Spazgang 8 2Ich bin in bestimmten Dingen ein Routinemensch: Montags, an meinem Ganzarbeitstag, esse ich am Mittag etwas Kleines, trinke einen Kaffee und mache mich auf meinen Spaziergang zum Schloss Waldegg. In dieser Dreiviertelstunde genieße ich die Natur, führe Gespräche mit Gott, hadere mit mir oder trotte in Gedanken versunken dahin – manchmal auch alles auf einmal. Besonders dankbar bin ich, wenn es mir gelingt, mich nicht ablenken zu lassen und ersteres zu tun. Wenn ich die Natur ungefiltert auf mich wirken lasse, entsteht Raum für ruhige, kraftvolle Gedanken, die mich im Gegensatz zu meinen erschöpfenden Gehirnstrudeln stärken und beruhigen.

Spazgang 1 linksDer gestrige Spaziergang begann lärmig. Es schlug gerade zwölf, Schule und Kindergarten waren aus, und auf den Straßen und Bürgersteigen wimmelte es. Lachen, Schreien, Fahrradgeklingel, quietschende Reifen der Hungrigen auf dem Weg zum Mittagessen. Dann kehrte langsam etwas Ruhe ein. Die Kirche und ihr kleiner Friedhof lagen still in der Herbstsonne. Trockene Blätter raschelten unter meinen Füßen; Efeu und Essigbaum leuchteten an der Steinmauer um die Wette – ein Farbenspiel von grün, gelb und orange über rosafarben bis brennendrot.

 

 

Spazgang 5Nach dem Gang durch ein Einfamilienhausquartier bog ich ab Richtung Schloss , genoss den Blick auf Wiesen und Felder und spazierte durch die Parkallee. Neben dem Weg ein Maisfeld, bereits zur Hälfte abgeerntet. Abrasierte Stoppel ragten aus der Erde, auf einem Feld dahinter schwebten weiß umhüllte Strohkugeln . Dazwischen flatterten Krähen und pickten noch etwas Gutes aus der Erde.

Spazgang 4Die leuchtenden Farben neben den stummen Erntestoppeln haben etwas Zerreißendes, das für mich zum Herbstschmerz gehört. Die Natur bäumt sich noch einmal auf und zeigt sich uns von der schönsten Seite, voller Wärme und Strahlkraft. Doch Abschied liegt in der Luft. Die abgemähten Felder weisen auf die Zeit, in der die Hügel unter klammen Nebelschwaden verschwinden, in der der Tag im Dunkeln beginnt und aufhört, in der der Boden hart wird und die Äste kahl sind und das Leben sich tief verkrochen hat.

Ähnliche Gefühle beschleichen mich oft auf Geburtstagsfeiern meiner Verwandten und Freunde. Es sind schöne Feste, voller Vertrautheit und Feierlaune, aber jeder neue Altersmeilenstein weist auch still auf die Vergänglichkeit des Lebens hin. Wenn sich bei den Geschwistern meines Mannes der Fünfzigste nähert, wenn Eltern in den Siebzigern sind, dann kann ich nicht anders, als den Bogen zu sehen, der sich auch in meinem Leben irgendwann nach unten senkt.

Spazgang 9Das klingt vielleicht etwas dramatisch – aber wir wissen nun mal nicht, wann unser Leben zu Ende geht. Sich der Zyklen der Natur und des menschlichen Lebens bewusst zu werden, mag schmerzhaft sein, aber in diesem Bewusstsein verbirgt sich auch Tiefe. Im Wissen um die Vergänglichkeit meiner Zeit hier auf Erden wird das Leben kostbar. Wenn ich an meine Lieben denke und den schmerzhaften Gedanken zulasse, dass ich mich eines Tages verabschieden muss, wird mir die Zeit mit ihnen wertvoller.

 

 

„So jung kommen wir nie mehr zusammen“. Der Spruch ist kurz, knackig und jedes Mal wahr, aber er birgt auch die Wahrheit, dass wir nicht wissen, ob wir überhaupt noch zusammenkommen. Er sollte uns Wach- und Mahnruf sein, unsere Beziehungen zu pflegen und zu schätzen und nicht zu vergessen, dass sich auf dem Totenbett noch niemand gewünscht hat, er hätte mehr gearbeitet, ferngesehen oder das Haus geputzt. Und er sollte uns daran erinnern, dass unsere Tage nicht in unserer Hand liegen – dass wir Blumen sind, die auf dieser Erde blühen und vergehen, wie es die „Casting Crowns“ so berührend singen.

 

Spazgang 7Am Sonntag haben Beat und ich uns „Bucket List angesehen“, ein Film über zwei Männer, die in einem halben Jahr sterben und gemeinsam eine Liste der Dinge abarbeiten, die sie im Leben noch erleben wollen. Was für Dinge würde ich auf meine Liste setzen? Und was, wenn ich noch weniger Zeit hätte? Was wäre zum Beispiel, wenn es noch exakt drei Tage wären – was würde ich damit anfangen?

 

 

 

Ein paar Ideen habe ich. Am ersten Tag würde ich prüfen, ob ich noch einen Groll loslassen oder etwas Persönliches ins Reine bringen muss, und würde das tun, damit ich die letzten Tage meines Lebens genießen kann. Dann würde ich eine Konzertlesung geben und allen Menschen noch einmal erzählen, dass es Gott gibt, wie sehr er sie liebt und wie wertvoll sie sind. Ich würde ein Abschiedspost mit der gleichen Botschaft auf meinen Blog setzen und mich bei allen Menschen bedanken, die mein Leben bereichert haben.

Den zweiten Tag würde ich allein mit meinem Mann und den letzten Tag mit meiner engen Familie verbringen – auf der Dinglehalbinsel in Irland, dem Land meines Herzens. Und wenn es meine Familie erträgt, würde ich mich gegen Ende des Tages von ihnen verabschieden und sie in ein Pub schicken, um ein Guinness auf mich zu trinken. Dann würde ich mich auf einem schönen irischen Hügel setzen, ein irisches Lied singen und darauf warten, dass Gott mich nach Hause holt.

Irland Landschaft

Und Du?

Warum bloggenManchmal frage ich mich, warum ich überhaupt schreibe und warum das jemand lesen sollte. Und weil so eine Frage die Giftspritze jeglicher Kreativität ist, bin ich jeweils versucht, diese Zweifel beiseite zu wischen. Aber im Vertrauen darauf, dass sich hinter jedem Zweifel eine tiefere Erkenntnis verbirgt, lasse ich dieser Frage Raum und lade Euch ein in das Hinterzimmer eines Schreiberhirns.

So ein Schreiberhirn beschäftigt sich rund um die Uhr mit Wichtigem und Unwichtigem und immer mal wieder mit Fragen wie diesen:

  • Warum glaube ich, dass ich etwas zu sagen habe?
  • Will ich mich wichtig machen, oder halte ich mich für gescheiter als den Rest der Welt?
  • Und eben – warum schreibe ich überhaupt?

Wenn ich den Menschen in meinem nächsten Umfeld Glauben schenken kann, verfüge ich über einen ansehnlichen Klugschwätzer- und Besserwisseranteil. Ausserdem soll ich meiner Mutter nach der Schule jeweils einen minutiösen mündlichen Bericht über meine täglichen Aktivitäten abgegeben haben, was auf ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis hinweist.

Lange hat sich dieses Mitteilungsbedürfnis nicht schriftlich manifestiert, abgesehen von zahlreichen Tagebucheinträgen, in denen ich mein elendes Leben beweinte – aber diese jammervollen Elaborate würde ich niemandem zumuten. Dann habe ich meine Schreibkünste während Jahrzehnten in verschiedenen Formen einsetzt und dafür gute Feedbacks bekommen – aber ich hatte schlicht keinen Schimmer, was ich der Menschheit mitteilen könnte.

Nach meiner Hinwendung zum Glauben hatte ich plötzlich etwas in meinen Augen Mitteilungswürdiges – aber weder die Tatkraft noch das Selbstverständnis, um damit mein Kämmerlein zu verlassen. Nach Jahren, in denen ich blockierende Gedanken über mich selbst und ein paar schlechte Angewohnheiten loswerden konnte, wurde die schlummernde Schreiberei wieder zum Leben erweckt – und das hat schliesslich unter anderem zu diesem kleinen Blog geführt, mit dem ich Euch erheitern, herausfordern und inspirieren will.

So here we are again.

Ich weiss, warum ich blogge, warum es mir Spass macht und was ich damit erreichen will. Ich weiss immer noch nicht genau, warum jemand lesen sollte, was ich über schöne Filme und Lieder, das Leben an sich, Gott und die menschliche Gemeinschaft zu sagen habe. Aber das  macht nichts – ich setze mich einfach hin und lasse die Worte rollen. Und wenn – was immer mal vorkommen kann – jemand an meiner Themenwahl oder an meiner Art zu schreiben Anstoss nimmt, denke ich an dieses tolle Zitat, das ich kürzlich entdeckt habe und das sich auf das ganze Leben anwenden lässt:

If you can’t be criticized for it, it’s probably not remarkable.
Are you devoting yourself to something devoid of criticism? — Unknown

Wenn Du dafür nicht kritisiert werden kannst, ist es wahrscheinlich nicht bemerkenswert. Verschreibst Du Dich einer Sache, die „bar jeder Kritisisierbarkeit“ ist?

Die Übersetzung dieses schönen Zitates von unbekannt hat mich an der deutschen Sprache scheitern lassen, aber die Bedeutung ist klar:

Wenn Du Dich in Deinem Leben darauf beschränkst, Dinge zu tun und zu äussern, die niemanden stören, gegen die keiner etwas hat und für die Du  niemals Kritik oder ein schlechtes Wort einfängst, wirst Du nichts Bemerkenswertes auf die Beine stellen.

Die Angst vor den Reaktionen anderer und der Zwang, bei allem, was Du tust und sagst, von anderen Zustimmung oder Applaus zu bekommen, engt Deinen Handlungsspielraum ein, bis Du am Ende nur noch Spielball und Projektionsfläche für die Wünsche anderer bist.
Lass nicht zu, dass das passiert.

Wir kommen fast jeden Tag an eine Kreuzung: wir vertreten eine Meinung, die nicht mehrheits- oder zeitgeistfähig ist; wir widersetzen uns dem, was man von uns erwartet. Wir fällen schwere Entscheidungen, weil wir unsere Integrität erhalten und unsere Wertvorstellungen nicht billig verkaufen wollen.

Ich schreibe, was mich bewegt, ich benutze die Sprache, die mir entspricht. Ich akzeptiere, wenn mein Stil nicht jeden Geschmack trifft, und freue mich, wenn jemand auf seinem Weg durch Web vorbeikommt und etwas aus meinen Posts mitnimmt. Und Ihr, liebe Leser, habt schon viel dazu beigetragen, dass es mir jeden Tag aufs Neue Spass macht.

Dafür habt Dank. Und mit diesem Post wäre bewiesen, dass ich auch viel schreiben kann, ohne viel Neues herauszufinden (ich hätte Ghostwriter für gewisse Politiker werden können).

Alte Menschen kleinKürzlich hat mir ein Neurentner von seiner ersten Zehn-Uhr-Morgen-Zugfahrt erzählt: beim Eintritt in den Wagon stellte er entsetzt fest, dass er bei weitem der jüngste Passagier war – und beschloss, nur noch frühmorgens Zug zu fahren. Ich versuchte, ihn davon abzubringen, die Sitzplätze der armen Pendler zu belegen, aber im Grunde verstehe ich seine Reaktion: es war seine erste Begegnung mit dem unsichtbaren „Universum der Alten“.

Während wir zur Arbeit hasten oder unsere Besorgungen nach Hause spedieren, trifft sich die Generation der Pensionierten an ihren Plätzen und geht ihren diversen Unternehmungen nach. Die Betagteren unter ihnen sitzen an einer belebten Ecke und beobachten das geschäftige Treiben, zu dem sie früher beigetragen haben. Und das Treiben selbst? Es umspült sie, ohne sie wahrzunehmen, und je älter und betagter sie werden, desto mehr verschwinden sie aus dem Brennpunkt der Wahrnehmung.

Ausser natürlich, wenn sie den Betrieb aufhalten: wenn sie zu langsam über die Strasse gehen, ewig brauchen, um in den Bus einzusteigen oder an der Kasse im „Münz“ kramen, während die Schlange lang und länger wird. Ich gebe zu, dass ich mich auch schon geärgert habe – aber nie ärgere ich mich, ohne daran zu denken, dass ich – so Gott will – auch einmal alt und langsam sein werde.

Kürzlich sah ich auf dem Weg zum Zug einen alten Mann, der seine Einkäufe in einem Plastiktüte an seinen Stöcken nach Hause trug. Er schleppte sich in orthopädischen Schuhen die lange Baselstrasse entlang, und kurz überlegte ich, ob ich die Strassenseite wechseln und ihn nach Hause begleiten sollte. Aber ich tat es nicht – ich musste ja den Zug erwischen und hatte meinen Kopf voll mit Terminen und Plänen. Dabei würde es so wenig brauchen, um einem anderen Menschen zu zeigen, dass er nicht unsichtbar ist.

Vor einigen Wochen wurde in meinem Wohnort mit riesiger Anteilnahme eine langjährige Mitarbeiterin der Stadtverwaltung zu Grabe getragen. Der Anblick berührte mich, weil er zeigte, dass die Menschen in einer Kleinstadt Anteil aneinander nehmen. Er erinnerte mich aber auch daran, dass von manchen Menschen niemand Abschied nimmt. Vielleicht waren sie unleidliche, griesgrämige Zeitgenossen, vielleicht hatten sie auch nur das Pech, nicht so leicht Anschluss und daher nie richtige Freunde zu finden oder eine Familie zu gründen.

Ich gehe davon aus, dass ihnen die fehlende Menschenmenge am Grab nichts mehr ausmacht – aber ich will den Lebenden das Gefühl geben, noch sichtbare und geschätzte Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Ich will künftig  betagten Menschen in meiner Nachbarschaft, auf der Strasse und im Geschäft wieder mehr Aufmerksamkeit und Geduld schenken. Sie haben viele Jahre auf dem Buckel, in denen sie geliebt und gelitten, aber auch hart gearbeitet und viel dazu beigetragen haben, dass ich heute in einem – auch eingedenk aller Schwächen und Probleme – gesunden Land mit guten Wurzeln leben darf. Das müssen wir „Jungen“ erst einmal nachmachen.

In diesem Sinne: „Old is beautiful!“

Minimalismus klein rechtsSeit ich meine Liebe fürs Schreiben entdeckt habe, wage ich mehr und  träume unverschämter. Gleichzeitig  strebe ich danach, ein Minimalist zu werden.
Das klingt nur scheinbar paradox. Heute wenden viele Menschen das Prinzip an, um in allen Aspekten des Lebens Unnötiges zu entsorgen und nur das Wichtige zu behalten – ganz nach dem knackigen Motto „Reduce to the max“.

Obwohl ich nie ein „Ich muss alles haben, und zwar sofort“-Typ war, bin ich mir in den letzten Jahren bewusst geworden, wie befreiend dieses Reduktionsprinzip ist. Unter anderem hat sich dadurch meine Einstellung zu einem Thema verändert, das für viele Frauen eine psychologisch-finanzielle Knacknuss darstellt und bei dem Gedanken wie „genug haben“ oder „sich beschränken“ eher Frust auslösen. Wer errät, worum es geht, gewinnt einen Gutschein für das Kleidergeschäft seiner Wahl.

Ich war nie eine exzessive Shopperin (vielleicht ein bisschen, wenn es um Schuhe geht), aber ich mag gut geschnittene Kleidung und kaufte oft im höheren Preissegment ein, ohne mir allzu viele Gedanken zu machen. Dann hatte ich vor knapp zwei Jahren eine  geniale, inspirierende Idee und begann intensiv mit dem Schreiben. Mein Projekt nahm schnell Formen an, und ich musste mir die Frage stellen, wer das alles bezahlen sollte – oder besser wie mein Mann und ich das im Budget unterbringen könnten. Neben verschiedenen anderen Massnahmen beschloss ich Anfang dieses Jahres, den grösseren Teil meines Kleiderbudgets in mein Projekt zu investieren – ein unfehlbareres Zeichen echter Hingabe, wie ich meine.

Diese Entscheidung wirkte sich rascher aus, als ich erwartet hätte. Innert Kürze kaufte ich überlegter ein und fragte mich plötzlich, ob ich dieses Teil wirklich brauchte und ob der Preis gerechtfertigt war. Da ich lieber einmal umfangreich einkaufe als jeden Monat ein T-Shirt shoppe, war der Betrag trotzdem nach ein paar Monaten aufgebraucht.  Das war der Moment, in dem ich zu einer überraschenden und revolutionären Offenbarung gelangte.

Ich muss keine Kleider kaufen – tatsächlich habe ich genug anzuziehen, um das Haus jeden Tag in ansprechender Aufmachung zu verlassen.

Natürlich gibt es ein paar Basics, die ich mir mal leisten möchte. Ich freue mich auch wieder auf das Schaufensterflanieren und darauf, mich von neuen Saisonschnäppchen inspirieren zu lassen. Aber die positiven Aspekte dieser selbstauferlegten Ausgabenbremse überwiegen deutlich:  Ich mache mir viel weniger Gedanken über meine Garderobe, und vor allem geniesse ich das befreiende Gefühl, nicht immer mehr haben zu müssen.

Dafür wird mir stärker bewusst, wie dreist wir rund um die Uhr mit unschlagbaren Angeboten bombardiert werden, die uns einen Kick geben, unser Leben besser oder uns unwiderstehlich machen sollen. Und wer hätte das gedacht- das Meiste davon braucht kein Mensch.

Aber wir kaufen es trotzdem –  sei es, um unsere Langeweile zu betäuben, sei es, um unseren Lebensstandard zu zelebrieren, oder einfach, weil es ein neues und verbessertes  „XY“ gibt und ich das einfach unbedingt haben muss. Sofort. Und vor allem vor dem Nachbarn oder Arbeitskollegen.

Ich bin dankbar, dass ich in diesem Punkt ein glückliches Erbe habe – meine Eltern haben nie Wert darauf gelegt, ein bestimmtes Bild abzugeben oder mit irgendwem mithalten zu können. Wir hatten kein Auto, fuhren nicht ans Meer, und wir Kinder verdienten uns das Geld für besondere Wünsche, indem wir in den Schulferien arbeiteten. Vor allem aber lernten wir, dass man sich mit niemandem vergleichen muss und keine bestimmten Dinge braucht, um „jemand“ zu sein.

Ich will diese befreiende Haltung in alle Bereiche meines Lebens einfliessen lassen und es nicht nur im Hinblick auf materielle Dinge entrümpeln. Wie viel Zeit verbringe ich vor der Flimmerkiste (zu viel) oder im Netz (zu viel)? Draussen an der frischen Luft (zu wenig)? Wofür setze ich meine Freizeit ein? Ich will prüfen und das Gute behalten – und danach handeln. Denn das nimmt mir keiner ab.

Gott ist Zentrum und Regisseur meines  Lebens – Er wird mich auch auf falsch gesetzte  Prioritäten hinweisen. Aber die Entscheidungen treffen und umsetzen muss ich selbst.

Seit ich weiss, was ich noch alles erreichen will, sind mir diese Fragen wichtiger geworden. Nur, wenn ich meine Energie konzentriere, kluge Entscheidungen treffe und auch mal nein sage, werde ich schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Und die begrenzte Zeit auf dieser Erde will ich für genau das einsetzen, was wirklich zählt: Gott, Familie, Freunde, Gemeinde, Herzensprojekte.

Dass ich Prioritäten setze und mich in bestimmten Bereichen beschränke, bedeutet auch nicht, dass ich mich an dem, was ich mir noch zugestehe, festklammere. Wenn ich daran glaube, dass ich versorgt bin, werde ich grosszügiger und freier im Geben. Und was wir gern und bereitwillig geben, kommt hundertfach zu uns zurück.

Was hältst Du von Minimalismus im besten Sinn? Hast Du auch Bereiche, die Du entrümpeln willst? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Heute vor genau dreissig Jahren sass unsere Familie in der Küche beim Sonntagsfrühstück, als wir ein fernes Knattern hörten. Durchs Küchenfenster sahen wir einen Helikopter, der Richtung Grenchenberg flog. Das löste am Tisch einige Spekulationen aus, war aber bald darauf wieder vergessen – bis mein Vater etwa zwei Stunden später einen Anruf erhielt und man ihn um einen Kommentar zum Tod von Bundesrat Willi Ritschard bat.

Ritschard 2

Willi Ritschard war für unsere Familie nicht nur einer von sieben Bundesräten. Mein Vater sass damals seit zwei Jahren als Solothurner „Genosse“ im Kantonsrat uns schätzte den bodenständigen Ritschard sehr. Noch heute erinnert er sich an eine persönliche Begegnung, die für den einmaligen Schalk des Solothurners typisch war: Auf einem Fraktionsausflug der SP war mein Vater dem hohen Bundesrat vorgestellt worden. Der hatte einen Blick auf meines Vaters Glatze geworfen, seine Hand darauf gelegt und gemeint: „Mir zwöi chöi au nume no d Finanze frisiere!“ (Wir zwei können auch nur noch die Finanzen frisieren!)

Bei einer kleinen Recherche für dieses Post habe ich viel Liebenswertes und Berührendes über Ritschard entdeckt. Aus allen Quellen spricht die geerdete Persönlichkeit, aber auch die emotionale, tiefgründige Ader dieses Mannes. Ohne unsere heutigen Bundesräte abwerten zu wollen, frage ich mich, ob Persönlichkeiten seiner Art heute in der Politik überhaupt noch Platz hätten. Ich gedenke mit Achtung unseres fünften Solothurners im Bundesrat – seine Einfachheit, sein Humor und seine Nahbarkeit öffneten ihm in kürzester Zeit die Herzen aller Schweizer, und an diesem Tag vor 30 Jahren hat das ganze Land um ihn getrauert.

Vor neun Jahren wurde der 16. Oktober für meine Familie zum Sinnbild für einen viel grösseren Verlust. Am 16. Oktober 2004 musste mir mein Vater telefonisch mitteilen, dass meine Mutter – sie war 55 Jahre alt – in der Nacht an einer Hirnblutung gestorben war.

Ma und igIch hatte mir vorher schon oft die Frage gestellt, wie ich mit einem solchen Schicksalsschlag umgehen würde. Heute weiss ich, dass man es überlebt, aber auch, dass die Trauer Teil des Lebens bleibt – und dass sie sich im Lauf der Jahre verändert. Der Schmerz des Verlusts ist geblieben, aber er wurde angereichert mit einem kostbaren Korb voller Erinnerungen an die Frau, die mir das Leben geschenkt und mich geprägt hat.

Meine Mutter war keine Frau der Öffentlichkeit. Sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und bei Veranstaltungen sass sie am liebsten in der letzten Reihe am Rand. Sie arbeitete gern im Hintergrund und hatte grossen Anteil am politischen und kulturellen Engagement meines Vaters, indem sie ihm Zuhause während der Woche den Rücken frei hielt und seine Arbeit mit ihren herausragenden organisatorischen und administrativen Fähigkeiten unterstützte. Ein Erbe dieser gemeinsamen Arbeit ist der „Ferienpass Grenchen“, den sie zusammen aufgebaut und während vieler Jahre ehrenamtlich geführt haben. Noch heute erinnere ich mich an tolle Anlässe wie die Besichtigung des „Nidlelochs“, Schachkurse, Waldnachmittage und vieles mehr, was uns als Kinder begeistert hat.

Ma war auch eine wunderbare Köchin und Gastgeberin. Seit ich selber einen Haushalt habe und manchmal Gäste einlade, weiss ich, dass zum guten Gastgeber viel mehr gehört als ein feines Essen und genug Wein. Ma brachte es fertig, dass sich alle wohl fühlten, sich entspannten und die Zeit genossen. Das kann man nicht „machen“ – es fliesst aus einer Persönlichkeit, die sich wirklich um das Wohl jedes einzelnen sorgt und kümmert und darin aufgeht.

Bei einer oberflächlichen Lese dieser Zeilen könnte man meine Ma für eine sehr traditionelle Frau halten – nichts gegen Traditionen, aber dieses Etikett würde ihr nicht gerecht. Ich habe selbst erst im Nachhinein erkannt, wie sie wirklich war– eine stille Rebellin mit einer starken kreativen Ader, einem schrägen Sinn für Humor und unabhängigen Ansichten. Sie gab nichts auf Status und Konvention, mochte skurrile Geschichten und Menschen, die etwas anders waren. Am Apéro nach der Trauerfeier kam eine ihrer Arbeitskolleginnen auf mich zu und meinte mit einem strahlenden Lächeln: „Gerade haben wir uns daran erinnert, wie oft Monika mit ihrem schallenden, ungekünstelten Lachen eine ganze Tischgemeinschaft angesteckt hat – bis allen die Tränen herunterliefen und keiner mehr gerade auf dem Stuhl sitzen konnte.“ Ihre Augen waren auch nicht tränenlos, aber sie spiegelten die Ausgelassenheit und Freude, die Ma mit ihrer Art verbreiten konnte.

Daneben hatte meine Ma eine erbarmungslose Seite. Sie hasste Arroganz, Geltungsdrang, Unaufrichtigkeit und Verstellung, und sie hatte einen guten Sensor dafür. Wenn jemand auf ihrem Radar aufgetaucht und für „schuldig“ befunden worden war, blieb sie in der Regel bei ihrem Urteil – und scherte sich dabei nicht um Namen oder Position.

Ich komme in vielerlei Hinsicht und vor allem äusserlich eher nach meinem Vater, aber heute erkenne ich in vielen meiner Eigenheiten auch das Erbe meiner Ma. Ich freue mich daran und will dieses Erbe weitertragen. Und es schmerzt mich, dass ich mit ihr nicht mehr darüber sprechen kann, wie ähnlich wir uns sind und wie stolz ich auf das bin, was sie aus ihrem Leben gemacht hat.

Ma hat kein hohes Amt gehabt oder Karriere gemacht. Sie musste ihre Eltern überreden, damit sie eine kaufmännische Lehre absolvieren durfte. Im Gedächtnis der breiten Öffentlichkeit hat sie keine Abdrücke hinterlassen – wohl aber in den Herzen der Menschen, die sie kannten und liebten. Denn sie hat in ihrem Leben mit das Wichtigste getan: sie hat anderen Wertschätzung geschenkt. Und sie war die erste, die mir vermittelt hat, dass ich einzigartig und geliebt bin – genauso, wie ich bin. Damit hat sie ein Fundament gelegt, das auch Bestand hatte, als ich selbst das Liebenswerte in mir nicht sehen konnte.

In der Geschichte von Harry Potter gibt seine Mutter ihr Leben, um Harry zu beschützen. Dadurch erhält er eine Art Siegel, so dass das Böse ihm keinen Schaden zufügen kann. Ich glaube, dass diese einzigartige Liebe einer Mutter immer so ein Siegel hinterlässt – einen unsichtbaren Abdruck in unseren Herzen, ein Echo der bedingungslosen Liebe, mit der Gott uns zuerst geliebt hat.

Ich respektiere und ehre, was Mütter vollbringen, indem sie ihre Kinder erziehen, ihnen Werte mitgeben und ihnen diese Liebe schenken. Und ich will nicht vergessen, dass auch hinter einem grossen Mann wie Willi Ritschard eine Mutter stand, die ihn mit ihrer Fürsorge, Zuwendung und Liebe für seinen Weg ausgerüstet hat. Um es mit den etwas altertümlichen, aber immer noch wahren und schönen Worten von Jeremias Gotthelf zu sagen:

 „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“

Hibiskus klein nach links

In achtender und liebender Erinnerung für

 Willi Ritschard (28.9.1918-16.10.1983)
 Monika Meier (-Vogt) (17.6.1949-16.10.2004)

Popcorn-PerlenFür die heutige Popcorn-Perle habe ich tief in den Achtzigern gegraben – schliesslich bin ich ein Kind dieser Zeit, inklusive Vokuhila, Dauerwelle und Strähnchen. (Gott sei Dank dafür, dass es damals kein Facebook gab). Gemäss meinen Recherchen bin ich 1984 das erste Mal als Teenie ins Kino gegangen und habe mir „Beverly Hills Cop“ angesehen.

Mein „Film des Tages“ ist ein Jahr älter, aber Eddie Murphy spielt darin neben Dan Aykroyd wieder eine Hauptrolle. Für findige Achtzigerköpfe ist der Fall jetzt vielleicht klar, für alle anderen: ich rede von der Komödie „Die Glücksritter“.

Der Film dreht sich um zwei Männer, deren völlig unterschiedliche Leben sich per Zufall kreuzen und durch die Wette zweier kaltherziger alter Unternehmer eine ganz neue Wendung nehmen. Auf der einen Seite Louis Winthorpe III., ein vom Leben verwöhnter, erfolgreicher Börsenmakler mit einem Haus in der Stadt inklusive Butler und einer genauso verwöhnten Verlobten, die zufälligerweise die Grossnichte seiner Arbeitgeber ist. Auf der völlig anderen Seite der Bettler Billy Ray Valentine, der sein Geld damit verdient, sich als blinder Vietnam-Veteran ohne Beine auszugeben und der deshalb regelmässig von der Polizei aufgegriffen wird. Auf einer seiner Fluchten wirft er Louis um und wird beim Versuch, ihm seinen Aktenkoffer zurückzugeben, als Dieb verhaftet und eingebuchtet. Die beiden verwitterten, geizigen, aber steinreichen Inhaber von „Duke & Duke“, Louis‘ Arbeitgeber, kriegen diese Szene mit und kreieren daraus eine Wette, die sich um die folgende Frage dreht:

 Was bestimmt unseren Erfolg? Sind es die Gene, oder ist es unser Umfeld?

Am nächsten Tag wird Louis ein Geldbündel untergeschoben, worauf er in seinem feinen Herrenclub des Diebstahls bezichtigt und in Untersuchungshaft gesteckt wird. Auf der Polizeiwache werden zusätzlich Drogen in seiner Jacke gefunden. Louis darf am nächsten Tag nach Hause, doch auf dem Weg aus dem Revier wird er vor den Augen seiner Verlobten von einer Prostituierten geküsst und um Drogen angebettelt – natürlich ein Arrangement der Dukes. Daraufhin verlässt ihn seine Verlobte. Nachdem die Dukes ausserdem dafür sorgen, dass ihm der Zutritt zu seinem Haus verweigert wird und seine Konten gesperrt werden, steht Louis vor den Trümmern seines verhätschelten Lebens.

Im Gegenzug holen die beiden Billy Ray aus dem Gefängnis und bieten ihm Louis‘ Stelle an. Er sagt zu und entwickelt rasch ein Gespür für den Markt und das Börsengeschäft. Während er die Karriereleiter emporsteigt, verändern sich auch sein Verhalten und seine Einstellung zu Besitz. Währenddessen sinkt Louis immer tiefer, beginnt zu stehlen, bedroht die Weihnachtsgesellschaft von Duke & Duke mit einer Waffe und versucht schliesslich, sich umzubringen.

Zufällig bekommt Billy Ray mit, wie die Dukes ihr gelungenes Experiment besprechen und der eine dem anderen den Wetteinsatz von einem Dollar zahlt. Billy Ray sucht daraufhin Louis und rettet ihm in letzter Minute das Leben. Nachdem er ihn von der Hinterlist der Dukes überzeugt hat, heckt er mit Louis einen Plan aus, um es den gewissenlosen Geizhälsen heimzuzahlen. An einem Showdown an der New Yorker Börse tricksen Louis und Billy Ray die Dukes aus und treiben sie in den Ruin, werden selber steinreich und setzen sich auf eine Insel ab, um ihr neues Leben zu feiern.

Der Film ist typisch Achtziger inklusive Frisuren und Kleidung, ausserdem teilweise etwas freizügig (FSK 16) und manchmal ziemlich albern, aber ich liebe ihn trotzdem. Einerseits natürlich wegen der tollen Schauspielerriege auf der Höhe ihres Schaffens – allen voran Dan Aykroyd, Held aus „Blues Brothers“ und „Ghostbusters“, als Louis, aber auch Eddie Murphy als Billy Ray und Jamie Lee Curtis in der Rolle der Prostituierten Ophelia, die sich schliesslich um Louis kümmert, als er in der Gosse landet. Vor allem aber gefällt mir, dass der Film trotz seines ab und zu einfachen Humors ein paar tiefe Fragen aufgreift.

Zum einen natürlich die Wettfrage selbst:

Was macht uns zu den Menschen, die wir sind? Sind es die Gene, oder ist es unser Umfeld?

Der Film scheint diese Frage zugunsten der Umwelt zu beantworten, aber ich glaube nicht, dass man es so vereinfachen kann. Wir sind weder Sklaven unserer Gene noch reine Produkte unseres Umfelds und unserer Geschichte. Natürlich erben wir gewisse äusserliche und innere Eigenschaften und Fähigkeiten und werden durch unsere Familie, unser Umfeld und unsere Erfahrungen geprägt. Aber irgendwann beginnen wir, selbst Entscheidungen zu treffen, die uns ebenfalls zu den Menschen formen, die wir heute sind.

Die zweite Frage hat mich beim Verfolgen von Louis‘ Niedergang beschäftigt und ähnelt der biblischen Geschichte um Hiob:

Was bleibt von mir übrig, wenn mir alles genommen wird? Worüber definiere ich mich?

Ist es meine Arbeit, meine Leistung und die Anerkennung, die ich erhalte? Oder ist es meine Partnerschaft oder Ehe, oder vielleicht meine Beliebtheit im Freundes- und Bekanntenkreis? Worum drehen sich meine Gedanken? Was beschäftigt mich, gibt mir Kraft, ist aber auch meine verwundbarste Stelle?

Die Frage ist wichtig und berechtigt. Denn keiner dieser Bereiche, in denen ich meine Identität vielleicht festmache, ist wirklich krisenresistent.

Egal, wie tüchtig ich bin – es kann passieren, dass ich einen Rückschlag hinnehmen muss oder gar meine Arbeitsstelle verliere. Mein Partner kann mir vom Schicksal entrissen werden oder mich verlassen. Und leider können auch vermeintlich tragfähige Freundschaften zerbrechen, ganz zu schweigen von Beziehungen, die auf irgendeinem Grad von Beliebtheit oder Status beruhen.

Ich bin nach meiner Einschätzung nicht in akuter Gefahr, meinen Job, meinen Ehemann oder meine Freunde zu verlieren. Aber ich will mir die Frage stellen, und ich will wissen, was mich ausmacht und trägt, wenn alles andere wegfällt – wenn ich nicht mehr die fähige Mitarbeiterin, die geliebte Partnerin und die geschätzte Freundin bin.

Glücklicherweise kann ich die Frage für mich beantworten. Wer ich bin, hat der entschieden, der mich gemacht hat. Und selbst wenn ich alles verliere inklusive der Fähigkeiten, Talente und Eigenschaften, die Er mir gegeben hat, bleibe ich eines für immer: Geliebt von Gott. Sein Kind.

Gewisse Gedankenspiele machen mir trotzdem Angst – die Vorstellung, hilflos und vermeintlich nutzlos zu sein, anderen zur Last zu fallen. Wenn ich mir solche Szenarien vorstelle, merke ich, dass ich stark in unserem westlichen Weltbild verwurzelt bin und auch die klassische Ursünde Stolz mitschwingt – funktionieren, leisten, alles selber schaffen, niemanden brauchen. Aber ich weiss, wohin ich mit diesen Bildern gehen kann, um mir neue Bilder schenken zu lassen, die meine Identität an etwas oder besser an jemand anderem festmachen.

Wie ist es bei Dir – was hält Dich aufrecht, motiviert Dich und gibt Dir Kraft? Was macht Dich aus, und worüber identifizierst Du Dich? Ich bin gespannt auf Dein Feedback!