Nach sieben Tagen Peak District bin ich wieder im Alltag angekommen. Die Zeit in England war entspannend, friedlich und inspirierend – unter anderem haben wir „Stanage Edge“ erklommen und das „Chatsworth House“ besichtigt, Stammsitz der Dukes of Devonshire und Schauplatz von Mr. Darcys „Pemberley“ in „Pride & Prejudice“ 2005. Der aufregendste und anstrengendste Tag war aber der zweitletzte, und das eher zufälligerweise. Alles begann mit einer harmlosen Wanderung.
Wir hatten uns entschlossen, dem „Ladybower Reservoir“ einen Besuch abzustatten – ein Stauseegebiet mit Wäldern und Hügeln, ideal für einen entspannenden Ausflug. Nach etwa anderthalb Stunden Wanderung durch Wälder und Wiesen oberhalb des Seeufers erreichten wir das Ende des Seearms und machten uns auf der anderen Seite auf den Rückweg. Als ein hölzerner Wegweiser einen Hügel hinaufzeigte, beschlossen wir spontan, ihm zu folgen, weil es spannender schien, als auf dem asphaltierten Weg weiterzuwandern.
An dieser Stelle ein kleiner Exkurs und eine Warnung für Schweizer, die in England wandern wollen: Wo bei uns ein leuchtend gelber Wegweiser auf die Minute genau angibt, wie lange man nach Wengen oder aufs Stockhorn braucht, genügt den Engländern ein hölzernes oder metallenes Schild mit der Aufschrift „Public Footpath“, mit viel Glück ergänzt durch zwei Pfeile und eine vage Ortsangabe. SO sehen Wegweiser aus!
Aber genug der Tirade: Wir ließen Stausee, Wiesen und Wälder immer weiter unter uns. Es war heiß, und wir gerieten ins Keuchen. Als der Weg sich vom See abwandte, wurden wir unsicher, beschlossen aber weiterzugehen. Die mit Steinen, Schafen und pinken Heidekrautbüschen gesprenkelten Hügel waren verwunschen und malerisch, die Stille und Weite wunderbar.
Dennoch wurden wir nach einiger Zeit durstig und müde. Wir hatten nicht für eine so lange Wanderung eingepackt, und unser Trinkwasservorrat neigte sich dem Ende zu. Außerdem führte der Weg auf einen Hügelkamm, den wir uns nicht mehr antun wollten, und es sah nicht so aus, als ob es eine Alternative gab. Aber es konnte ja nicht so schwierig sein, etwas abzukürzen – oder?
Wir riskierten es, verließen den breiten Trampelpfad und stürzten uns in die Heidekrautbüsche. Doch das war anstrengender als gedacht: Unter den struppigen Büschen verbarg sich unebener Boden, und wir mussten die Beine bei jedem Schritt anheben, als ob wir durch kniehohen Schnee stapfen würden. Ab und zu sprang unerwartet ein verschrecktes Schaf blökend hinter einem Strauch hervor, und wir wussten nie, ob wir beim nächsten Schritt in einem Erdloch stecken würden.
Tapfer kämpften wir uns durch die Misere und hofften inständig, dass endlich ein Weg zum Vorschein käme. Fehlanzeige. Irgendwann dämmerte uns leise, dass es bei weitem einfacher und weniger anstrengender gewesen wäre, auf dem Trampelpfad den Hügelkamm zu erklimmen. Nachdem wir uns zu dieser Erkenntnis durchgerungen hatten, änderten wir die Richtung um 90 Grad und kletterten entschlossen bergan. Einige schweißtreibende Minuten später war es geschafft, und die breiten Natursteinplatten, die die Hochebene durchzogen, waren ein exorbitant schöner und erleichternder Anblick.
Der Rest der Wanderung war dann weit angenehmer, obwohl langsam ein Gewitter aufzog und wir nicht recht wussten, wie wir von der Höhe wieder zum See herunterkommen sollten, doch schließlich kamen wir wohlbehalten und trocken wieder im Tal an und belohnten uns für die lange Wanderung mit einem Abendessen im Pub. Die einzigen Nachwehen unseres unvorsichtigen Experiments waren Muskelkater und ein verbrannter Nacken, weil wir bei der stressigen „Pfadfinderei“ vergessen hatten, Sonnencreme aufzusprühen.
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Der überraschende, glücklicherweise glimpfliche Ausgang unserer Spontanentscheidung hat mir wieder einmal klar gemacht, dass Abkürzungen in vielen Fällen keine Lösung sind. So ungern wir das hören: Oft ist das Wichtige im Leben nur auf dem längeren und anstrengenderen Weg zu erreichen.
Abkürzungen und Beruf(ung)
Auf meinem steinigen Hike zum ersten Prosawerk fantasiere ich manchmal davon, schon jetzt so schreiben zu können wie Dick Francis, Harper Lee, Elisabeth George oder Stephen King. Aber abgesehen davon, dass ich SO wohl niemals schreiben werde, weil solche Talente dünn gesät sind, weiß ich auch, dass diese Damen und Herren viel Zeit aufgewendet haben, um ihren Stil zu finden und zu perfektionieren. Ich kann den Weg zu meinem eigenen Stil und zur Qualität, die mir vorschwebt, nicht abkürzen: Mir bleibt nichts anderes übrig, als die nötige Zahl Worte zu schreiben, Kurse zu besuchen und Wagenladungen Schweiß (und vielleicht Tränen) zu vergießen.
Abkürzungen und Beziehungen
Das Gleiche gilt für Beziehungen. Auch wenn wir uns mit manchen Menschen rasch und manchmal fast magisch verstehen, braucht es Zeit, bis Freundschaften die Tiefe und Beständigkeit entwickeln, auf der unser Vertrauen wachsen kann. Wird das Vertrauen erschüttert, braucht es Zeit und Geduld, um diese Wunde wieder zu schließen, und dafür braucht es beide Seiten. Das gelingt nich immer, und manchmal müssen wir akzeptieren, dass sich eine Beziehung nicht mehr wiederherstellen lässt.
Abkürzungen bei Gott
Der erste Punkt gilt auch für meine Beziehung zu Gott: Wenn ich mir eine Nähe wünsche, in der ich mich geborgen fühle, muss ich Zeit investieren. Mir hilft Verschiedenes, meine Beziehung zu ihm zu vertiefen und mein Vertrauen wachsen zu lassen: In seinem Wort zu lesen zeigt mir seinen Charakter; zu beten und auf seine Stimme zu horchen fördert meine Feinfühligkeit für sein Reden; ihm zu singen und ihn anzubeten zeigt mir seine Erhabenheit, öffnet mein Herz für Erkenntnisse und verändert mich zu ihm hin, und auf Spaziergängen in seiner Gegenwart, ohne Plan und Wunschliste, lerne ich zu glauben, dass er auch mein Freund und immer nur eine Haaresbreite und ein Gebet von mir entfernt ist.
Doch hier hört die Beziehung zu Gott auf, wie die zu einem Menschen zu sein. Denn während wir bei Menschen nicht immer wissen, woran wir sind, während wir uns missverstehen können und manchmal wankelmütig sind, ist Gott immer der Gleiche. Und der schönste Zug an ihm, den man guten Gewissens von keinem Menschen erwarten kann: Ich kann sein Vertrauen, seine Liebe und sein Wohlwollen nie mehr verlieren. Selbst wenn ich mich daneben benehme, rebelliere und ihn anklage, kann ich jederzeit zu ihm umkehren. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, muss ich danach nicht geduldig den verlorenen Boden wieder gutmachen. Gott kennt mich bis auf den tiefsten Grund meines Herzens, und bei ihm kann ich nichts falsch machen.
Diese Heimat bei Gott ist es, die mein Leben leicht und hell macht. Nicht leicht im Sinne von problemlos, nicht hell im Sinne von ohne Schatten und schwere Zeiten. Aber meine Quelle versiegt niemals, und um zu ihr zu gelangen, brauche ich keine Abkürzung – denn der Weg zum Herzen Gottes könnte nicht kürzer sein.