Kürzlich hat mir ein Neurentner von seiner ersten Zehn-Uhr-Morgen-Zugfahrt erzählt: beim Eintritt in den Wagon stellte er entsetzt fest, dass er bei weitem der jüngste Passagier war – und beschloss, nur noch frühmorgens Zug zu fahren. Ich versuchte, ihn davon abzubringen, die Sitzplätze der armen Pendler zu belegen, aber im Grunde verstehe ich seine Reaktion: es war seine erste Begegnung mit dem unsichtbaren „Universum der Alten“.
Während wir zur Arbeit hasten oder unsere Besorgungen nach Hause spedieren, trifft sich die Generation der Pensionierten an ihren Plätzen und geht ihren diversen Unternehmungen nach. Die Betagteren unter ihnen sitzen an einer belebten Ecke und beobachten das geschäftige Treiben, zu dem sie früher beigetragen haben. Und das Treiben selbst? Es umspült sie, ohne sie wahrzunehmen, und je älter und betagter sie werden, desto mehr verschwinden sie aus dem Brennpunkt der Wahrnehmung.
Ausser natürlich, wenn sie den Betrieb aufhalten: wenn sie zu langsam über die Strasse gehen, ewig brauchen, um in den Bus einzusteigen oder an der Kasse im „Münz“ kramen, während die Schlange lang und länger wird. Ich gebe zu, dass ich mich auch schon geärgert habe – aber nie ärgere ich mich, ohne daran zu denken, dass ich – so Gott will – auch einmal alt und langsam sein werde.
Kürzlich sah ich auf dem Weg zum Zug einen alten Mann, der seine Einkäufe in einem Plastiktüte an seinen Stöcken nach Hause trug. Er schleppte sich in orthopädischen Schuhen die lange Baselstrasse entlang, und kurz überlegte ich, ob ich die Strassenseite wechseln und ihn nach Hause begleiten sollte. Aber ich tat es nicht – ich musste ja den Zug erwischen und hatte meinen Kopf voll mit Terminen und Plänen. Dabei würde es so wenig brauchen, um einem anderen Menschen zu zeigen, dass er nicht unsichtbar ist.
Vor einigen Wochen wurde in meinem Wohnort mit riesiger Anteilnahme eine langjährige Mitarbeiterin der Stadtverwaltung zu Grabe getragen. Der Anblick berührte mich, weil er zeigte, dass die Menschen in einer Kleinstadt Anteil aneinander nehmen. Er erinnerte mich aber auch daran, dass von manchen Menschen niemand Abschied nimmt. Vielleicht waren sie unleidliche, griesgrämige Zeitgenossen, vielleicht hatten sie auch nur das Pech, nicht so leicht Anschluss und daher nie richtige Freunde zu finden oder eine Familie zu gründen.
Ich gehe davon aus, dass ihnen die fehlende Menschenmenge am Grab nichts mehr ausmacht – aber ich will den Lebenden das Gefühl geben, noch sichtbare und geschätzte Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Ich will künftig betagten Menschen in meiner Nachbarschaft, auf der Strasse und im Geschäft wieder mehr Aufmerksamkeit und Geduld schenken. Sie haben viele Jahre auf dem Buckel, in denen sie geliebt und gelitten, aber auch hart gearbeitet und viel dazu beigetragen haben, dass ich heute in einem – auch eingedenk aller Schwächen und Probleme – gesunden Land mit guten Wurzeln leben darf. Das müssen wir „Jungen“ erst einmal nachmachen.
In diesem Sinne: „Old is beautiful!“
Sehr schön und wahr geschrieben! Genau so ist es, ich bin vollkommen deiner Meinung, ehren wir das Alter!
Danke Jeannie :-)! Ja, das wollen wir tun – und unsere Ungeduld und ähnliches im Zaum halten 😉
Das ist eine tolle Post!
Ich frage mich ernsthaft, ob diese Verachtung des Alters nicht einem tiefen Unbehagen entspringt, das mit der materialistischen Weltanschauung . von Europa zusammenhängt.
Liebe Grüsse aus England und Lothringen.
Ich meinte diesen Link, sorry.
Vielen Dank Dir – interessante Gedanken, die Du anschneidest; ich glaube auch, dass die Geringschätzung des Alters durch die materialistische Weltanschauung noch verstärkt wird. Wenn der Mensch nur nach seiner Nützlichkeit und Leistungsfähigkeit für die Gesellschaft beurteilt wird und man annimmt, dass nach dem Tod nichts bleibt – wenn man sogar annimmt, dass es neben der materiellen Welt nichts gibt – vermindert das den Wert des Lebens Jahr für Jahr. Eine beunruhigende Entwicklung – aber wir haben den Auftrag, unsere Sicht dagegen zu halten 🙂 Liebe Grüsse aus der Schweiz!
Liebe Claudia Dahinden, schauen wir doch in die Bibel, was GOTTES WORT, der alles weiß und uns die wichtigsten Dinge zu sagen hat, über das Alter uns mitteilen will:
´Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht; Prediger 12, 1.
Es ist also auf jeden Fall richtig, sich um die Altchen aufmerksam zu kümmern, da muß man auch schon mal was drangeben oder verschieben. Was hätte es denn ausgemacht – stell Dir vor, statt eines Ausrutschen mit Beinbruch und Rettungswagen für Dich – dem alten Menschen mit seiner Beschwerlichkeit zu helfen – bestimmt sagst Du ja, die Du bekannt hast: ‚Aber ich tat es nicht‘, ich hätte es tun sollen. Es hat Dich gereut.
Ich hatte mal vor etwa drei Jahren so eine ähnliche Begegnung. Eine sehr alte Frau schleppte sich auch mit ihren Tüten dahin. Ich dachte so, vielleicht ist das das einzige mal, daß ich sie noch sehe, ich kehrte also mit meinem Auto um und fragte sie, ob ich sie nach hause bringen soll. Na ja, sie war zuerst mißtrauig, ich unterhielt mich aber mit ihr etwas, und schließlich meinte sie, die Tüten könne ich ihr nach hause bringen. Aber, ich würde es nicht finden, war dann doch das Hemmnis, schließlich fuhr ich sie doch, sie zeigte mir den Weg. Um es kurz zu machen, die Frau war in einem furchtbaren Elend, ihr Sohn seit Jahren weg, sie seit vielen Jahren allein, ihr Haus mehr als chaotisch. Wir, meine Frau und ich, sind dann noch öfter bei ihr gewesen, sogar eine Bibel aus dem Zimmer ihres Sohnes, dort mußte eine sein, haben wir gefunden und mit ihr darin gelesen und gebetet. Ich will nicht zu deutlich werden, aber sie ist in ihrer Andersartigkeit alleine gelassen worden, ihre Zimmer waren wirklich voll mit Spinnengeweben, das kann man sich nicht vorstellen. Aber renovieren durfte ich nicht, usw. Schwierig schwierig, was es so alles gibt. Der HERR sagt: Hingehen, an die Hecken und Zäune. Also bis an die gebotenen Grenzen. Laßt Euch also, liebe Leser, den Weg von Oben durchkreuzen, ich auch und immer wieder mal. Das gibt Freimut und Erfahrung. Das Elend, die Not, die Finsternis, – das heißt auch die unverstandenen Dinge hinter den Fenstern, auch hinter den Fenstern des Leibes, ist groß – und auch tief – besonders auch in den Jahren, die uns dann nicht gefallen.
Und zum Abschluß noch aus Prediger 11, 9: ´So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und laß dein Herz guter Dinge sein in deiner Jugend. Tue, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, daß dich Gott um dies alles wird vor Gericht führen.`
Also, sei besonnen und erkenne, der HERR JESUS lebt, sonst gäbe es keine Jünger, und will Erlöser sein, ist es auch, aber sei nicht widerspenstig. GOTT liebt Gerechtigkeit und Recht, die Sünder, aber nicht die Sünde, laßt also die verkehrten Wege und suchet IHN: Forschet nun in dem Buch und lest; wo steht das wohl? Es steht ernster um uns, als wir denken.
Mit freundlichen Grüßen, Michael Sack
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Lieber Michael, danke für Deinen Kommentar! Ich finde es stark, wie Ihr Euch um die alte Frau gekümmert habt; ich hoffe, ich kann mich ein nächstes Mal davon inspirieren lassen 🙂 Liebe Grüsse, Claudia