Es ist weit länger her, als ich wollte, seit ich das letzte Mal ein «Writers Update» oder einen «Seelensnack» geliefert habe. Mehrmals habe ich mir gesagt, dass es nun an der Zeit wäre – und tat es dann doch nicht.

Das liegt nicht daran, dass es keine lesenswerten Neuigkeiten gegeben hätte. Ich habe das zweite Draft meines zweiten Romans geschrieben, ein spannendes neues Projekt ist in Arbeit. Aber es kam mir falsch vor, solange ich mir nicht etwas anderes von der Seele geschrieben hätte. Heute will ich das tun, auch wenn es immer noch zu früh, zu schwer und zu traurig scheint.

Heute vor einem halben Jahr ist mein Vater gestorben. Unerwartet schnell, und dennoch nach verzweifeltem Bangen und Hoffen, das zehn Tage im Mai zu den längsten und schlimmsten meines Lebens machte.

Wir werden nie erfahren, woran er genau gestorben ist. Was wir wissen ist, dass unser Pa sich letzten Dezember ein Melanom entfernen liess und die Ärzte bei einer darauffolgenden Untersuchung eine Mikrometastase in der Leistengegend entdeckten, die eine Tabletten-Chemo erforderte. Im Februar begann er mit der Therapie, die er mit der ihm eigenen Entschlossenheit und Zuversicht in Angriff nahm und auch gut meisterte.

Anfang März fing er sich, wahrscheinlich auf einer seiner täglichen Velotouren, eine leichte Bronchitis ein, die er nie mehr ganz loswurde. Doch das, was mit seinem Tod endete, begann Anfang Mai, als ich ihn während eines Anrufs fragte, ob er gerade eine Treppe hinaufgerannt sei. Er gestand mir, dass er seit einigen Tagen Atembeschwerden hatte, und ging schliesslich am 11. Mai zum Covid-Test. Er wurde negativ getestet und mit einem Termin für weitere Abklärungen nach Hause geschickt. Am Tag seiner Untersuchung rief er mich nachmittags an und teilte mir mit, dass sie ihn im Spital behalten würden, weil seine Sauerstoffwerte so schlecht seien. Ich erschrak, war aber froh, dass er nun zumindest am rechten Ort war, falls sich die Lage verschlimmern sollte.

Am Samstag rief er mich schon früh an, und meine Sorge  nahm zu – er hatte kaum geschlafen und hörte sich mutlos an. Kurz vor Mittag meldete er sich erneut, damit ich ihm ein paar Sachen fürs Spital zusammenstellen konnte. Er klang schon wieder munterer, und ich flitzte etwas erleichtert gemäss seinen Anweisungen durch seine Wohnung und packte ihm einen Koffer, versprach , ihn am Sonntag abzugeben – Besuche waren wegen Corona ja nicht erlaubt – und ihm zusätzlich zu seinen Leib- und Magenblättern auch den Sonntags-Blick zu bringen, den er sonst immer im Café «Stadthus» las.

Durch seinen guten Mut getröstet, wandte ich mich anderen Dingen zu, als eine Stunde später wieder ein Anruf kam. Dieses Mal klang Pa gestresst und besorgt. Im Hintergrund hörte ich einen Arzt zu ihm sagen, dass er ins künstliche Koma versetzt werde, und erschrak tief. Wir konnten nur noch kurz austauschen; Pa sagte mir, dass man mich jeweils über seinen Zustand informieren würde. Ich glaube, das letzte, was er sagte, war, dass andere «ja auch wieder aufgestanden» seien.

Es folgten zehn herzzerreissende Tage, ein Auf und Ab, das ich nie vergessen werde. Erst Angst und Bangen, weil sich sein Zustand nicht bessern wollte; dann leise Hoffnung, als der Arzt nach drei Tagen «zufrieden» war. Der Schock, als ich ihn besuchen durfte und hilflos daliegen sah, mit offenen Augen, aber nicht ansprechbar. Erneutes Bangen, als keine weiteren Fortschritte eintrafen. Beklemmung und Furcht, als die Ärztin eine Woche nach seinem Eintritt sagte, wir müssten mit dem Schlimmsten rechnen; als am Tag darauf Herzrhythmusstörungen dazukamen; der Sonntag, an dem meine Schwester und ich beide bei ihm sassen.

In all diesen Tagen hatte ich jeden Tag einmal angerufen und mit – oder besser zu – meinem Pa gesprochen. Hatte gehofft und gebetet, im Wissen und in der Zuversicht, dass Gott alles möglich ist, auch wenn die Medizin am Ende ihrer Weisheit angelangt. Meine Schwester und ich schickten Lieder ins Spital, die ihm die Pflegerinnen abspielten; als wir gemeinsam bei ihm waren, sangen wir ihm vor. Wir gaben die Hoffnung nicht auf.

Doch schliesslich kam er doch, der schwarze Montag, der sich in jedem Detail für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hat:

Das Müsli, das ich gerade ass, als morgens um neun der Anruf kam, wir müssten sofort kommen, und das anderntags noch halbgegessen und eingetrocknet auf meinem Schreibtisch stand.

Die hektische Fahrt ins Spital, während der Pas älteste Schwester anrief, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, und ich mich in meiner Angst verfuhr und fürchtete, nicht mehr rechtzeitig anzukommen.

Das Besprechungszimmer, in dem ich mit meiner Schwester und ihrem Mann sass, als uns die Ärztin mitteilte, dass sie nichts mehr tun konnten; dass die Organe versagt hätten und Pa nur noch durch Medikamente und Maschinen am Leben erhalten werde, und dass wir eine Entscheidung treffen müssten.

Die langen Stunden, die wir danach noch bei ihm sassen und für ihn beteten – wissend, dass er kein langes Vegetieren an Maschinen gewollt hätte; bereit, ihn gehen zu lassen, aber immer noch voller Hoffnung auf unseren Gott.

Die rote Digitalanzeige an der Wand, die den 25. Mai anzeigte, und bei der ich mich fragte, ob dies jetzt der Tag sein würde, an dem mein Vater sterben wird.

Die so schnell und gleichzeitig ewig dauernden Minuten, nachdem die Ärzte die Maschinen abgestellt hatten und wir buchstäblich an Pas Lippen hingen, auf ein Wunder hofften und zusahen, wie seine Atemzüge weniger und schwächer wurden und er schliesslich friedlich starb. Und unsere Welt stehenblieb.

Der Telefonanruf, den ich mit meiner Tante führen musste – seiner Schwägerin, die er sehr geschätzt hatte – und die mich mit gebrochener Stimme fragte, ob er habe sterben dürfen.

Die einsame Heimfahrt, auf der ich zu Gott und zu meinem Pa schrie und weinte, der Moment, als ich daheim ankam und mein Mann mich in die Arme nahm.

Die Welt hat sich seitdem weitergedreht, und heute, ein halbes Jahr später, ist die turbulenteste und dunkelste Zeit vorbei. Ein Leben ist hier auf Erden zu Ende; in meinem Herzen und – so glaube ich fest – an dem Ort, wo wir uns wiedersehen, geht es weiter. Die Trauer kommt und geht in Wellen. Denn die Lücke, die Pa in meinem Leben und in dem anderer hinterlässt, ist riesig.

Als unsere Mutter 2004 starb, übernahm er, der in unserer Kindheit aufgrund seiner vielen Engagements wenig präsent war, ihre Rolle in unserer kleinen Familie. Er machte uns zu seiner Priorität,  reiste an die Konzerte und Aufführungen seiner Enkel und nahm grossen Anteil an allem, was seine beiden Töchter machten. Er freute sich sichtlich, als ich mit meinem Mann 2010 zurück nach Grenchen zog, und war von da an fast täglich Teil meines Lebens.

Er war der stolze Cheerleader seiner Töchter und mein treuester Fan, und er fehlt mir so sehr. Und sein Fehlen macht mir bewusst, wie zerbrechlich mein Selbstwertgefühl manchmal noch ist. Ich dachte, ich sei verwurzelt in Gottes Liebe, und daran könne niemand rütteln. Der Verlust meines Pa erinnert mich schmerzlich daran, dass Gott uns nicht als Solonummern geschaffen hat. Wir brauchen die Gemeinschaft, brauchen die Liebe und Wertschätzung eins menschlichen Gegenübers.

Pas Tod hat mich und mein Leben unwiederbringlich verändert. Meine Verbindung zur Familie ist stärker geworden; ich habe meine Schwester mehr gesehen und mit ihr öfter gesprochen als sonst in zwei Jahren. Pas noch lebende Geschwister und die meisten unserer Cousins und Cousinen wohnen in Grenchen, und in diesen schweren Monaten sind wir einander auch nähergekommen. Die Familienbande der Meiers sind stark und liebevoll, und was für ein Geschenk das ist, wurde mir in diesen dunklen Tagen neu bewusst.

Die Trauer wird nicht vergehen. Sie wird anders werden, wird abebben und wiederkehren, sich wandeln. Und ich werde wieder vorwärtsschauen – wie es auch mein Pa einst getan hat. Als meine Ma starb, war er untröstlich, und es dauerte lange, bis er richtig ins Leben zurückkehrte. Aber irgendwann schien ein Ruck durch ihn zu gehen, und er wurde wieder der fröhliche und lebensfreudige Mensch, den wir kannten. Als ich nach seinem Tod seine Agenda durchblätterte, stiess ich auf ein rosa Post-it, auf dem er in seiner charakteristischen Handschrift einen Spruch notiert hatte. Er stammt von einer der vielen Trauerkarten, die Pa nach Mas Tod erhalten hatte, und er hatte ihn seit diesem Tag zu seinem Lebensmotto gemacht. Dass er ihn immer noch auf einem Post-it in der Agenda herumtrug, zeigt mir, dass er sich öfters an das erinnern musste, was darauf stand:

«Auch wenn du von uns gegangen bist,
sind wir verpflichtet, gut zu leben.
Verpflichtet uns und vor allem dir –
denn du würdest es hassen und uns schimpfen,
wäre unser Leben dunkel und nicht mehr lebenswert.»

Jetzt trage ich den Zettel mit mir herum, um mich daran zu erinnern, dass Pa es genau so sehen würde. Und ich bin entschlossen, seinen Wunsch zu erfüllen. Mein nächster Post wird sich hoffnungsvoll der Zukunft zuwenden, wird sich freuen auf das, was kommt, und es mit Euch teilen. Ich werde mir an ihm ein Beispiel nehmen, das Leben geniessen und die richtigen Prioritäten setzen – furchtlos und kühn.

Heute aber gehören meine Gedanken noch ihm, und ich schliesse dieses Post mit meiner Trauer und meiner grossen Dankbarkeit. Für das, was Pas zu früher Tod in mir und anderen hervorgebracht hat: tiefere Beziehungen, die Erfahrung, dass wir solche Zeiten überstehen können, das immer noch felsenfeste Vertrauen in Gott, der mich unzweifelhaft durch diese Zeit getragen hat. Und für das, was wir an ihm hatten. Denn nur, wer etwas so Gutes hatte, kann es so schmerzlich vermissen.  

Auf dich, Pa. Danke für alles. Wir sehen uns.

Vor 104 Jahren, kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges, geschah an der Front Unglaubliches: es wurde Weihnachten.

Die Geschichte erscheint in diesen Tagen regelmässig in den Medien, aber sie berührt mich immer wieder neu. Die schriftlichen Zeugnisse darüber, so lese ich in einem Bericht meiner Zeitung, sind spärlich, aber einige blieben erhalten – unter anderen einer von Walter Imlah, Obergefreiter der britischen Armee, der mit seinem Kameraden vom ersten Bataillon der schottischen Gordon Highlanders im Graben lag. Und das ist damals geschehen:

Am Weihnachtstag erhoben sich urplötzlich deutsche Soldaten aus ihren Schützengräben und traten unbewaffnet hinaus ins Niemandsland zwischen den beiden Lagern; eine Aktion, die normalerweise den sofortigen Tod bedeutet hätte. Auf der gegnerischen Seite brach Unruhe aus, doch schliesslich machten sich schottische Offiziere auf den Weg zu den Gräben, um herauszufinden, was die Deutschen wollten. Diese erklärten, sie wollten einen Waffenstillstand, um ihre Toten aus dem Niemandsland zu bergen und zu begraben. Die Schotten gingen auf das Angebot ein, und in der Folge brachten sie die toten deutschen Soldaten zu den deutschen Gräbern; die Deutschen erwiderten den Dienst auf ihrer Seite. Glück oder Vorsehung wollte es, dass am selben Tag ein britischer Pfarrer an die Front versetzt worden war. Nachdem die Gräber zugeschüttet waren, wurde eine gemeinsame Messe organisiert, und die Männer, einen Tag zuvor noch erbitterte Feinde, hörten gemeinsam den 23. Psalm der Bibel. Nach der Messe verbrüderten sich die Soldaten, tauschten Adressen, Tabak und andere Kleinigkeiten aus.

Der Krieg ging danach weiter − nicht ein paar Wochen, wie die Soldaten wahrscheinlich hofften, sondern vielen blutige Jahre. Dennoch bleibt dieser winzige Augenblick im Weltenlauf, in dem die Soldaten innehielten und sich fragten, warum sie eigentlich gegeneinander kämpften, und erkannten, dass ihr Gegner ein Mensch war wie sie selbst – kein Kriegsmonster, sondern ein Mensch, der lieber bei seiner Familie gewesen wäre, ein Individuum mit Träumen, Hoffnungen und Gefühlen. Der Obergefreite Imlah schrieb später an seinen Vater, dass der Wunsch der Deutschen, die Toten zu begraben, seiner Meinung nach nur ein Vorwand war. Viel wahrscheinlicher schien ihm, dass der Grund dafür der Weihnachtstag war, Tag des Friedens und der Liebe zwischen den Menschen.

Weihnachten ist eine schmerzvolle Zeit, wenn wir mit denen, die wir lieben, in Konflikt stehen. Das Fest der Liebe löst eine unerträgliche Spannung aus. Der Wunsch nach Versöhnung reibt sich mit unseren Verletzungen, unserer Wut und Trauer, und dies um so intensiver, je näher uns Menschen stehen. Niemand kann uns tiefer verletzen als die, die wir lieben.

Ich wünsche allen, die in einem schmerzvollen Konflikt stehen, dass Weihnachten ein göttliches Licht auf Eure Situation wirft; ein Licht, das Euch die Menschen, mit denen Ihr im Streit steht, als das erscheinen lässt, was sie sind: Menschen mit guten und schlechten Eigenschaften; Menschen, die Fehler gemacht haben, aber dennoch die Menschen, die Ihr liebt. Möge Weihnachten die Front aufweichen und Euch Hoffnung auf einen Durch- und Aufbruch schenken.

Heute ist Muttertag, und da ich keinen Anspruch darauf habe, deshalb gefeiert zu werden, stimme ich ein in den Lobgesang auf die Mütter.

Sie haben es nicht leicht – heute genauso wenig oder noch weniger als früher. Von allen Seiten hören sie, wie man es machen sollte, und jeder weiss es besser. Selbst ich als Kinderlose kriege über Posts von befreundeten Bloggerinnen mit, was für Grabenkämpfe ausgetragen werden, und bei all den Ideologien, die da aufeinanderprallen, grenzt es an ein Wunder, dass noch nie ein offener Krieg ausgebrochen ist.

Ob, wie lange und wo gestillt wird, ob man zu Hause bleibt oder auch auswärts arbeitet – diese Fragen entscheiden für manche Menschen darüber, ob eine Frau eine gute Mutter ist und ob sie die richtigen Prioritäten setzt. Und wie beim Schweizer Militär, wo sich jeder, der mal Dienst geleistet hat, für einen Experten hält, glaubt auch jeder, zur Erziehung fremder Kinder sein Scherflein beitragen zu können. Jede Mutter wird in der Öffentlichkeit begutachtet und kostenlos, unaufgefordert und aufdringlich beraten.

Aber seien wir mal ehrlich: Was ist wirklich wichtig? Woran erinnern wir uns heute, wenn wir an unsere Mütter denken?

Ich glaube, ich wurde gestillt, aber erinnern kann ich mich daran nicht. Meine Mutter war die ersten Jahre zuhause, und ich fand es schön, dass sie da war, wenn ich nach Hause kam – ausser an dem Tag, als ich auf dem Nachhauseweg getrödelt und mich eine halbe Stunde zum Mittagessen verspätet habe, worauf ich von meiner Mutter, die mich vor ihrem inneren Auge schon unter den Rädern eines Autos gesehen  hatte, ein riesiges Donnerwetter zu hören bekam.

Ich glaube, am Ende zählen diese Fragen weit weniger, als wir uns vorstellen. Wenn ich an das Wichtigste denke, was meine Mutter mir mitgegeben hat, brauche ich nicht lange zu suchen. Es war die eine Gewissheit, die ich aus dem, was sie mir weitergegeben hat, verinnerlicht habe.

Ich bin geliebt. So wie ich bin. Immer.

Hat sich meine Mutter nie über mich aufgeregt? Na und ob! Ich war ein ruhiges, introvertiertes Kind, aber ich hatte ein paar nervöse Ticks auf Lager wie auf den Oberschenkeln herumtrommeln, laut pfeifen und andere Freuden, und ich habe ab und zu den Satz gehört, ich solle doch bitte „normal tun“. Dennoch wusste ich immer, dass sie mich annimmt, wie ich bin. In den kritischen Teenagerjahren, in denen ich so gern super beliebt gewesen wäre und gleichzeitig einfach sein wollte, wie ich bin (was zusammen irgendwie nicht funktionierte), hat sie mir immer wieder geduldig eingetrichtert, dass ich so völlig in Ordnung bin. Dass ich wertvoll bin.

Es gibt, so habe ich auf Facebook gelesen, nur eine Art, eine perfekte Mutter, aber tausende von Arten, eine gute Mutter zu sein. Für mich ist die gute Mutter nicht die, die dies oder jenes tut oder sein lässt. Es ist die, die ihre Kinder spüren lässt, dass sie sie liebt, wie sie sind.

Liebe Mütter, lasst Euch nicht verrückt machen. Ihr tut ein wichtiges Werk; eines der wichtigsten überhaupt. Lasst Euch heute feiern, wenn Ihr könnt. Und wenn Ihr niemanden habt, der Euch heute feiert – feiert Euch selbst und nehmt auch meine guten Wünsche an.

Und liebe „Kinder“ (denn das bleiben wir für unsere Mütter ja immer): Gedenkt heute Euren Müttern. Erinnert Euch an das Wertvolle, an die schönen Erinnerungen, an das, wofür Ihr dankbar seid. Vergebt Ihnen das „andere“. Und wenn Ihr das Glück habt, das Eure Mutter noch lebt: Lasst sie wissen, dass Ihr dankbar seid, am besten persönlich. Ihr wisst nicht, wieviel Zeit Ihr dafür noch habt.

Ich habe geschrieben, Ihr sollt das „andere“ vergeben – im Wissen, dass alle Menschen Fehler machen und jede Kindheit Erfahrungen mit sich bringt, auf die man gern verzichtet hätte. Ich denke daher auch an die unter Euch, die nicht viel haben, für das sie dankbar sind und deren Kindheit vor allem durch negative Erfahrungen geprägt sind: Lasst Euch von diesem Tag nicht niederdrücken, und lasst Euch kein schlechtes Gewissen auferlegen, wenn Ihr nicht (oder noch nicht) vergeben könnt. Streckt Euch danach aus, da Vergeben können vor allem uns selbst befreit; aber nehmt Euch die Zeit, die Ihr dafür braucht.

Beziehungen sind das Salz in unserem Leben, aber auch das, woran wir uns reiben und woran wir geschliffen werden. Sie schenken uns das Gefühl, verstanden und geliebt zu werden, brechen uns aber auch immer mal wieder das Herz; und die Beziehungen in der Familie sind in dieser Hinsicht besonders intensiv. Niemand kann uns mehr verletzen oder ermutigen, keine Bemerkung nehmen wir persönlicher – in positiver wie negativer Art – als eine, die aus der Familie kommt.

Bettina 40 10Ich bin heute dankbar für das, was meine Mutter mir zu Lebzeiten gegeben hat, und danke Gott für all meine Lieben, die ich noch um mich habe. Be all blessed – and take care!

Mösli England links

 

Bild Pa und ig

Wie geht es Dir am Muttertag? Welche Erinnerung an Deine Mutter ist Deine liebste, und welche Eigenschaft an ihr liebst Du besonders? Ich freue mich auf Deinen Kommentar und wünsche Dir einen schönen Muttertag!

Ich habe eine Weile nichts gepostet, und der Vorentwurf dieses Posts war eine echte Jammertirade. Die erspare ich Euch nun und lasse Euch stattdessen spontan an einigen neu gewonnenen Weisheiten bezüglich Advents- und anderem Stress teilhaben. (Disclaimer: Dies ist ein Spontandirektpost mit original schweizerischen Doppel-s; die grammatik-affinen deutschen Leser mögen mir verzeihen).

Ich weiss nicht, wie es Euch geht, aber sicher stimmt Ihr darin mit mir überein: Die Adventszeit hat es in sich, und es scheint von Jahr zu Jahr schlimmer zu werden. Ob die Menschen vor hundert oder zweihundert Jahren auch schon solche Probleme hatten? Der Puls der Zeit schlägt immer schneller, die Restenergien verbrennen in alarmierendem Tempo, und dann ist da die Liste der Dinge, die man unbedingt noch bewältigen muss. Geschenke einkaufen. Das Haus weihnachtlich schmücken. Weihnachtsdaten koordinieren. In meinem Fall kommt dazu: Gospelkonzert üben, Buchaktionen planen, was Schönes zu Weihnachten bloggen. Und daneben läuft das „real life“ erbarmungslos weiter und forderte seinen Tribut.

In den letzten Wochen habe ich mit einigen Überlastungssymptömchen gekämpft: Kopfschmerzen, Schulterschmerzen, plötzlich – immer mal was Neues! – Kreuzschmerzen, daneben Müdigkeit, Reizbarkeit und ein Gefühl von „will und kann nicht mehr“. Und während man einen Teil dieser Symptome auch unter „sieh es ein: auch Du wirst älter“ abhaken kann, hat mir meine finstere Stimmungswolke in der lichtvoll gedachten Adventszeit doch zu denken gegeben.

Was läuft hier falsch? Sollte ich mich nicht auf das Weihnachtsfest freuen? Warum geht das, was wir feiern, mehr und mehr unter?

Natürlich ist ein Teil davon wirtschaftssystemisch bedingt und gewollt: Jetzt ist die Zeit, in der viele Geschäfte das herausholen, was sie durchs Jahr nicht verdienen. Die Werbung wird  intensiver, wir sehen überall nur noch Spielsachen, Parfums, Juwelen und was weiss ich nicht was, das wir weder brauchen noch wirklich wollen. Daneben aber und vielleicht schlimmer: Wir denken, dass wir irgend einen Standard erfüllen müssen, und das in Bereichen, die uns vielleicht einfach nicht liegen.

Tischschmuck made by Tante Brigitte
Tischschmuck made by Tante Brigitte

Mir hat eine Bemerkung meines Schwagers vom letzten Sonntag die Augen geöffnet und mir eine Last vom Herzen genommen. Wir feierten den 70. Geburtstag meines Pa, und ich bewunderte die selbst gemachte Tischdekoration meiner Tante: ein gesteckter Kranz aus getrockneten Hortensienblüten, dessen Erschaffung sicher viel Geschick und Geduld erfordert hat (sii Piggtschaa!). Ich fragte laut, warum wohl niemand in unserer Familie solche Künste geerbt hat (wobei das eine falsche Frage war, da meine beiden so begabten Tanten NICHT aus dem Meierclan stammen), und mein Schwager sagte nur : „Du schreibst Bücher, schreibst Lieder, bloggst und singst. Warum in aller Welt hast du das Gefühl, dass du das auch noch können solltest?“

Leute: Er hat recht.

Ich muss nicht alles können, und ich muss nicht überall top sein. Konkret heisst das für mich: Ich mache mir kein schlechtes Gewissen mehr, weil ich keine super Weihnachtsdeko gemacht habe und Zuhause öfters gegen das Chaos ankämpfe (und meistens verliere). Und in Phasen wie der Adventszeit, wo ich noch Konzerte vorbereite, lasse ich einfach mal locker und versetze etwas von der „To do“ auf die „Was soll’s“-Liste. Wen juckt’s? Wen geht es etwas an, wenn ich ausser einem normierten Coop-Adventskranz noch keine Weihnachts-Utensilien in der Wohnung aufgestellt habe? Solange es meinen Mann und mich nicht stört, sollte uns der Rest egal sein.

Ich werde mich trotzdem weiter bemühen, meinen Haushalt einigermassen in Ordnung zu halten – im Grunde mag ich es ja auch lieber, wenn es sauber und aufgeräumt ist und man das Handy oder die Socken zum Anziehen nicht erst eine Viertelstunde suchen muss. Aber wenn viel läuft und ich an meine Grenzen komme, gebe ich mir die Erlaubnis, auch mal die Füsse hochzulegen und nix zu tun.

Gerade jetzt sollte ich waschen, bügeln oder staubsaugen (also eigentlich alles davon). Trotzdem habe ich mir die Zeit für dieses Post herausgenommen und werde mich nach der Veröffentlichung (hoffentlich) mit einer frischen Portion Energie an den Haushalt machen. Und das Schreiben hat gut getan.

Versucht es in der zweiten Halbzeit des  Advents vielleicht auch mal: Denkt daran, dass ihr nicht alles müsst, dass es neben den zwingenden „To Do’s“ auch eine ganze Menge Kandidaten für die „Was soll’s“-Liste gibt. Und dass Ihr nicht alles können müsst. Wir haben alle unsere Begabungen und Stärken, aber auch Bereiche, in denen wir nicht brillieren und es auch nicht müssen. Vielleicht können wir etwas einfach sein lassen, oder wir können jemanden um Hilfe bitten, der darin besser ist als wir.

Das menschliche Zusammenleben ist so gedacht: Wir sollen einander mit unseren individuellen Gaben unter die Arme greifen. Wenn jeder alles können und machen will, machen wir uns vor allem fertig und treiben Raubbau mit unserern physischen und psychischen Gesundheit. Wenn wir aber aufeinander zugehen, um Hilfe bitten oder sie auch mal anbieten, haben alle etwas davon.

Also: Wem kann ich helfen, ein schönes Weihnachtskärtchen zu schreiben? Ein Brief an einen Freund, dem ihr schon lange etwas Wichtiges sagen wolltet? Das Angebot ist ernst gemeint, und ihr müsst dafür nicht bei mir bügeln kommen (ausser natürlich, ihr wohnt in der Nähe und habt Lust dazu…!).

In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch eine stressarme Adventszeit, in der wir nicht vergessen, dass wir etwas Schönes zu feiern haben: Gottes Geschenk an unsere Welt, an uns Menschen. Licht und Liebe, Frieden und Freude (Eierkuchen? Warum nicht – solange ich ihn nicht selber backen muss…!)

Pa auf Weise kleinerAls den Meiers im kleinen Ort Liesberg vor siebzig Jahren nach zwei Knaben und einem Mädchen der dritte Bub geboren wurde, wussten weder sie noch er, dass er einmal in der Uhrenstadt Grenchen landen, hier seine Familie großziehen und die Stadt mitprägen würde. Doch genau so sollte es kommen, und damit beginnt die Geschichte meines Pa.

Viele seiner Lebensstationen sind mir aus seinen Erzählungen bekannt. Sie malen das Bild einer Zeit, die uns heute fremd und exotisch vorkommt: Die Kinder sammelten im Wald Holz für die Heizung, und im Estrich wurden Würste geräuchert. Jedes Kind durfte nur ein Hobby haben – im Fall meines Pa die Pfadfinder, wo er den Namen „Knorrli“ erhielt – weil die Zeit neben der Schule und den Arbeiten im und ums Haus nicht für mehr reichte.

Schon früh war für meinen Pa klar, dass er Lehrer werden wollte: Seine Begabung, Menschen zu führen, ihre Talente zu erkennen und sie anzuleiten, war schon in den Jahren bei den Pfadfindern prägend und prädestinierte ihn für diesen Beruf, der zur Berufung wurde. Bald fand er seine Lebensstelle als Sportlehrer in einem Kinderheim, wo er rund 40 Jahre tätig war. Von dieser Stelle konnte nebenbei auch seine junge Familie profitieren: Wir verbrachten viele Sonntage in der Turnhalle, schwangen uns an Seilen auf dicke Matten, sprangen auf dem Trampolin herum und plantschten im Hallenbad.

Daneben investierte sich Pa in der Gemeinde- und Kantonspolitik. Er präsidierte die lokale und regionale Sozialdemokratische Partei und war über zwanzig Jahre Gemeinde- und Kantonsrat. Sein Engagement galt auch hier den Kindern und Jugendlichen, und mit dem gleichen Herzblut baute er mit unserer Ma den Grenchner Ferienpass auf.

Vor elf Jahren, als Pa 59 Jahre alt war und so langsam an die Zeit nach dem Arbeitsleben denken konnte, starb unsere Ma im Alter von 55 Jahren überraschend an einer Hirnblutung. Das veränderte sein und unser Leben unwiederbringlich. Mein Pa organisierte sich neu und konnte den schweren Verlust dank seines guten Beziehungsnetzes verkraften; doch die Wunde blieb tief, und die Trauer hält an. Dennoch hat dieser Schicksalsschlag auch eine schöne Blüte hervorgebracht: in der tieferen und engeren Beziehung zwischen Pa und seinen Töchtern.

In unserer kleinen Familie war Ma der emotionale und kommunikative Klebstoff gewesen: Sie hielt Pa über unser Leben auf dem Laufenden, erzählte ihm, was wir so trieben und wie es uns ging. Ich erinnere mich noch heute an ein typisches Wochenendgespräch am Mittagstisch aus meiner Teenagerzeit: Pa fragte unsere Ma – wohlgemerkt in unserer Gegenwart – was „Die Kinder für ein Programm haben“, worauf Ma leicht genervt sagte, er solle uns doch selbst fragen.

Kurz vor Ma‘s unerwartetem Tod verbrachten meine Schwester, unser Pa und ich eine gemeinsame Singwoche an der Lenk, und obwohl wir es nicht wussten, bereitete uns die gemeinsame Zeit auf das vor, was kommen sollte. Als Ma starb, hatten wir so ein kleines Fundament, auf das wir aufbauen konnten.

Ein paar Jahre später habe ich geheiratet und bin 2010 mit meinem Mann in meine Heimatstadt gezogen. Nun lebe ich zehn Fußminuten von meinem Pa entfernt; wir sehen uns regelmäßig für seine Englischaufgaben und treffen uns am Freitag oft auf einen Kaffee in der Stadt.

Heute, an seinem 70. Geburtstag, denke ich wieder an unseren Verlust und trauere darum, dass Ma nicht dabei sein kann. Ich freue mich aber auch an diesen Blüten, die zwischen den Dornen der Trauer blühen durften. Ich freue mich, dass ich Pa heute viel besser kenne, als es mir als Kind möglich war.

Heute erkenne ich seine tiefe Emotionalität, die sich wie bei mir und meiner Schwester oft hinter einer reservierten Fassade verbirgt. Als Kinder bemerkten wir sie nur, wenn Pa bei einem schönen Film genauso viele Tränen vergoss wie wir. Heute sehe ich, wieviel Anteil Pa am Leben seiner Familie und seiner Freunde nimmt. Und auf geheimnisvolle Weise hat Ma’s Tod eine Fürsorglichkeit freigesetzt, die vorher, weil nicht gebraucht, nicht sichtbar war.

Pa mit meiner Schwester Bettina
Pa mit meiner Schwester Bettina

Ich freue mich heute auch am Erbe unseres Pa im Charakter seiner Kinder. Während meine Schwester optisch das Abbild unserer Ma ist, hat sie seine Durchsetzungskraft und sein Charisma geerbt, die Fähigkeit, die Gaben anderer zu erkennen, sie einzusetzen und die Freude daran, anderen etwas beizubringen. Ich wiederum komme äußerlich stark nach meinen Pa und habe sein zurückhaltendes und doch intensives Wesen geerbt, genauso wie seine Freude und Begabung, sich schriftlich auszudrücken. Und in letzter Zeit erkenne ich sein Erbe auch in einer Eigenschaft, von der ich lange nicht dachte, dass sie mir eigen ist.

Mein Pa und ich
Mein Pa und ich

Wenn ich mir seine Geschichte betrachte, sehe ich Kraft, Entschlossenheit und einen unbeirrbaren Glauben an sich selbst, Eigenschaften, die ihn in seinem Leben viel haben erreichen lassen. In den letzten Jahren sehe ich dieses Erbe in meinem Leben vermehrt Früchte tragen: Ich glaube nicht, dass ich meine CD- und Buchveröffentlichung ohne Entschlossenheit und diesen Glauben an mich selbst gemeistert hätte.

Heute widmet Pa einen großen Teil seiner Zeit seiner Familie. Ihr Glück und Wohlergehen sind ihm das Wichtigste, und ich spüre und sehe seine Freude an und seinen Stolz auf seine Lieben. Er teilt unsere Erfolge, leidet mit uns, wenn wir schwere Zeiten durchleben, und ist für uns da. Und ich hoffe, dass das noch lange so bleibt.

Lieber Pa – Dir als meinem treuesten Blogleser wünsche ich hier und heute alles Gute und Gottes Segen, und in Anlehnung an Star Trek (und als kleine Englischaufgabe!) schließe ich mit den Worten:

Live long and prosper!

quilt-112550_1280Heute in einer Woche wäre meine Mutter 66 Jahre alt geworden, wenn sie nicht im Herbst vor elf Jahren völlig überraschend an einer Hirnblutung gestorben wäre. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der brennende Schmerz des Verlusts langsam verwandelt und ist zu einer stilleren Trauer geworden, die nur selten heiß aufflackert. Doch es kommt vor, manchmal unverhofft und stark.

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Gestern war ich auf dem Weg nach Hause und hörte mir im Auto ein paar Songs von Eva Cassidy an, als mit „Coat of many Colors“ eines meiner Lieblingslieder anfing. In diesem Folklied erinnert sich ein Mädchen an den Mantel, den ihre Mutter aus kleinen Stoffstücken für sie genäht hat, und sie singt von ihrem Stolz und ihrer Vorfreude, den Mantel endlich tragen zu können. Die sanften Gitarrenklänge und Evas weiche Stimme rührten an einen tief verborgenen Teil meiner Seele, und Schmerz und Trauer trafen mich wie ein Schlag. Plötzlich vermisste ich meine Ma so sehr, dass die Tränen einfach aus mir herausströmten. Als der Song zu Ende war, ließ ich ihn noch einmal laufen, und dann noch einmal und immer wieder, bis ich zuhause war. Und die ganze Zeit wünschte mir, noch einmal mit Ma lachen, sie noch einmal umarmen zu können und ihr sagen zu können, wie sehr ich sie liebte.

Dabei konnte ich erst nicht verstehen, warum mich dieses Lied so sehr an sie erinnerte, denn mit Nadel und Faden hatte Ma nicht viel im Sinn. Meine Handarbeitslehrerin, die regelmäßig an mir verzweifelte (der Apfel…ihr wisst schon ) drückte mir dann, wenn alle anderen längst fertig waren, jeweils mein aktuelles „Work in Progress“ in die Hand in der Annahme, dass meine Mutter es zu Ende bringen würde. Diese Teile wanderten alle in einer dunklen Ecke meines Kleiderschranks und erreichten nie die Vollendung. Einmal kaufte Ma sogar eine alte Nähmaschine oder bekam sie geschenkt, aber wirklich benutzt hat sie sie nie. Ihre Hände, die so schnell tippen und so exzellent kochen konnten, waren in dieser Hinsicht einfach nicht zu gebrauchen.

Während ich im Auto saß und Eva zuhörte, sah ich vor meinem inneren Auge die farbigen Lumpen – für andere ein Patchwork aus alten Fetzen, für das Mädchen aber wunderschön und wertvoll. Wir hatten nicht viel Geld, singt Eva; aber ich war so reich, wie ich nur sein konnte, mit meinem Mantel in vielen Farben, den meine Mutter für mich gemacht hat – gemacht und mit einem Kuss gesegnet hat. Und ich sehe, dass auch ich reich bin, dass auch ich einen solchen Mantel habe, den meine Mutter in vielen Jahren sorgfältig gewirkt hat.

Das Lied, das sie vor dem Schlafengehen für mich gesungen hat.

Das Kreuzzeichen und das „Bhüeti Gott“, das sie mir auf den Schulweg mitgegeben hat.

Das Fläschchen Parfüm, das sie mir geschenkt hat, als mein erster Freund mit mir Schluss gemacht hatte und ich am Boden zerstört war.

Ihre sichtbare Freude und ihr Stolz über meine kleinen und großen Erfolge.

Ihr schallendes Lachen, das mir noch in den Ohren klingt.

Ihre Liebe zu spannenden Krimis, die sie mir vererbt hat.

Dass sie immer an mich geglaubt und mir vermittelt hat,
dass ich ihre Liebe niemals verlieren kann.

All diese Stücke vereinen sich zu einem wunderbar farbigen Mantel der Liebe, der sich um mein Leben legt, mich wärmt und mir Kraft gibt. Dank meiner Ma durfte ich schon vor meiner Hinwendung zu Gott erfahren, dass es jemanden gibt, der mich niemals aufgeben und immer zu mir halten würde.

Während diese Erinnerungen aufblühen, mischt sich Schmerz in meine Dankbarkeit – der Schmerz des Wissens, dass ich sie in diesem Leben nie mehr sehen, nie mehr mit ihr lachen werde. Und dieser Schmerz macht wir wieder einmal klar, dass unsere Beziehungen ein Schatz sind, den wir behüten und pflegen sollten. Er ist kostbar, und er gerät immer wieder unter Beschuss.

„Der Feind ist ein Meister darin, Dreck auf unsere Beziehungen zu schleudern und uns aus der Entfernung zu verhöhnen, während wir uns gegenseitig des Verbrechens bezichtigen. Liebt kühn und unerschrocken!“ Kevin Adams, „The extravagant fool“

Beziehungen können ätzend sein; sie verletzen, frustrieren und enttäuschen uns. Und doch sind wir für sie geschaffen. Und wenn ich auch nie ein Mensch sein werde, der in Gesellschaft auftanken kann, wenn ich auch für meine seelische Gesundheit immer viel Zeit allein brauchen werde: ich will den Schatz der Beziehungen in der Familie und unter Freunden als diese Kostbarkeit betrachten und sie pflegen.

Woran werden wir uns erinnern, wenn wir am Ende unseres Lebens angekommen sind? An die Menschen, die mit uns gelacht und geweint haben. An die kostbaren Momente, wenn wir einander ohne Maske begegnet sind, unsere Schwächen miteinander geteilt und gespürt haben, dass wir verstanden werden. Damit solche Momente entstehen können, braucht es den Mut, sich immer wieder verletzbar zu machen, die Bereitschaft, einander anzunehmen, und eine Menge Zeit.

Ich will meine Zeit gut gebrauchen, denn was mir der frühe Tod meiner Mutter auch zeigt, ist, dass es morgen schon vorbei sein kann. Dann will ich wissen, dass ich meine Prioritäten richtig gesetzt habe, will mich an Lachen und Liebe, Tränen und Treue erinnern – an einen Mantel der Liebe, geformt aus den Menschen, die mein Leben geteilt haben.

Having a soft heart in a cruel world is courage, not weakness.

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Verlierst Du auch manchmal die Sicht auf die Prioritäten? Musst Du Dich manchmal auch neu entscheiden, Dich hineinzugeben und verletztbar zu bleiben? Und woraus besteht DEIN Mantel der Liebe? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

Engel Weihnacht PixabayIch bin dieses Jahr gnadenlos im Verzug, was die weihnächtliche Schmückung des trauten Heims angeht. In den letzten Wochen standen noch Konzerte und andere Termine an, und das Resultat ist entsprechend: Kein Adventskalender, keine Tannäste, keine Sterne, kein gar Nichts – nicht einmal mein Kripplein hat den Weg aus der Kiste auf die Kommode geschafft.

 

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Immerhin beklagt sich bei mir zuhause niemand über das fehlende Xmas-Feeling – meinen Mann stört es nicht, und Kinder habe ich keine. Mütter stehen da vor anderen Herausforderungen: Sie müssen die Geschenkwünsche der Kinder mit dem Finanzhaushalt in Einklang bringen, sollten kiloweise Guetzli backen und haben das diffuse Gefühl, sie müssten zuhause „Schöner Wohnen und die perfekte Familie an Weihnachten“ zelebrieren.

Meine Schwester hat auf Facebook einen Ausschnitt aus einem Buch gepostet – eine treffende Analogie zwischen Weihnachtsvorbereitungen und den bekannten Versen aus 1. Korinther 13 über die Liebe. Im Kern heißt es darin, dass all meine Bemühungen, ein äußerlich perfektes Weihnachten mit Plätzchen und Deko zu fabrizieren, nutzlos sind, wenn ich keine Liebe für meine Familie habe.

Das Ziel dieses schönen Vergleichs ist in erster Linie, den gestressten Müttern das Herz etwas leichter zu machen und ihnen mitzugeben, dass die Liebe, die sie für ihre Familie haben, viel wichtiger ist als ein perfekt ausstaffiertes Heim, ein luxuriöses Weihnachtsmenü und Berge von Geschenken. Ich selbst bin nach der ersten Erleichterung darüber, dass ein ungeschmücktes Haus kein Verbrechen gegen den „Geist der Weihnacht“ ist, etwas nachdenklich geworden. Denn dieses Gleichnis erzählt nicht nur, was Weihnachten nicht ausmacht, sondern auch, was es ausmacht.

Wenn ich Liebe für meine Familie habe.

Wenn ich das Jesuskind nicht vergesse.

Wie steht es mit meiner Liebesfähigkeit? Und was heißt es überhaupt, meine Familie zu lieben? Was heißt es genau an Weihnachten? Ich glaube, es heißt nicht, irgendein Geschenk zu besorgen und damit ein Kästchen auf der Liste abhaken zu können. Es heißt, mich einzulassen. Und vielleicht loszulassen.

Weihnachten ist ein arg belasteter Anlass, an dem viele Erwartungen zusammenkommen. Die Kinder wünschen sich dieses oder jenes Geschenk unter dem Baum, die Erwachsenen vor allem Harmonie und Frieden in der Hoffnung, dass alles „gut geht“. Aber vielleicht heißt echte Weihnachten auch, dass gerade wir Erwachsenen diese Vorstellungen beiseiteschieben.

Vielleicht ist das größte Geschenk, dass wir einander an Weihnachten machen können, dass wir einander mit allen Ecken und Kanten akzeptieren. Dass wir unsere Familie inklusive ihrer Geschichte, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft annehmen, wie sie ist. Dass wir uns auf die gemeinsame „Heilige Zeit“ freuen, ohne unrealistische „So-sollte-es-sein“-Erwartungen an uns und andere zu stellen.

Und wenn wir mit Weihnachten mehr verbinden als Zeit mit der Familie, können wir uns auch darauf besinnen, warum wir zusammenkommen. Wie ein ebenfalls auf Facebook kursierendes Zitat es so schön ausdrückt. „Es ist nicht DEIN Geburtstag.“ Wir feiern die Ankunft unseres Herrn in dieser Welt, der uns mit uns selbst versöhnt hat. Wenn wir uns das Wunder vor Augen führen, dass Gott Mensch wurde und uns damit bewiesen hat, dass er uns trotz all unserer Schwächen genug liebt, um sein Leben für uns zu geben, können wir uns selbst und einander auch inklusive all dieser Schwächen noch besser lieben.

In diesem Sinne wünsche ich Euch schon heute echte Weihnachten.

Wie erlebt Ihr die Vorweihnachtszeit? Worauf freut Ihr Euch an Weihnachten besonders? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

Spazgang 8 2Ich bin in bestimmten Dingen ein Routinemensch: Montags, an meinem Ganzarbeitstag, esse ich am Mittag etwas Kleines, trinke einen Kaffee und mache mich auf meinen Spaziergang zum Schloss Waldegg. In dieser Dreiviertelstunde genieße ich die Natur, führe Gespräche mit Gott, hadere mit mir oder trotte in Gedanken versunken dahin – manchmal auch alles auf einmal. Besonders dankbar bin ich, wenn es mir gelingt, mich nicht ablenken zu lassen und ersteres zu tun. Wenn ich die Natur ungefiltert auf mich wirken lasse, entsteht Raum für ruhige, kraftvolle Gedanken, die mich im Gegensatz zu meinen erschöpfenden Gehirnstrudeln stärken und beruhigen.

Spazgang 1 linksDer gestrige Spaziergang begann lärmig. Es schlug gerade zwölf, Schule und Kindergarten waren aus, und auf den Straßen und Bürgersteigen wimmelte es. Lachen, Schreien, Fahrradgeklingel, quietschende Reifen der Hungrigen auf dem Weg zum Mittagessen. Dann kehrte langsam etwas Ruhe ein. Die Kirche und ihr kleiner Friedhof lagen still in der Herbstsonne. Trockene Blätter raschelten unter meinen Füßen; Efeu und Essigbaum leuchteten an der Steinmauer um die Wette – ein Farbenspiel von grün, gelb und orange über rosafarben bis brennendrot.

 

 

Spazgang 5Nach dem Gang durch ein Einfamilienhausquartier bog ich ab Richtung Schloss , genoss den Blick auf Wiesen und Felder und spazierte durch die Parkallee. Neben dem Weg ein Maisfeld, bereits zur Hälfte abgeerntet. Abrasierte Stoppel ragten aus der Erde, auf einem Feld dahinter schwebten weiß umhüllte Strohkugeln . Dazwischen flatterten Krähen und pickten noch etwas Gutes aus der Erde.

Spazgang 4Die leuchtenden Farben neben den stummen Erntestoppeln haben etwas Zerreißendes, das für mich zum Herbstschmerz gehört. Die Natur bäumt sich noch einmal auf und zeigt sich uns von der schönsten Seite, voller Wärme und Strahlkraft. Doch Abschied liegt in der Luft. Die abgemähten Felder weisen auf die Zeit, in der die Hügel unter klammen Nebelschwaden verschwinden, in der der Tag im Dunkeln beginnt und aufhört, in der der Boden hart wird und die Äste kahl sind und das Leben sich tief verkrochen hat.

Ähnliche Gefühle beschleichen mich oft auf Geburtstagsfeiern meiner Verwandten und Freunde. Es sind schöne Feste, voller Vertrautheit und Feierlaune, aber jeder neue Altersmeilenstein weist auch still auf die Vergänglichkeit des Lebens hin. Wenn sich bei den Geschwistern meines Mannes der Fünfzigste nähert, wenn Eltern in den Siebzigern sind, dann kann ich nicht anders, als den Bogen zu sehen, der sich auch in meinem Leben irgendwann nach unten senkt.

Spazgang 9Das klingt vielleicht etwas dramatisch – aber wir wissen nun mal nicht, wann unser Leben zu Ende geht. Sich der Zyklen der Natur und des menschlichen Lebens bewusst zu werden, mag schmerzhaft sein, aber in diesem Bewusstsein verbirgt sich auch Tiefe. Im Wissen um die Vergänglichkeit meiner Zeit hier auf Erden wird das Leben kostbar. Wenn ich an meine Lieben denke und den schmerzhaften Gedanken zulasse, dass ich mich eines Tages verabschieden muss, wird mir die Zeit mit ihnen wertvoller.

 

 

„So jung kommen wir nie mehr zusammen“. Der Spruch ist kurz, knackig und jedes Mal wahr, aber er birgt auch die Wahrheit, dass wir nicht wissen, ob wir überhaupt noch zusammenkommen. Er sollte uns Wach- und Mahnruf sein, unsere Beziehungen zu pflegen und zu schätzen und nicht zu vergessen, dass sich auf dem Totenbett noch niemand gewünscht hat, er hätte mehr gearbeitet, ferngesehen oder das Haus geputzt. Und er sollte uns daran erinnern, dass unsere Tage nicht in unserer Hand liegen – dass wir Blumen sind, die auf dieser Erde blühen und vergehen, wie es die „Casting Crowns“ so berührend singen.

 

Spazgang 7Am Sonntag haben Beat und ich uns „Bucket List angesehen“, ein Film über zwei Männer, die in einem halben Jahr sterben und gemeinsam eine Liste der Dinge abarbeiten, die sie im Leben noch erleben wollen. Was für Dinge würde ich auf meine Liste setzen? Und was, wenn ich noch weniger Zeit hätte? Was wäre zum Beispiel, wenn es noch exakt drei Tage wären – was würde ich damit anfangen?

 

 

 

Ein paar Ideen habe ich. Am ersten Tag würde ich prüfen, ob ich noch einen Groll loslassen oder etwas Persönliches ins Reine bringen muss, und würde das tun, damit ich die letzten Tage meines Lebens genießen kann. Dann würde ich eine Konzertlesung geben und allen Menschen noch einmal erzählen, dass es Gott gibt, wie sehr er sie liebt und wie wertvoll sie sind. Ich würde ein Abschiedspost mit der gleichen Botschaft auf meinen Blog setzen und mich bei allen Menschen bedanken, die mein Leben bereichert haben.

Den zweiten Tag würde ich allein mit meinem Mann und den letzten Tag mit meiner engen Familie verbringen – auf der Dinglehalbinsel in Irland, dem Land meines Herzens. Und wenn es meine Familie erträgt, würde ich mich gegen Ende des Tages von ihnen verabschieden und sie in ein Pub schicken, um ein Guinness auf mich zu trinken. Dann würde ich mich auf einem schönen irischen Hügel setzen, ein irisches Lied singen und darauf warten, dass Gott mich nach Hause holt.

Irland Landschaft

Und Du?

KindergrabenLetztens hat mich eine Freundin über meine Facebooktimeline gebeten, eine von ihr gestellte Frage in ein Post umzuwandeln. Das Thema ist ein harter Brocken, aber ich habe die Herausforderung angenommen, weil es mich auch betrifft und ich es spannend finde. Es betrifft einen Graben zwischen Menschen, der manchmal fast unüberwindbar scheint − den zwischen Eltern und Kinderlosen.

Mein Göttibub und ich vor langer Zeit – er wird bald 16!

 

Die Kommentare unter dem Post meiner Freundin haben aufgezeigt, wie unterschiedlich Wahrnehmung und Bedürfnisse sein können. Ein Vater fand es provokativ, wenn Nicht-Eltern ihm von ihrem Stress erzählten, während er sie im Alltag beobachtete und sah, wie oft sie sich ein paar freie Minuten nehmen oder spontan in einen Kurzurlaub fahren konnten. Ungewollt Kinderlose wiederum litten darunter, dass Eltern ihnen den mühsam erarbeiteten Seelenfrieden nicht abnehmen, weil sie nicht glauben können, das man ohne Schaden aus dem Albtraum ungewollter Kinderlosigkeit herauskommen kann.

Ich gehöre weder zur einen noch zur anderen Kategorie. Mein Mann und ich haben spät geheiratet und haben keine Kinder bekommen, aber wir hatten beide nie ein unstillbares Bedürfnis, eine Familie zu gründen. So gehören wir zu den Menschen, die unter der Kinderlosigkeit nicht leiden. Trotzdem haben wir unsere eigenen Probleme mit dem Thema.

Das Dilemma erinnert mich an mein Post „Fremde Welten“, und ich glaube, dass der Schlüssel zu einem besseren Miteinander auch hier in offener Kommunikation und im Willen beider Seiten liegt, in die „Haut des anderen“ zu schlüpfen.

Beide Lebensformen vereinigen schöne und schwierige Aspekte. Wer Kinder hat, trägt Verantwortung für das Leben anderer, muss viele Wünsche und Bedürfnisse unter einen Hut bringen und persönliche Bedürfnisse oft zurückstellen. Er kann seine Zeit nicht frei einteilen und muss einen großen Teil dieser Zeit für organisatorische Belange aufwenden. Damit einher geht oft eine finanziell angespannte Situation. Andererseits ist die Erfahrung, ein Kind zu bekommen, einzigartig und kostbar. Die Geburt eines Kindes verändert einen Menschen für immer. Ohne es selbst erfahren zu haben, glaube ich, dass Kinder dem eigenen Leben eine neue Dimension hinzufügen − als ob man aus einer zwei- in eine dreidimensionale Welt eintauchen würde. Das Leben wird chaotischer, anstrengender, aber auch tiefer und emotionaler. Und so hart und grenzwertig manche Erfahrungen auch sein mögen – ich habe noch nie Eltern getroffen, die ihre Kinder hergegeben hätten.

Das Leben ohne Kinder bietet auf den ersten Blick auch viel, gerade, wenn man nicht unter der Kinderlosigkeit leidet. Kinderlose können ihre Zeit neben der Arbeit selbst einteilen, können spontan in Urlaub fahren und nach einem stressigen Arbeitstag einfach die Füße hochlegen. Sie können auch mal vor dem Fernseher essen und jederzeit Filme schauen, die ihnen gefallen. Sie haben mehr Geld zur Verfügung. Dafür sind sie – besonders in einem bestimmten Alter – in gewissem Sinn Außenseiter in einer von Familien geprägten Welt. Sie werden als Egoisten oder Sonderlinge betrachtet. Sie müssen sich auf ein einsameres Alter einstellen und ihren Lebensstil rechtfertigen. Wenn sie gern Kinder gehabt hätten, müssen sie die Trauer überwinden.

Dreh- und Angelpunkt des Verständnisses und der guten Beziehungen scheint mir, dass man das „Leben der anderen“ weder durch die rosa noch durch die graue Brille betrachtet. Wenn wir nur die rosa Seite der „anderen“ anschauen, resultieren daraus Neid und negative Gefühle. Wenn wir nur die Schattenseiten betrachten, reagieren wir mit Unverständnis oder Mitleid auf die andere Seite, was auch belastend sein kann.

Für diejenigen, die sich bewusst für oder gegen Kinder entschieden haben, gehört zu einem umfassenden Blick meiner Meinung auch, sich selbst ab und zu an diese Entscheidung zu erinnern. Aus der persönlichen Sicht von jemandem ohne Kinder an die Adresse der „anderen“ meine ich damit: wer sich für Kinder entscheidet, kann sich vielleicht nicht vorstellen, wie grundlegend diese Entscheidung sein Leben auf den Kopf stellen wird. Aber er wird wissen, dass sich vieles ändern wird und er von bestimmten Freiheiten Abschied nehmen muss. Dass man diesen Freiheiten nachtrauert, ist menschlich; dass man sie anderen missgönnt und negative Gefühle schürt, ist unfair und fruchtlos und wird ein Miteinander erschweren.

Hier als erster Schritt der offenen Kommunikation die wichtigsten Bedürfnisse, die ich von Seiten der Kinderlosen herausgespürt habe oder selber kenne:

  • Ungewollt Kinderlose wollen nicht ständig bemitleidet werden. Sie haben meist einen Weg hinter sich, auf dem sie sich irgendwann mit ihrer Situation arrangiert haben. Wenn sie mit Euren Kindern etwas unternehmen wollen, ist das daher kein Zeichen, dass sie gerade eine Krise schieben. Fragt also nicht, „Oje, geht es Dir nicht gut?“ Glaubt ihnen, dass sie ihr Leben auch so genießen, und freut Euch an ihrem Interesse an Euren Kindern.
  • Betrachtet die freie Zeit der Kinderlosen nicht als Manipulationsmasse. Ob gewollt oder ungewollt kinderlos: wir haben uns arrangiert und nutzen diese Zeit. Wir sind gern mal flexibel und schätzen es selbst, dass wir das im Notfall sein können. Wenn Ihr uns aber kurzfristig um Unterstützung bittet, obwohl Ihr schon lange wisst, dass Ihr an dem Tag Unterstützung braucht, vermittelt Ihr uns das Gefühl, dass unsere Lebenszeit weniger wichtig ist als Eure.
  • Sagt uns, was Ihr von uns möchtet – wir können es nicht erahnen, weil wir das „Leben vor dem Kind“ führen und die Umwälzung nie erlebt haben. Auch sprechen manche von uns nicht so gut „kind“-isch und sind unsicher, was man machen kann und soll und was nicht. Dahinter steckt weder Desinteresse noch Unwille. Wenn Ihr merkt, dass wir zu der Sorte gehören – macht uns keine Vorwürfe, sondern helft uns und gebt uns Hinweise.

Bevor das Post noch viel länger wird, werde ich hier einen Punkt setzen. Ich weiß nicht, ob ich von der Warte der Kinderlosen alles abgedeckt habe, und freue mich auf weitere Hinweise und Kommentare.

Vor allem aber öffne ich die Kommunikation und hoffe auf Euch Eltern: teilt uns Eure Bedürfnisse mit! Wo tut unser Verhalten Euch weh? Was wünscht Ihr Euch von uns? Teilt mit uns, wie Ihr Euer Leben erlebt und wo wir Euch besser verstehen und unterstützen können!

galaxy-10996_640In den letzten beiden Wochen habe ich meine Ferien und bei dem Hudelwetter öfters mal ein gutes Buch oder einen Film genossen. Die Ausflüge in die faszinierenden Welten von Frodo, Captain Picard und Harry Potter haben Spaß gemacht und meine Fantasie angeregt.

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Gleichzeitig bin ich mir in letzter Zeit bewusst geworden, dass wir fürs Eintauchen in andere Universen unser eigenes nicht zwingend verlassen müssen. Rund um uns herum können wir Einblicke in Welten erhaschen, die genauso faszinierend sind.

Letztens hat mir mein Vater erzählt, wie sich der Kleiderkauf für ihn und seine Geschwister abspielte, als er ein Teenager war: die ganze Familie machte sich auf ins Bekleidungsgeschäft der Kantonshauptstadt, wo seine Schwester, eine gelernte Schneiderin, die Qualität der Stoffe prüfte, während sein Vater mit Geschick und Hartnäckigkeit dafür sorgte, dass er für den Großeinkauf einen ansehnlichen Rabatt erhielt. Ich kann mich an meine Kleiderkäufe als Teenager gut erinnern – wie alle in unserer Generation war ich sehr auf meine Unabhängigkeit bedacht, und ein familiärer Pilgerzug durch die ansässigen Geschäfte hätte meine persönliche Würde in höchstem Maß gefährdet.

Fremde Welten eröffnen sich auch in der gleichen Generation: ein enger Freund meines Mannes ist als Bauernsohn mit elf Geschwistern im sanktgallischen Rheintal aufgewachsen. Für seine Geburt reiste die Hebamme im schneereichen Januar mit ihrer Vespa an und verhalf dem neuen Familienspross mit entsprechend eisigen Händen ins Dasein. Wie er meinte, kann man ihm nicht verübeln, dass er sich ob dieser Behandlung stimmgewaltig Aufmerksamkeit verschaffte.

Doch selbst im kleinen Universum meiner Jugend haben verschiedene Welten existiert: ich entstamme einer autolosen Familie und habe jeweils am Montag voller Staunen den Berichten meiner Klassenkameraden gelauscht, die von ihren Familienausflügen in die nahe gelegenen Einkaufscenter namens „Carrefour“ und „Shoppyland“ berichteten – solche Konsumtempel waren für uns als Bahnfahrerfamilie völliges Neuland. Und selbst innerhalb einer Familie klaffen Erfahrungen auseinander: ein früherer Bandkollege ist in Ostdeutschland aufgewachsen und erlebte seine Jugendzeit in der DDR; eine Welt, die für seinen jüngeren Bruder bereits nicht mehr greifbar war.

Wenn ich mir diese Beispiele vor Augen halte, erstaunt es mich fast, dass wir uns untereinander verständigen können. Und meine Liebe zum geschriebenen Wort wird noch verstärkt, weil es einer der besten Wege ist, um uns anderen Menschen mitzuteilen: über die Jahrhunderte haben es Klassiker von Goethe, Shakespeare, aber auch neuere Werke wie Herr der Ringe und viele andere geschafft, Landes-, Sprach-, Religions- und Generationsgrenzen zu überwinden und Menschen auf dem ganzen Globus zu begeistern.

Zu diesen Büchern gehört „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee, das uns in den amerikanischen Süden der 1930er Jahre entführt. Es erzählt die Geschichte von Atticus Finch, ein Anwalt, der einen Schwarzen verteidigt, der fälschlicherweise der Vergewaltigung eine weißen Frau beschuldigt wird. Durch die Augen von Finch’s Tochter Scout tauchen wir in Welten ein, die unterschiedlicher nicht sein könnten – die Welt der angesehenen weißen Bürger, die der Schwarzen, deren Großeltern noch Sklaven waren, und die einer weißen Unterschicht, die am Rande der Gesellschaft lebt und deren Gesetze ignoriert.

Das Buch zeigt deutlich, wie einschneidend Hautfarbe, Religion und sozialer Stand unsere persönliche Welt prägen. Vor allem ruft es in Erinnerung, dass auch die Macht von Worten begrenzt ist und wir einen entscheidenden Schritt machen müssen, wenn wir die Welt unseres Nächsten verstehen wollen. Atticus Finch sagt zu seiner Tochter:

„Du wirst eine andere Person niemals wirklich verstehen, bevor Du die Dinge aus ihrer Sicht betrachtest (…)
bevor Du in ihre Haut schlüpfst und darin herumläufst.“

Manchen Menschen fällt es schwer, sich in andere hineinzufühlen, aber es ist unabdingbar, wenn wir die Grenzen zwischen unseren Welten aufweichen wollen. Und sicher bringt das jeder fertig, der schon mal in einem Buch mit einer Romanfigur mitgelitten hat. Bevor ich mich das nächste Mal in aller Rechtschaffenheit über jemanden aufrege oder herablassend lächelnd über ihn erhebe, will ich versuchen, die Welt aus seinen Augen zu sehen. In was für Umständen lebt er? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich so leben würde? Kann ich von ihm erwarten, dass er sich die Gedanken macht, die ich mir gemacht habe?

In den obigen Geschichten spiegelt sich auch eine ganze Menge Farbigkeit und Vielschichtigkeit. Ist es nicht spannend, dass Menschen um uns herum so vieles zu erzählen haben, was uns neu und fremd ist? Dass wir manchmal weder ein Buch aufmachen noch einen Film anschauen müssen, um ganz neue Welten zu entdecken – sondern nur dem Menschen neben uns ein paar Fragen zu stellen brauchen? Ich freue mich an dieser Andersartigkeit und Vielfalt und hoffe, dass wir mehr und mehr das Fremde und den Fremden in unserer Nähe mit diesen Augen sehen können.

Fällt es Dir leicht, in die Haut von anderen zu schlüpfen? Was für faszinierende Welten und Geschichten aus unserem Universum kennst Du aus Deiner Umgebung? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!