Vor zwei Jahren habe ich ein Buch zum Thema „Werte“ gelesen und einen kleinen Selbsttest gemacht. Er sollte zeigen, welche sieben aus etwa 130 Werten für mein Leben existenziell sind. Die sieben wurden dann gegeneinander gewichtet, und heraus kamen meine persönlichen „Top Seven“:
Wahrheit – Integrität – Glaube – Echtheit – Liebe – Lebenssinn – Kreativität
Ich war erst erstaunt, dass Wahrheit an der Spitze steht, aber nachdem ich etwas darüber nachgedacht hatte, konnte ich mich damit sehr gut identifizieren. Tatsächlich ist „Wahrheit“ für mich die Grundvoraussetzung, um mich selbst und die Welt besser zu verstehen.
Damit meine ich nicht in erster Linie die Wahrheit, die sich an Fakten misst. Faktenwahrheit verändert sich ständig anhand der Erkenntnisse, die wir mit unseren Sinnen und den uns zur Verfügung stehenden Techniken ergründen können. Vor einigen hundert Jahren galt es als Tatsache, dass die Erde eine Scheibe und gleichzeitig das Zentrum des Sonnensystems und des Universums ist. Die Wahrheit, die mir wichtig ist, ist das, was neben und hinter den Fakten abläuft und nicht immer offenbar wird.
Meine Leidenschaft für Geschichte passt da gut hinein, weil sie Fakten und darüber hinaus gehende Erkenntnisse verbindet. Je mehr Fakten wir zusammentragen, desto klarer wird das Bild. Je mehr Quellen wir studieren, desto besser verstehen wir, wie die Menschen der Zeit die Ereignisse interpretiert und wahrgenommen haben, was in ihnen vorgegangen ist und wie ihre Lebenswelt ausgesehen hat. Die Wahrheit Stück für Stück freizulegen, ihr immer näherzukommen, fasziniert mich.
Ebenso spüre ich in meinem Leben den Wunsch, der Wahrheit näher zu kommen und zu ergründen, wie bestimmte Ereignisse zustande gekommen sind. Natürlich ist es nicht immer möglich und nicht immer sinnvoll, allem auf den Grund zu gehen, und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird es fruchtlos und rückwärtsgerichtet. Trotzdem will ich meine Vergangenheit so weit wie möglich verstehen und aus ihr lernen.
Ich entdecke auch an mir selbst immer wieder Neues und erhalte ein klareres Bild. In letzter Zeit ist mir bewusst geworden, wie stark mein Sinn für Strukturen ist. Ich erkenne rasch, wie etwas strukturiert ist, kann Material gut ordnen und mag das Chaos nicht besonders – Überraschung! Ich warte allerdings noch darauf, dass man mit Tests wie „Finde unter 2000 Fünfen innert zehn Sekunden die 2“einen Haufen Geld verdienen kann.
Meine Leidenschaft und Liebe für die Wahrheit prägt auch mein Schreiben. Mehr als alles wünsche ich mir, „Wahrheit“ zu schreiben, wie es Ingeborg Bachmann in einer Dankesrede aus dem Jahr 1959 ausdrückt.
„Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die andren, wenn sie ihm, durch Lob und Tadel, zu verstehen geben, dass sie die Wahrheit von ihm fordern und in den Stand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar (…) Wir sagen sehr einfach und richtig, wenn wir in diesen Zustand kommen, den hellen, wehen, in dem der Schmerz fruchtbar wird: Mir sind die Augen aufgegangen. Wir sagen das nicht, weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwege bringen: dass uns, in diesem Sinne, die Augen aufgehen.“
Tief im Innern wollen wir Menschen sehend werden und die Wahrheit kennen – nicht die Wahrheit, die mit Fakten ergründet wird, sondern die, in der wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Dabei ist die Wahrheit nicht immer leicht: Wie Bachmann es ausdrückt, kann sie schmerzen, kann das grelle Licht in unseren Augen brennen. Aber wir brauchen sie.
Ich liebe sie, diese Wahrheit, die schwer zu ergründen ist und doch existiert. Die wir nie vollständig sehen, die aber da ist und sich uns unverhofft zeigt – in einem Buch, einem Bild oder einem Film, jenseits von nachweisbaren, auf Quellen oder Tatsachen beruhenden Erkenntnissen. Dann entfaltet sie sich in unserem Herzen wie die duftenden Blätter einer Blume und füllt uns mit ihrem Wohlgeruch.
Und das Fundament meiner Liebe zur Wahrheit – die erste, größte und wertvollste Wahrheit – ist diejenige, die sich mir in Christus offenbart. Sie ist dafür verantwortlich, dass ich mich vor anderen Wahrheiten nicht fürchten muss.
In Johannes 8,32 sagt Jesus: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und sie wird Euch frei machen.“ Er meint, dass wir erkennen werden, dass er Gottes Sohn ist und für uns das Martyrium des Kreuzes auf sich genommen hat, um uns mit Gott zu versöhnen und mit seiner Auferstehung den Tod endgültig zu besiegen.
Die unauslöschliche, bedingungslose Liebe Gottes zu uns Menschen, die aus dieser Tat spricht, setzt uns frei. Der Wert, der jedem Menschenleben durch sie verliehen wird, fegt die Ängste vor jeder irdischen Wahrheit hinweg.
Das heißt nicht, dass mir keine Wahrheit etwas anhaben kann. Manche Wahrheiten schmerzen trotzdem. Aber wenn ich meinen Wert aus Gottes Liebe zu mir beziehe, kann angesichts seines JA zu mir und meinem Leben keine noch so hässliche Wahrheit über mich, über meine Liebsten oder über die Welt mich zerstören.
Denn was ich (wert) bin, hängt von keiner irdischen Wahrheit ab.
Was sind Deine „Lieblingswerte“? Gehört „Wahrheit“ dazu, oder findest Du die eher staubtrocken und öde? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!
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