Wenn ich keine Verpflichtungen wie Chorkonzerte oder Familienanlässe habe, bin ich am Sonntag im Gottesdienst anzutreffen. Diesen Sonntag ist Familie angesagt, weshalb ich mir hier einen kleinen predigtartigen Abstecher erlaube. Um es etwas spannend zu machen: er ist inspiriert durch ein kürzliches Gespräch mit einer atheistischen Freundin.
Meine Verbindungskollegin aus Studienzeiten liest trotz ihrer kritischen Einstellung zum Glauben meine Posts und ist kürzlich einem Link auf der Facebook-Seite von „Seelen-Snack“ gefolgt. Der hat sie zu einem – wie sie sich ausdrückte – „unsäglich rosabrilligen“ Bericht geführt, demzufolge alle Gläubigen auf einer Insel der Seligen wandeln, nie ein Problem haben und weder Krisen noch Katastrophen erleben.
Ich kenne solche Ansichten und Zeugnisse – sie lassen sich mit dem Satz „Werde Christ, und alles wird gut“ zusammenfassen. Im Grunde stimmt das auch: Ich beginne jeden Tag im Vertrauen auf Gottes Güte und Treue und im Bewusstsein, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Ich glaube, dass bei Gott nichts unmöglich ist und dass er auch heute noch Wunder tut. Und ich bin tief überzeugt, dass am Ende der Zeit „alles gut“ wird.
Aber wenn wir das Christsein verkaufen, als ob es nur aus Highlights und Hallelujas bestehen würde, lassen wir einen wichtigen Teil der Realität aus. Vor allem lassen wir damit die Menschen allein und aussen vor, die gerade etwas anderes erleben.
Und wer kennt diese Zeiten nicht? Wenn wir ohne Ende mit Problemen, Krisen und Rückschlägen konfrontiert werden. Wenn es einfach nicht aufwärts geht. Kein Licht am Ende des Tunnels. Keine Erleichterung. Kein Ausweg.
Wenn wir dieses „rosabrillige“ Bild vor Augen haben und davon ausgehen, dass so etwas einem guten Christen nicht passiert, landen wir schnell bei der Frage, ob wir doch nicht so gut sind, wie wir dachten, und was um Gottes Willen wir bloss falsch gemacht haben.
Es ist durchaus möglich, dass wir für eine Krise mitverantwortlich sind. Vielleicht haben wir falsche Entscheidungen getroffen oder uns einer nötigen Veränderung verweigert und baden jetzt die Konsequenzen aus.
Aber oft geschehen Dinge einfach – auch traurige und schreckliche. Wir werden den Grund dafür vielleicht nie erfahren, und kein noch so grosser Aufwand wird uns einer Antwort näher bringen. Eine Lehre, die davon ausgeht, dass in jedem Fall eine unentdeckte oder unbereute Sünde für unser Elend verantwortlich sein muss, ist (meine bescheidene Meinung) zutiefst unmenschlich und lebensfeindlich.
Aber was tun, wenn wir in einer schwierigen Situation stecken?
Wie gehen wir damit um, wenn es einfach nicht besser wird?
Mich inspiriert, wie König David das bewältigt hat: Er hat Gott ohne falsche Zurückhaltung und „fadegrad“ die Meinung gesagt. Er hat seine Wut, seine Angst, seine Verzweiflung und seinen Frust bei Gott abgeladen – aber er ist an diesem Punkt nicht stehen geblieben. Trotz seiner wortreichen und auch bitteren Anklagen konnte er am Ende immer wieder sagen:
Mein Gott – ich verstehe nicht, warum das passiert.
Ich verstehe DICH nicht.
Ich fürchte mich – ich bin wütend – ich bin verletzt.
Aber ich vertraue Dir.
Wenn ich darüber nachdenke, muss ich das obige „Trotz“ in ein „Wegen“ verwandeln: Nur wenn ich mich Gott so nahe fühle und ihm so sehr vertraue, dass ich mein Herz öffne und auch meine Zweifel und meinen Schmerz nicht zurückhalte, wird mein Vertrauen in Gott neue Kraft bekommen.
Becky Freeman erzählt in ihrem Buch „Real Magnolias“*, wie ihre beste Freundin Gracie schwer erkrankte. Der Arzt stellte fest, dass sie am selben Phänomen litt wie der alttestamentliche Hiob: Ihre Hautzellen zerstörten sich selbst.
Um wieder gesund zu werden, musste Gracie über lange Zeit starke Medikamente einnehmen. Sie verlor fast alle Haare, war aufgeschwemmt und hatte so starke Schmerzen, dass sie sich jeweils erst nachmittags bewegen konnte.
Schliesslich liess auch ihre Sehkraft immer mehr nach. Trotzdem versuchte sie, mit dem Vergrösserungsglas in der Bibel zu lesen. Dabei stiess sie auf folgende Worte:
„Ich liebe Dich mit einer immerwährenden Liebe.“
Gracie flippte aus.
Sie schrie: „Das tust Du nicht!“ und versuchte, ein paar Seiten aus der Bibel herauszureissen – aber sie war zu schwach dazu. Sie knallte die Bibel auf den Nachttisch und weinte wie ein Baby.
In den kommenden Monaten ging es langsam aufwärts. Sobald sie wieder besser sehen konnte, las Gracie die Geschichte von Hiob und entdeckte, dass auch er mit Gott gerungen und schliesslich zu neuem Vertrauen gefunden hatte. Und sie entdeckte Gottes Liebe und Versorgung in vielen Dingen: In der Hilfe von Nachbarn und Freunden, die für ihre Familie kochten und im Haushalt halfen. In Briefen von Gemeindemitgliedern, die ihr Mut machten.
Gracie wurde wieder gesund, aber diese Zeit hat ihre Beziehung zu Gott für immer verändert. Sie hat gelernt, Gottes Liebe nicht daran zu messen, wie gut es ihr gerade geht, und aus schlechten Zeiten nicht abzuleiten, dass sie etwas falsch gemacht hat. Ihr Vertrauen in Gott hat tiefe Wurzeln erhalten.
Ich wünsche mir, dass mein Vertrauen in Gott gross genug ist, um ihm alles zu sagen, was mich bewegt, und nichts zurückzuhalten – und dass diese Offenheit mich wiederum zurückführt in die Gewissheit, dass er gut und treu ist und es auch bleibt – egal, wie es mir gerade geht. Und heute lasse ich mich dafür von Psalm 13 inspirieren, der Davids Herz und seine Beziehung zu Gott deutlich macht:
Wie lange, o Herr, willst du mich ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir?
Wie lange soll ich Sorgen hegen in meiner Seele,
Kummer in meinem Herzen tragen Tag für Tag?
Schau her und erhöre mich, o Herr, mein Gott!
Erleuchte meine Augen, dass ich nicht in den Todesschlaf versinke,
dass mein Feind nicht sagen kann, er habe mich überwältigt,
und meine Widersacher nicht frohlocken, weil ich wanke!
Ich aber vertraue auf Deine Gnade;
mein Herz soll frohlocken in deinem Heil.
Ich will dem Herrn singen, weil er mir wohlgetan hat!
Wie sieht es bei Dir aus – fällt es Dir leicht, Gott mit negativen Gefühlen zu belästigen? Ihm auch in schweren Zeiten zu vertrauen? Fragst Du Dich auch manchmal, ob Du etwas falsch gemacht hast – obwohl Du doch weisst, dass es nicht „so“ funktioniert? Ich bin gespannt auf Dein Feedback!
*Wer sich für das Buch interessiert, findet hier Informationen (leider nur in Englisch).
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