Gedanken zu Paris oder: Was Kirche heißt

earth-1023859_1280Ich stehe gerade mitten in anstrengenden Wochen, jongliere verschiedene Engagements und schreibe gleichzeitig an etwa drei Posts, die noch nicht so sind, wie ich mir das vorstelle. Dann passiert so etwas wie gestern in Paris, und ich frage mich, ob es überhaupt lohnt, irgendetwas zu posten, wenn die Welt von Terror in dieser Größenordnung erschüttert wird.

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Mein Newsfeed auf Facebook quillt über vor lauter Posts zum Thema; zum Glück mehrheitlich Solidaritätsbekundungen und nicht hasserfüllte „Nun seid ihr dran“-Posts. Darüber bin ich froh und fühle mich gleichzeitig nur ohnmächtig.

Gerade als Mensch, der so tief an einen Schöpfer glaubt, schmerzen mich der unweigerliche Aufschrei und die Fragen, die wieder an die Oberfläche kommen: „Genau das kommt heraus, wenn Menschen fanatisch an einen Gott glauben!“ „Es gäbe gar keine Kriege ohne diese radikalen Spinner!“ Und als Sahnehäubchen auf jeder Horrortorte dieser Art: „Wie kann Gott, wenn es ihn denn geben soll, so etwas zulassen?“

Ich will gar nicht erst argumentieren, dass wir Christen schon länger nicht mehr diesen Weg der Gewalt beschreiten, auch wenn es wahr ist. Ich glaube fest an den biblischen Satz „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ und leugne nicht, dass auch der Früchtekorb, den wir Christen der Welt präsentieren, angefaultes Obst und giftige Erzeugnisse enthält.

Was kann ich als gläubiger Mensch tun, wenn diese Fragen kommen? Ist es meine Aufgabe, mich für Menschen zu entschuldigen, die für den Glauben grausamste Verbrechen begehen? Oder erwartet man von mir als halbwegs intelligentem Individuum, dass ich endlich einsehe, dass es Gott nicht gibt und der Glaube an ihn der Welt nichts als Ärger bringt?

Ich glaube, nichts davon ist die Antwort, und was den zweiten Punkt betrifft, habe ich keine Wahl. Ich kann nicht aufhören zu glauben, weil die Menschheit verrücktspielt – das hat sie schon immer getan. Was gerade geschieht, zeigt mir einfach wieder, was für ein Wagnis Gott damit eingegangen ist, uns als Geschöpfe mit freiem Willen zu schaffen. Denn an diesen freien Willen glaube ich.

Gott will, dass wir uns frei entscheiden können und nimmt damit in Kauf, dass wir auch Früchte des Zorns und der Gewalt produzieren. Wir haben jeden Tag die Wahl, was wir aus unserem Leben machen: Wir entscheiden uns zwischen Liebe und Hass, Vergeltung und Versöhnung, Ausharren und Aufgeben, Mut und Angst. Wir formen die kleine Welt um uns herum und manchmal auch die größere. Und als Christen können wir dafür sorgen, dass unser bescheidener kleiner Früchtekorb ein Zeugnis dessen ist, was der Glaube an Gott in unseren Herzen verändert, erzeugt und geschaffen hat.

Ich bin froh, dass mein gestriger Impuls von Wut und Furcht sich nicht weiter in mir ausgebreitet hat. Als ich mir vorhin überlegt habe, was für Entscheidungen wir jeden Tag treffen können, ist mir wieder aufgegangen, dass nicht nur Hass der Gegenpol von Liebe ist. Der wahre Gegenpol von Liebe ist Furcht. Wo Furcht sich ausbreitet, hat Liebe keinen Platz, und wo Liebe herrscht, muss die Furcht weichen.

Dass wir Angst haben, ist zutiefst menschlich – sonst würde im Alten und Neuen Testament nicht so oft „Fürchtet Euch nicht“ stehen. Dass es da so oft steht, zeigt aber auch, wie wichtig es Gott war, dass wir gegen die Furcht angehen, weil sie das Saatkorn des Hasses ist. Wovor ich mich fürchte, das hasse ich, und das zeigt die aktuelle Migrationsdebatte mehr als alles andere.

Am Ende hat Jesus uns auch gezeigt, dass er die Antwort auf unsere Angst ist, als er sagte:

„In der Welt habt ihr Angst, aber ich habe die Welt überwunden.“

Dass er die Welt überwunden hat, befähigt mich, in ihr zu bleiben und mich ihr anzunehmen. Ich muss mich nicht angsterfüllt von der Welt abwenden und mich in ein trostreiches kleines Reservat Gleichgläubiger zurückziehen, in dem wir uns gegenseitig versichern, dass die Welt uns gestohlen bleiben kann. Denn das ist nicht die Idee.

Wenn ich weiß, dass Jesus, der in mir lebt, die Welt überwunden hat, kann ich offenen Auges und ohne Furcht in dieser Welt stehen. Ich kann mich mitten ins Elend stellen – voller Schmerz und Betroffenheit, voller Tränen und Mitgefühl, aber ohne Furcht. Ich kann ein Krieger für das Gute sein.

Ja, Ihr habt richtig gelesen. Ein Krieger.

Vor einiger Zeit habe ich auf Facebook ein Post geteilt, das unter meinen Freunden eine kleine Kontroverse ausgelöst hat. Es bestand aus zwei Fotos mit Überschrift. Das erste trug den Titel „Wie wir uns Kirche vorstellen“ und zeigte eine von warm schimmernden Duftkerzen umgebene Frau im Schaumbad, der das Wort „Wellness“ virtuell auf die Stirn tätowiert war. Das zweite mit dem Titel „Wie Gott sich Kirche vorstellt“ zeigte einen Soldaten in Uniform, der auf seinen Armen ein verletztes Kind aus einem zerbombten Haus trägt.

Nach dem Teilen des Posts haben viele Freunde mir geschrieben, dass das Bild sie abstößt, weil Gott und Krieg nicht zusammengehörten, weil das nicht zur Botschaft von Liebe und Versöhnung und Frieden passe.

Wenn ich mir ansehe, womit wir uns heute auseinandersetzen, stehe ich nach wie vor hundertprozentig hinter diesem Post, und zwar nicht nur wegen der offensichtlichen Bilder des Krieges aus Paris. Das Bild würde auch dann stimmen, wenn die Anschläge nicht stattgefunden hätten. Krieg ist nicht nur Gewehre, Blut und Tote. Krieg ist auch Missbrauch, Armut, seelische Not, Einsamkeit, Manipulation, Lüge. Das alles sind Elemente, gegen die die Kirche und der einzelne einstehen und angehen müssen. Und vielleicht fällt es uns wegen der schmerzhaften, plakativen Bilder in den Medien heute leichter, diese Wahrheit zu sehen:

DAS ist Kirche. Im Trommelfeuer stehen, Menschen die Wunden verbinden und ihnen beistehen, egal, ob es physische oder psychische Wunden sind. Das Elend, das Leid, den Terror sehen. Und dabei – und vielleicht ist das manchmal das Schwerste von allem – dennoch zu sagen: Ja, ich glaube. Ich glaube an einen allmächtigen, liebenden Gott. Auch heute.

Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz;
Gottes vollkommene Liebe vertreibt jede Angst.

1. Johannes 4,18 (Neue Genfer Übersetzung 2011)

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15 Comments

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    • Ich kann ein Krieger für die Liebe sein, wo da einzige, was ausgelöscht wird, der Hass und die Furcht sind – aber danke für den Kommentar. Ich glaube, im Herzen wollen wir das Gleiche, und wie gesagt verstehe ich die negativen Assoziationen mit dem Wort des Kriegers – heute natürlich besonders.

  1. um das zu verdeutlichen: „Krieger“ ist einerseits eine veraltete Bezeichnung für Soldaten und Söldner, andererseits eine Bezeichnung für Kämpfer in Stammesgesellschaften, die sich zu einzelnen Kriegszügen sammeln und meistens keinen Sold, sondern einen Beuteanteil erhalten.

    • Ich kann wie gesagt nachvollziehen, dass man „Krieger“ so verstehen kann, aber ich bin der Meinung, dass es auch möglich ist, das ein bisschen weiter zu fassen. Kämpfe, da gibst Du mir sicher recht, gehören zum Leben, und auch darum, den anderen zu lieben, müssen wir manchmal kämpfen, weil wir als Menschen eben nicht nur Liebe und Barmherzigkeit in uns haben. Würdest Du das Wort „Kämpfer“ denn akzeptieren, oder hat es auch den negativen Touch? Wie gesagt, verstehe ich es so: ich bin bereit, für Gutes zu kämpfen, und diesen Kampf führe ich durchaus auch in und mit mir selbst. Ein so verstandenes Bild vermittelt mir auch das Lied „Krieger des Lichts“ von Silbermond.

  2. Dein Post gibt im Moment schwer zu denken, liebe Claudia. Ich wollte ich könnte so fest glauben wie Du! Ich zweifle und zweifle und frage mich wie es weitergehen soll mit diesen Attentaten, diesen Übergriffen, diesen Kriegen um der Religion Willen. Was passiert mit den vielen Menschen auf der Flucht? Ich bin überzeugt es werden die wenigsten glücklich sein in Europa. Wie kann ich etwas verändern, wie kann ich da helfen, wo ich wirklich überzeugt bin, dass es Menschen sind, die es nötig haben und mich nicht ausnützen. Kürzlich wurde meine Hilfsbereitschaft von einem Bettler am Bahnhof ganz fies ausgenutzt. Nicht dass mir die 20.– weh getan hätten – aber die Art wie dieser Mann die Menschen ausgenutzt hat, hat mich getroffen und nachdenklich gemacht. Ergebnis: Ich verhärte mich und schaue weg. Und dann wieder der Zweifel! Also, es ist ganz schwer im Moment alles einzuordnen und zu begreifen. Und so weit bin ich nicht, dass ich mich dieser Sache stellen kann ohne Furcht.
    Dir ein schönes Wochenende, siwi

    • Liebe Siwi, danke für Deine Gedanken! Weisst Du, wenn ich das von der Furchtlosigkeit schreibe, dann predige ich sozusagen auch für mich. Ich spreche mir diese Dinge zu, weil ich auch verzagen will oder mich verschliessen will, wenn ich all dies sehe und nicht verstehen kann. Ich schreibe dies, weil ich an einen anderen Weg glauben will, auch wenn mir der selbst immer wieder schwerfällt oder ich schon gar nicht weiss, wie er aussehen soll. Diese Fragen und Zweifel – sie gehören wohl einfach dazu. Ich wünsche Dir auch ein schönes Wochenende und dass Du Dich im „Kampf um das weiche Herz“ trotz allem irgendwie getragen fühlst…!

  3. Leider sind die sogenannt „Heiligen“ Schrifften voll mit kriegerischen Szenen. Was passiert, wenn Menschen ihren Verstand ausschalten und blind diese Schriften wortgetreu auslegen, wurde uns wieder schmerzlich vor Augen geführt. Religion und Toleranz stehen im absoluten Widerspruch. Zwar behaupten alle, dass sie Liebe (Nächstenliebe) predigen doch hält diese Behauptung keiner genaueren Betrachtung stand. Die Nächstenliebe beschränkt sich in den Texten klar auf diejenigen, die der selben Gemeinschaft angehören, Aussenstehende werden im besten Fall neutral betrachtet, in vielen Fällen werden sie jedoch gnadenlos verfolgt und müssen mit drakonischen Strafen rechnen. Als Beispiel: Die 10 Gebote, wo die Strafe sogar auf die Nachkommen ausdehnt wird. Dieses Beispiel bringt mich auch zum Thema Angst. Diese wird in diesen Schriften durchs Band eingesetzt, um die Menschen gefügig zu machen. Entsprechend wurden und werden diese Schriften auch immer wieder als effiziente Mittel zur Sicherung der politischen Macht und zur Verfolgung von Andersdenkenden eingesetzt. Für mich kann so etwas nur menschlichen Ursprung haben.

    • Ich gebe Dir recht, was das Alte Testament betrifft, und ich muss auch zugeben, dass ich die martialischen Texte darin nicht wirklich erklären oder rechtfertigen kann. Hingegen scheint es mir unmöglich, aus dem Neuen Testament und aus den Aussagen Jesu irgendeine Aufforderung zur Gewalt oder gar zum Töten zu finden. Was ihn und seine Botschaft so revolutionär machte und macht, ist gerade der Verzicht auf diese Gewalt und seine Aufforderung, diejenigen zu lieben und zu segnen, die uns verfolgen.
      Natürlich bringt das die Texte im AT nicht zum Verschwinden, und die Frage bleibt offen, warum soviel Gewalt und Vernichtung in Texten enthalten ist. Ich glaube aber, dass das AT nur durch die Linse des NT zu interpretieren ist und das die Haltung Jesu diejenige ist, die wirklich zählt. Dass dennoch viele Menschen auch das NT verwenden, um Hass gegen Andersgläubige und Anderslebene zu säen und zu zelebrieren, streite ich nicht ab, aber ich zähle sie zu den faulen Früchten, die aus einem falsch verstandenen christlichen Glauben entstehen.

      • Natürlich weiss ich, dass dich dein Glaube zu einem besseren Menschen macht und wie den allermeisten Gläubigen käme es dir niemals in den Sinn, für deinen Glauben zu töten. Die Atheisten verspüren übrigens auch nur sehr selten Mordgelüste. Die Taten von Paris sind zum Glück eine absolute Ausnahme. Doch woher kommt deine Erkenntnis, dass das Alte Testament nicht wortwörtlich zu nehmen ist und wer gibt dir die Freiheit, die Bibel in einem „guten“ Sinn auszulegen? Noch vor nicht sehr langer Zeit hätte man dich dafür eine Ketzerin genannt. Deine Freiheit verdankst du einer aufgeklärten und säkularen Gesellschaft. Deine Ansichten könnte man auch einfach humanistisch anstatt christlich bezeichnen. Leider ist auch heute die christliche Realität in vielen Punkten weit von deinem Humanismus entfernt. Zum Beispiel die Frage der gleichgeschlechtlichen Liebe, um nur ein aktuelles Thema zu nennen. Über die Stellung der Frau in der katholischen Kirche mag ich schon lange nicht mehr sprechen, wie es in dieser Frage im Islam aussieht, ist völlig jenseits. Würden es die Christen Ernst meinen, könnten sie das Alte Testament ja einfach entsorgen. Dann wäre es nicht mehr und nicht weniger als eine Sammlung antiker Sagen.

        • Ich sehe sowohl in der katholischen Kirche als auch in anderen christlichen Gemeinschaften vieles, das mir nicht gefällt, muss aber sagen, dass ich genau so vieles in jeder Gemeinschaft von Menschen sehe. Es macht traurig, wenn es unter Christen nicht besser ist, und ich wünsche es mir anders, aber grundsätzlich zeigt es auch, dass Christen Menschen sind wie andere. Dennoch sehe ich auch Gemeinschaften, in denen Nächstenliebe und einander beistehen gelebt wird – und weiss gleichzeitig, dass es das auch unter Nichtchristen gibt.
          Die Errungenschaften der Aufklärung möchte ich keineswegs missen, und an einen Gott glauben heisst für mich auch nicht, den Verstand an der Kirchentür abzugeben. Aber natürlich erzeugt die Bibel manchmal innere Kämpfe. Dennoch würde es mir nicht einfallen, das AT in die Tonne zu treten, denn es enthält neben dem, was man als Atheist als Sage bezeichnen kann, auch viele klar historische Angaben (Chronik etc.), die sich klar zuordnen lassen.
          Die Beziehung der Schriften zueinander ist ein schwieriges Thema, und was ich geschrieben habe, würden auch nicht alle Christen unterschreiben. Ich gestehe Dir gerne, dass ich die Antwort auf viele Fragen nicht habe. Es ist eine Spannung, in der zu Leben ich den Mut haben muss, wenn ich glaube, was ich glaube.

  4. Zum verbinden von Wunden viel mir folgender Psalmvers ein: „Er schenkt denen Heilung, die ein gebrochenes Herz haben und verbindet ihre schmerzenden Wunden.“ (NGÜ)
    In der Bibel werden ja verschiedene Bilder gebraucht und vorbehaltlos nebeneinandergestellt. So finden wir in den Evangelien die Geschichte vom Soldaten, und Jesus lobt sein Vertrauen, sein Gehorsam. Paulus wiederum verwendet oft den Sportler und seine Leidenschaft sich einem Ziel zu unterstellen. Und Jesus war im Tempel auch nicht friedlich.

    • Das sind interessante Hinweise – Jesus im Tempel ist mir auch in den Sinn gekommen; ich glaube, Zorn durchaus erlaubt. Dennoch stechen für mich die Aussagen der Feindesliebe mehr heraus, und ich finde auch nichts, das „Gewalt gegen Gewalt“ in dem Sinn rechtfertigt. Andererseits fällt mir bei diesen Gedanken immer gleich Bonhoeffer ein, der tief überzeugt war, nach Gottes Willen zu handeln, als er sich am Attentat gegen Hitler beteiligt hat…

      • … er hat auch relativ früh (prophetisch) erkannt, welches perfide Spiel Hitler treibt, was für teuflische Absichten dahinter stehen. Viele Christen haben sich damals durch Äußerlichkeiten täuschen lassen.
        Wenn wir von der Heiligkeit Gottes reden so ist damit die Andersartigkeit Gottes gemeint. Kein kuscheliges Highgefühl. Das hebräische Wort ‚kadosh‘ welches wir mit heilig übersetzen meint ja nichts anderes als getrennt zu sein. Der uns in Jesus Christus nahe kommende Gott, der unsere Wunden verbindet ist gleichzeitig der heilige, von uns getrennte Gott, der so anders mit seinen Ansichten über Flüchtlinge, Wirtschaft, Umwelt & Feindesliebe ist, dass wir da manchmal gar nicht hinterherkommen.
        Und ich nehme Bonhoeffer wahr als jemanden, der sich für die Heiligkeit Gottes eingesetzt.

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