben wird. Mit diesem Duo lässt sich auf die faule Art fast alles würzen, und Maggi bietet zusätzlich noch ein besonderes Gourmetvergnügen: Ich erinnere mich, wie wir uns als Kinder im Restaurant ein Maggibrot gemacht haben, wenn wir auf die Speisekarte warten mussten. Aromat benutze ich zum Würzen nicht mehr so oft – außer, wenn es um Teigwaren geht. Denn Teigwaren ohne Aromat sind…unvorstellbar.

…ich Suppen liebe!

Der kleine Knorrli wurde zu Beginn vor allem als Suppenkasper für die Vermarktung von Knorrs Tütensuppen eingesetzt. Diese praktischen Säckchen nahmen einen großen Platz in meinem Studentenvorratsschrank ein und waren in vielen Situationen wahre Lebensretter. Heute habe ich es nicht mehr so mit den Fertiggerichten, aber gerade im Herbst und Winter ist eine Suppe am Mittag einfach was Feines und schlägt – für meinen Geschmack – jeden Salat um Längen. Mein Favorit seit früher Kindheit ist die Buchstabensuppe, dicht gefolgt von „Fideli mit Fleischchrügeli“. Eifach guet!

…Knorrli schräg und gut drauf ist!

Der Zipfelmützenkobold hat etwas Subversives an sich, was mir als verdeckt agierende Rebellin natürlich gefällt. Außerdem hat er immer gute Laune. Zwar hat er mir da etwas voraus, da bestimmte Situationen (Frühstück in Gesellschaft, zu viele Leute während zu viel Zeit – ihr wisst schon) in mir zuverlässig den Miesepeter hervorrufen, aber mehrheitlich bin ich doch ein schräger kleiner Sonnenschein.

…Knorrli rot ist!

Knorrli ist definitiv ein Roter, und ich habe auch einen großen Anteil Sozi in mir. Ich habe stramme sozialdemokratische Wurzeln, und gerade wenn es darum geht, sich für die einzusetzen, die es selbst nicht können, ziehe ich mit den Sozis oft am selben Strang. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

…wir vom selben Blute sind!

Der Hauptgrund für meine Liebe zu Knorrli ist, dass ich selbst Knorrliblut in mir trage. Mein Vater hat eine kometenhafte Pfadfinderkarriere gemacht und in diesem Kreis den Namen „Knorrli“ getragen – vielleicht, weil er ebenfalls klein, rot und subversiv war. Eines der Geschenke, die meine Eltern zu meiner Geburt bekamen, war eine rote Knorrlipuppe mit dem netten Vermerk: „Dem lieben Knorrelinchen“. Man hat mich bei den Pfadfindern zwar „Frigo“ getauft, weil ich im Sommerlager ständig gefroren habe – aber Knorrelinchen bin ich trotzdem.

Während ich mir meinen 43jährigen Stoffknorrli ansehe, frage ich mich, ob ich in 34 Jahren wohl ein „100 Jahre Knorrli“-Post schreiben werde. Und ob sich dann noch jemand an den kleinen Mann erinnert. Aber sei’s drum – im Moment freue ich mich auf die nächste Buchstabensuppe und auf Pasta mit Aromat!

 Kennst Du Aromat, Maggi und Co. Auch? Oder hast Du eigene Nostalgieprodukte oder „Produkthelfer“ wie Knorrli? Ich bin gespannt auf Dein Feedback!

INTJ 2Als introvertierte Seelengrüblerin habe ich früher alles Mögliche unternommen, um dahinter zu kommen, wer ich wirklich bin. Einige Jahre war ich ein Astrologie-Crack und lächelte mitleidig über die Minderbemittelten, die das Wochenhoroskop lasen. Ich befasste mich mit Aszendenten und Häusern und sah je nach Planetenkonstellation ängstlich oder erfreut in die Zukunft.

Als ich gläubig wurde, verabschiedete ich mich radikal von allem „Eso-Kram“ inklusive meiner Bücher über Astrologie. Mein Bedürfnis, Entscheidungen von irgendwelchen Sternenbewegungen abhängig zu machen, war verpufft – nicht aber mein Wunsch, mehr über mich selbst zu erfahren. So habe ich mit Hilfe verschiedenster Systeme immer wieder Neues über mich gelernt. Vor kurzem erst bin ich auf den schon älteren Myers-Briggs Typenindikator gestoßen und habe herausgefunden, dass ich einer der eher seltenen INTJs bin.

Ein zugegebenermaßen leicht abschreckendes Bild eines INTJs ist Sheldon Cooper aus „Big Bang Theory“, mit dem ich leider einiges gemein habe (der Ordnungsfimmel gehört nicht dazu). Andere, angenehmere Beispiele sind die Schriftstellerin Jane Austen, ihre literarische Kreation Mr. Darcy aus „Stolz und Vorurteil“ und der christliche Schriftsteller C.S. Lewis, der die „Narnia“-Reihe geschrieben hat. Beim Studium der charakteristischen INTJ-Züge sind mir ein paar Lichter aufgegangen, und am deutlichsten habe ich mich in Mr. Darcy wiedererkannt – im Guten wie im Schlechten.

INTJ 1Sein Beispiel zeigt deutlich, wie gefühllos, arrogant und rechthaberisch INTJs wirken können. Der Eindruck von Gefühllosigkeit rührt daher, dass sie sich unter vielen Menschen nicht wohl fühlen, man ihnen ihre Gefühle nicht ansieht und sie diese auch nicht gut zeigen oder aussprechen können. Der Eindruck von Besserwisserei und Arroganz hat vielschichtigere Gründe: zum einen scheinen INTJs tatsächlich eine besondere Fähigkeit zu haben, durch die äußerlichen Fakten hindurchzusehen und mit Hilfe ihrer stark ausgeprägten Intuition hinter die Fassade von Menschen und Geschehnissen zu blicken. Zum anderen hat dieser Typus aber – vielleicht auch aufgrund dieser Erfahrungen – etwas zu oft das Gefühl, er wisse alles und habe immer Recht (ich bekenne mich schuldig). Wenn der INTJ sein eventuell nur vermeintliches Wissen dann noch in gewohnt logisch-kühler Art vermittelt, kommt das nicht immer gut an.

Das hat mir klar gemacht, wie verletzend meine Art zu kommunizieren manchmal wirken kann. Es bestätigt mir aber auch, was ich schon länger weiß: dass ich darauf angewiesen bin, dass Menschen etwas länger und genauer hinsehen und nicht nur den ersten Eindruck gelten lassen. Dann erkennen sie, dass hinter der vermeintlichen Kühle des INTJ Loyalität und Herzlichkeit warten, aber auch die Bereitschaft, anderen das Herz zu öffnen, Verletzlichkeiten offenzulegen und dem anderen ein ehrliches Gegenüber zu sein. Denn Menschen wie ich können nicht anders: sie können entweder nichts oder die Wahrheit sagen. Und je älter ich werde, desto seltener bin ich bereit zu schweigen, wenn eine Situation mich beunruhigt.

Das hat Folgen, die mir nicht immer gefallen. Nicht alle wollen jemanden wie mich in ihrem Umfeld haben, und es schmerzt, wenn jemand entscheidet, sich „das“ – also mich – nicht mehr antun zu wollen. Doch da ich mir zutiefst sicher bin, dass „das“, was sich da herauskristallisiert, die Essenz meiner Persönlichkeit ist und dass diese Essenz mir und denen, die es zulassen, dienen kann, bin ich bereit, diese schmerzlicheren Folgen zu tragen.

Hin und wieder frage ich mich, ob die Beschäftigung mit solchen Theorien überhaupt etwas bringt, weil Theorien ja nie die ganze Wahrheit ausdrücken und ich damit einmal mehr an meinem Inneren herumdoktere. Ich sehe aber auch, dass es mir hilft, andere besser zu verstehen, indem es mich zum Beispiel motiviert, mich anders auszudrücken, damit ich nicht ungewollt jemanden vor den Kopf stoße. Vielleicht hilft mir dieses Wissen sogar, in einer künftigen Krise früher oder besser zu reagieren und damit zu verhindern, dass eine Angelegenheit eskaliert.

Und nicht zuletzt ist das Ganze auch unterhaltsam: ich kann in Foren nachlesen, was für ein Typ Samwise Gamgee aus „Herr der Ringe“ (ISFJ), Scarlett O’Hara aus „Vom Winde verweht“ (ESFJ) oder Hermione Granger aus „Harry Potter“ (ESTJ) ist. Und wenn ich so etwas wie die „Gebete für die Myers-Briggs-Typen“ lese, hat sich das Ganze sowieso gelohnt. Für alle, die sich mit mir durch die trockene Materie gekämpft haben, hier die „Belohnung“ in Gebetsform:

ISTJ: Herr, hilf mir, kleine Details nicht so wichtig zu nehmen, und zwar ab morgen um 11:41.23 vormittags MEZ.

ISTP: Gott, hilf mir, die Gefühle anderer Menschen ernst zu nehmen, auch wenn die meisten von ihnen WIRKLICH hypersensibel sind.

ESTP: Gott, hilf mir, Verantwortung für meine eigenen Taten zu übernehmen, auch wenn das Meiste NICHT mein Fehler war.

ESTJ: Gott, hilf mir, nicht zu versuchen, alles managen zu wollen. Aber falls Du Hilfe brauchst, frag einfach.

ISFJ: Herr, hilf mir, etwas lockerer zu sein, und hilf mir, das GENAU RICHTIG zu machen.

ISFP: Herr, hilf mir, für meine Rechte einzustehen (falls Du nichts dagegen hast, dass ich frage).

ESFP: Gott, hilf mir, die Dinge ernster zu nehmen, vor allem Parties und Feiern.

ESFJ: Gott, gib mir Geduld, und zwar JETZT.

INFJ: Herr, hilf mir, nicht so perfektionistisch zu sein (habe ich das richtig geschrieben?).

INFP: Gott, hilf mir zu beenden, was ich angefa

ENFP: Gott, hilf mir, mich auf eine Sa – sieh mal ein Vogel!- che auf einmal zu konzentrieren.

ENFJ: Gott, hilf mir, einfach meinen Teil zu tun und Dir für den Rest zu vertrauen. Hast Du etwas dagegen, wenn ich diese Abmachung schriftlich festhalte?

INTJ: Herr, lass mich offen sein für die Ideen anderer, so FALSCH sie auch liegen mögen.

INTP: Herr, hilf mir, weniger unabhängig zu sein, aber lass es mich auf meine Weise machen.

ENTP: Herr, hilf mir, am heutigen Tag bewährten Abläufen zu folgen. Wenn ich näher darüber nachdenke – belassen wir es mal bei ein paar Minuten.

ENTJ: Herr, hilf mir, es ruhiger anzugehendundnichtdurchallesdurchzuhetzen.

Na, welches Gebet entspricht Dir? Falls Du mehr wissen willst, kannst Du hier einen Gratistest machen. Danach aber unbedingt im Kommentar hineinschreiben, welcher Typ Du bist, damit ich künftig weiß, mit wem ich es zu tun habe!

Spazgang 8 2Ich bin in bestimmten Dingen ein Routinemensch: Montags, an meinem Ganzarbeitstag, esse ich am Mittag etwas Kleines, trinke einen Kaffee und mache mich auf meinen Spaziergang zum Schloss Waldegg. In dieser Dreiviertelstunde genieße ich die Natur, führe Gespräche mit Gott, hadere mit mir oder trotte in Gedanken versunken dahin – manchmal auch alles auf einmal. Besonders dankbar bin ich, wenn es mir gelingt, mich nicht ablenken zu lassen und ersteres zu tun. Wenn ich die Natur ungefiltert auf mich wirken lasse, entsteht Raum für ruhige, kraftvolle Gedanken, die mich im Gegensatz zu meinen erschöpfenden Gehirnstrudeln stärken und beruhigen.

Spazgang 1 linksDer gestrige Spaziergang begann lärmig. Es schlug gerade zwölf, Schule und Kindergarten waren aus, und auf den Straßen und Bürgersteigen wimmelte es. Lachen, Schreien, Fahrradgeklingel, quietschende Reifen der Hungrigen auf dem Weg zum Mittagessen. Dann kehrte langsam etwas Ruhe ein. Die Kirche und ihr kleiner Friedhof lagen still in der Herbstsonne. Trockene Blätter raschelten unter meinen Füßen; Efeu und Essigbaum leuchteten an der Steinmauer um die Wette – ein Farbenspiel von grün, gelb und orange über rosafarben bis brennendrot.

 

 

Spazgang 5Nach dem Gang durch ein Einfamilienhausquartier bog ich ab Richtung Schloss , genoss den Blick auf Wiesen und Felder und spazierte durch die Parkallee. Neben dem Weg ein Maisfeld, bereits zur Hälfte abgeerntet. Abrasierte Stoppel ragten aus der Erde, auf einem Feld dahinter schwebten weiß umhüllte Strohkugeln . Dazwischen flatterten Krähen und pickten noch etwas Gutes aus der Erde.

Spazgang 4Die leuchtenden Farben neben den stummen Erntestoppeln haben etwas Zerreißendes, das für mich zum Herbstschmerz gehört. Die Natur bäumt sich noch einmal auf und zeigt sich uns von der schönsten Seite, voller Wärme und Strahlkraft. Doch Abschied liegt in der Luft. Die abgemähten Felder weisen auf die Zeit, in der die Hügel unter klammen Nebelschwaden verschwinden, in der der Tag im Dunkeln beginnt und aufhört, in der der Boden hart wird und die Äste kahl sind und das Leben sich tief verkrochen hat.

Ähnliche Gefühle beschleichen mich oft auf Geburtstagsfeiern meiner Verwandten und Freunde. Es sind schöne Feste, voller Vertrautheit und Feierlaune, aber jeder neue Altersmeilenstein weist auch still auf die Vergänglichkeit des Lebens hin. Wenn sich bei den Geschwistern meines Mannes der Fünfzigste nähert, wenn Eltern in den Siebzigern sind, dann kann ich nicht anders, als den Bogen zu sehen, der sich auch in meinem Leben irgendwann nach unten senkt.

Spazgang 9Das klingt vielleicht etwas dramatisch – aber wir wissen nun mal nicht, wann unser Leben zu Ende geht. Sich der Zyklen der Natur und des menschlichen Lebens bewusst zu werden, mag schmerzhaft sein, aber in diesem Bewusstsein verbirgt sich auch Tiefe. Im Wissen um die Vergänglichkeit meiner Zeit hier auf Erden wird das Leben kostbar. Wenn ich an meine Lieben denke und den schmerzhaften Gedanken zulasse, dass ich mich eines Tages verabschieden muss, wird mir die Zeit mit ihnen wertvoller.

 

 

„So jung kommen wir nie mehr zusammen“. Der Spruch ist kurz, knackig und jedes Mal wahr, aber er birgt auch die Wahrheit, dass wir nicht wissen, ob wir überhaupt noch zusammenkommen. Er sollte uns Wach- und Mahnruf sein, unsere Beziehungen zu pflegen und zu schätzen und nicht zu vergessen, dass sich auf dem Totenbett noch niemand gewünscht hat, er hätte mehr gearbeitet, ferngesehen oder das Haus geputzt. Und er sollte uns daran erinnern, dass unsere Tage nicht in unserer Hand liegen – dass wir Blumen sind, die auf dieser Erde blühen und vergehen, wie es die „Casting Crowns“ so berührend singen.

 

Spazgang 7Am Sonntag haben Beat und ich uns „Bucket List angesehen“, ein Film über zwei Männer, die in einem halben Jahr sterben und gemeinsam eine Liste der Dinge abarbeiten, die sie im Leben noch erleben wollen. Was für Dinge würde ich auf meine Liste setzen? Und was, wenn ich noch weniger Zeit hätte? Was wäre zum Beispiel, wenn es noch exakt drei Tage wären – was würde ich damit anfangen?

 

 

 

Ein paar Ideen habe ich. Am ersten Tag würde ich prüfen, ob ich noch einen Groll loslassen oder etwas Persönliches ins Reine bringen muss, und würde das tun, damit ich die letzten Tage meines Lebens genießen kann. Dann würde ich eine Konzertlesung geben und allen Menschen noch einmal erzählen, dass es Gott gibt, wie sehr er sie liebt und wie wertvoll sie sind. Ich würde ein Abschiedspost mit der gleichen Botschaft auf meinen Blog setzen und mich bei allen Menschen bedanken, die mein Leben bereichert haben.

Den zweiten Tag würde ich allein mit meinem Mann und den letzten Tag mit meiner engen Familie verbringen – auf der Dinglehalbinsel in Irland, dem Land meines Herzens. Und wenn es meine Familie erträgt, würde ich mich gegen Ende des Tages von ihnen verabschieden und sie in ein Pub schicken, um ein Guinness auf mich zu trinken. Dann würde ich mich auf einem schönen irischen Hügel setzen, ein irisches Lied singen und darauf warten, dass Gott mich nach Hause holt.

Irland Landschaft

Und Du?

Vor zwei Jahren habe ich ein Buch zum Thema „Werte“ gelesen und einen kleinen Selbsttest gemacht. Er sollte zeigen, welche sieben aus etwa 130 Werten für mein Leben existenziell sind. Die sieben wurden dann gegeneinander gewichtet, und heraus kamen meine persönlichen „Top Seven“:

Wahrheit – Integrität – Glaube – Echtheit – Liebe – Lebenssinn – Kreativität

Ich war erst erstaunt, dass Wahrheit an der Spitze steht, aber nachdem ich etwas darüber nachgedacht hatte, konnte ich mich damit sehr gut identifizieren. Tatsächlich ist „Wahrheit“ für mich die Grundvoraussetzung, um mich selbst und die Welt besser zu verstehen.

Damit meine ich nicht in erster Linie die Wahrheit, die sich an Fakten misst. Faktenwahrheit verändert sich ständig anhand der Erkenntnisse, die wir mit unseren Sinnen und den uns zur Verfügung stehenden Techniken ergründen können. Vor einigen hundert Jahren galt es als Tatsache, dass die Erde eine Scheibe und gleichzeitig das Zentrum des Sonnensystems und des Universums ist. Die Wahrheit, die mir wichtig ist, ist das, was neben und hinter den Fakten abläuft und nicht immer offenbar wird.

Meine Leidenschaft für Geschichte passt da gut hinein, weil sie Fakten und darüber hinaus gehende Erkenntnisse verbindet. Je mehr Fakten wir zusammentragen, desto klarer wird das Bild. Je mehr Quellen wir studieren, desto besser verstehen wir, wie die Menschen der Zeit die Ereignisse interpretiert und wahrgenommen haben, was in ihnen vorgegangen ist und wie ihre Lebenswelt ausgesehen hat. Die Wahrheit Stück für Stück freizulegen, ihr immer näherzukommen, fasziniert mich.

Ebenso spüre ich in meinem Leben den Wunsch, der Wahrheit näher zu kommen und zu ergründen, wie bestimmte Ereignisse zustande gekommen sind. Natürlich ist es nicht immer möglich und nicht immer sinnvoll, allem auf den Grund zu gehen, und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird es fruchtlos und rückwärtsgerichtet. Trotzdem will ich meine Vergangenheit so weit wie möglich verstehen und aus ihr lernen.

Brunnen BlätterIch entdecke auch an mir selbst immer wieder Neues und erhalte ein klareres Bild. In letzter Zeit ist mir bewusst geworden, wie stark mein Sinn für Strukturen ist. Ich erkenne rasch, wie etwas strukturiert ist, kann Material gut ordnen und mag das Chaos nicht besonders – Überraschung! Ich warte allerdings noch darauf, dass man mit Tests wie „Finde unter 2000 Fünfen innert zehn Sekunden die 2“einen Haufen Geld verdienen kann.

 

 

Meine Leidenschaft und Liebe für die Wahrheit prägt auch mein Schreiben. Mehr als alles wünsche ich mir, „Wahrheit“ zu schreiben, wie es Ingeborg Bachmann in einer Dankesrede aus dem Jahr 1959 ausdrückt.

„Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die andren, wenn sie ihm, durch Lob und Tadel, zu verstehen geben, dass sie die Wahrheit von ihm fordern und in den Stand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar (…) Wir sagen sehr einfach und richtig, wenn wir in diesen Zustand kommen, den hellen, wehen, in dem der Schmerz fruchtbar wird: Mir sind die Augen aufgegangen. Wir sagen das nicht, weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwege bringen: dass uns, in diesem Sinne, die Augen aufgehen.“

Tief im Innern wollen wir Menschen sehend werden und die Wahrheit kennen – nicht die Wahrheit, die mit Fakten ergründet wird, sondern die, in der wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Dabei ist die Wahrheit nicht immer leicht: Wie Bachmann es ausdrückt, kann sie schmerzen, kann das grelle Licht in unseren Augen brennen. Aber wir brauchen sie.

Ich liebe sie, diese Wahrheit, die schwer zu ergründen ist und doch existiert. Die wir nie vollständig sehen, die aber da ist und sich uns unverhofft zeigt – in einem Buch, einem Bild oder einem Film, jenseits von nachweisbaren, auf Quellen oder Tatsachen beruhenden Erkenntnissen. Dann entfaltet sie sich in unserem Herzen wie die duftenden Blätter einer Blume und füllt uns mit ihrem Wohlgeruch.

Rose Pixabay

 

Und das Fundament meiner Liebe zur Wahrheit – die erste, größte und wertvollste Wahrheit – ist diejenige, die sich mir in Christus offenbart. Sie ist dafür verantwortlich, dass ich mich vor anderen Wahrheiten nicht fürchten muss.

Wales Kreuz PixabayIn Johannes 8,32 sagt Jesus: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und sie wird Euch frei machen.“ Er meint, dass wir erkennen werden, dass er Gottes Sohn ist und für uns das Martyrium des Kreuzes auf sich genommen hat, um uns mit Gott zu versöhnen und mit seiner Auferstehung den Tod endgültig zu besiegen.

Die unauslöschliche, bedingungslose Liebe Gottes zu uns Menschen, die aus dieser Tat spricht, setzt uns frei. Der Wert, der jedem Menschenleben durch sie verliehen wird, fegt die Ängste vor jeder irdischen Wahrheit hinweg.

Das heißt nicht, dass mir keine Wahrheit etwas anhaben kann. Manche Wahrheiten schmerzen trotzdem. Aber wenn ich meinen Wert aus Gottes Liebe zu mir beziehe, kann angesichts seines JA zu mir und meinem Leben keine noch so hässliche Wahrheit über mich, über meine Liebsten oder über die Welt mich zerstören.

Denn was ich (wert) bin, hängt von keiner irdischen Wahrheit ab.

 

Was sind Deine „Lieblingswerte“? Gehört „Wahrheit“ dazu, oder findest Du die eher staubtrocken und öde? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

BergWenn ein neues Quartal anfängt, nehme ich mir gern Zeit dafür, alles vor mir aufzufächern und mich darauf einzustellen. Manchmal fordert mich diese Perspektive heraus, und dieses Mal tut sie es besonders. Und statt mich über die spannenden Aussichten zu freuen, verspüre ich neben Müdigkeit eine leichte bis mittlere Panik, garniert mit einer saftigen Portion Versagensangst.

Bild: Pixabay

Da wäre die Konzertlesung in meiner Heimatstadt: was, wenn keiner kommt? Was, wenn viele kommen und ich „es nicht bringe“? Dann der Gospelevent mit Adhoc-Chor: was, wenn keiner kommt? Was, wenn…(Ihr wisst schon). Dann die Veröffentlichung von „Hier will ich bleiben“ auf Englisch. Was, wenn es niemand kauft? Was, wenn es gekauft wird und nicht ankommt? Dann die Buchübersetzung für Lee Strauss: was, wenn ich meine Fähigkeiten überschätzt habe? Und zu guter Letzt die offenen Hauskonzerte: was, wenn ich zu nervös oder einfach noch nicht gut genug bin oder keinen Kontakt zu meinem Publikum herstellen kann? In einen Satz gefasst: ich habe schlicht Angst, dass ich nichts auf die Reihe kriege, mir zu viel zutraue und mich bis auf die Unterhosen blamieren werde.

Fast immer, wenn ich solche Gedanken in Worte fassen will, spüre ich inneren Widerstand. Etwas in mir wehrt sich gegen diese fragenden, zweifelnden, alles auf den Tisch legenden Posts. Ich fürchte im Stillen, dass niemand mein Gewinsel hören will und alle auf ein aufbauendes Post warten, das den Namens Seelensnack auch verdient, und ich habe Angst davor, den Eindruck zu erwecken, dass ich auf Schulterklopfen und Seelenmassage warte.

Oft schreibe ich das Post dann nicht. Aber manchmal – so wie heute – ringe ich mich doch dazu durch. Einerseits, weil es mehr Spass macht, über Dinge zu schreiben, die mich selbst beschäftigen, andererseits aber auch, weil Posts, in denen ich meine Risse in der Oberfläche offenlege, besonders zu anderen sprechen.

Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber für heute akzeptiere und umarme ich dieses Phänomen und feiere, dass mich das Leben so oft überfordert. Ich feiere, dass ich mich manchmal frage, warum ich das alles mache, und dass es Momente gibt, wo ich einfach ein bisschen vor mich hin weinen oder mich wie ein Ball in einer dunklen Höhle zusammenrollen und nie mehr herauskommen möchte.

Denn diese Momente gehen vorbei. Und die Gewissheit, dass das, was vor mir liegt, gut und richtig ist, hilft mir, Panik und Fluchtgedanken zu überwinden. Dann weiß ich auch wieder, dass solche Gedanken normal sind: wenn ich Schritte ins Neue und Ungewisse wage, spüre ich nun mal auch Angst vor Versagen und vor Ablehnung. Ich kann dieser Angst nicht ausweichen – sonst bleibe ich stehen. Gehe ich aber weiter, so folge ich dem, was in mir ist oder präziser ausgedrückt: dem, der in mir ist – dem Geist Gottes, der mich inspiriert und mich in eine bestimmte Richtung drängt.

Am Ende lande ich beim Vertrauen, dass da einer weiß, was er macht, und dass mich der gesunde Menschenverstand in Verbindung mit dem Heiligen Geist auf der richtigen Spur hält. Und auf diesem festen Grund kann ich mich auch wieder an den Herausforderungen freuen. Im Wissen, dass die nächste Panikattacke kommen wird – dass ich sie aber im Vertrauen auf Gott überwinden werde.

Wie gehst Du mit neuen Situationen und Herausforderungen um? Kennst Du diese Ängste, und hast Du besondere Rezepte, um sie zu überwinden? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

AbstimmungHeute war einer der Abstimmungssonntage in der Schweiz, und ich war wieder einmal „old style“ dabei: ab ins Wahllokal, Stimmausweis hinlegen, Zettel in die Urne werfen. Allerdings nur unfreiwillig und als Folge selbstverschuldeter Ungeschicktheit.

 

Erst war ich beim Öffnen des Unterlagenmaterials so ungeschickt, den Umschlag zu beschädigen. Ich füllte meine Zettel aus, packte sie ein und klebte den Umschlag notdürftig zu. Dann nahm ihn mit zur Arbeit, um ihn dort in die Post zu werfen – und merkte im letzten Moment, dass ich den Stimmausweis nicht unterzeichnet hatte. Also riss ich den Umschlag wieder auf, klaubte den Stimmausweis heraus, kritzelte meine Unterschrift auf die getüpfelte Linie und verstaute alles mit Mühe wieder an den richtigen Ort. Allerdings sah der Umschlag jetzt aus, als hätte ihn auf gutschweizerisch „e Chue i der Schnore gha“ (Nichtschweizer dürfen gern raten – im Notfall hilft das untere Bild). Da ich nicht sicher war, ob die Wahlbüroverantwortlichen dieses Machwerk akzeptieren würden, blieb mir nichts anderes übrig, als nach alter Schule den Weg an die Urne unter meine Füße zu nehmen.

Pixabay Kuh

Bild: Pixabay

Ich habe es nicht bereut. Das Wetter war heute wunderbar, und der kleine Spaziergang hat mich erfrischt und auf den Sonntag eingestimmt – und mir die Gelegenheit verschafft, darüber nachzudenken, wie privilegiert ich bin.

Ich darf wählen und abstimmen, darf mich zu großen und kleinen politischen Angelegenheiten in meinem Land, meiner Region und meiner Gemeinde äussern – und es wird mir leicht gemacht. Wenn ich es schriftlich tun will, brauche ich keinen Antrag zu stellen, damit man mir das Material schickt. Es kommt von selbst frei ins Haus, und ich brauche nur den Stimmausweis zu unterschreiben, meine Jas und Neins einzusetzen, alles wieder in denselben Umschlag zu packen und ihn zuzukleben, zu frankieren und in den nächsten Briefkasten zu werfen. Alles, was es mich kostet, ist die Zeit, mich schlau zu machen und alles auszufüllen, sowie eine Briefmarke. Und nicht einmal die ist zwingend: ich kann auch bei der Einwohnergemeinde vorbeifahren und den Umschlag dort in den Briefkasten werfen.

Wenn ich diese luxuriösen Möglichkeiten der Mitbestimmung vor Augen habe und dann einen Blick auf die chaotischen Verhältnisse und autoritären Systeme rund um den Globus werfe, kommen regelmäßig Dankbarkeit und Beschämung in mir auf. Dankbarkeit, weil ich in einem Land lebe, das mir so viele Möglichkeiten bietet. Ich darf nicht nur wählen und abstimmen – ich kann mich für jedes Amt zur Wahl stellen, darf meine Meinung sagen und meinen Glauben leben. Und Beschämung, weil diese Dankbarkeit so oft verschüttet und begraben ist, ich mich manchmal wie viele Schweizer von der Wahlurne fernhalte und lieber auf hohem Niveau darüber meckere, was alles nicht stimmt.

Tatsächlich ist auch das schweizerische System nicht perfekt. Unsere Demokratie ist schwerfällig, die parlamentarische Maschinerie läuft langsam. Lobbyisten üben ihren Einfluss auf das Parlament aus, und wirtschaftlich stärkere Gruppierungen können sich oft mehr Präsenz leisten. Populistische Meinungsmacher zielen mit vermeintlich einfachen Antworten auf die Schwächsten der Gesellschaft auf und haben damit auch noch Erfolg. In solchen Momenten frage ich mich, ob die direkte Demokratie, wie wir sie pflegen, wirklich das beste System ist.

Aber seien wir ehrlich: das perfekte System gibt es sowieso nicht. Und gäbe es eines, würde es der nicht perfekte Mensch sofort für seine Zwecke verbiegen. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass unser System uns so viele Möglichkeiten bieten, und wir sollten dieses Glück ehren, indem wir abstimmen und wählen , anstatt nur im trauten Kreis herumzumeckern.

Die heutige Abstimmung ist aus meiner Warte übrigens nicht ganz zufriedenstellend verlaufen. Weitere Details werde ich für mich behalten – wer meine politischen Standpunkte kennt, kann ja eine Spekulation anstellen. Aber ich bin froh, dass ich meiner Bürgerpflicht nachgekommen bin, und will auch den nächsten Termin wahrnehmen – übrigens der 30. November. Und dann werde mir beim Aufreißen des Umschlags ein bisschen mehr Mühe geben – die Temperaturen dürften dann nicht mehr so spaziergangsfreundlich sein.

Wie hältst Du es mit der Bürgerpflicht? Gehst Du wählen und abstimmen? Für Nichtschweizer: beneidest Du uns um die direkte Demokratie, oder bist Du froh, dass Du das nicht auch noch musst? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

 

 

Popcorn-PerlenNachdem ich lange versprochen habe, mal wieder etwas Leichtfüßigeres zu bringen, stehe ich heute zu meinem Wort und präsentiere Euch eine amüsante Popcornperle. Sie verbindet die in der Luft liegenden Fragen der religiösen Verständigung mit riesigem Filmvergnügen. I proudly present einen meiner liebsten Filme überhaupt – „Die Abenteuer des Rabbi Jakob“.

An Hauptdarsteller Louis de Funès scheiden sich bekanntlich die Geister. Die einen lieben den kleinen, quirlig-nervösen Glatzkopf, die anderen hassen ihn. Wer ihn liebt, wird sicher weiterlesen; die andere Seite gebe sich einen kleinen Ruck und sehe sich zum Eingewöhnen den deutschen Filmtrailer an.

Quelle: Youtube

Im Mittelpunkt des Films steht der reiche Geschäftsmann Victor Buntspecht. Auf dem Weg zur Hochzeit seiner Tochter erfährt der mit einigen Vorurteilen behaftete Unternehmer zu seinem Entsetzen, dass sein Chauffeur Salomon – wer hätte das bei diesem Namen gedacht – nicht „katholisch wie alle Welt“, sondern Jude ist. Schlimmer noch: sein Onkel ist ein berühmter New Yorker Rabbiner. Buntspecht sieht erst gnädig darüber hinweg, aber damit ist es bald vorbei: nach einer Autopanne weigert sich Salomon wegen des beginnenden Sabbats, nach dem Eindunkeln weiterzuarbeiten. Buntspecht entlässt ihn erbost und macht sich auf die Suche nach Hilfe, aber das kommt nicht gut heraus: er landet in einer alten Kaugummifabrik, wo der Geheimdienst eines arabischen Landes gerade den Revolutionär Mohamed Larbi Slimane umbringen will, der im Fall eines Umsturzes Premierminister werden würde. Ungewollt verhilft Buntspecht ihm zur Flucht, aber nun ist ihnen der Geheimdienst auf den Fersen. Weil es in der Fabrik zudem ein paar Tote gegeben hat, verfolgt auch die Polizei das ungleiche Paar.

Am Flughafen von Paris kommt es fast zum Showdown, aber Buntspecht und Slimane können sich retten: sie überfallen auf der Flughafentoilette zwei Rabbiner, nehmen ihnen die Kleider, Bärte und Haarlocken ab und verkleiden sich. Allerdings werden sie von den wartenden Verwandten für die echten Rabbiner gehalten und mit ins jüdische Viertel genommen. Es stellt sich heraus, dass man Buntspecht für Rabbi Jacob hält – den berühmten New Yorker Onkel seines Chauffeurs Salomon. Notgedrungen muss er die für den Rabbi geplanten Empfangsfeierlichkeiten über sich ergehen lassen und aufpassen, dass er in kein religionstechnisches Fettnäpfchen tritt. Er schlägt sich ganz gut, obwohl er die jubelnde Menge erst mit dem Kreuzzeichen segnet. Als er von einer jüdischen alten Dame aufgefordert wird, einen Tanz mitzumachen, schickt er sich mit dem Mut der Verzweiflung hinein und entpuppt sich als gar nicht so unbegabt:

http://youtu.be/U5QAU63oVHE (kann nur direkt bei Youtube angeschaut werden)

Die Lage spitzt sich zu, als Buntspechts Frau ihn einer Affäre verdächtigt und dabei dem arabischen Geheimdienst in die Hände fällt. Dort landen schließlich auch Buntspecht und Slimane, aber im letzten Moment nimmt das Drama eine gute Wendung: Die Araber erfahren, dass die Revolution geglückt und Slimane jetzt der rechtmäßige Präsident der Republik ist, worauf sie ihn demütigst um Verzeihung bitten. Buntspechts Tochter verliebt sich in Slimane und heiratet ihn, und der echte Rabbi Jacob verzeiht Buntspecht die Maskerade und lädt ihn zu einem jüdischen Fest ein.

Der Film lebt natürlich vom typischen Spiel von Louis de Funès. Neben aller Situationskomik spielt der Film aber auch sehr gekonnt mit unseren Vorurteilen gegen Ausländer, andere Rassen oder Religionen, die in der Person von Buntspecht so gut verkörpert werden und heute so aktuell sind wie vor 40 Jahren. Die geniale Szene, in der Buntspecht die Anschuldigung seines Chauffeurs, er sei etwas rassistisch, zurückweist, ist ein tolles Beispiel dafür. Leider gibt es sie im Netz nur auf Französisch, aber Funès‘ Mienenspiel ist die halbe Miete zum Verständnis:

http://youtu.be/m1vL8iTNJmg (ebenfalls nur direkt bei Youtube möglich)

Gerade diese feine Art, ein solches Thema unterzubringen, macht den Film trotz Komik und Klamauk zu einem Mutmacher. Victor Buntspecht verliert während seiner Abenteuer die Berührungsängste gegenüber anderen Religionen und Rassen, freundet sich mit einem Rabbi an und lässt einen Araber in die Familie einheiraten (wobei er Gewicht darauf legt, dass seine Tochter „einen Präsidenten der Republik“ heiratet!).

Natürlich ist dieses Happy End simpel, und wenn ich mir allein die Konflikte in unserem Land ansehe, die sich um „das Fremde“ drehen, weiß ich sehr wohl, dass es mit „habt Euch doch alle etwas lieb“ nicht getan ist. Zum Teil gilt es, eklatante Missstände zu beheben, die die Aggressionen der Menschen gegenüber Flüchtlingen zu Recht aufflackern lassen. Dennoch: Wenn ich mir „Rabbi Jacob“ ansehe, kann ich nicht anders, als optimistischer zu werden. Wenn Menschen einander wirklich begegnen, verliert das Etikett „Ausländer“, „Jude/Muslim/Christ“, oder „Flüchtling“ schnell an Bedeutung. Darum bin ich gerade heute dankbar für diejenigen, die sich für solche echten Begegnungen einsetzen.

Wie stehst DU zu Louis de Funès – Top oder Flop? Macht er Dich rasend, oder findest Du ihn lustig? Und wenn ja, welches ist Dein Lieblingsfilm mit Funès? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

HundAls ich zehn Jahre alt war, wurde unsere Familie im Abstand von wenigen Wochen um einen kleinen Hund und eine kleine Katze erweitert. Der Zuwachs war ein Gewinn; vor allem meine Schwester und ich freuten uns sehr über die neuen Spielkameraden.

 

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Natürlich mussten die beiden auch ab und zu den Gang zum Tierarzt antreten. Ich weiß nicht mehr genau, was alles auf der Verletzungsliste stand, aber ich erinnere mich gut, was die beiden am meisten hassten: den ominösen Halskragen. Unser Hund musste mehrmals so ein Ding tragen, und sein Blick sprach jeweils Bände: „Wie könnt Ihr mir das antun? Habt Ihr kein Herz?“ Dabei war es nur zu seinem Besten: er hatte eine offene Wunde, die heilen musste, und der Halskragen war das einzige Werkzeug, das ihn erfolgreich daran hinderte, ständig daran herumzubeißen.

Wir Menschen sind ja eigentlich in der Lage und gescheit genug, solche Wunden in Ruhe lassen. Trotzdem üben sie oft eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf uns aus. Ich kenne das aus leidvollen Erfahrungen mit neuen Schuhen: erst entsteht eine Blase an der Ferse, die saumäßig wehtut. Dann heilt sie langsam ab, es bildet sich Schorf – und unwillkürlich fühle ich mich getrieben, daran herumzuzupfen und zu reißen, bis das „Rüfli“ ab, die Wunde wieder offen ist und der Spaß von vorne losgeht.

Warum ich dieser Versuchung immer wieder erliege, weiß ich nicht so genau. Was ich aber weiß, ist, dass sich dieser Drang nicht nur auf körperliche Wunden beschränkt. Oft reiße ich auch am Schorf meiner seelischen Blessuren, anstatt das Ding einfach mal in Ruhe zu lassen – mit dem Resultat, dass der Schmerz immer wieder neu aufflackert und die Wunde nicht heilen kann. Und ich nehme an, damit bin ich nicht allein.

Die Technologie unserer Zeit gibt uns leider unendliche Möglichkeiten, dieser Wundobsession zu frönen. Wer früher eine Beziehung beendete, konnte sich höchstens alte Liebesbriefe und Fotos wieder und wieder ansehen. Heute können wir unsere Verflossenen googlen und auf Facebook stalken. Wenn wir genug masochistisch veranlagt sind, sehen wir uns vielleicht auch noch ihre Schnappschüsse mit der „neuen Flamme“ an. Und auch bei anderen Beziehungsverletzungen kommt das Prinzip zum Tragen. Selbst wenn wir den Mechanismus durchschauen und genau wissen, dass es uns nicht gut tut, kehren wir doch immer wieder an den Ort des Schmerzes zurück.

Ich habe gemerkt, dass mein guter Wille oft nicht reicht und ich immer wieder aufs Neue loslassen muss. Aber das Beispiel mit unserem Hund hat mich auf eine neue Idee gebracht. Von heute an bete ich einfach, dass Gott mir einen geistlichen Kragen verpasst, der mich jedes Mal, wenn ich wieder am Schorf herumreißen will, von dieser zerstörerischen Handlung abhält.

Denn wenn ich es schaffe, die Wunde eine Weile in Ruhe zu lassen, kann sie ein Stück heilen. Selbst wenn ich später wieder „rückfällig“ werde, bleibt dieses Stück Heilung erhalten, und jedes Mal, wenn ich mich wieder entschließe, loszulassen, geht es etwas besser, nimmt der Schmerz ein wenig ab.

Diese Erfahrung ermutigt und tröstet mich, wen ich wieder in einem solchen Prozess stecke, der immer auch ein Abschiednehmen ist. Aber wenn wir nicht loslassen können, kann keine Heilung stattfinden und kann auch nichts Neues entstehen. In diesem Sinne: „Herr, ein Hundekragen!“