Gerade habe ich mir einen österlichen Videoclip angesehen. Zum Hymnengesang des Mormon Tabernacle Choir ersteht Jesus von den Toten, sieht dabei aus wie ein weisser American Football Star und segnet im leuchtenden Gewand die Massen; alles dermassen kitschig, dass es zumindest mich nicht besonders berühren kann – wären da nicht die Wundmale. Die Wundmale am Leib des Auferstandenen.

Jesu makelloser Auferstehungsleib trug immer noch Löcher an den Stellen, an denen er „wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden“  durchbohrt wurde, wie es bei Jesaja heisst. „Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“

Dieses Bild rührt und bewegt mich mehr, als ich artikulieren kann. Es verbindet den Triumph der Auferstehung mit dem dafür erduldeten Leiden und schafft Raum für die tiefe Wahrheit, dass es den Triumph ohne das Leiden nicht gibt, aber auch dafür, dass der Triumph nun endgültig, der Tod trotz der Wundmale besiegt ist.

In diesem Bild liegt eine Spannung, die manchmal schwer zu ertragen ist, und  manchmal lösen wir die Spannung auf, indem wir eine der beiden Seiten ausblenden. Lange Zeit wurde im traditionellen europäischen Christentum das Leiden in den Vordergrund gestellt. Der Lohn dieses Leidens auf Erden wartet dabei im Himmel, und der Triumph der Auferstehung rückt in die Ferne. Diese Richtung malt ein trockenes, hoffnungsloses Bild des Christenlebens auf Erden; ein Leben, in dem Wunder und Verheissungen wenig Platz haben.  Es ist ein Bild der Pflichterfüllung, in dem Leiden, die mich treffen, einfach anzunehmen sind – der Herr will es so, so sei es.

Heute ist dieses trocken-düstere Bild stark in den Hintergrund gerückt. Seit mehreren Jahren liegt der Schwerpunkt der tonangebenden Freikirchen auf der Auferstehung ohne das Leiden. Jesus trägt keine Wundmale; das Leiden wird ausgesperrt und verdrängt. Gott will alle heilen, und wenn Heilung auf sich warten lässt oder gar ausbleibt, ist es sicher nicht Gottes Schuld, sondern meine.

In dieser Theologie ist alles möglich, und mit ihrer Hilfe wollen wir das auch. Wir wollen mehr, aber nicht mehr Gott, sondern mehr Wunder, mehr Heilung, mehr Segen, mehr Bekehrungen und am Ende die Weltherrschaft.

Diesem Bedürfnis, die Spannung aufzulösen, liegt in beiden Fällen Angst zugrunde. Während die einen Angst vor der Macht und Verantwortung haben, die uns in der Auferstehung gegeben wird, haben die anderen Angst vor der Unsicherheit und Machtlosigkeit, die im Leiden liegt. Aber Auferstehung und Leiden gehören zusammen: Die Wundmale an den Händen des Auferstandenen waren da; in der triumphalen Ankunft des wahren Lichts, des Weissen, des Guten trug der Herr die Wunden des Leidens, das diesen Triumph ermöglichte.

Wenn wir uns nur auf das Leiden konzentrieren, nehmen wir die Macht und Autorität, die wir als Christen durch Jesu Tod und Auferstehung erhalten haben, nicht in Anspruch und werden unserer Aufgabe nicht gerecht. Aber wenn wir uns nur auf die Wunder und den Triumph konzentrieren, blenden wir aus, dass die Welt, in der wir leben, nun mal nicht ganz von Gottes Reich durchdrungen ist. Es ist da und nicht da; es bricht an immer mehr Orten und immer häufiger an, aber nicht vollständig.

Die Zeit, in der ALLE Tränen abgewischt werden, wird erst erfüllt sein, wenn der Herr wiederkommt. Bis dahin müssen wir diese Spannung ertragen und dürfen in unserer Theologie auch das Leiden nicht vergessen – die Fragen ohne Antwort, die Krankheit ohne Genesung. Ja, Gott ist alles möglich. Ja, er will unser Bestes. Aber daraus abzuleiten, wir wüssten genau, was passieren muss, und damit unsere menschlichen Wünsche den Absichten Gottes aufzudrücken, ist anmassend.

Gott ist mehrere Nummern grösser. Er hört, erhört unsere Gebete, aber was er tut oder nicht tut, werden wir nicht immer verstehen. So sehr wir uns danach sehnen mögen: Es gibt kein Rezept dafür, irgendetwas von Gott zu bekommen, und wer solche Rezepte verkauft, nützt nur sich selbst. Der Glaube an Gott ist kein Rezept für unser Glück auf Erden, die Erfüllung all unserer Wünsche. Glaube ist Beziehung zum Allmächtigen; ihm nachfolgen, in Triumphen und im Scheitern. Und allfällige Allmachtphantasien abzugeben.

An diesem Ostermontag umarme ich beide Interpretationen der Wundmale – die Erinnerung an das Leiden, aber auch den Beweis des Triumphs über den Tod. Ich umarme die Spannung, dass Gott alles möglich ist und ich sein Werkzeug zu Grossem sein darf, dass ich manchmal aber auch mit jemandem in der Dunkelheit ausharren soll.

Vor kurzem hatten wir im Kleintheater Grenchen einen Künstler zu Gast, auf den ich mich schon lange gefreut hatte. Ich wurde nicht enttäuscht: Stefan Waghubinger präsentierte fast zwei Stunden superber Unterhaltung. Trocken und lakonisch, tiefgründig, gleichzeitig alltagsnah und transzendental plauderte er über das Leben, den Glauben, die Steuererklärung und vieles mehr. Viele seiner Texte klingen nach, aber einer ist mir besonders geblieben, weil er etwas ansprach, das mich oft beschäftigt.

Waghubinger hat über sein Leben philosophiert und darüber, was dieses Leben ausmacht. Er hat sich die Frage gestellt, ob er etwas anders haben möchte und ob andere es besser haben. Dann sagte er lakonisch, so ganz tauschen möchte  er dann doch mit keinem.

So simpel er klingt, sagt dieser Satz enorm viel aus. Mir zeigt er, welchen Irrweg wir betreten, wenn wir andere um etwas beneiden.

Wenn wir Neid empfinden oder etwas begehren, was ein anderer hat, sagen oder denken wir schnell mal, dass wir gern „wären wie xy“ oder dessen Leben hätten. Etwas Bestimmtes erregt unsere Aufmerksamkeit oder unseren Neid – ein hoher Lebensstandard, Berühmtheit, ein knackiger Po, eine tolle Stimme, das super Selbstvertrauen, die Traumfamilie, eine verantwortungsvolle, prestigeträchtige Position – und wir möchten „das“ auch. Wir fragen uns, warum er/sie und nicht wir „das“ hat. Aber obwohl wir vielleicht kurz denken, dass wir mit ihm oder ihr tauschen möchten, wollen wir das im Grunde gar nicht.

Wir hängen an unserem Leben, so unzulänglich  und nicht perfekt es auch sein mag. Wir wollen unser Paket nicht tauschen.

Würden wir unsere Kinder hergeben, um den tollen Job zu bekommen? Unseren Beruf, um dafür den Knackpo zu kriegen? Nicht wirklich. Kommt dazu, dass bestimmte Pluspunkte auch bestimmte Minuspunkte nach sich ziehen. Die verantwortungsvolle Position geht mit Sicherheit mit einer gehörigen Portion Stress einher, mit wenig Zeit für Hobbies und anderes. Wollen wir das auch? Natürlich nicht. Wenn wir jemanden beneiden, dann sehen und wollen wir nur die Sahneseite und dazu alles, was wir sonst haben – also etwas, das es gar nicht gibt.

Dummerweise fällt uns das Beneiden leicht, und diese Neigung in uns wird von der Welt, in der wir leben, noch angeheizt. Die Werbung gaukelt uns vor, was wir alles haben könnten undzeigt uns das Neueste, das natürlich viel besser ist als das, was wir haben. Und falls wir es dann noch nicht wollen, sehen wir es an unseren Bekannten oder Freunden, und spätestens jetzt müssen wir es auch haben. Denn die Werbung vermittelt ja nicht nur, wie toll etwas ist und jeder, der es hat, sondern auch, dass jeder, der es nicht hat, keine Ahnung hat und nicht zum auserwählten Kreis gehört.

Abgesehen davon, dass dieser Drang des Neidens und Vergleichens unseren Geldbeutel belasten kann, hat er noch ernstere Folgen. Oft neiden wir anderen auch Gaben und Talente. Wenn wir glauben, dass andere mehr Talente haben und wir zu kurz gekommen sind, wird unser Blick für die Gaben getrübt, die uns geschenkt wurden. Und was wir nicht sehen, setzen wir nicht ein. Dabei ist das,  was wir sind und haben – all unsere Erfahrungen, unser Gaben, unsere Gegenwart mit all ihren Freuden und Leiden – der Stoff, mit dem wir die Welt prägen können.

Ich beneide selten jemanden, bin aber nicht immun. Aktuell bin ich am anfälligsten, wenn mir andere auf ihrem Weg zum Autor ein paar Schritte voraus sind oder Wege einschlagen, die für sie funktionieren, von denen ich aber weiss, dass sie nichts für mich sind. Wenn ich lese, dass eine Autorin innert sechs Monaten schon wieder ein Buch veröffentlicht hat und das nächste auch gerade fertig wird, kriege ich ab und zu ein flaues Gefühl im Magen und frage mich, warum ich nicht schneller arbeiten kann. Gleichzeitig weiss ich, dass mein Buch die Zeit braucht; nicht weil es besser, sondern weil es anders ist und ich anders bin.

Meistens jedoch kann ich Neid auf der Seite lassen, und vier Punkte oder Gedanken unterstützen mich dabei. Der erste ist Glückssache, zum zweiten habe ich beigetragen, der dritte ist eine Erkenntnis, die jedem offensteht. Der vierte ist transzendental und die Wurzel.

Zum einen habe ich tatsächlich viel von dem, was mir persönlich wichtig ist: viel Freiraum, eine Arbeit, die mir gefällt, daneben Zeit für meine Schreib- und Musikprojekte. Eine gute Gemeinschaft. Freunde, die mich nehmen, wie ich bin; eine tolle Familie, einen Mann, der mich in allem unterstützt und der dieses seltsame Wesen, das ich bin, versteht (oder zumindest nicht schreien davor flüchtet).

Zum zweiten habe ich mich mit bestimmten Mängeln oder Eigenarten meinerseits versöhnt. Ich würde die dickeren, gewellteren Haare immer noch nehmen, aber ich habe die Gegebenheiten der Natur akzeptiert. Ich wünsche mir nicht mehr, extrovertierter zu sein, sondern kann damit leben, dass Menschen mich im ersten Moment für etwas reserviert halten, und vertraue darauf, dass die Menschen, auf die es ankommt, tiefer sehen.

Zum dritten ist mir bewusst geworden, wie trennend und zerstörend Neid sein kann. Egal, ob es um die Erfolge anderer Autorinnen geht oder um bessere Gesangskünste, um ein tolleres Aussehen oder mehr Selbstvertrauen: Wenn ich andere beneide, treibe ich einen Keil zwischen mich und diese Menschen, und das ist lebenshindernd.

Zum vierten und letzte gibt es zumindest für mich nur eine Wurzel, die wirklich vom Neid befreit. Es ist die Gewissheit, dass weder das Mass an Gaben und Talenten, das ich habe, noch die existierende oder fehlende Anerkennung etwas über meinen Wert als Mensch aussagen. Wenn ich begriffen habe, dass dieser Wert unveräusserlich und unveränderlich ist, weil er mir von Gott gegeben wurde, kann ich anderen befreit gönnen, was Gott ihnen schenkt.

Damit werde ich frei, zu sehen und zu schätzen, was er mir gegeben hat, und das Beste aus mir herauszuholen – zu meiner Freude und zum Wohl aller anderen.

Wo seid Ihr anfällig für Neid? Im Kilobereich oder im Postenbereich, bei der Nasenform oder beim Gehaltscheck? Bei der Kinderzahl oder beim Handymodell? Ich freue mich auf Euren Kommentar!

Der Freitagmorgen ist bei mir meist eine Mischung aus Haushaltsführung und Stadtbummel: Ich beschäftige mich mit Staubsauger  und Putzlappen, fülle danach in der Drogerie meiner Wahl meine Gesichtspflege-, Shampoo- und Medikamentenbestände auf  und schlendere meistens noch über den Grenchner Wochenmarkt.

Letzten Freitag verschob ich die Staubsaugerei  auf den Nachmittag. Ich spazierte in die Stadt,  klapperte die Stationen auf meiner Liste ab und machte mich zum Abschluss auf den Weg zu einer Neueröffnung: Ein Primarschul-Gspänli feierte die Aufrichtung ihres Geschäfts „Per Te“ an einem neuen, grösseren Standort.

Josi und ich sind keinen Kilometer voneinander entfernt im Grenchner Arbeiter-Quartier aufgewachsen; ich an der Lingeriz- und sie an der Karl-Mathy-Strasse, und als Kinder sind wir manchen Nachmittag in Endlosschleife den steilen Hang hinter ihrem Wohnhaus hinuntergerollt. Als ich ins Progymnasium eintrat, trennten sich unsere Wege. Josi lernte später Floristin, und wir begegneten uns dann und wann in der Stadt, bis ich die Region in Richtung Fribourg verliess. Nach meiner Rückkehr in die Heimat vor sechs Jahren traf ich Josi dann ab und zu auf dem Monatsmarkt, wo sie an einem Stand Blumengestecke verkaufte. Kurz vor Weihnachten letztes Jahr wurde ich auf ihr Geschäft „Per Te“ aufmerksam, das sie als „Shop im Shop“ in einem Fotogeschäft führte.

Als ich an diesem nasskalten Februartag die Ladentür öffnete, betrat ich in ein anderes, helles und freundliches Universum. Holzwände in zartgrün und cremeweiss strahlten Fröhlichkeit aus und verbreiteten eine entspannte Atmosphäre. Originelle Blumenarrangements, italienische Köstlichkeiten, handgemachter Schmuck und nachhaltig hergestellte Kleidung, Taschen aus Recycling-Material, hübsche Grusskarten und Mitbringsel aller Art lockten das Auge, und mittendrin stand Josi, als ob sie nie woanders gewesen wäre.

Ich  machte einen intensiven Rundgang, suchte mir etwas aus und stellte mich damit an die Ladentheke, als ein so intensives Gefühl in mir aufstieg, dass es mir die  Tränen in die Augen trieb.

Das Gefühl war erst schwer zu verorten. Ich freute mich für Josi und für unsere kleine Stadt, die für das Gewerbe ein hartes Pflaster ist, und ich war stolz auf den Grenchner Pioniergeist, der etwas wagt und hinter dem viel Tatkraft und Entschlossenheit steht. Es war berührend, Josi zwischen ihren Blumen und mit viel Herzblut ausgesuchten Produkten zu sehen, gerade im Bewusstsein, dass der Weg an diesen Ort Geduld und einen langen Atem erfordert haben muss. Josi und ich sind Mitte Vierzig und keine jungen Hüpfer mehr, und ihr Erfolg beweist mir, was man erreichen kann, wenn man geduldig und hartnäckig Zeit und Herzblut investiert.

Das ermutigt mich auf meinem eigenen Weg, und die Gemeinsamkeiten, die ich trotz  in unseren Wegen erkenne, berühren mich. Josi und ich haben eine unterschiedliche Gabenpalette: Sie ist eine handwerklich äusserst begabte, warmherzige Frau, die liebevoll auf Menschen zugeht und für eine Arbeit mit menschlichem Kontakt geschaffen ist, während ich handwerklich fast ein Totalausfall bin und im Nu ausbrenne, wenn ich zu lange unter Leuten sein muss. Ich erkenne Schönheit, wenn ich sie sehe, aber ich lebe oft in meinem Kopf und meinen Gedanken und kann Schönes nur in Worten schaffen. Und doch verbindet uns, so glaube ich, ein gemeinsamer Wunsch: Menschen Freude zu bereiten und sie zu ermutigen. Und in diesem Wunsch liegt das Geheimnis dessen, was etwas tief in meinem Inneren in Josis Laden zum Klingen gebracht hat.

Während Josi mir und einer anderen Frau ihre Kleidermarken zeigte, die nachhaltige Produktion und die bequemen Schnitte anpries, bemerkte sie lächelnd,  dass perfekt geformte Frauen in verschwindend kleinen Mengen existierten und ihre Zahl sich in unserem Alter dramatisch verringere, dass es darauf aber nicht ankomme. Sie wolle Kleidung anbieten, in denen Frau sich wohlfühlt, sagte sie. In diesen Worten schwang etwas Lebensbejahendes und Befreiendes mit; ein liebevoller Blick auf die Schöpfung, der mit den Worten aus Psalm 139 sagt, dass sie „wunderbar gemacht“ ist. In Josis Laden sind die Dinge wunderbar gemacht – manche von ihr selbst, manche von anderen. Sie wurden mit Kreativität und Herzblut, Sorgfalt und Liebe hergestellt, und darin spiegelt sich der Kern von Gottes Wesen und dem, was er geschaffen hat.

Wenn ich diesen Kern betrachte, sehe ich ein grosses, unerschütterliches Ja zum Leben in jeder Form; ich sehe die Liebe zu allen Geschöpfen, sehe Gottes Kreativität bei der Erschaffung allen Seins. Und ich sehe die Wertschätzung, die Gott jedem einzelnen seiner Geschöpfe entgegenbringt. Das Gleiche spüre ich in Josis Wirken – ein Ja zum Leben und zum Gegenüber in Worten und Gesten, die aufrichten und befreien und einen loslassen lassen. Ihr Laden atmet Liebe und die Bereitschaft, jeden Menschen zu akzeptieren, wie er ist. Er atmet Ewigkeit.

Als ich den Laden verliess, wünschte ich Josi im Stillen Erfolg, aber ich bin mir sicher, dass sie ihn haben wird. Wenn unsere Welt heute etwas braucht, ist es Berührbarkeit, Annahme und Lebensbejahung; sind es Menschen, die uns vermitteln, dass wir es wert sind. Die Gaben, die Josi dafür einsetzt, habe ich nicht, aber wenn ich in dem, was ich mit Worten schaffe, nur einen Bruchteil dessen vermitteln kann, habe ich mein Ziel erreicht.

Wieder ist ein Jahr vollbracht, und vielen bleibt es als „Annus Horribilis“ voller Schreckensmomente in Erinnerung. Mein eigenes 2016 war ein Gemisch aus Licht und Schatten – Momente, an denen ich mich freue, und Leistungen, auf die ich stolz bin, stehen stressigen, herausfordernden Phasen gegenüber.

What’s up, world?
Aus der globalen Sicht kommen die politischen Umwälzungen, kommen Krieg und Terror in den Fokus. Ich frage mich wie schon so oft, ob der Mensch fähig ist, dazuzulernen, oder ob er dazu verdammt ist, immer und immer wieder dieselben Fehler zu begehen. Das offenbar unglaublich dringliche Bedürfnis so vieler, schwarz-weiß zu malen und einfachste Antworten zu basteln, damit sie in ihrer kleinen Welt wieder zufrieden sein können, irritiert mich, und ich ärgere mich, wenn offenkundig selbst intelligente Menschen die Vernetztheit vieler Katastrophen und Probleme, die sich im Moment auf dem Globus abspielen, zugunsten dieser einfachen Antwort, die ins eigene Weltbild passt, verleugnen.

Stolz und Demut
Im persönlichen Bereich wird mir im Rückblick bewusst, was ich dieses Jahr alles geschafft habe. Am meisten sticht für mich mein erster Romanentwurf heraus. Im Januar und Februar habe ich geplottet, danach recherchiert und die erste Rohfassung geschrieben, immer in Absprache und mit Unterstützung meiner Agentin. Ende Oktober hat sie das erste Mal den ganzen Text bekommen und mir viele wertvolle Hinweise gegeben, woran ich weiterarbeiten soll. Übers Jahr verteilt habe ich auch ein eigenes Lied und ein Video dazu aufgenommen, wir haben an unserem Haus eine Außenrenovation machen lassen, und daneben liefen Job und all die ehrenamtlichen Engagements in Kirche und Stadt – alles in allem viel, an dem ich mich freue und worauf ich stolz bin. Doch dem Stolz folgt die Demut auf dem Fuß. Wenn ich an meinen Roman und die weitere Bearbeitung denke, sehe ich, was ich alles noch lernen und verbessern muss, und denke ich an den Song, der Ende November herausgekommen ist, oder an die Hausrenovation und meine anderen Engagements, sehe ich, wie wenig davon ich allein hätte schaffen können.

Gott gehorchen – Verantwortung für mich selbst übernehmen
Ich habe dieses Jahr stark erlebt, dass sowohl Gehorsam gegenüber Gott als auch Eigenverantwortung einen wichtigen Stellenwert haben. Es gab Momente, in denen mir klar wurde, dass ich etwas tun soll, obwohl meine logische Analyse mir etwas anderes sagte; Momente, in denen ich einen Schritt ins Ungewisse machte, weil ich spürte, dass Gott den Schritt wollte. Genauso stand und stehe ich vor Entscheidungen, wo ich einfach gefordert bin, mittels einer klaren Analyse eine Entscheidung zu treffen und so die Verantwortung für mich und das, was mir anvertraut ist, zu übernehmen.

Menschlich-Allzumenschliches
Gerade im Bereich Mensch zu Mensch habe ich viel Gutes und Herausforderndes erfahren. Ich durfte erleben, dass ich mich anderen freudig und von Herzen widmen kann – wenn ich in guter Verfassung bin. Auf meine gute Verfassung muss ich aber mehr und mehr achten, denn sonst komme ich rasch an einen Punkt, wo mich jede menschliche Interaktion mehr Kraft kostet, als ich noch habe. Und meine Zeit und Kraft sind begrenzt – das ist eine der Haupterkenntnisse dieses Jahres. Ich war mehr als einmal an einem Punkt, den ich bisher nicht kannte und an den ich nicht mehr kommen möchte, eine Art innerer Erschöpfung, in der ich anderen und mir gegenüber nicht mehr der Mensch sein konnte, der ich wirklich bin. Um dieser Mensch sein zu können, muss ich noch mehr lernen, anderen  etwas zu verweigern und sie damit vielleicht zu enttäuschen. Nicht alle Menschen können oder wollen tief genug blicken und sich in andere hineinversetzen, und deshalb beurteilen sie eine Situation oft nur aus ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen heraus. Als Mensch, der manchmal ohne es zu wollen die Bedürfnisse und Wünsche anderer oft so klar wahrnimmt wie die eigenen, darf ich diese eigenen nicht vergessen.

Wenn ich in dem, was mich dieses Jahr am meisten geprägt hat, einen gemeinsamen Nenner erkenne, dann ist es die wundersam-schreckliche, herausfordernd-schöne Ebene der menschlichen Beziehungen.

Unser Zusammenarbeiten, Zusammensein und Zusammenleben sind oft so herausfordernd, dass wir (oder zumindest ich) uns manchmal am liebsten aus allen Verpflichtungen, Engagements und Beziehungen an einen Ort zurückziehen möchten, an dem niemand etwas von uns will, wo wir niemanden enttäuschen können, uns aber auch von niemandem durch dessen Wünsche und Bedürfnisse unter Druck gesetzt fühlen müssen. Und doch können wir fast nichts allein – wir brauchen einander. Ja, wir sind und werden besser zusammen, einerseits, weil wir unsere Gaben vereinen, einander ausgleichen, unterstützen und weiterbringen, andererseits, weil wir uns aneinander reiben und gezwungen sind, unseren eigenen Schwächen ins Gesicht zu sehen und sie zu überwinden, um zusammen etwas erreichen zu können.

Das ist das Schwierige, aber auch Hoffnungsvolle, und ich bin sicher, dass Gott es so gewollt hat. Er ist ein Gott der Beziehungen und hat uns für Beziehungen geschaffen, mit ihm und untereinander. Und ich zumindest spüre, dass ich meine menschlichen Beziehungen nur mit Gottes Hilfe auf die Reihe kriege, mit Gott, der mir meine Fehler und Schwächen vor Augen führt, der mir aber auch klar aufzeigt, wenn ich mich schützen und Grenzen ziehen muss, auch wenn dies zuerst einmal zu Konflikten führt. Darin will ich, und das ist eine der Wünsche an mich selbst, noch mutiger und kompromissloser werden, um meine Beziehungen zu anderen noch echter, ehrlicher und lebendiger zu gestalten.

Für mich war 2016 kein Annus Horribilis, aber ein Jahr voller neuer Erkenntnisse über mich und die Welt. Heute lasse ich dieses Jahr voller Licht und Schatten, voller Freude und Schrecken hinter mir und sehe hoffnungsvoll nach vorn. Ich hoffe, Ihr kommt mit, und wünsche Euch ein segensreiches, hoffnungsvolles und erfüllendes 2017!

Heiligabend ist da, und wie jedes Jahr will ich zu diesem Freudentag ein Post verfassen. Aber einfach ist es dieses Jahr nicht. Die Welt wirkt zerbrochen, und das nicht nur wegen des Terrors, dwe diese Vorweihnachtswoche überschattet hat.

Wir möchten die Geschichte der Menschheit als aufwärtsführenden Pfad sehen, auf dem sich der Mensch Stück für Stück weiterentwickelt. Aber obwohl der Mensch in bestimmten Epochen immer wieder über sich hinausgewachsen ist und die weltweiten Zahlen zu Kindersterblichkeit, Ausbildung und extremer Armut heute viel besser aussehen als vor 200 Jahren, lässt mich der Blick in die Jahrhunderte, in die jüngste Vergangenheit und auf die Gegenwart ernüchtert zurück. Wenn ich mir die Kriege und Greuel seit dem Zweiten Weltkrieg, die nackte Gier und den explodierenden Kommerz in der westlichen Welt ansehe, komme ich zu einem bitteren Schluss.

Weder Aufklärung noch wissenschaftlicher Fortschritt noch die durch Globalität verblassenden Grenzen haben den Menschen im Grunde seines Herzens verändert. Ja, er ist fähig zu Güte, zu Grosszügigkeit und Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit, aber im tiefsten Grund seines Herzens sieht er nur sich selbst und ist oft nicht willens, sich nur ein Jota in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Und die wissenschaftlichen Fortschritte haben dieses Wesen voller Machtstreben, Egoismus und Gier mit abertausenden neuer Möglichkeiten ausgestattet, seinen Willen durchzusetzen und andere zu unterdrücken oder zu vernichten.

An diesem Heiligabend 2016 sehe ich eine Welt in Trümmern, die sich vor Schmerzen windet. Eine Welt, die beweist, dass es mit der Sapientia des homo sapiens nicht weit her ist.

Und doch gibt es Gründe, gerade jetzt Weihnachten zu feiern.

Auch die erste Weihnacht ist in eine Zeit und eine Region des Aufruhrs gefallen. Gott hat nicht auf einen schönen und erhabenen Moment der Menschheitsgeschichte gewartet, um sich zu uns zu begeben – er kam mitten in das Chaos hinein.

Und so bedrückend und beängstigend wir diese Zeit empfinden mögen: In der Erkenntnis der menschlichen Grenzen und der menschlichen Widerborstigkeit, der sich wiederholenden Zyklen in der Menschheitsgeschichte, liegt ein gleichzeitig ernüchternder wie befreiender Gedanke: Der, dass unser hehres Geschlecht der Aufrechtgehenden, so sehr es das auch versucht, sich nicht selbst erlösen kann.

Und wir versuchen es unaufhörlich. Der moderne Mensch, der sich meist weigert, an einen Gott zu glauben, der ihn erlösen muss, lebt nicht frei und fröhlich vor sich hin, sondern verdammt, rechtfertigt und erlöst sich selbst in einem fort. Dieser Gedanke ist nicht von mir; ich habe ihn aus einem Blogbeitrag von Christof Lenzen, der ihn wiederum aus einem Vortrag von Andreas Malessa hat.

Der Mensch braucht auch keine Hölle mehr, denn er lebt bereits in einer. Er steht unter dem Druck, ein Leben zu leben, das „Erfolg“ ausstrahlt, er versucht, all den zivilisatorischen Regeln zu folgen, die mindestens so religiös verbrämt daherkommen wie die Zehn Gebote, und weil er nicht genügen kann, muss er sich immer wieder freisprechen. Das ist anstrengend, und vor allem funktioniert es nicht. Und genau hier liegt die harte, aber befreiende Erkenntnis:

Wir brauchen Gott.  Allein können wir es nicht und werden es nie können.

Aber wir müssen auch nicht, denn genau das bedeutet „Gnade allein“. Und an Weihnachten folgt, passend zum anstehenden Luther-Jahr, neben dem „Sola Gratia“ der Blick auf die Krippe, auf das „Solus Christus“. Nur Christus kann uns erlösen, nur durch ihn haben wir den Zugang zum Vater, die Erlösung der Sünde. Diese Aussage kann einengend und selbstgerecht wirken, aber diese Selbstgerechtigkeit wird dadurch aufgehoben, dass dieses Angebot allen Menschen gilt.

Ich feiere heute auch meine eigene Begegnung mit Jesus. Ich feiere, dass ich in den Jahren, in denen ich ihm in all meiner Unbeholfenheit und Widerborstigkeit gefolgt bin, schon viel Befreiung habe erleben dürfen. Was ich über das Menschengeschlecht gesagt habe, trifft auch auf mich zu – ich kann bösartig, rechthaberisch, egoistisch und ungeduldig sein und kann auf andere herunterblicken, und manchmal fällt mir das leichter, als gütig und geduldig zu sein. Aber immer dann, wenn Güte, wenn Liebe für meine Mitmenschen ohne Ansehen von Rang, Rasse oder Religion natürlich aus mir herausfliesst, weiss ich, dass Gott in mir wirkt.

Mehr als alles andere wünsche ich mir, dass die Angst und das Dunkel dieser Zeit Menschen zu Gott führen. Dadurch wird nicht sofort alles anders, aber wenn Menschen sein Angebot annehmen, sich berühren, heilen und verändern lassen, dann besteht Hoffnung für die Zukunft.

Wir können nicht, aber ER kann. ER kann in UNS. Und je mehr wir uns von ihm leiten lassen, desto stärker wird sein Reich sichtbar.  Wo die Welt aufklafft, wo sich Wunden auftun, öffnet sich auch immer Raum für das Licht. Das Licht, das von ihm kommt, das Licht, das uns vor zweitausend Jahren erschienen ist. Das Echte Licht.

Ich wünsche Euch allen eine segensreiche, lichtvolle Weihnachtszeit.
Be blessed!

em“Macht hoch die Tür, das Tor macht weit!“ Die Adventszeit läuft auf Hochtouren, und die Christenheit konzentriert sich einmal mehr auf einen ihrer Grossanlässe. Auch in unserer Kirche häufen sich die Events. Vorletzten Sonntag hatten wir einen Gäste-Gottesdienst mit viel Musik, einer kleinen, aber feinen Besinnung und einem reichen Buffet mit gutem Essen und netten Gesprächen. All das habe ich sehr genossen und fühle mich so langsam richtig weihnachtlich – jedenfalls fast.

Inmitten dieser sich steigernden Weihnachtsstimmung empfinde ich ein in den letzten Wochen sich stetig steigerndes Unwohlsein über uns Christen. Ich habe das Gefühl, dass wir immer öfter Schlachten schlagen, die nicht unsere sind, und darüber das vernachlässigen, was wirklich wichtig wäre.

Vor gut einem Monat habe ich beim frühmorgendlichen Blick auf mein Smartphone fassungslos festgestellt, dass die Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten gemacht haben. Mitverantwortlich für die Wahl war die grosse Mehrheit der zur Wahlurne pilgernden strammen Christen des Landes, und ein Hauptgrund für diese Entscheidung war die Hoffnung, dass der Gewählte künftige Vakanzen im Supreme Court mit konservativen Richtern besetzt, um mit dem Umstossen von früheren Gerichtsentscheiden die Abtreibung wieder zu kriminalisieren und die Homosexuellen-Ehe zu verbieten.

Ich hatte und habe Verständnis für die Bedenken gegenüber Trumps Rivalin Clinton, und ich habe sowohl ennet dem Teich wie auch hierzulande christliche Freunde, die ich liebe und schätze und die sich für die Wahl von Trump ausgesprochen haben. Aber ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Entscheidung gefährlich war und dass ihr ein falsches Verständnis für die Beziehung zwischen Staat und Kirche und davon, worum es im Leben eines Christen eigentlich geht, zugrunde liegt.

In Entscheidungen wie diesen und Vorstössen ähnlicher Art hierzulande äussert sich in meinen Augen ein Drang, Menschen, die sich nicht zu unserem Gott bekennen, die Gesetze aufzuzwingen, die wir nach unserem Verständnis aus der Bibel herauslesen. Diesen Versuch, in letzter Konsequenz einen christlichen Gottesstaat zu errichten, halte ich für selbstgerecht, unbiblisch und verfehlt und habe dementsprechend tiefe Vorbehalte gegenüber einem solchen Ansinnen.

Sie beginnen mit der Frage, was „die Bibel sagt“. Jede Generation dieser strammen Christen behauptet steif und fest, so, wie sie die Bibel versteht, sei es richtig. Dennoch verändert sich das menschliche Verständnis gegenüber der Bibel und dem, was sie aussagt, seit 2000 Jahren laufend. In Amerika wurde einst das Halten von Sklaven mit der Bibel gerechtfertigt, während es heute mit der Bibel verurteilt wird. Ich plädiere keineswegs für ein Wischi-Waschi-Evangelium, in dem alles relativ ist, aber wir sollten uns bewusst sein, dass auch unser heutiges Verständnis biblischer Wahrheit vielleicht nicht in jedem Detail dem entspricht, was das Buch eigentlich sagen will. Diese Erkenntnis sollte uns dazu bewegen, demütiger mit dem Wort Gottes umgehen, uns vertiefter mit einzelnen Aussagen auseinanderzusetzen und Sätze wie „Die Bibel sagt klar, dass“ mit äusserter Vorsicht zu verwenden.

Vor allem aber vergessen wir bei unseren fieberhaften Bemühungen, noch mehr Evangelium in die Verfassung zu drücken, dass sich die Bibel mit ihren Geboten an die Gläubigen richtet. Nur sie sind „Gottes Volk“, und das ist nun einmal in jedem Land rund um den Globus immer noch eine Minderheit. Wie Luther sich einmal in einer Predigt ausdrückte: „Der Heilige Geist hat einen kleinen Haufen.“

Zu versuchen, allen Menschen Gottes Gebote aufzuzwingen, kann nicht funktionieren. Das zeigt sich rasch, wenn wir die Probe aufs Exempel machen: Wenn wir erreichen möchten, dass die Menschen Gottes Wort folgen und wir dabei nach Prioritäten vorgehen, müssten wir mit dem  Gebot anfangen, dass Jesus als das Wichtigste angesehen hat: Liebe Gott mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst. Aber wir versuchen nicht, ein solches Gesetz zu erlassen, weil man niemanden zwingen kann, Gott oder seinen Nächsten zu lieben. Der freie Wille steht dem im Weg, und diesen freien Willen hat Gott selbst in uns hineingelegt. Auch wir sollten ihn respektieren.

Natürlich gibt es Grenzen dieses freien Willens. Sie liegen dort, wo wir anderen Menschen mit unserem Verhalten schaden und damit deren freien Willen verletzen. Dafür ist der Staat, dafür sind seine Gesetze da, und natürlich können und müssen auch diese Gesetze immer weiter verbessert werden, da sich auch das Verständnis für Recht und Unrecht verändert und (hoffentlich) verfeinert. Früher „gab“ es keine Vergewaltigung in der Ehe, weil man davon ausging, dass der Mann das Verfügungsrecht über die Frau hat – ein Verständnis, das ebenfalls auf der Verzerrung einer Bibelstelle beruhte.

Natürlich sollen die Werte, die wir aus unserem Glauben schöpfen, unsere politischen Entscheide prägen; natürlich soll der Christ sich politisch engagieren und seine Werte in die Gesellschaft tragen. Unser Gott ist ein Gott des Lebens, und alles Leben ist ihm kostbar und heilig. Der Schutz des ungeborenen wie des geborenen Lebens, die Sorge um die Schöpfung und die Verantwortung für die Schwächeren in der Gesellschaft sind für mich Eckpfeiler eines Lebens als Christ, und deshalb plädiere ich für eine Gesetzgebung, die sich um die Schwächeren kümmert, der Umwelt Sorge trägt und dem Menschen nicht freie Verfügungsgewalt über Leben und Tod gibt. Wir dürfen aber die schmerzlichen Spannungen nicht ausblenden, die in unserer gefallenen Welt nun einmal gegeben sind. Schwangerschaft durch Vergewaltigung, ungeborene Kinder, die aufgrund von schweren Schäden nicht überlebensfähig sein werden, schwangere Frauen in existenziellen oder psychischen Nöten, unheilbar Kranke, die grosse Schmerzen haben und dieses Leiden nicht mehr ertragen können – all das gibt es, und wenn wir das ignorieren, um unsere Ideologie aufrechterhalten zu können, machen wir es uns zu einfach und fügen den Betroffenen tiefes Unrecht zu.

Ich verstehe den Schmerz am Zustand der Welt – ich empfinde ihn auch. Das Leben scheint immer weniger wert, der einzelne Mensch wird zu einem Rädchen im Getriebe der Wirtschaft reduziert, der gefälligst mit seiner Arbeit und seinem Konsum die Maschinerie ankurbeln soll. Der Umgang der Menschen miteinander scheint verroht, von allen geteilte Werte scheint es kaum mehr zu geben. Dennoch bin ich überzeugt, dass es nicht die Aufgabe unseres Staates ist, die Gebote unseres Gottes abzubilden oder biblisch begründetes Fehlverhalten zu bestrafen, und dass es demzufolge nicht Aufgabe der Christen ist, einen Gottesstaat zu errichten, in dem diese Gesetze durchgeboxt werden. Wenn wir uns darauf konzentrieren, verschwenden wir unsere  Energie, anstatt sie für unsere Hauptaufgabe einzusetzen – das Verkündigen der Guten Botschaft, das Gewinnen von Menschen für Gott, die Ausbreitung von Gottes Reich.

Als Jesus vor Pilatus stand, sagte er diesem, sein Reich sei nicht von dieser Welt. Er fuhr erklärend fort, wenn es das wäre, dann hätten seine Diener seine Verhaftung verhindert. Das gilt auch heute, auch für uns. Das Reich Gottes, für das wir uns einsetzen sollen, ist nicht der politische Staat, und kein politischer Staat der Welt ist „Gottes Nation“. Reich Gottes bricht dort herein, wo wir für andere einstehen, wo wir seine gute Botschaft bringen, etwas zu essen oder eine helfende Hand, wo wir für und mit Menschen beten, Barmherzigkeit üben, Freundlichkeit und Annahme und ein offenes Ohr schenken. So wirken wir in die Gesellschaft hinein, so gewinnen wir Menschen für Gott, und so und nicht anders entsteht überall dort, wo wir sind, „Reich Gottes“.

Woran wird die Welt erkennen, dass wir seine Jünger sind? An unseren Initiativen, mit denen wir anderen auferlegen, wie sie leben sollen? An unseren Regeln? Nein. Durch die Liebe, die wir füreinander haben, und durch die Liebe, die wir Gott und dem Nächsten schenken, wie es im Gebot steht, das Jesus das Wichtigste war.

Lasst uns diese Liebe üben. Dann kann es Weihnacht werden.

Quelle: ch-info.chNach acht langen Jahren lädt Grenchen wieder einmal zum grossen Fest im Stadtzentrum mit Musik, gutem Essen, spannenden Ständen, einem Rummelplatz und vielem mehr – also allem, was das Herz begehrt.

Feiern ist angesagt – aber was genau feiern wir?

Zuerst einmal finde ich es schon sehr feiernswert, dass sich engagierte Schaffer und Visionäre gefunden haben, um unserer Stadt eine Party auszurichten. Ich denke aber auch gern zurück an die Zeit, die das Fundament dafür gelegt hat, dass sich unser ehemaliges Bauerndorf heute „Stadt“ nennen darf.

Obwohl das Festmotto die rauschenden Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts sind, in denen der Uhrenrubel rollte und Grenchen nach den Sternen griff, hat Grenchens Weg zur Stadt gut 100 Jahre vorher angefangen  – vielleicht noch früher. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Grenchen nur ein Dorf mit rund 1’500 Einwohnern, aber seine Einwohner interessierten sich schon immer für das, was ausserhalb der Stadt-, Kantons- und Landesgrenzen vor sich ging. Gleichzeitig besassen die Grenchner eine revoluzzerische Schlagseite, was im patrizischen Kantonshauptort Solothurn schon damals für Unmut sorgte. In den 1830er Jahren gewährten die Grenchner liberalen Gesinnungsgenossen wie den Italienern Giuseppe Mazzini sowie den Brüdern Agostino und Giovanni Ruffini, aber auch dem badischen Journalisten Karl Mathy politisches Asyl und schützten sie vor dem Zugriff der ausländischen und der Schweizer Behörden. In den 1850 Jahren legten die Oberhäupter der Familien Schild und Girard dann den Grundstein für Grenchnens spätere Blüte, indem sie die Uhrenindustrie im Ort ansiedelten. Nach einem schwierigen Start entstanden in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche Fabriken auf Grenchner Boden.

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Hundert Jahre später, in den besagten rauschenden 1950er Jahren, stand Grenchen in voller Blüte. Das Wirtschaftswunder hatte den Ort erfasst, und Architekten errichteten prägende Bauten wie das Parktheater und die Grenchner „Badi“, die für uns, die wir hier aufgwachsen sind, für alle Zeiten die einzig wahre und unerreichbare Messlatte dessen darstellt, wie ein Schwimmbad sein soll. Junge Badibesucher der späten Siebziger und Achtziger zehren noch heute von der Erinnerung an die weltbesten Pommes Frites in der fettigen Papiertüte, an das sahnigste Soft-Ice der Hemisphäre und die buntesten und bizarrsten Süssigkeiten, die man je an einer Badi-Theke erstanden hat.

Aber genug der elegischen Schlenker. Anfangs der 1970er Jahre unterbrach die Ölkrise den Wachstumsrausch. Die Uhrenfirmen dezimierten sich, der vorher stetige Bevölkerungsanstieg kam zum Stillstand, und plötzlich ging es in die andere Richtung. Es folgten schwierige Jahre, und in den 1980er Jahren war Grenchen auf einem Tiefpunkt angelangt.

Aufgeben gab es indessen nicht. Die Talsohle wurde überwunden, neue Betriebe siedelten sich an, und 2008 erhielt Grenchen vom Schweizer Heimatschutz sogar den Wakkerpreis für den sorgsamen Umgang mit dem öffentlichen Raum, was die NZZ mit dem Titel „Auszeichnung für eine Gebeutelte“ honorierte.

Heute ist Grenchen wirtschaftlich breiter aufgestellt. Die Stadt ist lebendig und entwickelt sich, auch wenn es manchmal eine Weile zu dauern scheint. Es hat noch leere Schaufenster im Zentrum, die auf Inhalte und Unternehmen warten, und der Ortskern darf noch mehr belebt werden, aber die Richtung stimmt. Und für mich ist das Fest, das wir dieses Wochenende feiern, Ausdruck unserer Freude und unseres Stolzes auf das, was wir sind – und auf das, was wir waren.

Unsere Wurzeln prägen uns und gestalten mit, was aus uns wird –
das gilt für uns als Menschen genauso wie für eine Stadt.

Grenchens Wurzeln sind einfach und ehrlich, aber auch mutig und weitsichtig. Sie liegen in harter Arbeit, gepaart mit Risikofreude, Weitblick und der Überzeugung, dass das, was anderswo geschieht, uns auch etwas angeht. Dieser Blick über den eigenen Garten hinaus hat zusammen mit der industriellen Entwicklung auch ein soziales Bewusstsein gedeihen lassen. Dazu kommt die Prise Revoluzzertum, auf die wir irgendwie auch stolz sind und die noch heute einen gewissen Widerstand in der Kantonshauptstadt Solothurn auslöst, wenn auch die Konflikte zumeist an der Fasnacht ausgetragen werden.

Ja, ich bin stolz auf mein Grenchen. 1971 bin ich hier geboren, als es noch ein Spital gab, bin im Lingerizquartier aufgewachsen und habe während meiner Primarschuljahre viele Lehrer mit meinem braven Eifer erfreut (die Fräuleins Allemann und Christen und Herrn Weyermann) oder mit meiner Unfähigkeit zur Verzweiflung getrieben (vor allem das Fräulein Trüssel). Vor fünf Jahren bin ich wieder in Grenchen vor Anker gegangen, und irgendwie erkenne ich mich in allen oben angetönten Grenchner Charakteristika wieder. Vielleicht ist das ja kein Zufall  – vielleicht beeinflussen und prägen sich die Stadt und ihre Einwohner gegenseitig.

Wenn Grenchner sein heisst, sich seiner einfachen Wurzeln nicht zu schämen, es zu schätzen, dass man einander kennt und dennoch über die Ortsgrenzen hinaus blickt; wenn es heisst, einen  rebellischen Zug zu besitzen, ein soziales Gewissen zu haben und sich dafür einzusetzen, dass unsere Stadt für alle lebenswert ist und bleibt – dann bin ich mit Leib und Seele Grenchnerin. Und wünsche meiner Stadt noch viele solcher Jahre und Feste!

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Vo Gränche by Gott!

Verbindest Du mit Deinem Herkunftsort auch bestimmte Eigenschaften? Und wenn ja – was macht für Dich „Deinen“ Ort aus? Oder hast Du einen neuen Ort gefunden, der „Deiner“ geworden ist? Ähnelst Du Deinem Ort vielleicht sogar? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

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Ich bin immer noch tief in die Windungen meines Romans verstrickt, aber letzte Woche habe ich einen großen Schritt auf der  Zielgeraden getan: Ich habe meinen Halbgarentwurf beendet und das erste Mal in dicken, fetten Lettern „ENDE“ geschrieben. Damit habe ich  das „Happily Ever After“ erreicht, auf gut Deutsch das „Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende“, in Kurzform: das HAPPY END.

Die meisten Romane, die nicht der Hochliteratur zugerechnet werden, bedienen sich eines Happy Ends. Es garantiert nicht, dass alle, die man liebgewonnen hat, noch leben, und es kriegt auch nicht jeder das, was er zu wollen meinte. Aber oft wird der Gerechtigkeit Genüge getan: Gute und böse Handlungen haben ihre Konsequenzen, und da Romanhelden in der Regel zwar Schwächen besitzen, aber prinzipiell als gute Menschen konstruiert sind, kriegen sie am Ende auch etwas für ihre Tugend.

Ja, das Happy End hat sich seit tausenden von Jahren bewährt, und die Nachfrage steigt.

Weil die Realität uns arg im Stich lässt.

So oft scheint das Böse zu siegen. Gute Menschen werden krank und sterben, eine Laune des Schicksals oder ein Fanatiker entreißt jemandem seine Liebsten, und wir können dahinter auch unter grössten spirituellen Verrenkungen kein Milligramm kosmische, globale oder persönliche Gerechtigkeit ausmachen.

Umso mehr wollen wir, brauchen wir das Happy End, und  umso lauter meldet sich eine kleine, ängstliche Stimme in uns zu Wort.

Wie ist es mit mir?

Kriege ich mein Happy End?

Was heißt das überhaupt? Wenn ich den Ausdruck auf mein Ende beziehe, wünsche ich mir, was sich alle wünschen: Geistig wach, gesund und schmerzfrei alt werden zu dürfen und irgendwann einzuschlafen; am liebsten so, dass ich spüre, wenn das Ende naht,  und mich noch von denen verabschieden kann, die mir wichtig sind und denen ich am Herzen liege.

Oft meinen wir mit dem Happy End aber mehr als ein geordnetes physisches Ende auf Erden. Wir fragen uns, ob sich unsere Träume erfüllen, ob unsere Liebsten behütet bleiben, ob wir von Schmerz und Krankheit verschont bleiben. Und wir wissen es nicht. Natürlich können wir auf unsere Gesundheit achten, unsere Mitmenschen gut behandeln und im Job unser Bestes geben. Aber wir können nicht oder nur begrenzt beeinflussen, ob die Firma in Konkurs geht, ob der Partner bei uns bleibt und ob unsere Kinder einen guten Weg einschlagen. Das, was man im Roman so schön konstruieren kann, ist im Leben nicht kontrollierbar, und wir können uns nicht auf eine solche Gerechtigkeit verlassen.

Das Wissen darum, dass wir es nicht wissen und nicht auf den letzten Punkt  beeinflussen können, kann ein Gefühl der Machtlosigigkeit auslösen und ist einer der Gründe, warum sinnstiftende Weltbilder so anziehend sind. Wir sehnen uns nach einfachen Konstrukten, die unsere Fragen beantworten. Doch leider werden viele dieser Gebilde gerade wegen ihrer Einfachheit der Wirklichkeit nicht gerecht. Sie funktionieren nicht und produzieren neues Unrecht.

Und manche sind nur grausam.  Wie vergiftet ist eine Lehre, die mir oder meinen Liebsten die Schuld an deren Tod aufbürdet, weil wir in einem früheren Leben böse waren? Die mir sagt, dass ich für meine Krankheit verantwortlich bin, weil ich zu wenige gute Gedanken habe? Dass ich arm bin, weil ich zu wenig „Reichtum denke“?

Die Wahrheit ist anders. Schmerzhafter. Spannungsreicher.

In einem der alten „Readers Digest“, die meine Eltern auf dem Gästeklo aufbewahrten, stand eine lustige Geschichte: Demnach beauftragte eine populäre Zeitschrift einen renommierten Wissenschaftler mit der Erstellung eines Artikels zur Frage „Gibt es Leben auf anderen Planeten?“ Umfang: 500 Wörter.

Er schrieb 166 mal „Das weiß niemand.“

Genauso sieht am Ende die Antwort auf all die quälenden Warum-Fragen aus, die wir uns manchmal stellen: Wir wissen es nicht. Schmerz und Spannung müssen ausgehalten werden, und alle, die mit einfachen Erklärungen kommen, machen uns und vielleicht auch sich selbst etwas vor.

Ich hätte gern eine endgültige Gerechtigkeit, und in einem transzendentalen Sinn glaube ich an sie. Jemand Areligiöses würde sagen, dass ich mich mit meinem Glauben an einen Gott und an die Ewigkeit in seiner Gegenwart tröste, und aus seiner Warte hätte er damit natürlich Recht. Angesichts dieser aus den Fugen scheinenden Welt ist Gott tatsächlich meine Bastion. In ihm und der letzten Gerechtigkeit ruhe ich, wenn alles andere verrückt und verrückter scheint. Und seinetwegen treiben mich die Fragen nach meinem Happy End, nach dem, was morgen geschieht, nach der Frage des „Was wäre wenn“ und „Erfüllen sich  meine Träume“ nicht so sehr um und rauben mir den Frieden nicht. Denn egal, was kommt, welcher Traum sich erfüllt, welche Ängste wahr werden – er wird immer da sein.

Zeiten wie diese, ob auf persönlicher oder globaler Ebene, können kostbare Perlen hervorbringen: Die Einsicht, dass es jemand Größeren gibt, dem wir vertrauen dürfen, und die Erkenntnis, dass jeder Tag des Lebens unglaublich kostbar ist und niemals wiederkommt.

Den Glauben an einen Gott kann man niemandem aufzwingen – schon gar nicht in Zeiten, in denen Mörder seinen Namen für ihre Zwecke missbrauchen. Aber lasst uns dieses kleine Credo verinnerlichen:

GrindelwaldDas Leben ist kostbar.
Jeder Tag davon.
Und am kostbarsten ist es genau heute.

Lasst es uns genießen. Lasst uns lieben, und lasst uns vergeben. Lasst uns lachen und tanzen, essen und trinken und das Leben feiern. Und ob wir an ihn glauben oder nicht: Auch damit ehren wir Gott.

 

Ich bin ein eher  „temperierter“ Mensch und gerate selten in die Höhen und Tiefen der Emotionalität. Wenn es passiert, dann oft über Bücher und Filme – und manchmal überrascht mich dann die Heftigkeit meines Gefühls. So wie diese Woche.

Ich hatte mir den zweiten Teil der Trilogie „Die Bestimmung“ angesehen, ein Science Fiction Film über eine Welt, in der Menschen im Alter von 16 Jahren gemäss ihrem Charakter und ihren Gaben mittels eines Simulationstests in sogenannte Fraktionen eingeteilt werden und dort gemäss der Devise „Fraktion vor Blut“ ihr Leben verbringen. Es gibt die kühnen, kampfesfreudigen Ferox, die selbstlosen Altruan, die smarten Kem, die ehrlichen Candor und die friedfertigen Amité. Doch die Heldin des Films wird auf mehrere Fraktionen positiv getestet und ist damit eine Unbestimmte. Damit beginnt ihr Abenteuer, denn die Unbestimmten gelten als Problem.

Ich will nicht mehr ins Detail gehen, falls sich jemand die Trilogie noch ansehen wird, und ich versuche auch nicht zu spoilern, denn eigentlich geht es nur am Rand um den Film. Als der zweite Teil seinem Ende entgegen geht, kommt eine Szene, in der die Menschen die ihnen bekannte Welt und ihre Grenzen verlassen, um sich mit Menschen jenseits dieser Grenzen zu verbünden.

Diese Szene hat mich mit einer Sehnsucht erfüllt, die heftig mit der Realität zusammengeprallt ist – und das Resultat war, wie ich es nennen will, der herzzerreissende Schmerz über die unerlöste Schöpfung.

Einen Moment hatte ich das Gefühl, das alles, was in unserer Welt kaputt, böse und verdorben ist, mich körperlich und seelisch quält. Es war, als würde ich vor einem kleinen Globus knien, darauf all den Hass und Hunger, das Elend und den Egoismus, die Gier und die Gewalt sehen und nur darüber weinen können.

Wann wird es anders? Wann dürfen wir Frieden, Liebe, Gerechtigkeit sehen? Müssen wir wirklich warten, bis Jesus wiederkommt?Was können wir tun, um Gegensteuer zu geben?

Es gibt seit Adam und Eva Licht und Schatten, Gut und Böse, aber in den letzten paar Jahren scheinen sich die  Gegensätze zu verschärfen, die Widerwärtigkeiten immer widerwärtiger zu werden. Es ist, als ob die Welt in ihren Grundfesten erzittert. Gleichzeitig ruft das genau dieses Sehnen hervor und verstärkt es noch – dieses irrationale Sehnen nach Weltfrieden und Nahrung für alle und Gewaltlosigkeit und allem, was gut ist.

Egal ob Christ oder nicht – ich glaube, wir sehnen uns alle nach dieser Welt. Und so sehr ich daran glaube, dass die Schöpfung eines Tages erlöst wird, so sehr bin ich entschlossen, dieses irrationale Sehnen nach dem grossen Frieden in praktische Handlung umzugiessen. Und so bin ich wieder an dem Punkt, wo ich für mich festhalte, was ich tun kann und will.

Unter dem Motto Frieden will ich Akzeptanz und Verständnis für andere leben und dort, wo ich die Verantwortung habe, diese Kultur fördern.

Unter dem Motto Versorgung will ich in meinem Umfeld grosszügig sein und ein Ohr für die feine Stimme haben, die mir sagt, wo ich helfen kann.

Und ich will mich nicht fürchten.

Kürzlich bin ich auf dem Freitagsmarkt einer Schulfreundin begegnet, die dem muslimischen Glauben angehört. Über unseren Einkäufen sind wir über Gott und die Welt ins Gespräch gekommen, und sie hat gesagt, dass wir unseren Glauben an Gott ab und zu an unserer Furcht messen sollten. Ich will mich von diesem Gedanken herausfordern lassen.

Und ich will den „Weltschmerz“ umarmen. Dieser Schmerz zeigt mir, dass ich lebe, und beweist mir, dass ich mich nicht nur um mein eigenes kleines Leben drehe. Gleichzeitig macht er eine Schlaufe und führt mich zu meinem Leben zurück, nämlich da, wo ich in meiner Berufung stehe.

Dieser Filmmoment hat in mir etwas Tiefes ausgelöst. Mit der Vereinigung und Versöhnung dieser Welt hat er eine Wahrheit angedeutet, die noch nicht existiert, hat gezeigt, was noch kommen wird und was wir uns ersehnen. Und diese Sehnsucht hat in mir etwas Gutes bewirkt: Mitgefühl, Trauer, aber auch den Wunsch, mit meinem Leben einen Unterschied zu machen.

Und genau das möchte ich erreichen, wenn ich schreibe.

Mein Buch, das in Roh- und Halbgarfassung zu drei Vierteln steht, wird kein hochphilosophisches Werk. Es wird eine Geschichte erzählen, die die Leser hoffentlich packt, unterhält und nicht mehr loslässt. Aber das reicht mir nicht. Ich werde nicht eher aufhören, daran zu schreiben, bis ich weiss, dass es auch an diese Wahrheiten rührt, die mir wichtig sind und wegen derer ich schreibe: Echtsein, Versöhnung mit sich selbst und anderen, Annahme, Glaube, Vertrauen. Wenn ich Sehnsucht nach diesen Dingen wecken kann, weil sie zwischen den Seiten durchschimmern, dann – und erst dann – habe ich mein Ziel erreicht.

Wie geht es Euch mit diesem Schmerz an der Welt? Kennt Ihr ihn auch, was löst ihn aus, und was löst er bei Euch aus? Ich glaube, wenn wir uns durch diesen Schmerz bewegen lassen, in unserem kleinen Garten etwas für die bessere Welt zu tun, hat er seinen Zweck erfüllt.

 

ehrgeiz„Das klingt ein bisschen gequält.“

Diesen Kommentar meines Mannes bekam ich letztens zu hören, nachdem ich als Vorbereitung auf ein Konzert aus vermeintlich voller Brust einen meiner Songs herausgeschmettert hatte. Im Anschluss leitete er mir freundlicherweise die Tipps seines Chorleiters weiter, wie ich meine Resonanzräume öffnen könne.

Ich gebe es ungern zu, aber im ersten Moment war ich eine winzige Kleinigkeit „angebiselt“. Schliessich bin ICH in unserem Haushalt die semi-professionelle Sängerin und habe jahrelangen Gesangsunterricht genossen. Frei nach Trappatoni: „Was erlauben Mann?“

Ich habe dann der beleidigten Leberwurst in mir mit einem giftigen Kommentar à la „Ach, ein halbes Jahr im Chor und schon der grösste Besserwisser“  Tribut gezollt. Nach dieser kleinen Ventil-Aktion fragte ich aber genauer nach, und es entspann sich eine hilfreiche Diskussion. Ich nahm mir vor, wieder mehr an meiner Technik zu arbeiten – schliesslich will ich noch besser werden.

Abgesehen davon, dass  mir diese heitere Episode gezeigt hat, wie empfindlich man  reagieren kann, wenn man kritisiert wird, hat mich das Ganze zu einer anderen Frage geführt:

Ist es gesund, immer besser werden zu wollen?

Ich glaube, der Drang nach Perfektion und Exzellenz ist dem Menschen von Natur aus gegeben, und wenn man in einem Bereich etwas Besonderes erreichen will, ist eine gewisse Besessenheit ganz nützlich. Dennoch ist dieser Drang ein zweischneidiges Schwert – gerade, wenn der Vergleich hinzukommt.

Die Forderung nach Leistung gehört zu unserer Gesellschaft, und da Erfolg oft mit der „besten Leistung“ gleichgesetzt ist, gerät die Frage nach meiner Leistung in Beziehung zu der von anderen in den Vordergrund. Mir fallen in letzter Zeit zwei entgegengesetzte Philosophien ins Auge, wie man ungesund mit diesem Drang nach Leistung und Vergleich umgehen kann.

Die erste, die Ausweichtaktik, nenne ich nach einer Folge von „How I met your mother“ einmal „Pokale für alle“. Erziehungsphilososophisch wird aus dieser dem olympischen Gedanken abgeguckten Idee, dass mitmachen alles ist, die Haltung, dass schon das Auftauchen belohnt zu werden hat und dass nichts, was ein Kind oder Jugendlicher tut, bewertet werden darf. Was immer es tut, ist toll. Dummerweise läuft es so später nicht. Wenn ich eine Ausbildung abschliessen will, muss ich das vorgegebene Niveau erreichen – schliesslich will niemand einen Arzt oder Handwerker, der herumpfuscht (nicht, dass es das nicht geben würde). Wenn wir Kindern mitgeben, dass jede ihrer Aktionen in sich genial und sie über jeden Zweifel erhaben sind, generieren wir zukünftigen Frust auf allen Seiten. Der Moment wird nämlich kommen, wo es eben nicht reicht, dass sie „da waren“, sondern wo zu Recht eine bestimmte Leistung von ihnen erwartet wird.

Die andere Seite der Medaille ist die Aufzucht von gnadenlosen Konkurrenzkämpfern. In den Augen mancher Eltern genügt es nicht, wenn ihr Kind die Bestnote macht – der Hauptkonkurrent um den Spitzenplatz sollte wenigstens einen halben Punkt darunter liegen oder noch besser die Prüfung versemmelt haben. So ein Kind betrachtet irgendwann alle anderen als Rivalen am Futtertrog und wird erst dann mit sich  zufrieden sein, wenn niemand anderes besser ist. Aber was passiert, wenn so ein Highperformer sein Ziel nicht erreicht,  weil es – seien wir realistisch – immer irgendwo jemand Besseren gibt? Wenn er plötzlich von der Spitze verdrängt wird? In diesem Weltbild ist jeder Abstieg vom höchsten Platz eine schändliche Niederlage und ein vernichtender Stoss. Wenn ich alles, was ich bin, davon abhängig mache, dass ich zuoberst stehe, kann ich nur verlieren.

Das Problem und die Grundlage für beide falschen Philosophien liegt für mich in der Verknüpfung von Leistung und Wert des Menschen.

Wer seinen Wert von seiner Leistung abhängig macht, wird entweder aufgeben, sich jeder Kritik und Konkurrenz entziehen oder ohne Rücksicht auf Verluste verbissen für seinen Erfolg schuften und dabei alle anderen als Konkurrenten sehen und gnadenlos plattwalzen. Diese Verknüpfung kann also nur  Aufgeblasenheit oder Minderwertigkeitsgefühle hervorbringen.

Nur wer seinen Wert aus einer anderen Quelle bezieht, kann befreit nach den Sternen greifen, etwas riskieren und sich Kritik aussetzen, weil er weiss, dass er der gleiche, wertvolle Mensch ist und bleibt – egal, wie gut oder schlecht er mit dem, woran er gerade bastelt, abschneidet. Diesen Wert jenseits meiner Leistung und auch jenseits der Liebe und Anerkennung von anderen Menschen, von der wir uns auch nicht bestimmen lassen sollten, gibt es nur bei Gott. Und wenn ich ihn dort habe, kann mich nicht mehr so viel erschüttern.

Nicht einmal die berechtigte Kritik meines Göttergatten. Deshalb singe ich auch heute wieder befreit vor mich hin – und versuche, meine Resonanzräume mehr zu öffnen.